Decision Database
Leitsatz:
Das Stilliegen (Vor-Anker-Gehen) mitten im Fahrwasser ist, ohne dass es der Prüfung der Frage bedarf, ob die Schifffahrt hierdurch behindert wird, grundsätzlich verboten, es sei denn, dass das Fahrzeug zu einem solchen Stillliegen gezwungen ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 30. Juni 1960
II ZR 259/58
Zum Tatbestand:
Der Beklagte fuhr mit dem ihm gehörenden Motorschiff "C" bei Stromkilometer 729 zu Tal. Ihm folgte mit einem Abstand von etwa 200 bis 250 m (streitig!) das Motorschiff "A" mit Tankkahn "B" - beide der Klägerin gehörend - im Anhang; plötzlich und ohne Ankündigung drehte „C" - wegen Versagens der Kühlwasseranlage - unter Zuhilfenahme des Ankers über Backbord auf und ankerte im Fahrwasser -weiterhin ohne jede Signalgebung und näher zum rechtsrheinischen als zum linksrheinischen Ufer. Bei der Vorbeifahrt des A-Zuges an der Backbordseite von "C" kam es zur Kollision der Vorderschiffe von "B" und "C".
Beide Vorinstanzen haben der Klage auf Ersatz des an Tankkahn "B" entstandenen Schadens stattgegeben. Die Revision des Beklagten war erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das ursächliche Verschulden der Führung von „C" an dem Unfall sieht das Berufungsgericht darin, dass sie ohne rechtzeitige Signalabgabe im Strom aufgedreht habe. Nach § 46 Nr. 2 RhSchPVO müssen Fahrzeuge, die über Backbord zu Berg wenden wollen, ihre Absicht durch einen langen und zwei kurze Töne rechtzeitig u. a. dann anzeigen, wenn andere Fahrzeuge durch das beabsichtigte Manöver gezwungen sind, ihre Geschwindigkeit zu vermindern oder ihren Kurs zu ändern. Diese Voraussetzung für die Pflicht zur Abgabe des Wendesignals sei, so wird im angefochtenen Urteil ausgeführt, gegeben gewesen, denn „C" sei in nur mäßigem Abstand vor dem „A"-Schleppzug gefahren. Die Revision in näheren Ausführungen darzulegen, das Berufungsgericht habe die Ursächlichkeit des Unterlassens des Wendesignals für den Zusammenstoß nicht ausreichend festgestellt. Der Annahme des Berufungsgerichts, der Unfall wäre durch rechtzeitige Signalgebung vermieden worden, kann aus Rechtsgründen nicht entgegengetreten werden. Auf den Revisionsangriff braucht jedoch im einzelnen nicht eingegangen zu werden. Denn „C" hat, ohne hierzu gezwungen zu sein, in unzulässiger Weise mitten im Fahrwasser zum Zwecke des Stilliegens geankert und hierdurch den Unfall herbeigeführt.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, „C" habe Anker geworfen und sei unsachgemäß mitten im Fahrwasser - mit größerem Abstand zum linksrheinischen Ufer als zum rechtsrheinischen -liegengeblieben. Die Führung von „C" hat damit gegen § 67 RhSchPVO verstoßen. Nach dieser Vorschrift müssen Fahrzeuge ihren Liegeplatz so nahe am Ufer wählen, wie es ihr Tiefgang und die örtlichen Verhältnisse gestatten; dabei dürfen sie keinesfalls die Schifffahrt behindern. Es kann allerdings die Frage auftauchen, ob der Begriff des „Liegeplatzes" in § 67 enger (vgl. Liegeplätze auf den Reeden, § 100 Nr. 2) zu fassen ist als der des „Stillliegens (Ankerns und Festmachens)", den die Überschrift des Abschnitts VII trägt. Diese Frage ist jedoch zu verneinen. Liegeplatz bedeutet nichts anderes als Liegestelle. § 65 RhSchPVO aF (jetzt § 67) war ebenfalls mit „Liegeplatz" überschrieben, § 66 aF trug die Überschrift „Verbotene Liegeplätze" (jetzt § 68 „Liegeverbote"). Dass an den „verbotenen Liegeplätzen" nach § 66 aF jedes Ankern zum Zweck des Stilliegens an den dort bezeichneten Stellen verboten war, kann schon nach dem Wortlaut dieser Vorschrift, die sich allgemein mit dem „Stilliegen" befasste, nicht zweifelhaft sein, dort ist der Ort des Stilliegens dem Liegeplatz gleichgesetzt. Nichts anderes kann aber dann für § 65 aF gelten. Offensichtlich war durch die andere Fassung der Überschrift (statt „verbotene Liegeplätze" jetzt in § 68 „Liegeverbote") keine sachliche Änderung beabsichtigt gewesen. Daraus ergibt sich schon nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der §§ 67, 68 nF, dass unter dem „Liegeplatz" nichts anderes als der Ort zu verstehen ist, an dem ein Schiff zum Zweck des Stilliegens ankert (oder festmacht). Auch die Vorschrift des § 71, die davon ausgeht, dass das Stillliegen im Fahrwasser nur in Notfällen erlaubt ist, lässt nur den Schluss zu, dass "Liegeplatz" in § 67 den Ort des Stilliegens bedeutet. Ein Schiff liegt still und nimmt demnach dort, wo es stilliegt, seinen Liegeplatz, wenn es nicht „fahrend" oder „in Fahrt befindlich" ist (§ 1 Buchst k). Dreht ein Schiff auf seinem Anker, so liegt es nicht still. Ankert es jedoch (oder bleibt es nach dem Aufdrehen vor Anker liegen), um eine Reparatur des Schiffsmotors vorzunehmen, mag diese auch kurzfristig sein, so liegt es still und hat dort, wo es ankert, seinen Liegeplatz gewählt. Eine solche Auslegung fordern insbesondere auch Sinn und Zweck der Vorschrift des § 67, die Flüssigkeit des Verkehrs, vor allem auch beim Begegnen oder Überholen, gewährleisten soll. Das Stillliegen im Strom ist hiernach grundsätzlich verboten, und zwar auch dann, wenn nach dem linken und rechten Ufer genügend Platz zum Vorbeifahren ist. Der zweite Halbsatz in § 67, wonach durch das Stilliegen keinesfalls die Schifffahrt behindert werden darf, gestattet nicht etwa ein Stillliegen mitten im Strom, wenn nach links und rechts genügend Raum zur Vorbeifahrt vorhanden ist, sondern verbietet auch das sonst erlaubte Stilliegen am Ufer, wenn dadurch die Schifffahrt behindert ist, was z. B. in Stromkrümmungen der Fall sein kann und regelmäßig an den in § 68 Nr. 1 bezeichneten Stellen der Fall sein wird (wobei in § 68 eine unwiderlegbare Vermutung für die Behinderung der Schifffahrt aufgestellt ist). Soweit die Bemerkung von Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen, § 67 RhSchPVO und BSchPO Anm. 2, etwas anderes besagen sollte, könnte der Senat dem nicht beitreten. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht für Fahrzeuge, die im Strom arbeiten, Peilungen oder Messungen ausführen (§ 77 Nr. 1), ferner besonders für Fahrzeuge, die gezwungen sind, im Fahrwasser stillzuliegen (§ 71 Nr. 1, z. B. u. U. der „Liegeplatz" im Nebel, Wassermeyer, Der Kollisionsprozess, 2. Aufl. S. 303). Für das Stilliegen nebeneinander gilt die Sondervorschrift des § 70. Der Sinn der Vorschrift des § 67 wird durch die Bestimmung des § 96 unterstrichen, wonach das Fahrwasser von einem festgefahrenen oder gesunkenen Fahrzeug binnen kürzester Frist freizumachen ist.
Dass „C" nicht gezwungen war, mitten im Strom stillzuliegen, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts. Danach hätte „C" trotz Versagens der Kühlwasseranlage mit stark gedrosseltem Motor, notfalls auch ohne Motorkraft weiterfahren können. „C" war in der Lage, an das linksrheinische Ufer zu fahren und dort unter Beachtung der Vorschrift des § 67 vor Anker zu gehen. Hätte sich „C" so verhalten, so wäre für „A" niemals eine überraschende und unklare Situation entstanden. Durch Nichtbeachtung des sich aus § 67 ergebenden Stillliegeverbotes mitten im Fahrwasser hat die Führung von „C" den Zusammenstoß schuldhaft herbeigeführt.