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Leitsatz:
§ 1 RechtsanwendungsVO, die noch in Kraft ist, gilt auch für Ansprüche auf Ersatz des Schadens, der aus dem Zusammenstoß deutscher Schiffe in einem ausländischen Hoheitsgewässer entsteht.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 2. Februar 1961
II ZR 163/59
Zum Tatbestand:
Im Hafen von Antwerpen stießen die Seeschiffe der Klägerin und der Beklagten zusammen. Beide Schiffe führen die Bundesflagge und gehören deutschen Eignern. Die Beklagte erkennt ihre Verpflichtung zum Schadensersatz an, macht jedoch die nach belgischem Recht zulässige Haftungsbeschränkung auf eine bestimmte Summe geltend, die sie hinterlegt hat. Die Klägerin verlangt eine höhere Entschädigung, da die Beklagte nach deutschem Recht mit Schiff und Fracht für den gesamten Schadensbetrag dinglich und auch beschränkt persönlich hafte.
Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 29. Januar 1959 - II ZR 223/57 - (BGHZ 29, 237) den Zusammenstoß eines deutschen Schiffes mit einem ausländischen Schiff in einem ausländischen Hoheitsgewässer nach dem Recht des Ortes beurteilt, an dem sich der Zusammenstoß ereignet hat. Die offengelassene Frage, ob eine Ausnahme vom Grundsatz des Ortsrechts zugunsten der Anwendung deutschen Rechts zu machen ist, wenn nur deutsche Schiffe am Zusammenstoß in ausländischen Gewässern beteiligt sind, ist zu bejahen.
1. Zutreffend führt das Berufungsgericht aus, daß die RechtsanwendungsVO nicht auf nationalsozialistischen Gedankengängen beruht. Der Grundsatz, daß für im Ausland begangene unerlaubte Handlungen das gemeinsame Heimatsrecht des Schädigers und Geschädigten maßgeblich sei, findet sich in verschiedenen Rechtsordnungen (vgl. Raape, Internationales Privatrecht, 4. Auflage S. 535; Binder, RabelsZ 20, 1955, S. 410 Anm. 29) und ist insbesondere für Schiffszusammenstöße von deutschen Gerichten seit jeher angewendet worden (z. B. Hamburg, OLG 14, 391).
2. Die RechtsanwendungsVO ist zwar aus Anlaß des Krieges und mit Rückwirkung auf den Kriegsbeginn (§ 3 Abs. 2) wegen der durch den Krieg herbeigeführten Verhältnisse, insbesondere wegen des deutschen Kraftfahrzeugverkehrs außerhalb der Reichsgrenzen (Amtl. Begründung DJ 1943, 20) erlassen worden. Nach ihrem Inhalt ist ihre Geltung aber nicht auf die Dauer des Krieges und auf die mit den Kriegsverhältnissen zusammenhängenden Fälle beschränkt worden.
Der Grundsatz, Delikte noch dem gemeinsamen deutschen Heimatsrecht von Schädiger und Geschädigten zu beurteilen, konnte auch unabhängig von irgendwelchen hoheitlichen Einflüssen auf ausländisches Gebiet als sachgemäße Kollisionsnorm angesehen und durchgeführt werden (vgl. z. B. Kegel bei Soergel, Art. 12 EG BGB 1 2; Erman-Arndt, Art. 12 EG BGB S. 2387).
3. Im Jahre 1945 entfiel mithin nicht die sachliche Grundlage für die RechtsanwendungsVO, wie das Berufungsgericht annimmt, sondern nur das gesetzgeberische Motiv für den Erlaß. Es ist anerkannt, daß dessen Wegfall einen Grund zur Aufhebung einer Rechtsnorm geben kann, aber sie nicht selbst außer Kraft setzt (BGHZ 1, 369, 375).
4. Eine sichere Grundlage für die Rechtsanwendung kann nur gewonnen werden, wenn bei solcher Sachlage von der Fortgeltung der Norm, die weiterhin eine sinnvolle Regelung der betroffenen Lebensverhältnisse darstellen kann, bis zu ihrer etwaigen Aufhebung ausgegangen wird. Die Rechtsprechung hat sich, soweit ersichtlich, auf diesen Standpunkt gestellt und betrachtet die RechtsanwendungsVO als geltendes Recht (z. B. OLG Hamburg, Urteil vom 30. Dezember 1953, 4 U 167/53; vgl. Binder, RabelsZ 20, 410 A. 32; OLG Köln, Rheinschiffahrtsobergericht, für den Zusammenstoß deutscher Binnenschiffe in den Niederlanden, BB 58, 353; LG Köln, VersR 59, 552).
II. Ob unter Umständen eine einschränkende Auslegung der RechtsanwendungsVO für bestimmte Fälle geboten ist, kann unerörtert bleiben. Für Zusammenstöße deutscher Schiffe in ausländischen Gewässern besteht jedenfalls kein Anlaß, den Grundsatz der RechtsanwendungsVO nicht für maßgebend zu erachten. Bereits vor ihrem Erlaß bestand eine gefestigte Praxis, in diesem Fall deutsches Recht anzuwenden (RG JW 1938, 1903; OLG 14, 391, HansGZ 1913 Nr. 52, 15 S. 69, 1940 Nr. 5).
Der Anwendung dieser Bestimmung auf Schiffszusammenstöße stehen auch keine zwingenden Gründe im Hinblick auf die Eigenart der schädigenden Handlung entgegen. Für die Beurteilung des nautischen Verhaltens der Schiffsführung sind unzweifelhaft die am Orte des Zusammenstoßes geltenden Verkehrsregeln heranzuziehen, wie sie dort von den Gerichten und Behörden gehandhabt werden (vgl. RG JW 1938, 1903; Hamburg, HansRGZ 1940 B Nr. 5; Amtl. Begründung DJ 1943, 21). Die Haftungsfolgen können dem gemeinsamen Flaggenrecht unterstellt werden, ohne daß die rechtliche Behandlung des schädigenden Verhaltens unangemessen aufgespalten würde. § 1 RechtsanwendungsVO enthält auch keinen Verstoß gegen Art. 3 GG, wie die Revision meint. Die Unterwerfung des Schädigers unter sein Heimatsrecht statt eine ausländische Rechtsordnung für den Fall, daß durch ihn ein Deutscher geschädigt worden ist, stellt keine willkürliche Bestimmung des anzuwendenden Rechts dar.