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Leitsatz:
Zum beiderseitigen Verschulden bei einer Kollision zweier sich begegnender Schiffe im Nord-Ostsee-Kanal.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 14. März 1988
II ZR 205/87
(OLG Schleswig)
Zum Tatbestand:
Das von der Klägerin bereederte, ostwärts fahrende MS „Rapla" (1351 BRT) und das von der Beklagten bereederte westwärts fahrende MS „Parakopi" (16 380 BRT) sind bei ihrer Begegnung bei km 95,7 des Nord-Ostsee-Kanals nachts im Nebel mit den Backbord-Bugseiten zusammengestoßen. Dabei geriet MS „Parakopi" infolge eines Steuerborddrehs mit der Steuerbord-Heckseite gegen die nördliche Dalbenreihe und zerstörte die Dalben Nr. 7, 8 und 9.
Die Klägerin behauptet, MS „Rapla" sei in der südlichen Kanalhälfte angefahren worden, wobei MS „Parakopi" das Rechtsfahrgebot und einzelne Vorschriften über das Verhalten in Weichengebieten nicht beachtet und damit den Unfall verschuldet habe. Sie verlangt ca. 77 660 russ. Rbl., 9400 BFr und 3600 USDollar.
Die Beklagte trägt vor, daß MS „Rapla" nicht in der südlichen Kanalhälfte, sondern vorschriftswidrig zumindest in der Kanalmitte gefahren sei, also den Unfall verschuldet habe. Sie fordert widerklagend Zahlung von rd. 184 000 Hfl und 51 500 US-Dollar, außerdem Freistellung von den wegen der Zerstörung der Dalben geltend gemachten Ansprüchen der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von ca. 108 000,— DM. Letztere hat beide Parteien in einem gesonderten Rechtsstreit in Anspruch genommen, wobei das Oberlandesgericht Schleswig der Klage gegen die Reederei des MS „Rapla" stattgegeben, die Klage gegen die Reederei des MS „Parakopi" abgewiesen hat. Das Urteil ist rechtskräftig geworden, nachdem der BGH die Revision der Reederei des MS „Rapla" gemäß Beschluß vom 5.10. 1987 — II ZR 51/87 — nicht angenommen und die (unselbständige) Anschlußrevision der Bundesrepublik Deutschland als unzulässig verworfen hat.
Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 1/4, die Widerklage dem /Grunde nach zu ür gerechtfertigt erklärt sowie dem Freistellungsanspruch der Widerklägerin stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, den Zahlungsanspruch der Widerklage dem Grunde nach sowie deren Freistellungsanpruch für gerechtfertigt erklärt. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren früheren Antrag weiter, die Beklagte hat den Freistellungsanspruch ihrer Widerklage wegen der rechtskräftigen Abweisung der gegen sie gerichteten Schadensersatzklage in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Mit Grund wendet sich die Revision gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Kurs des MS „Parakopi". Sie sind schon aus folgendem Gesichtspunkt nicht haltbar:
Das Berufungsgericht hat, wie im Rahmen der Widerklage zur Frage des Verschuldens der Führung des MS „Rapla" noch darzulegen sein wird, rechtsfehlerfrei festgestellt, daß dieses Fahrzeug "im Zeitpunkt der Kollision etwa in der Mitte des Kanals und nicht, wie vorgeschrieben, so weit wie möglich rechts lag". Danach müßte auch der Kurs des MS „Parakopi" etwa in der Mitte des Kanals verlaufen sein, da es sonst nicht zu einem Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge hat kommen können. Damit steht, wie die Revision zu Recht rügt, in einem unlösbaren Widerspruch die Annahme des Berufungsgerichts, nach dem Beweisergebnis lasse sich nicht ausschließen, daß MS 'Parakopi' bei der Kollision mit MS 'Rapla' einen Abstand von 38m zur Kanalachse eingehalten habe und nur gut 20 m seitlich der Dalbenreihe gefahren sei. Diesen — auf tatsächlichem Gebiet — liegenden Widerspruch wird das Berufungsgericht durch eine erneute Würdigung des Beweisergebnisses klären müssen. Erst dann läßt sich hinreichend beurteilen, ob die Führung des MS 'Parakopi' nicht durch einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 22 Abs. 1 Satz 1 SeeSchStrO oder die Regelung des § 49 Abs. 2 SeeSchStrO oder durch Nichtberücksichtigung des Umstandes, daß MS 'Rapla' die südliche Kanalhälfte nicht in voller Breite nutzen konnte, verschuldet hat. Damit kann beim derzeitigen Verfahrensstand die Abweisung der Klage keinen Bestand haben.
Das Berufungsgericht hat den Zahlungsantrag der Widerklage dem Grunde nach in vollem Umfang für gerechtfertigt erklärt, weil die Führung des MS 'Rapla' durch einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 22 Abs. 1 Satz 1 SeeSchStrO die Kollision verschuldet habe und ein Verschulden der Führung des MS 'Parakopi' an dem Schiffszusammenstoß nicht nachgewiesen werden könne. Gegen den zweiten Punkt bestehen rechtliche Bedenken. Hierzu kann auf die vorstehenden Ausführungen (s. oben) verwiesen werden. Hingegen ist die Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, die Führung des MS 'Rapla' treffe ein Verschulden an der Kollision. Insoweit ist von der Feststellung des Berufungsgerichts auszugehen, daß MS 'Rapla' im Zeitpunkt der Kollision etwa in der Mitte des Kanals und nicht,soweit wie möglich rechts gelegen hat. Die Verfahrensrügen der Revision hiergegen sind unbegründet. Von näheren Ausführungen hierzu sieht der Senat gemäß § 565 a ZPO ab. Soweit die Revision die Fahrweise des MS 'Rapla' mit Hindernissen in der südlichen Kanalhälfte zu rechtfertigen sucht, ist ihr nicht zu folgen. Daß ein Stillieger an der südlichen Kaimauer, ferner eine ebenfalls dort befindliche Containeranlage MS 'Rapla' zu einem Kurs in der Mitte des im Unfallbereich 170m breiten Fahrwassers (Abstand zwischen nördlicher Dalbenreihe und südlicher Kaimauer) gezwungen haben sollen, vermag auch sie nicht aufzuzeigen. Das gilt ebenso, soweit sie auf das Anlegemanöver des dem MS 'Rapla' vorauslaufenden MS 'Steinburg' hinweist, zumal nach den rechtlich fehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts auf Seiten der Führung des MS 'Rapla' nicht die Absicht bestanden hat, den Vorausläufer zu überholen. Im übrigen ist nach der Ansicht des Senats auch deshalb ein Verschulden an dem Zusammenstoß auf Seiten des MS 'Rapla' gegeben, weil der die Führung dieses Schiffes beratende Lotse V., der von dem Entgegenkommen des MS 'Parakopi` Kenntnis hatte, die Beobachtung des Reviers mit Hilfe des Radargeräts trotz des stark unsichtigen Wetters und dem auf dem Radarbild bereits erkennbaren, nur noch 0,4 sm entfernten Gegenkommer unterbrochen hat, um ein Funkgespräch mit dem Lotsen des MS 'Steinburg' zu führen. Infolgedessen hat er, was unbestritten ist, den Gegenkommer auf dem Radarbild erst kurz vor der Kollision wieder gesehen, also zu einem Zeitpunkt, von dem ab MS 'Rapla' nicht mehr rechtzeitig in die südliche Kanalhälfte weichen konnte. Schon im seeamtlichen Untersuchungsverfahren hat der Bundesbeauftragte auf das fehlerhafte Verhalten des Lotsen V. hingewiesen.
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Das Berufungsgericht hat dem Freihaltungsanspruch der Widerklage in vollem Umfang stattgegeben. Hierzu hat es ebenfalls auf die von ihm festgestellte fehlerhafte Fahrweise des MS 'Rapla' und weiter darauf verwiesen, daß ein haftungsbegründendes Verschulden der Führung des MS 'Parakopi` an dem Zusammenstoß nicht angenommen werden könne.
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Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Klägerin verpflichtet ist, die Beklagte von den Ansprüchen der Bundesrepublik Deutschland wegen Beschädigung der Dalben Nr. 7, 8 und 9 bei Kanalkilometer 95,7 freizuhalten, kann keinen Bestand haben. An einer derartigen Feststellung hat die Widerklägerin kein schutzwürdiges Interesse mehr, nachdem die Schadensersatzklage der Bundesrepublik Deutschland gegen sie zwischenzeitlich rechtskräftig abgewiesen worden ist. Das hat sie veranlaßt, den Freihaltungsantrag in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Dem hat jedoch die Klägerin nicht zugestimmt, weil nach ihrer Ansicht der Antrag von Anfang an mangels Verschulden der Führung des MS 'Rapla' unbegründet war und deshalb trotz der Erledigungserklärung der Widerklägerin abzuweisen sei. Das ist allerdings nicht richtig. Denn die Führung des MS 'Rapla' hat die Kollision mit MS 'Parakopi` verschuldet. Auch war diese, wie den Ausführungen des Berufungsgerichts zu entnehmen ist, adäquat ursächlich für die Beschädigung der Dalben. Daß ein Fahrzeug von der Größe des MS 'Parakopi` in der insgesamt nur 170 m breiten Weiche nach einem Steuerborddreh infolge eines RV-Manövers und des Zusammenpralls seines Backbordbugs mit einem Gegenkommer gegen die Dalbenreihe gerät, ist kein ungewöhnlicher Vorgang, selbst wenn hierbei das Unterlassen eines Ankermanövers des sich drehenden Fahrzeugs mitgewirkt haben sollte. Auch die Revision hat hierzu Näheres nicht vortragen können.
Indes kann auch über die Frage einer Erledigung des Freihaltungsanspruchs nicht abschließend entschieden werden. Da die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht ein unfallursächliches Verschulden der Führung des MS 'Parakopi` an der Kollision verneint hat, rechtlich nicht haltbar sind, läßt sich derzeit noch nicht abschließend beurteilen, inwieweit der Freihaltungsanspruch von Anfang an begründet oder unbegründet war.
Die Sache bedarf demnach erneuter Prüfung der Frage, ob auch die Führung des MS 'Parakopi` ein Verschulden an der Kollision trifft.
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Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1988 - Nr.4 (Sammlung Seite 1230 ff.); ZfB 1988, 1230 ff.