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Leitsatz:
1) Aufgrund seiner Verkehrssicherungspflicht haftet ein Schiffsführer für Verletzungen, die an Bord des Schiffes befugterweise befindliche Personen durch Hochschnellen von Drähten infolge unsachgerechter Art des Festmachens des Schiffes oder anderweitiger Herbeiführung einer Gefahrenlage erlitten haben.
2) Die zusätzliche (adjektizische) Haftung des Schiffseigners nach § 3 Abs. 1 BSchG umfaßt auch die Haftung für den gegen den Schiffsführer gerichteten Schmerzensgeldanspruch, ist aber beschränkt durch §§ 4 Abs. 1 Nr. 3, 114 BSchG.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 1. April 1968
II ZR 182/66
(Schiffahrtsgericht St. Goar - Schifffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Der Kläger kam in seiner Eigenschaft als freiberuflicher Eichaufnehmer an Bord des der Beklagten gehörenden und von dem Beklagten geführten MS S auf Veranlassung des Beklagten gegen Ende der Beladung mit Bimskies zur Eichaufnahme. Um den Raum 6 zwecks Nachladung unter das Förderband zu bringen, wurde das im Andernacher Hafen an 3 Dalben liegende Schiff stromaufwärts verholt und dabei der zu einem Landpoller ausgehende Vorausdraht vom Matrosen H. auf die Hälfte seiner vorherigen Länge von 60 m verkürzt. Der am mittleren Festmacher des mittleren Dalbens befestigte Laufdraht wurde nicht umgesetzt, sondern entsprechend gefiert. Wegen der Länge des Förderbandes legte der Beklagte das Heck des Schiffes nach Backbord ab. Als der Kläger die hintere Eiche auf der Steuerbordseite abgelesen hatte und sich anschließend mittschiffs über Bord beugte, um dort die Skala abzulesen, schnellte der Laufdraht hoch, traf den Kläger am Oberkörper und nochmals zwischen Hals und Kinn. Der bewußtlos gewordene und ins Wasser gefallene Kläger wurde von der Besatzung geborgen.
Der Kläger verlangt Schadensersatz, weil das Schiff nicht ordnungsgemäß festgemacht worden sei. Der Laufdraht sei beim Verholen zu lang geworden, habe durchgehangen und sich zwischen Bordwand und oberem Dalben eingeklemmt. Als der Beklagte den Eichschein aus einer Schublade im Steuerstuhl entnommen habe, habe er das Ruder losgelassen und nicht festgestellt. Dadurch und infolge der noch laufenden Maschine habe sich das Schiff, da das Schraubenwasser auf das Ruder drückte, stromgerecht aufgestreckt, so daß der Laufdraht freigekommen und hochgeschnellt sei, der sich unter der Wasseroberfläche befunden habe und deshalb von ihm, dem Kläger, nicht habe wahrgenommen werden können. Die Drähte hätten durch den Matrosen überwacht werden müssen.
Die Beklagten bestreiten die Behauptungen, insbesondere jedes Verschulden. Der Beklagte habe auf den Zuruf des Matrosen, daß die Eiche stimme, das Schiff in den Dalben zurückfallen lassen und das Ruder festgestellt. Das sei noch der Fall gewesen, als er den Eichschein aus der Schublade genommen habe. Die Bewegung des Drahtes müsse durch vorbeifahrende Schiffe verursacht worden sein. Der Kläger hätte den Verlauf des Drahtes wahrnehmen müssen.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Schiffahrtsobergericht hat ihr dem Grunde nach zu 1/3 stattgegeben. Die Revision der Beklagten wurde in der Sache selbst zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Beklagte habe den Unfall verschuldet. Bei Anwendung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte er erkennen müssen, daß der Draht verklemmt gewesen sei und dadurch eine Gefahrenlage durch mögliches Hochspringen geschaffen worden sei. Die Festmachestelle am Dalben sei 2 m höher gelegen als die an der vorderen Polterbank. Der Beklagte hätte sehen müssen, daß der Draht zwischen diesen beiden Befestigungsstellen nicht mehr reck gewesen sei, sondern in Bucht gehangen habe, als er das Heck des Schiffes stromwärts nach Backbord gelegt habe und dadurch den Bug nach Steuerbord auf den Dalben zugegangen sei. Falls seine Aufmerksamkeit durch das Nachlademanöver zu sehr in Anspruch genommen worden sei, hätte er den Matrosen H. an der vorderen Pollerbank zur Beobachtung der Drähte stehen lassen müssen. Daß allgemein von Drähten, die vom Schiff zum Land gingen, eine nicht unbeträchtliche Gefahr für die in der Nähe befindlichen Personen ausgingen, hätten die Beklagten zum Mitverschulden des Klägers selbst vorgetragen. Der Beklagte habe damit gerechnet und es geduldet, daß der Kläger mit der Eichaufnahme begonnen habe, während noch das Schiff die letzten Bewegungen bis zu seinem stromrechten Beilegen ausgeführt habe. Wenn der Beklagte pflichtgemäß erkannt hätte, daß der Laufdraht verklemmt gewesen sei, hätte er den Kläger entsprechend wahrschauen müssen.
Die Revision kann nichts dagegen vorbringen, daß der Beklagte das Verklemmen des Laufdrahtes und die daraus entstehende Gefahrenlage hätte erkennen müssen. Diese Gefahrenlage hat der Beklagte geschaffen, der das Schiff verholte, dabei das Heck des Schiffes vom Dalben nach Backbord ablegte, wodurch sich der Bug des Schiffes nach Steuerbord zum oberen Dalben legte und den Draht einklemmte, und dann unter stets laufender Maschine das Heck des Schiffes wieder zum mittleren Dalben zurückfallen ließ, wodurch der eingeklemmte Draht freikam und emporschnellte. Diese vom Beklagten schuldhaft herbeigeführte Gefahrenlage wird nicht deshalb rechtlich 'bedeutungslos, weil den Kläger ein erhebliches Mitverschulden an dem Unfall trifft. Zu Unrecht hebt die Revision darauf ab, die Gefahr sei „offenkundig" gewesen. Der Beklagte hat selbst nicht erkannt, daß der Draht eingeklemmt war. Es kann keine Rede davon sein, daß der Beklagte in der von ihm geschaffenen, aber nicht erkannten Gefahrenlage darauf hätte vertrauen dürfen, daß der an Bord befindliche Kläger als „Fachmann" die Gefahr erkennen würde. Für die Behauptung der Revision, der Kläger habe sich bewußt in eine Gefahrenlage hineinbegeben, fehlt es an jeder Grundlage. Die Revision hat auch nicht recht, wenn sie meint, die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Beklagten würden überspannt, wenn verlangt werde, der Beklagte hätte, wenn er schon selbst nicht die Drähte aus irgendeinem Grunde beobachten konnte, den Matrosen damit beauftragen müssen. Nach den eigenen Angaben des Beklagten im Ermittlungsverfahren wußte er, „daß die Meerung nicht gerade die beste" war. Statt den ursprünglich 30-40 m langen Laufdraht umzusetzen, hat man ihn ganz erheblich gefiert, so daß er nunmehr mittschiffs am vorderen Dalben vorbeilief, wo er sich dann festklemmte. Bei dieser nicht sehr sachgerechten Art des Festmachens des Schiffes hat es das Berufungsgericht mit Recht für notwendig erachtet, daß der Draht beonders beobachtet werden mußte. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht ferner festgestellt, der Beklagte habe damit gerechnet, daß der Kläger mit der Eichaufnahme beginnen würde, bevor das Schiff die letzten Bewegungen bis zu seinem stromrechten Beilegen ausgeführt haben würde. Im übrigen kommt es hierauf nicht entscheidend an, da der Beklagte auch dann haften würde, wenn sich der Kläger nicht zum Zwecke des Ablesens der Skala, sondern aus irgendeinem anderen Grund über die Bordwand gebeugt hätte. Bei diesem Sachverhalt ist im angefochtenen Urteil zutreffend die Haftung des Beklagten auf die Verletzung seiner Verkehrssicherungspflicht gegründet (§ 823 Abs. 1, 842 f, 847 Abs. 1 BGB). Die zusätzliche (adjektizische) Haftung der Beklagten ergibt sich aus § 3 Abs. 1 BSchG. Sie umfaßt auch die Haftung für den gegen den Beklagten gerichteten Schmerzensgeldanspruch (Vortisch-Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht, 3. Auf., BSchG § 3 Anm. 5a), ist aber ihrem Umfang nach beschränkt durch §§ 4 Abs. 1 Nr. 3, 114 BSchG.Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht ein Mitverschulden (§ 254 BGB) des Klägers in Höhe von 2/s angenommen. Wenn die Revision der Beklagten meint, es hätte bei der Schadensverteilung berücksichtigt werden müssen, daß der Beklagte „notgedrungen" den Kläger habe an Bord lassen „müssen", so kann dem nicht gefolgt werden. Hierauf kommt es nicht an. Erheblich ist allein, daß sich der Kläger befugterweise auf dem Schiff befand.Hiernach hat das Berufungsgericht zutreffend die Schadensersatzpflicht der Beklagten in Höhe von einem Drittel des Schadens angenommen und im übrigen die Klage abgewiesen. Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten beruht auf § 840 BGB."