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Leitsatz:
Ob die Steuereinrichtung eines Schiffes mit motorisch angetriebener Rudermaschine als zuverlässig angesehen werden kann, ist nur nach den Anschauungen der Fachwelt zur Unfallzeit zu beurteilen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 30. September 1976
(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschifffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Die Sache befindet sich zum zweiten Male im Revisionsverfahren (s. Urteil des BGH vom 29. 3. 1973 - II ZR 8/71 - in ZfB 1973, S. 303).
Bei einer Kollision mit dem Küstenmotorschiff „F" (bereedert von der Beklagten zu 1, verantwortlich geführt vom Beklagten zu 2) hatte der der Klägerin gehörende Schleppkahn „K" auf der Talfahrt unterhalb Wesel einen Schiffsschaden in Höhe von ca. 65 000 DM erlitten. Auf KMS „F" war bei der Annäherung die elektrische Ruderanlage wegen Stromunterbrechung ausgefallen, so dass das Schiff ausscherte und gegen Kahn „K" geriet.
Die Klägerin verlangte Schadensersatz mit der Begründung, dass „F" keinen Heckanker und kein „Hilfs- bzw. Notruder" besessen habe und daher den Rhein nicht habe befahren dürfen.
Das Rheinschifffahrtsgericht hatte den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Rheinschifffahrtsobergericht hatte die Klage abgewiesen. Auf die Revision wurde die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zur anderweitigen Entscheidung zurückverwiesen. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat die Klage jedoch erneut abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Revision wurde endgültig zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
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Der Streitfall ist, wie im ersten Revisionsurteil näher ausgeführt ist, durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass § 10 Nr. 2 Rhein-SchPolVO 1954 (jetzt: § 1.08 Nr. 3 RheinSchPolVO 1970) zugunsten der Beklagten nicht eingreift. Deshalb ist die Frage zu prüfen, ob KMS „F" - für das Befahren des Rheins - so gebaut und ausgerüstet war, dass jede Gefahr für die an Bord befindlichen Personen und für die Schifffahrt vermieden wurde und dass die Verpflichtungen aus der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung erfüllt werden konnten (§ 10 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954; jetzt: § 1.08 Nr. 1 RheinSchPolVO 1970). Das wäre aus heutiger Sicht schon deshalb zu verneinen, weil, wie sich nunmehr aus § 3.04 Nr. 4 RheinSchUO 1976 ergibt, eine Steuereinrichtung mit motorisch angetriebener Rudermaschine nur dann als zuverlässig angesehen werden kann, wenn beim Ausfall des Antriebs durch unverzüglichen Obergang auf einen zweiten unabhängigen Antrieb eine genügende Manövrierfähigkeit sichergestellt ist. Indessen kann das die Beklagten nicht belasten, weil die Frage, ob die Steueranlage des KMS „F" zuverlässig war, gerechterweise nur nach den Anschauungen der Fachwelt zur Unfallzeit beurteilt werden kann. Insoweit hat aber das Berufungsgericht nicht festzustellen vermocht, dass die in Betracht kommenden Fachkreise eine Steuereinrichtung, wie KMS „F" sie besaß, schon Anfang 1968 für das Befahren des Rheins für nicht hinreichend zuverlässig gehalten haben. Das wird von der Revision allerdings bezweifelt. Jedoch können alle Rügen zu diesem Punkte der Klage nicht zum Erfolg verhelfen.
Nach den - insoweit verfahrensrechtlich einwandfreien - Ausführungen des Berufungsgerichts besteht zumindest kein genügender Anhalt dafür, dass die Untersuchungskommissionen für den Vollzug der Rheinschiffs-Untersuchungsordnung (vgl. Art. 3 Rhein-SchUO 1950; jetzt § 2 RheinSchUO 1976) bereits Anfang 1968 den Standpunkt vertreten haben, eine Steuereinrichtung wie diejenige des KMS „F" sei für das Befahren des Rheins nicht hinreichend zuverlässig und entspreche damit nicht Art. 21 Nr. 1 Satz 2 RheinSchUO 1950. Es ist deshalb zu Lasten der - für ein ursächliches Verschulden der Beklagten beweispflichtigen - Klägerin davon auszugehen, dass eine Anfrage der Beklagten an eine dieser Untersuchungskommissionen wegen der Notwendigkeit eines zweiten unabhängigen und unverzüglich einschaltbaren Ruderantriebs verneinend beantwortet worden wäre, somit nicht zu dem Einbau eines solchen Antriebs auf KMS „F" geführt habe. Selbst wenn man daher mit der Revision den Beklagten vorwirft, sie hätten vor dem Befahren des Rheins mit KMS „F" es pflichtwidrig unterlassen, sich bei einer der dortigen Schiffsuntersuchungskommissionen über die hierfür notwendige Ausrüstung ihres als Seeschiff gebauten Fahrzeugs zu erkundigen, so kann darin kein für die Kollision zwischen KMS „F" und SK „K" ursächliches Verschulden gesehen werden. Auch kann der Revision nicht gefolgt werden, soweit sie meint, jedenfalls müsse es den Beklagten zum Vorwurf gereichen, dass sie nicht bereits von sich aus wegen der vielfach schwierigen Fahrwasserverhältnisse des Rheins und der oftmals großen Verkehrsdichte auf diesem Strom für eine Hilfsruderanlage auf KMS „F" gesorgt hätten. Denn es würde die Sorgfaltspflicht eines Schiffsführers oder eines Schiffseigners überspannen, wenn man von ihm verlangte, eine Ruderanlage vor dem Befahren einer bestimmten Schifffahrtsstraße mit einer zusätzlichen Sicherheitseinrichtung versehen zu lassen, die von den mit den Verhältnissen auf dieser Straße besonders gut vertrauten örtlichen Schiffsuntersuchungskommissionen selbst nicht gefordert wird. ...“