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Leitsatz:
Der Inhalt des Fahrterlaubnisscheins muß so klar und eindeutig sein, daß er nicht nur für den Inhaber der Erlaubnis, sondern für jeden voll verständlich ist, der verpflichtet oder befugt ist, Einsicht in den Schein zu nehmen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 12. November 1979
II ZR 238/77
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Schiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das im Auftrag der Klägerin gebaute Fährschiff T sollte Anfang Oktober 1960 von Köln nach Vlaardingen verbracht, dort fertiggestellt und sodann der Klägerin zur Verwendung auf See im Fährverkehr Dänemark-Schweden übergeben werden. Auf Antrag der Werft stellte „P." als technischer Aufsichtsbeamter der See-Berufsgenossenschaft (Beklagte zu 3) am 5. 10. 60 einen Fahrterlaubnisschein für eine „einmalige Überführung von Köln nach Rotterdam, Schiff darf nur mit 2 Schleppern überführt werden" aus. „P." berichtete der Beklagten zu 3 am gleichen Tage zu dieser Bedingung folgendes:
„Da die Motorenanlage und die Ruderanlage nicht ausreichend erprobt werden konnten und die Anker nur mit dem Spill gefiert werden konnten, wurde angeordnet, daß das Schiff nur mit zwei Schleppern als Kasko überführt werden darf."
Vor der Abfahrt des Fährschiffes am 6. 10. 1960 fragten 2 Beamte der WSP den Schiffsführer, Lotsen „1.", und einen gleichfalls anwesenden Werftangehörigen nach der Fahrtgenehmigung. Die Beamten hielten die Antwort, daß nämlich eine Genehmigung der Germanischen Lloyd für die Verschleppung vorliege, zunächst nicht für ausreichend und forderten eine Genehmigung durch die Schiffsuntersuchungskommission (SUK) an. Sie gaben jedoch die Fahrt frei, nachdem der in Diensten der Bundesrepublik (Beklagte zu 1) stehende Geschäftsführer der SUK, „B.", der vom Ufer aus die Abfahrt beobachtete, eine Geste gemacht hatte, welche als das in Schiffahrtskreisen übliche „Klarzeichen" verstanden wurde.
Während der Fahrt der T mit je einem Kopf- und Heckschlepper ließ „1." nach Rücksprache mit mitfahrenden Meistern der Werft und der Schiffsmaschinenlieferantin zur Verstärkung der Ruderwirkung die Hauptmaschinen langsam mitdrehen. Als beim Passieren der Emmericher Reede am 7. 10. 1960 das Ruder in Backbordlage blockierte, scherte T aus dem Kurs des Schleppzuges aus und rammte das in Ufernähe stilliegende, mit Leichtbenzin beladene MTS D. Durch Explosion des ausströmenden Benzins gerieten beide Fahrzeuge und weitere Schiffe in Brand. T strandete und brannte zum Wrack aus.
Die Klägerin - unterstützt von verschiedenen Nebenintervenienten -- verlangt von den Beklagten zu 1 und 3 Zahlung von etwa 4,9 Mill. DM, ferner 20 0/o Zinsen von 8 Mill. DM und Ersatz des Betrages, um den die Kosten für den Bau eines Ersatzfahrzeuges die Summe von 7,3 Mill. DM übersteigen. Sie begründet ihre Forderung u. a. damit, daß der technische Aufsichtsbeamte „P." durch die Ausstellung des Fahrterlaubnisscheins und der Geschäftsführer „B." durch die mündliche und auflagenfreie Genehmigung der Reise ihre Amtspflichten verletzt hätten.
Schiffahrts- und Schiffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. ...
Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Internationalen Schiffssicherheitsvertrag London 1948 vom 22. Dezember 1953 - BGBI. II, 606 ermächtigte den Bundesminister für Verkehr, zur Durchführung dieses Vertrages „durch Rechtsverordnung die zum Schutz menschlichen Lebens auf See und zur Sicherheit der Seeschiffahrt notwendigen Vorschriften über die Bauart, Ausrüstung und Einrichtung der Seeschiffe sowie über die amtlichen Schiffsbesichtigungen, Ausrüstungs- und Gerätekontrollen und der darüber auszustellenden Zeugnisse zu erlassen". Das ist durch die Schiffssicherheitsverordnung vom 31. Mai 1955 (SSV) - BGBI. II, 645 geschehen. Dabei wurde angeordnet, daß die Ausführung dieser Verordnung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, der See-Berufsgenossenschaften übertragen wird (§ 6 Abs. 1 SSV), die übrigens insoweit der Fachaufsicht des Bundesministers für Verkehr unterstellt war (§ 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiete der Seeschiffahrt vom 22. November 1950 - BGBI. 1, 767 in der Fassung von Art. 5 Abs. 2 des bereits erwähnten Beitrittsgesetzes zum Schiffssicherheitsvertrag London 1948). Zweifellos gehörte es damit zu den Aufgaben der See-Berufungsgenossenschaft, das amtliche Schiffssicherheitszeugnis zu erteilen (§ 11 Abs. 2 SSV), den sog. Fahrterlaubnisschein (vgl. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. 1 S. 867 sowie § 19 Abs. 1 und 2 der Unfallverhütungsvorschriften der See-Berufsgenossenschaft für Dampf-, Motorund Segelschiffe - Kauffahrteischiffe -, UVVKauf, abgedruckt bei Schaps/Abraham a.a.O. S. 868 f.). Auch hatte sie für die Probefahrt von Seeschiffen, die vor dem Abschluß einer solchen Fahrt noch nicht einen Fahrterlaubnisschein erhalten konnten - gegebenenfalls nach Vornahme bestimmter Prüfungen -, eine sog. Probefahrtbescheinigung auszustellen (vgl. Abschnitt 9 der Grundsätze der See-Berufsgenossenschaft für Seeschiffe auf Probefahrt, abgedruckt bei Schaps/Abraham a.a.O. Bd. III S. 1378/1379). Nun ist es allerdings hier nicht um die Probefahrt eines Seeschiffes gegangen, sondern um die Überführung eines noch im Bau befindlichen Seeschiffes zu einer anderen Werft zum Zwecke der Fertigstellung. Das berührte jedoch ebenfalls den Tätigkeitsbereich der See-Berufsgenossenschaft im Rahmen der ihr übertragenen Befugnisse bei der Kontrolle der Schiffssicherheit und der hierüber auszustellenden Zeugnisse (vgl. hierzu auch deren Grundsätze für die Sicherheit auf Seeschiffen bei Schiffsbewegungen vor der Probefahrt - abgedruckt bei Schaps/ Abraham a.a.O. Bd. III S. 1377 -, die „für alle Seeschiffe gelten, die sich auf deutschen Werften im Bau oder im Umbau befinden und die bis zum Beginn der Probefahrt notwendige Bewegungen ausführen müssen"). Demgemäß oblag es dieser Körperschaft, die Genehmigung für die Überführung eines noch nicht fertiggestellten Seeschiffes zu einer anderen Werft zu erteilen. Dem stand im Streitfall nicht, weil die Verschleppung der T auf dem Rhein erfolgen sollte, die Regelung des Art. 4 b der Untersuchungsordnung für Rheinschiffe und -flöße (RheinSchUO) in der im Oktober 1960 geltenden Fassung (vgl. hierzu den Abdruck bei WESKA 1961 S. 130 f.) entgegen. Zwar war nach dieser Vorschrift die Sondergenehmigung für eine einmalige Berg- oder Talfahrt auf dem Rhein von der SUK zu erteilen, wenn das Fahrzeug kein gültiges Schiffsattest besaß. Indes kam auch insoweit der Grundgedanke der allgemeinen Regelung für Seeschiffe in Art. 4 RheinSchUO zum Tragen, wonach für diese ein von der zuständigen Stelle ausgestellter Fahrterlaubnisschein genügte, um den Rhein erlaubterweise zu befahren.
2. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht, soweit es meint, der Fahrterlaubnisschein für die - einmalige - Überführung der „Tina Scarlett" gebe mit den Worten „Schiff darf nur mit 2 Schleppern überführt werden" deutlich die von P. vorgesehene Auflage wieder, das Fahrzeug lediglich „als Kasko" zu verschleppen und damit während' der Reise die Maschinen- und Ruderanlage nicht in Betrieb zu nehmen (die vor der Abfahrt des Schleppzuges noch nicht ausreichend, teilweise sogar überhaupt noch nicht hatte erprobt werden können).
...
Für diejenigen Behörden und Personen, die - im Gegensatz zur Werft - keine Kenntnis von den Verhandlungen über die Art und Weise der Verschleppung der Seefähre und ihrem baulichen Zustand hatten, besagte der Vermerk „Schiff darf nur mit 2 Schleppern überführt werden" zumindest nicht eindeutig und klar, daß während der Reise die Maschinen- und Ruderanlage nicht in Betrieb genommen werden durfte, da die erteilte Auflage die unterschiedlichsten Gründe gehabt haben konnte.
3. Entgegen der Ansicht der Revision war jedoch der - objektiv nicht hinreichend deutliche - Inhalt des Fahrterlaubnisscheins nicht ursächlich für die Anfahrung des MTS D durch T.
a) Die Werft selbst hatte den Vermerk „Schiff darf nur mit 2 Schleppern überführt werden" in seiner vollen Bedeutung verstanden. Das hat das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß festgestellt.
b) Für den Lotsen J., der T während der Reise verantwortlich geführt und die Maschinen- und Ruderanlage in Betrieb genommen hat, spielte die Unzulänglichkeit des Inhalts des Fahrterlaubnisscheins keine Rolle. J. hat sich, wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, weder um den Fahrterlaubnisschein gekümmert, geschweige von dessen Inhalt Kenntnis genommen. Das dürfte seinen Grund darin gehabt haben, daß ihm am Morgen des 6. Oktober 1960 bei seinem Erscheinen auf der Werft deren Geschäftsführer auf die Frage, ob T fahrklar sei, geantwortet hatte, es sei alles in Ordnung, er brauche sich um gar nichts zu kümmern. Ferner mag Anlaß für seine Uninteressiertheit gewesen sein, daß die Werft den Fahrterlaubnisschein nicht ihm, sondern dem zukünftigen Kapitän der „Tina Scarlett" übergeben hatte. Jedenfalls war, da J. ohne Kenntnis von dem Inhalt des Fahrterlaubnisscheins gehandelt hatte, dessen nicht hinreichend klare Fassung für den Schiffsunfall nicht kausal.
c) Der Sachverhalt gibt nichts dafür her, daß die Werft, wenn der Fahrterlaubnisschein ausdrücklich den Betrieb der Maschinen- und Ruderanlage untersagt hätte, von sich aus J. davon in Kenntnis gesetzt hätte. Vielmehr spricht gerade der Umstand, daß sie eine Unterrichtung des J. sogar unterließ, obwohl der streitige Vermerk nicht genügend deutlich war und sie dessen volle Bedeutung kannte, ganz entschieden dafür, daß sie irgendeinen Hinweis an J. für noch viel weniger geboten gehalten hätte, wenn der Fahrterlaubnisschein die Nichtbenutzung der Maschinen- und Ruderanlage ausdrücklich angeordnet hätte.
4. Nicht zu folgen ist dem von der Revision in der mündlichen Verhandlung besonders betonten Gedanken, es habe zu den Pflichten des technischen Aufsichtsbeamten P. gehört, sich vor der Abfahrt des Schleppzuges zu vergewissern, daß der Schleppzugführer und der Schiffsführer der T die Auflage des Fahrterlaubnisscheins und deren volle Bedeutung kannten. Unmittelbarer Adressat der Fahrterlaubnis war hier die Werft, die sie wegen ihrer Verantwortlichkeit für die Überführung des Schiffes beantragt hatte. Ihr war daher der Fahrterlaubnisschein zuzuleiten. Ihre (interne) Verpflichtung war es sodann, dessen Inhalt dem Schiffsführer und etwaigen weiteren für die Durchführung der Reise mitverantwortlichen Personen bekanntzugeben. Auch war es wegen der Art und der Größe des zu verschleppenden Fahrzeugs selbstverständlich, daß sich diese, sofern eine solche Unterrichtung nicht erfolgte, von sich aus von dem Inhalt des Fahrterlaubnisscheins, insbesondere von etwaigen Auflagen für die Fahrt, Kenntnis verschafften.
5. Was schließlich die Frage einer Haftung der Beklagten zu 1 angeht, so kann der formlosen Handbewegung des Geschäftsführers B. der SUK Köln gegenüber den Beamten der Wasserschutzpolizei keine selbständige Bedeutung in dem Sinne beigemessen werden, daß er eine die Auflagen der Beklagten zu 3 einschränkende, mithin auflagenfreie Fahrterlaubnis im Namen seiner Behörde erteilt hätte. Davon abgesehen, wäre ein etwaiges Fehlverhalten von B. für den Unfall der T nicht ursächlich gewesen. Der Schleppzug durfte die Reise auf Grund des von der Beklagten zu 3 erteilten Fahrterlaubnisscheins antreten und ist daran von der Wasserschutzpolizei nur deshalb gehindert worden, weil man dieser gegenüber - irrtümlich - von einer Genehmigung des Germanischen Lloyd gesprochen und den Fahrterlaubnisschein der Beklagten zu 3 nicht vorgelegt hatte. Wäre das geschehen, hätte also die Angelegenheit ihren normalen, ordnungsgemäßen Verlauf genommen, so wäre es unabhängig von dem Verhalten B. ebenfalls zur Freigabe der Fahrt und der nachfolgenden Inbetriebnahme der Maschinen- und Ruderanlage der T durch den Lotsen J. gekommen.
...“