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Leitsatz:
Sackt bei Nacht und hohem Wasserstand ein Anhangkahn ab und nimmt er dabei seinen Schlepper mit, der sich in gefahrbringender Weise vor die Gleisanlagen einer Werft hingelegt hatte und mit dem Absacken rechnen mußte, so sind der Eigner und der Schiffsführer des Kahnes wegen einer unterlassenen Wahrschau des Kahnschiffers gegenüber dem Schlepper jedenfalls dann für den durch das Absacken an den Gleisanlagen entstandenen Schaden nicht verantwortlich, wenn die Gefahrenlage des Schleppers für den Anhangschiffer nicht ohne weiteres erkennbar ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 7. Dezember 1967
II ZR 189/65
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Bei Dunkelheit und hohem Wasserstand ging ein Bergschleppzug, bestehend aus dem beladenen Kahn V, dem Schlepper L und dem Vorspannschlepper E, bei Mondorf vor Anker. Während der Nacht sackte der Schleppzug oder ein Teil davon ab. Der Anker von L verfing sich in den in den Strom hineinragenden Gleisanlagen einer Schiffswerft, die von der Klägerin betrieben wird. Beim Versuch, den Anker zu bergen, wurden die Gleisanlagen erheblich beschädigt.
Ein Teil des Schadensbetrages ist von den Eignern der Schleppboote erstattet worden. Den Rest von ca. 65 000 DM macht die Klägerin gegen die Beklagten, nämlich den Eigner und den Schiffsführer des Kahnes V, mit der Behauptung geltend, daß der Schleppzug vor dem Gelände der Schiffswerft innerhalb der Ankerverbotszone über den Gleisen geankert habe.
Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden. Kahn V habe ordnungsgemäß außerhalb der Ankerverbotszone gelegen. Nicht bewiesen sei, daß der Kahn abgetrieben sei und dabei die Schlepper mitgezogen habe. Selbst wenn er etwas abgesackt sei, treffe den Kahnschiffer angesichts des hohen Wasserstandes und der Möglichkeit der Beeinträchtigung durch nächtliche Radarfahrer kein Verschulden. Für die Auswahl des Ankerplatzes sei der Kahnführer nicht verantwortlich.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Berufung und Revision blieben in der Sache erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Selbst wenn man mit der Revision davon ausgeht, daß V nur 100 m hinter E gehangen habe, hat die Klägerin nicht bewiesen, daß V innerhalb des sich bis etwa 100 m unterhalb der Tafel erstreckenden Ankerverbotsbereichs geankert hat. Die Lage des Kahns zur Nachtzeit ist daher nicht zu beanstanden, auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 68 RhSchPVO, dessen Verletzung die Revision rügt. Nach dieser Vorschrift ist das Stilliegen von Fahrzeugen in der Nähe von Schiffswerften verboten, sofern deren Betrieb gestört werden würde. Durch das Ankerverbotsschild ist der Schutzbereich der Werft gekennzeichnet; V lag, wie zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin zu unterstellen ist, außerhalb dieses Schutzbereichs und daher nicht in der „Nähe", sondern erheblich unterhalb der Werft.
Sache der Bootsführer und nicht Sache des Anhangschiffers war es, zu prüfen, ob das Abtreiben der Boote Gefahren mit sich brachte. Auf die Möglichkeit, daß der Kahn in der Nacht abgehen und die Boote mitnehmen konnte, brauchte der Kahnführer die Bootsführer nicht hinzuweisen, da nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil dies den Bootsführern nach den Ereignissen der vorhergehenden Nacht bekannt war. Die Strangverbindung, in der der Kahn mit dem Boot E und dieses mit dem Boot L stand, hätten unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Sorgfaltspflicht (§ 4 RhSchPVO, § 276 BGB) dem Kahnführer nur dann Anlaß zu einer Wahrschau an die Bootsführer geben müssen, wenn er gewußt hätte, daß L infolge seiner Lage bei einem etwaigen Absacken die Gleisanlage gefährden werde. Ein solches Wissen ist aber nicht bewiesen. Das Berufungsgericht hält es ohne Rechtsfehler nicht einmal für erwiesen, daß der beklagte Kahnführer von seinem Standort aus in der Dunkelheit die Ankerverbotstafel, die nicht stark beleuchtet gewesen sei, habe sehen können. Die Revision meint zwar, der Kahnführer habe wissen müssen, daß sich dort eine Werft befinde. Es kann dahinstehen, ob dem zuzustimmen ist. Jedenfalls war der beklagte Kahnführer nicht verpflichtet, Nachforschungen darüber anzustellen, wo sich das weit vor ihm liegende Boot L, das er nach seiner nicht widerlegten Behauptung nicht hat sehen können, hingelegt hat und ob sein mögliches Abtreiben irgendeine Gefahr für andere mit sich bringen konnte. Die Ansicht der Revision, die auf eine Wahrschaupflicht des Anhangschiffers gegenüber dem Schlepper wegen gefahrbringender Lage des Schleppbootes hinausläuft, überspannt dann die Sorgfaltspflicht des Anhangschiffers, wenn diesem die gefahrenträchtige Lage des Bootes im Falle des Abtreibens nicht ohne weiteres erkennbar ist."