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Leitsatz:
Der Eigentümer des bei einem Schiffszusammenstoß beschädigten schuldlosen Schiffes muß sich auf seinen gegen den Eigner des an dem Unfall schuldigen Schiffes gerichteten Schadensersatzanspruch das unfallursächliche Mitverschulden der Besatzung eines anderen Schiffes, das dem Eigentümer des schuldlosen Schiffes gehört, anrechnen lassen. Strenge Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Schiffsführers eines bei Nebel mit Radar fahrenden Koppelzuges.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 2. Juni 1969
(Rheinschiffahrtsgericht DuisburgRuhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Zwischen dem der Klägerin gehörenden Koppelzug, bestehend aus dem als schiebender Selbstfahrer zugelassenen MTS E (1640 t, 2x580 PS) und dem an der Backbordseite des MTS gekuppelten Tankschubleichter R (1897 t), sowie dem dem Beklagten gehörenden, von ihm selbst geführten MS V kam es bei Rhein-km 826 im August 1964 gegen 5.45 Uhr zu einem Zusammenstoß, bei dem der Tankschubleichter und MS V beschädigt wurden.
Die Klägerin verlangt Ersatz des Schadens von etwa DM 22000,- und trägt vor, daß der leere Koppelzug in Fahrwassermitte mit halber Maschinenkraft, aber wegen unsichtigen Wetters und einer Sichtweite von nur etwa 80 m mit eingeschaltetem Radar und je einem Ausguck auf beiden Vorschiffen zu Tal gefahren sei. Auf eine Entfernung von etwa 400 m habe der Schiffsführer Sch. von MTS E im Radar bemerkt, daß sich der äußere von mehreren linksrheinisch befindlichen Stillliegern stromeinwärts in den Kurs des Koppelzuges bewegt und dies Manöver nach rechtsrheinisch fortgesetzt habe, obwohl das MTS Signale mit dem Dreistufen-Radarsignalhorn und dem Typhon (lx kurz) gegeben habe; ferner habe Sch. die Steuerbordmaschine gestoppt und den Kurs des Koppelzuges hart nach Steuerbord gerichtet. Schließlich habe er mit voller Maschinenkraft versucht, an dem Einzelfahrer vorbeizukommen. MS V, das keinen Ausguck aufgestellt, kein Nebelsignal gegeben und im Nebel die Orientierung verloren habe, sei jedoch nach Backbord verfallen und mit dem Steven im rechten Winkel gegen die Backbordseite des Tankschubleichters geraten.
Der Beklagte hat demgegenüber behauptet, daß er auf der Bergfahrt bei km 826 wegen des plötzlich aufkommenden Nebels die Maschine von MS V gestoppt und gestreckt linksrheinisch verhalten habe, als plötzlich der Koppelzug in Steuerbordschräglage vor ihm aufgetaucht und mit der Backbordseite des Tankschubleichters gegen den Steven seines Schiffes geschlagen sei. Das Dreistufensignal sei erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß gegeben worden. Fürsorglich hat er gegen die Klageforderung mit seinem eigenen Schaden von etwa 12400 hfl. aufgerechnet.
Rheinschiffahrtsgericht und Rheinschiffahrtsobergericht haben die Klage dem Grunde. nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision des Beklagten, der eine Abweisung der Klage zu 3/4 anstrebt, ist das vorinstanzliche Urteil insoweit aufgehoben und zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden, als es den Klageanspruch zu mehr als 1/4 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision verkennt zunächst, daß es für die Beurteilung der Handlungsweise des Beklagten nicht entscheidend darauf ankommt, welche Absichten er gehabt, sondern wie er sich tatsächlich verhalten hat. Die Revision mißversteht außerdem die Ausführungen des Berufungsgerichts, wenn sie meint, es fehle in dem angefochtenen Urteil die Feststellung eines Verschuldens des Beklagten insoweit, als er von der Möglichkeit, mit seinem Schiff unmittelbar vor oder bei den letzten (gemeint ist: untersten) linksrheinischen Stilliegern zu ankern, keinen Gebrauch gemacht habe. Der Revision ist ferner nicht beizutreten, wenn sie die Pflicht des Beklagten, einen Ausguck auf dem Vorschiff des MS V aufzustellen und Nebelsignale zu geben, in Zweifel zieht. Diese Pflicht ergibt sich eindeutig aus § 80 Nr. 1 Abs. 2 und § 81 Nr. 1 RheinSchPolV0. Auch beachtet sie in diesem Zusammenhang nicht hinreichend, daß nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts das MS V bis zum Zusammenstoß in Fahrt, demnach zuvor nicht ständig geworden war.
Das Berufungsgericht hat die Frage einer schuldhaft ursächlichen Handlungsweise der Führung (Schiffsführer P.) des Tankschubleichters nicht geprüft. Hierzu hatte es nach dem Vorbringen des Beklagten in den Vorinstanzen keinen Anlaß. Dies übersieht die Revision, die Schiffsführer P. für den Schiffszusammenstoß mit verantwortlich machen und dadurch zu einer Anwendung des § 92 BSchG in Verbindung mit § 736 Abs. 1 HGB kommen will. Auch verkennt sie, daß die Führung des Koppelzuges nicht „in den Händen beider Schiffsführer", sondern allein bei Schiffsführer Sch. von MTS E gelegen hat (§ 2 Nr. 4 RheinSchPolVO; vgl. auch § 1 Nr. 1 Ziff. 1 Abs. 2 der zur Unfallzeit geltenden Bekanntmachung der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Duisburg, Mainz und Freiburg für die Rheinschiffahrt über die Schubschiffahrt - VkBl. 1963, 404). Hieran hatte sich nichts dadurch geändert, daß Schiffsführer P. während der Talfahrt das Ruder des MTS E bedient hat, während Schiffsführer Sch. den Bildschirm des Radargerätes beobachtet und nach dem Ergebnis seiner Wahrnehmungen die für die Fahrt des Koppelzuges erforderlichen nautischen Anweisungen gegeben hat.
Bei seinen Erörterungen zur Frage eines etwaigen Mitverschuldens der Führung des MTS E geht das Berufungsgericht ersichtlich von der Erwägung aus, daß bei einem Schiffszusammenstoß der Eigentümer eines schuldlosen Schiffes (hier: Tankschubleichter R), der von dem Eigner (Fremdschädiger) des an dein Unfall schuldigen Schiffes (hier: MS V) Schadensersatz verlangt, seinem Anspruch das Mitverschulden eines weiteren unfallbeteiligten Schiffes (hier: MTS E) entgegenhalten lassen muß, sofern ihm dieses, wie im Streitfall, ebenfalls gehört. Dem ist beizutreten. Zwar steht dem Eigentümer des schuldlosen Schiffes, das infolge Verschuldens der Besatzung eines anderen ihm gehörenden Schiffes beschädigt worden ist, kein Schadensersatzanspruch gegen dasjenige Schiffsvermögen zu, das aus dem schuldigen Schiff und dessen Fracht besteht (RGZ 45, 50, 55; 47, 168, 171; a. M. Schaps-Abraham, Das deutsche Seerecht, 3. Aufl., Bd. 2 Anm. 15 ff vor § 754 HGB), was zur Folge hat, daß der Fremdschädiger in Fällen der vorliegenden Art dem gegen ihn gerichteten Schadensersatzbegehren nicht mit einem Ausgleichsanspruch nach §§ 840, 426 BGB begegnen kann. Jedoch kann sich der von dem Eigentümer des schuldlosen Schiffes in Anspruch genommene Fremdschädiger auf Grund der §§ 254 BGB, 92 BSchG, 736 Abs. 1 und § 738 HGB auf das unfallursächliche Mitverschulden der Besatzung eines anderen Schiffes berufen, das dem Eigentümer des beschädigten schuldlosen Schiffes gehört (Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß, 3. Aufl., S. 69):
Der Bestimmung des § 254 BGB liegt der Gedanke zugrunde, daß der Verletzte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise (hier: durch das schuldhafte Verhalten der Besatzung des MTS E) mitgewirkt hat (Larenz, Schuldrecht, 9. Aufl., Bd. 1 S. 176, 177; Esser, Schuldrecht, 9. Aufl. Bd. 1 S. 326). Die Vorschrift des § 736 Abs. 1 HGB, die nach § 738 HGB auch im Falle der Fernschädigung und nach § 92 BSchG auf den Binnenschiffsverkehr anzuwenden ist, beruht auf der Überlegung, daß der Reeder eines schuldigen Schiffes im Falle der Beschädigung eines anderen Schiffes durch das schuldhafte Verhalten der Besatzung m e h r e r e r Schiffe letztlich nur anteilmäßig, und zwar entsprechend der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens, den Unfallschaden mittragen soll. Demgemäß wird § 736 Abs. 1 HGB auf den Ausgleichsanspruch zwischen den nach §§ 735 HGB, 840 BGB schadensersatzpflichtgen Reedern angewendet (Schaps-Abraham, Das deutsche Seerecht, 3. Aufl., Bd. 2 § 736 HGB Anm. 50 ff; VortischZschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht, 3. Aufl., § 92 BSchG Anm. 10 d; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, 2. Aufl., S. 408). Ebenso gebietet der dem § 736 Abs. 1 HGB zugrunde liegende Gedanke einer letztlich nur quotenmäßigen Haftung, diese Vorschrift auch zur Beurteilung von Fällen der vorliegenden Art heranzuziehen, zumal kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich ist, den Fremdschädiger dann anders zu behandeln, wenn den Schaden des Reeders nicht ein weiterer Fremdschädiger (bzw. dessen Besatzung), sondern die Besatzung eines ihm gehörenden anderen Schiffes schuldhaft mitverursacht hat. Auch ist eine Anwendung des § 736 Abs. 1 HGB im Verhältnis zwischen dem Fremdschädiger und dem Reeder, dessen Schaden von der Besatzung eines anderen, in seinem Eigentum stehenden Schiffes mitverschuldet worden ist, nicht, wie die Klägerin in der Revisionsverhandlung ausgeführt hat, deshalb abzulehnen, weil es zu „Schwierigkeiten" kommen könne, wenn der Reeder die beiden Schiffe bei verschiedenen Versicherern versichert hat. Denn, sofern überhaupt aus diesem Grunde Streitigkeiten zwischen dem Reeder und den verschiedenen Versicherern (vgl. RGZ 45, 50 ff) oder unter diesen entstehen können, so betreffen sie allein deren Rechtsbeziehungen; hingegen bleibt das Verhältnis des Reeders zu dem Fremdschädiger hiervon unberührt.
Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Führung des MTS E den Schiffszusammenstoß fahrlässig mitverursacht hat, verneint (wird ausgeführt).
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Insbesondere genügen sie nicht den strengen, in BGHZ 46, 210 ff näher dargelegten Anforderungen, die an die Sorgfaltspflicht der Führung eines im Nebel mit Radar fahrenden Schiffes zu stellen sind.
Den Ausführungen des Berufungsgerichts kann zunächst insoweit nicht gefolgt werden, als es meint, Schiffsführer Sch. habe darauf vertrauen können, die Führung des nach Backbord abgehenden Schiffes durch die Fahrtverminderung des Koppelzuges und durch die Abgabe der beiden akustischen Zeichen hinreichend gewahrschaut zu haben. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts herrschte zur Unfallzeit dichter Nebel. Die Fahrtverminderung des Koppelzuges war danach für die Führung des MS V überhaupt nicht erkennbar. Auch entspricht es einer allgemeinen Erfahrung, daß dichter Nebel akustische Signale sehr leicht verschluckt und dadurch ihre Wahrnehmbarkeit beeinträchtigt wird. Dies mußte Sch. beachten, so daß er erst bei Erkennen entsprechender Manöver des MS V auf dem Radarschirm hätte davon ausgehen können, die Führung des Schiffes habe die von ihm abgegebenen Signale gehört und richtig gedeutet.
Nach dem Vorbringen der Klägerin ist der Koppelzug mit halber Kraft leer zu Tal - also mit der Strömung - gefahren. Seine Geschwindigkeit kann daher nicht niedrig gewesen sein. Berücksichtigt man hierzu die erwähnte Beeinträchtigung der Wahrnehmbarkeit akustischer Signale infolge des dichten Nebels, so konnte Schiffsführer Sch. keinesfalls davon ausgehen, daß er (oder die Besatzung des Koppelzuges) stets sämtliche nach § 81 Nr. 1 RheinSchPolVO vorgeschriebenen Nebelzeichen anderer im Revier befindlicher Schiffe hören werde; dabei mußte Sch. im Hinblick auf die nach dem Vorbringen der Parteien wiederholt wechselnden Sichtweiten auch in Betracht ziehen, daß nicht alle ohne Radar fahrenden Schiffe die Fahrt wegen des unsichtigen Wetters bereits eingestellt hatten. Hieraus folgt, daß Sch. gehalten war, den Bildschirm seines Radargerätes ununterbrochen und mit äußerster Sorgfalt zu beobachten. Aus dieser Sicht hat das Berufungsgericht das Verhalten des Sch. aber nicht geprüft.
Wie der Senat in BGHZ 46, 210 f ausgeführt hat, muß der Führer eines im Nebel mit Radar fahrenden Schiffes bei seinen nautischen Überlegungen mögliche Gefahren, die bei Fortsetzung seiner Fahrt zwischen ihm und anderen Fahrzeugen entstehen können, aufspüren und, wenn auch nur sehr geringe Zweifel über die Gefahrlosigkeit seiner Weiterfahrt bestehen, sofort das Fahrwasser freimachen und anhalten, mithin als Talfahrer aufdrehen oder notfalls kopfvor länden. Im Streitfall bedeutet dies:
War, wie das Berufungsgericht ncch zu prüfen haben wird (vgl. oben b), für Schiffsführer Sch. erkennbar, daß sich das MS V vor dem Abgehen nach Backbord in Fahrt befunden hat, so mußte er bei dem unsichtigen Wetter ohne weiteres mit der Möglichkeit rechnen, daß die Führung dieses Schiffes die Orientierung verloren hatte, das Schiff langsam zur Strommitte verfiel, und dieser Gefahr durch sofortiges Anhalten mit dem Koppelzug bis zur Klärung der Lage begegnen, zumal er sich, wie dargelegt, nicht auf die Wahrnehmbarkeit der von dem Koppelzug abgegebenen akustischen Signale verlassen konnte. Dabei kann Sch. wie nicht weiter ausgeführt zu werden braucht, nicht entlasten, daß er die Fahrweise des MS V vor dem Abgehen des Schiffes nach Backbord auf dem Radarschirm nicht bemerkt hat. Ist Sch. hingegen auch unter Berücksichtigung der oben b) erwähnten Gesichtspunkte das Nichterkennen des langsamen Hochfahrens des MS V auf dem Radarschirm nicht vorzuwerfen, so stellt sich die -- vom Berufungsgericht ebenfalls nicht erörterte - Frage, ob er nicht hätte wissen müssen, daß Stillieger und Langsamfahrer auf dem Radarschirm miteinander verwechselt werden können, was bejahendenfalls zur Folge hat, daß er auch dann erwägen mußte, ob das abgehende Schiff noch nicht stillgelegen und seine Führung die Orientierung verloren habe, und damit ebenfalls ein sofortiges Anhalten geboten war. Im übrigen dürfte es für einen Schiffsführer auch nicht außerhalb jeder Erfahrung liegen, daß die Führung eines bereits ständig gewordenen, jedoch noch nicht fest vor Anker liegenden Schiffes mit diesem bei fehlfader Orientierung verfallen kann."