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Leitsatz:
Die Verkehrssicherungspflicht der Wasserstraßenverwaltung umfaßt nicht die nautische Beratung eines Schiffers, ist vielmehr vom Schleusenpersonal erfüllt, wenn es die zu Tal geschleusten Schiffe auf die bei einer Fortsetzung der Fahrt möglicherweise drohenden Gefahren durch die Wahrschau eines unterhalb festgefahrenen Schiffes hingewiesen hat. Der Schiffer hat sodann in eigener Verantwortung zu prüfen, wie er sich nautisch zu verhalten hat und ob er anhalten oder weiterfahren soll.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 24. Oktober 1968
II ZR 168/65
(Schiffahrtsgericht Mannheim; Schiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das der Streithelferin gehörende, beladene TMS R war auf der Bergfahrt bei Neckar-km 30,00 gegen 4.00 Uhr morgens mit dem Vorschiff außerhalb der rechten Fahrwasserbegrenzung 800 m unterhalb der Staustufe Neckargemünd auf Grund geraten. Gemäß Übereinkunft mit der Führung des TMS teilte der Wehrwärter B. bei seiner Ablösung um 6.00 Uhr dem Schleusengehilfen Sch. mit, daß wegen des festgefahrenen Schiffes im unteren Schleusenvorhafen die Talfahrt vorläufig angehalten werden solle. Sch. gab diese Nachricht - möglicherweise unvollständig - an den Schleusenbetriebswart G., der um 7.00 Uhr seinen Dienst antrat, weiter. Da sie beide vom Wehrsteg aus das festgefahrene Schiff nicht wahrnehmen konnten, schleusten sie das Boot N5 und dessen beladenen, bei der Klägerin versicherten Anhangkahn A zu Tal mit dem Hinweis, nach Verlassen der Schleuse vorsichtig zu Tal zu fahren. Hierzu soll Sch. nach der Behauptung der Klägerin keinen Grund, nach der Darstellung der Beklagten aber ausdrücklich angegeben haben, daß unterhalb ein Schiff festgefahren sei.
Nach Verlassen der Schleusenkammer erblickte der Schleppzugführer in der anschließenden Linkskurve des Neckars das TMS, das von Boot N11 gerade freigezogen war und schräg im Fahrwasser lag. N5 gab sofort Achtungs- und sodann ein Ankersignal, worauf der Anhang den Backbord-Stock-Achteranker setzte, dessen Ankerdraht und Bremsband des Ankerspills jedoch auf dem felsigen Grund rissen. Der Kahn versuchte darauf, das einige Meter von der rechten Fahrwassergrenze entfernt liegende Vorschiff des TMS zu umfahren, geriet dabei jedoch außerhalb der Fahrwasserbegrenzung auf Grund und wurde beschädigt.
Die Klägerin verlangt Ersatz des von ihr erstatteten Schadens an dem SK A in Höhe von ca. 18000,- DM, weil die Schleusenbediensteten den Talschleppzug nicht hätten weiterfahren lassen dürfen und die Führer des Bootes und des Kahnes von dem Unfall des TMS hätten in Kenntnis setzen müssen. Auch sei die Organisation der Beklagten mangelhaft, da die Dienstanweisung der WSD Stuttgart keine Bestimmungen über das Verhalten der Schleusenbeamten in derartigen Fällen enthalte.
Schiffahrts- und Schiffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, daß § 839 BGB nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt. Es prüft den Klageanspruch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht und meint, sie könne auch die Pflicht umfassen, den Schiffsverkehr wegen eines das Fahrwasser sperrenden Hindernisses bis zur Beseitigung des Hindernisses anzuhalten. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Schiffahrtsobergericht hält nicht für bewiesen, daß der Schleusengehilfe Sch. den Schleusenbetriebswart G. über den wesentlichen Inhalt der Nachricht des Wehrwärters B. nicht unterrichtet, ihm insbesondere nicht mitgeteilt habe, die Talfahrt solle vorläufig angehalten werden; von der Erhebung des von der Beklagten gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB angebotenen Entlastungsbeweises für Sch. könne daher abgesehen werden. Andererseits sei aber auch, soweit das Verhalten des Schleusenbetriebswarts G. in Frage stehe, nicht beweisen, daß dieser die Mitteilung des B., die Talfahrt solle gesperrt werden, richtig empfangen habe. Zugunsten des G. müsse deshalb davon ausgegangen werden, daß er lediglich erfahren habe, im unteren Vorhafen solle sich ein Schiff festgefahren haben. G. habe daher nicht pflichtwidrig gehandelt, wenn er den Talzug habe weiterfahren lassen, nachdem er zuvor vom Wehrsteg aus an der von B. beschriebenen Unfallstelle kein festgefahrenes Schiff erblickt habe und deshalb der Auffassung gewesen sei, das Schiff sei inzwischen freigekommen.Bei der Beklagten liege kein Organisationsmangel vor, der den Unfall herbeigeführt habe. Durch ihre Dienstanweisung habe die Beklagte klargestellt, daß der Schleusenbeamte für die Verkehrssicherung im Schleusenbereich zu sorgen habe. Eine kasuistische Regelung der Verkehrssicherungsmaßnahmen müsse unvollständig bleiben und führe schon dadurch zu Zweifelsfragen. Der Schleusenbeamte sei auf Grund seiner längeren Tätigkeit im Schleusendienst mit den Gefahren des Schleusenbetriebes und den Maßnahmen zu ihrer Abwendung besonders vertraut, so daß ihm die Wahl der im Einzelfall „erforderlichen Sicherungsmaßnahmen" überlassen werden dürfe. Durch die angeordnete sofortige Meldung an den Aufsichtsbeamten und die Wasserschutzpolizei - beide auch während der Nachtzeit erreichbar - sei für die alsbaldige Überprüfung der vom Schleusenbeamten veranlaßten Sicherungsmaßnahmen gesorgt. Dagegen habe der Schleusenbeamte nicht die Aufgabe, für die Sicherung des Schiffsverkehrs außerhalb des Schleusenbereichs zu sorgen. Daher sei es nicht erforderlich gewesen, in dieser Richtung besondere Anordnungen zu treffen. Es genüge, daß durch Dienstanweisung der Schleusenbeamte gehalten sei, dem Aufsichtsbeamten unverzüglich zu melden, wenn dem Schleusenpersonal das Festfahren eines Schiffes außerhalb des Schleusenbereichs angezeigt werde.Die Rügen der Revision bedürfen ebensowenig wie die einzelnen Ausführungen des Berufungsgerichts der Erörterung und Prüfung, da nach dem festgestellten Sachverhalt die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht genügt hat. Ausschlaggebend ist, daß das Schleusenpersonal sowohl den Schleppzugführer als auch den Kahnführer gewahrschaut hat, daß sich weiter unterhalb ein Schiff festgefahren haben soll. Mit dieser Wahrschau hat das Schleusenpersonal die Führer des Talzuges auf die bei einer Fortsetzung der Fahrt möglicherweise drohende Gefahr hingewiesen und damit seine Verkehrssicherungspflicht erfüllt. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 20. Juni 1968 - II ZR 78/67 - ausgeführt hat, umfaßt die Verkehrssicherungspflicht nicht die nautische Beratung eines Schiffers. Dieser hat vielmehr ausschließlich in eigener Verantwortung zu prüfen, wie er sich nautisch zu verhalten hat, im vorliegenden Fall, ob er anhalten und abwarten oder weiterfahren sollte; seine Sache ist nach der Wahrschau „die erforderlichen Maßnahmen" zu prüfen (vgl. § 93 Nr. 1 BSchG). Die Führer des Talzuges mußten nach der Wahrschau damit rechnen, daß sich im Revier hinter der Krümmung, die nicht einzusehen war, ein Schiff festgefahren hatte. Sie mußten weiter damit rechnen, daß das an sich nicht breite Fahrwasser, von dem nach den Umständen anzunehmen war, daß es durch Stiellieger verengt war, wegen des festgefahrenen Schiffes keine genügende Durchfahrtsmöglichkeit ließ. Sie mußten sich fragen, ob die Strömungsverhältnisse und die Beschaffenheit der Flußsohle ein Anhalten auf möglicherweise kurze Entfernung erlaubte. Die Prüfung all dieser Umstände fällt in den nautischen Pflichtenkreis der Schiffsführer und nicht in den des (nautisch gar nicht gebildeten) Schleusenpersonals, das auch dadurch keine Verantwortung übernahm, daß es ihnen empfahl, vorsichtig weiterzufahren. Das vom Schiffseigner und seinem Versicherer zu tragende Risiko der Schiffahrt würde auf die Beklagte übertragen werden, wenn ihr angesonnen würde, für nautische Maßnahmen die Verantwortung zu übernehmen. Das ist ausgeschlossen. Eine ganz andere Frage, die hier nicht zur Erörterung steht, ist, ob die Beklagte dem festgefahrenen TMS R gegenüber auf Grund der Übereinkunft mit dem Wehrwächter B. verpflichtet war, die Talfahrt zu sperren, um dieses Schiff vor Schaden zu bewahren."