Decision Database
Leitsatz:
Zur Frage, inwieweit die Regelung des § 80 Nr. 4 RheinSchPolVO 1954, wonach die wegen unsichtigen Wetters anhaltenden Fahrzeuge das Fahrwasser so weit wie möglich frei zu machen haben, den allgemeinen Bestimmungen der §§ 67 (Liegeplatz) und 70 (Stilliegen nebeneinander) RheinSchPolVO 1954 vorgeht.
Urteil des Bundesgerichtshofes vom 17. Dezember 1973
II ZR 19/72
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim; Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte, beladene MS M drehte auf der Talfahrt bei Kehl über Backbord auf. Dabei schlug sein Steuerbordhinterschiff gegen die Steuerbordseite des Schleppbootes Z, das an der Außenseite eines rechtsrheinischen Schiffsstapels lag. Durch den Aufprall wurde SB Z gegen d neben ihm liegende Schleppboot G gedrückt.
Die Klägerin, der diese Boote gehören, verlangt von dem Beklagten Ersatz der an beiden Schiffen entstandenen Schäden von ca. 40000,- DM, weil MS M in den im Unfallbereich dichten Nebel gefahren sei, erst dann aufgedreht und das Manöver fehlerhaft durchgeführt habe.
Der Beklagte meint, daß die Kollision darauf zurückzuführen sei, daß die beiden Boote sich als 4. und 5. Breite an einer Stelle hingelegt hätten, wo das Liegen nur in 2 Breiten zulässig sei.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 1/2, das Rheinschiffahrtsobergericht hat sie zu 4/5 für gerechtfertigt erklärt. Die Revision des Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 80 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPolVO 1954 müssen Talfahrer anhalten oder aufdrehen, sobald sie infolge der verminderten Sicht und mit Rücksicht auf den übrigen Verkehr oder die örtlichen Umstände die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen können. Die Vorschrift ist dahin zu verstehen, daß Talfahrer die Fahrt einstellen müssen, wenn ihre Fortsetzung infolge der „bestehenden oder bevorstehenden verminderten Sicht" eine Gefahr bilden würde (BGH, Urt. v. 29. 4. 1965 - II ZR 129/631), VersR 1965, 682, 683). Deshalb muß der Talfahrer bei vorhersehbarer Sichtbehinderung das Aufdrehen so rechtzeitig beginnen, daß das Manöver beendet ist, solange er noch ausreichende Sicht hat.
Nach dem angefochtenen Urteil hat sich die Kollision unstreitig im dichten Nebel ereignet. Auch ist das stilliegende SB Z erst während des Drehens von MS M für dieses Fahrzeug sichtbar geworden. Schon daraus ergibt sich, daß der Talfahrer zu einem Zeitpunkt aufgedreht hat, als er den zur Durchführung dieses Manövers notwendigen Stromabschnitt nicht mehr vollständig übersehen und damit das Manöver nicht mehr gefahrlos ausführen konnte. Dabei läßt sich zu Gunsten des Talfahrers nie anführen, er habe nicht damit rechnen müssen, daß sein Aufdrehen von anderen Fahrzeugen durch verkehrswidrige Beschränkung der Fahrwasserbreite vereitelt oder behindert werde. Denn der Beklagte konnte trotz der schiffahrtspolizeilich für den Unfallbereich angeordneten Liegebeschränkung auf zwei Breiten nicht davon ausgehen, daß sich dort keine Schiffsstapel von mehr als zwei Breiten befinden würden, weil der dichte Nebel andere Fahrzeuge, auch Gegenkommer, gezwungen haben konnte, die Fahrt auf Höhe von zwei nebeneinander liegenden Fahrzeugen einzustellen und auf diese bis zu einer Besserung der Sichtverhältnisse bei. zugehen.
Es ist richtig, daß die Klägerin, die den Klageanspruch auch auf einen schuldhaften Verstoß des Beklagten gegen § 80 Nr. 2 Abs.1 RheinSchPolVO 1954 stützt, die Voraussetzungen für das Vorliegen eines solchen Verstoßes darlegen und beweisen muß (vgl. BGH, Urt. v. 14. 6. 65 - II ZR 220/632), VersR 1965, 757, 758). Hier ist nach den vorstehenden Ausführungen jedoch davon aus zugehen, daß der Beklagte mit MS M erst zu einem Zeitpunkt (zum Zwecke der Fahrteinstellung wegen Nebels) aufgedreht hat, als er die zur Durchführung dieses Manövers erforderliche Strecke nicht mehr vollständig überblicken konnte, der Fahrtabbruch somit verspätet war. In einem derartigen Falle streitet aber gegen den Beklagten ein Anscheinsbeweis dahin, daß sein objektiv fehlerhaftes Verhalten auch schuldhaft war (BGH, Urt. v. 21. 11. 68 - II ZR 188/663), LM Nr. 37 zu RheinschiffahrtspolizeiVO v. 24. 12. 1954 = VersR 1969, 181, 182; vgl. außerdem BGH, Urt. v. 20. 9. 73 - II ZR 137/72, VersR 1974, 158, 159). Diesen Anscheinsbeweis zu entkräften ist aber Sache des Beklagten. Es ist daher nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht i n s o w e i t von einer Darlegungs- und Beweislast des Beklagten ausgegangen ist. Auch lassen die Ausführungen, mit denen es unter eingehender Würdigung des Beweisergebnisses dargelegt hat, der Beklagte habe nicht bewiesen, daß die Sichtverschlechterung unvermittelt eingetreten sei oder daß MS „Metropolis" weiter oberhalb nicht habe aufdrehen können, keinen Verfahrensfehler erkennen.
Bei unsichtigem Wetter müssen alle in Fahrt befindlichen Schleppzüge und einzelnen Fahrzeuge als Nebelzeichen „einen langen Ton" geben, der in Abständen von längstens einer Minute zu wiederholen ist (§ 81 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954). Dieser Pflicht ist der Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht nachgekommen. Er hat lediglich Aufdrehsignal gegeben, und zwar zuletzt mehrere Minuten vor der Kollision. Das alles kann auch die Revision nicht bezweifeln. Sie meint jedoch, der aufgezeigte Pflichtverstoß sei für die Kollision nicht ursächlich gewesen, weil sich an der Lage des SB Z durch die Abgabe einzelner oder mehrerer Nebelzeichen seitens des MS M sicher nichts geändert hätte, selbst wenn man die Zeichen auf SB Z vernommen und verstanden hätte. Das schließt aber nicht aus, daß nunmehr dieses Fahrzeug den Talfahrer durch Schallzeichen auf sich aufmerksam gemacht und dieser sodann nicht im Unfallbereich aufgedreht hätte.
Bedenken gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Ursachenzusammenhang zwischen der Nichtabgabe von Nebelzeichen durch den Talfahrer und der Kollision könnten allerdings dann bestehen, wenn es übersehen haben sollte, daß beim Zusammenstoß von Schiffen oder im Falle einer Fernschädigung grundsätzlich der Geschädigte das Verschulden des Schädigers und den Ursachenzusammenhang zwischen dessem schuldhaften Verhalten und dem Schaden darzulegen und zu beweisen hat (BGH, Urt. v. 13. 7. 70 - II ZR 163/69^), VersR 1970, 948, 949), oder daß ein Verstoß gegen § 81 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954 auch nicht wegen des Schutzzwecks dieser Bestimmung zu einer hiervon abweichenden Verteilung der Beweislast führen kann (BGH, Urt. v. 1. 2. 71 - II ZR 21/695), LM Nr. 1/2 zu BinnSchStrO 1966 = VersR 1971, 437, 438).
.:.das hat das Berufungsgericht lediglich ausdrücken wollen, daß der Beklagte einen gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht ausgeräumt habe (wird weiter ausgeführt).
Es kann dahinstehen, ob der Z-Schleppzug, wie die Revision meint, die Fahrt wegen unsichtigen Wetters frühzeitiger hätte einstellen müssen. Denn sollte seine Führung entgegen der Vorschrift des § 80 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 zu spät angehalten haben, so kann ihr das allein nicht als Mitverschulden zugerechnet werden, weil der Schaden, um den es hier geht, nicht mehr im Bereich der Folgen liegt, deren Eintritt diese Vorschrift verhindern will, oder anders ausgedrückt, weil er von dem Schutzzweck dieser Bestimmung nicht mehr gedeckt wird (vgl. BGHZ 27, 137, 140; 37, 311, 315):
§ 80 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 gebietet Bergfahrern die Fahrt einzustellen, wenn sie beim Weiterfahren Gefahr laufen würden, vor einem auftauchenden Hindernis nicht rechtzeitig anhalten zu können; außerdem müssen nach dieser Vorschrift Bergschleppzüge die Fahrt an der nächsten geeigneten Stelle abbrechen, wenn zwischen den geschleppten Fahrzeugen und dem Schlepper eine Verständigung durch Sichtzeichen nach § 58 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 nicht mehr möglich ist. Die Vorschrift will demnach die Gefahren verhindern, die mit der Fort b e weg u n g eines Bergfahrers oder eines Bergschleppzuges bei ungenügender Sicht verbunden sind (vgl. auch BGH, Urt. v. 22. 6. 72 - II ZR 19/71, LM Nr. 56 zu RheinSchPolVO v. 24. 12. 1954 = VersR 1972, 1066 zum Schutzbereich des die Einstellung der Talfahrt bei unsichtigem Wetter vorschreibenden § 80 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPolVO 1954). Diese Gefahren entfallen aber jedenfalls dann, wenn Bergfahrer oder Bergschleppzüge, die die Fahrt entgegen der Vorschrift des § 80 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 zunächst fortgesetzt, sodann aber eingestellt und - wie für den „Zürich" Schleppzug nachfolgend dargelegt wird - einen Liegeplatz aufgesucht haben, der nicht zu beanstanden ist. Werden sie nunmehr dort von einem anderen Fahrzeug angefahren, so verwirklicht sich nicht mehr die Gefahr, die mit ihrer Fahrt im Nebel verbunden war, sondern nur jene, die durch die Fahrt des anderen Fahrzeugs im Nebel entstanden ist. Die Lage ist hier nicht anders als bei jedem anderen Stillieger, der die Fahrt rechtzeitig unterbrochen und einen den Vorschriften der Rheinschifffahrtpolizeiverordnung entsprechenden Liegeplatz aufgesucht hat.
Bei der Prüfung der Frage, ob es zu beanstanden ist, daß sich das Boot „Zürich" beim Abbruch der Fahrt des Schleppzuges als fünfte Breite am rechten Ufer hingelegt hat, ist von der Vorschrift des § 80 Nr. 4 RheinSchPolVO 1954 auszugehen, wonach die wegen unsichtigen Wetters anhaltenden Fahrzeuge das Fahrwasser so weit wie möglich frei zu machen haben. Hingegen sind insoweit nicht die von der Revision außerdem in Betracht gezogenen Bestimmungen der §§ 67 und 70 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954 anzuwenden. Zwar handelt es sich bei ihnen um allgemeine Vorschriften für Stillieger. Jedoch treten sie bei unsichtigem Wetter hinter die Sonderregelung des § 80 Nr. 4 RheinSchPolVO 1954 zurück (so bereits für § 67 RheinSchPolVO 1954 das - insoweit in VersR 1964, 1038 ff. nicht abgedruckte - Senatsurteil v. 9. 7. 64 - II ZR 5/636), vgl. auch Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt, 4. Aufl., S. 320). Das folgt aus dem Gedanken, daß die Lage für ein Fahrzeug eine ganz andere ist, wenn es wegen unsichtigen Wetters die Fahrt einstellen muß, als wenn es bei sichtigem Wetter einen Liegeplatz aufsucht.
Ein Fahrzeugführer darf bei der Entscheidung darüber, ob die Fahrt nach § 80 Nr. 2 Abs. 1 oder Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 einzustellen ist oder noch fortgesetzt werden kann, nicht unberücksichtigt lassen, daß er bei der Weiterfahrt gezwungen sein kann, die Fahrt dort zu unterbrechen, wo besondere Beschränkungen für das Stilliegen von Fahrzeugen bestehen. Letzteres folgt aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht der Schiffsführer (§ 4 RheinSchPolVO 1954) und gilt insbesondere für die Fälle, in denen wie im Bereich des Liegeplatzes Kehl, durch eine Beschränkung der Liegebreite ein möglichst großer Teil des hier nicht sehr breiten Fahrwassers für die durchgehende Schiffahrt freigehalten werden soll. Indes würde man die allgemeine Sorgfaltspflicht der Schiffsführer überspannen, wenn sie die Fahrt bei unsichtigem Wetter stets schon deshalb einstellen müßten, weil für die vorausliegende Strecke eine Beschränkung der Liegebreite angeordnet ist. Vielmehr kommt hier ein Fahrtabbruch erst in Betracht, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß die Fahrt im Bereich der Liegebeschränkung eingestellt und ein Liegeplatz im Liegeverbot aufgesucht werden muß.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bestanden derartige Anhaltspunkte hier nicht. So habe die Führung des Z-Schleppzuges bei der Annäherung an den Liegeplatz Kehl zunächst nicht damit zu rechnen brauchen, daß sie wegen des unsichtigen Wetters die Fahrt auf Höhe des Liegeplatzes abbrechen müsse; sodann habe sie sich bei einer Verdichtung des Nebels mit dem Schleppzug bereits im Bereich der Kehl/Straßburger Brücken befunden; dort sei aber ein Stilliegen des 350 bis 400 m langen Schleppzuges besonders gefährlich gewesen; aus dem gleichen Grunde sei ein Sackenlassen des Schleppzuges bis unterhalb der Brücken oder ein Abwerfen der Anhänge nicht in Betracht gekommen.Die Revision vermag keinen Rechtsfehler des Berufungsgerichts aufzuzeigen. Dieses hat mit Grund die leichtfertige, außerdem gegen § 81 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954 verstoßende Nebelfahrt des MS M erheblich schwerer bewertet als die Nichtabgabe von Schallzeichens (§ 82 RheinSchPolVO 1954) durch das - fast ganz am Rande des Fahrwassers liegende - SB Z.