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II ZR 158/75 - Bundesgerichtshof (Zivilgericht)
Decision Date: 21.04.1977
File Reference: II ZR 158/75
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: Zivilgericht

Leitsätze:

1) Zu den Voraussetzungen und Folgen der rechtswirksamen Anfechtung eines Schiffskaufes wegen angeblich vorgetäuschten späteren Baujahres des Schiffes.
2) Eingriff in ein durch § 823 Abs. 1 BGB geschütztes absolutes Recht durch Entziehung des Besitzes am Schiff.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 21. April 1977 

II ZR 158/75

(Oberlandesgericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

Die Beklagte zu 1 verkaufte in Gegenwart ihres Ehemanns, des Beklagten zu 2, ihr im Binnenschiffsregister eingetragenes MS „O II" für 440000,- DM an die Kläger und einigte sich mit ihnen über den Eigentumsübergang. Die Kläger unterwarfen sich wegen der Kaufpreisforderung der sofortigen Zwangsvollstreckung. Besitz, Rechte, Nutzen und Gefahr des Schiffes sollten mit dem Vertragsabschluß auf die Kläger übergehen. Der verzinsliche Restkaufpreis sollte so beglichen werden, daß sämtliche Schiffserträge nach Abzug der Betriebsausgaben, der Tilgungsbeträge für die Bankdarlehen und eines angemessenen Betrags für den Lebensunterhalt der Käufer an die Beklagte zu 1 abgeführt wurden.
In dem Kaufvertrag war zur Klarstellung ferner vermerkt, daß die Käufer zunächst das MS „O 1" auf eigene Rechnung gefahren und die Anzahlung von 25000,- DM sowie die Überschüsse in der Absicht entrichtet hätten, dieses Schiff zu übernehmen. Demnach trete MS „O II" an die Stelle des MS „O l" und seien die erbrachten Leistungen für MS „O II" gutzuschreiben.
Die Käufer überließen bis zur Tilgung des Restkaufpreises dem Beklagten zu 2 die Führung des gesamten Schiffsbetriebs und die Erledigung aller damit verbundenen Geschäfte.
Nach einem späteren Protokoll des Amtsgerichts Mosbach war es unter den Parteien unstreitig, daß als Anzahlung 25000,- DM geleistet und außerdem zur Anrechnung auf Kaufpreis und Zinsen weitere 181 000,- DM gezahlt worden waren.
Neun Monate nach dem Vertragsabschluß fochten die Kläger den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung über das Alter des Schiffes an, verlangten Rückzahlung des Betrages von 181 000,- DM Zug um Zug gegen Rückgabe des MS „O II", das sie stillegten und dessen Eigentumsübergang im Schiffsregister nicht eingetragen worden war. Darauf ließ die Beklagte zu 1 den Klägern eine vollstreckbare Ausfertigung der notariellen Kaufvertragsurkunde zustellen. Die von den Klägern daraufhin eingereichte Vollstreckungsgegenklage hatte in 3 Instanzen vollen Erfolg (s. Urteil des BGH vom 21. 5. 1973 - 11 ZR 54/72 - ZfB 1974, S. 190).
Während des vorgenannten Rechtsstreits verkaufte die Beklagte zu 1 das Schiff an die Fa. 0, die Eigentümerin wurde, nachdem die Beklagte zu 1 im Schiffsregister gelöscht worden war. Am nächsten Tag zahlte die neue Käuferin den Kaufpreis, worauf dieser das Schiff, das die Beklagte zu 1 vorher schon durch den Beklagten zu 2 wieder in ihren Besitz gebracht hatte, übergeben wurde.
Die Kläger verlangen mit der Klage nunmehr Zahlung von 181 000,- DM nebst Zinsen. Sie berufen sich auf unerlaubte Handlungen, Täuschung über das Alter des Schiffes und verbotene Eigenmacht.
Die Beklagten bestreiten die Täuschung und ein Rücktrittsrecht der Kläger. Der größte Teil des Betrages von 181 000,- DM sei für MS „O 1" gezahlt worden. Vorsorglich rechnen sie mit angeblichen Gegenforderungen auf, u. a. mit Ansprüchen für Nutzungsentschädigung für das MS „O II" in Höhe von 381 840,- DM und für dessen Wertminderung in Höhe von 200 000,- DM.
Land- und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht sieht in dem Stillegen des Schiffs durch die Kläger und dem von der Beklagten zu 1 vorgenommenen Weiterverkauf eine durch schlüssiges Verhalten vereinbarte Aufhebung des Vertrages vom 26. Februar 1969 mit der Abrede, die empfangenen Leistungen gegenseitig zurückzugeben. Diese Würdigung läßt sich aus Rechtsgründen nicht halten. Deshalb hängt der Erfolg der Klage nach dem gegenwärtigen Prozeßstand in erster Linie von der Frage ab, die das Berufungsgericht offengelassen hat, ob nämlich der Kaufvertrag wirksam angefochten worden ist.
Das Verhalten der Kläger hat sich nicht in der Stillegung des Schiffs am 24. November 1969 erschöpft, sondern sie haben mit dem Schreiben ihres Rechtsanwalts vom 26. November 1969 den Kaufvertrag angefochten, die Wandelung „gemäß § 463 BGB" und den Rücktritt vom Vertrag erklärt. Das Berufungsgericht hat andererseits nicht beachtet, daß das Schiff erst mit Vertrag vom 24. September 1970 an die Firma 0 verkauft und Mitte November 1970 übergeben worden ist. In der Zwischenzeit aber hatte die Beklagte die vollstreckbare Urkunde zustellen lassen (29. November 1969) und durch ihr prozessuales Verhalten gegenüber der daraufhin erhobenen Vollstreckungsabwehrklage unzweideutig zum Ausdruck gebracht, daß sie auf Zahlung des Kaufpreises bestehen und damit am Kaufvertrag festhalten wollte. Das steht in unüberbrückbarem Widerspruch zur Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe ein durch die Stillegung des Schiffs erklärtes Angebot zur Aufhebung des Kaufvertrags angenommen.
Die Kläger könnten - abgesehen von eventuellen deliktischen Ansprüchen - bei wirksamer Anfechtung nach § 812 BGB die Rückzahlung der von ihnen auf den Kaufpreis erbrachten Leistungen verlangen. Zur Prüfung, ob und inwieweit die Beklagte mit ihren angeblichen Gegenforderungen auf Herausgabe gezogener Nutzungen, Ersatz schuldhaft nicht gezogener Nutzungen und Schadensersatz wegen Verschlechterung des Schiffs während der Besitzzeit der Kläger wirksam aufgerechnet haben würde, sieht der Senat bei der gegenwärtigen Verfahrenslage keinen Anlaß.
Bevor das Berufungsgericht einen die Klage begründenden Anspruch nach anderweiter Verhandlung für gegeben hält, ist kein Raum für die abschließende Prüfung der zur Aufrechnung gestellten Forderungen; dies gilt auch, soweit sie nur als Rechnungsposten bei Ermittlung des Umfangs der Bereicherung anzusetzen wären.
Das Berufungsgericht wird allerdings zu beachten haben, daß sich im Fall wirksamer Anfechtung des Kaufvertrags entgegen seiner Meinung der Anspruch der Beklagten zu 1 als Eigentümerin des Schiffs auf Herausgabe der Nutzungen nach § 988 BGB und nicht nach § 993 BGB richten würde. Denn rechtsgrundlos erlangter Besitz wird nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs dem unentgeltlich erlangten Besitz gleichgestellt (siehe BGH, Urt. v. 22. 6. 1973 - V ZR 146/71, WM 1973, 1047, 1049 unter 4. m. w. N.; insoweit nicht LM BGB § 242 Ca Nr. 32). Mit der Anfechtung wäre der Kaufvertrag rückwirkend vernichtet worden (§ 142 Abs. 1 BGB). Die durch Anfechtung eingetretene Nichtigkeit ist nicht anders zu behandeln als eine von vornherein bestehende Nichtigkeit, etwa wegen Formmangels 
Greift die Anfechtung nicht durch, so kommen für die Kläger, nachdem die Beklagte das Schiff an die Firma 0 veräußert hat, noch die Rechte aufgrund eines von der Beklagten zu vertretenden Unvermögens in Betracht (§ 325 BGB), sofern diese außerstande ist, den Klägern Besitz und Eigentum am Schiff zu verschaffen, was sie allerdings bestreitet. Das Urteil des erkennen den Senats vom 21. Mai 1973 gibt jedoch insoweit für die Kläger nichts her. Denn dort reichte für die Entscheidung über die Vollstreckungsgegenklage im Sinne der Kläger aus, daß sie sich einredeweise auf Gestaltungsrechte berufen haben, „die - wenn auch jedes in anderer Weise - der Durchsetzung des Zahlungsanspruchs der Beklagten entgegenstehen würden und die es, auch wenn die Kläger noch keine weiteren Folgen aus jenem Sachverhalt herleiten, der Beklagten bereits jetzt nach Treu und Glauben verwehren, wegen des Kaufpreisanspruchs noch die Vollstreckung zu betreiben". Von welcher der ihm in § 325 BGB eingeräumten, sehr unterschiedlichen Rechte der Gläubiger aber Gebrauch macht, obliegt seiner Entscheidung und nicht derjenigen des Gerichts (BGH, Urt. v. 11./12. 5. 1971 - V ZR 185/67, LM BGB § 325 Nr. 15 unter IV 2). Dem bisherigen Vortrag der Kläger ist nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls welche Entscheidung sie insoweit getroffen haben.
Soweit das Berufungsgericht davon ausgeht, eine vom Beklagten zu 2 im Zusammenhang mit dem Abschluß des Kaufvertrages begangene Täuschung würde gegen ihn Ansprüche aus unerlaubter Handlung begründen, fehlt es schon an den erforderlichen Feststellungen, daß der Beklagte die Kläger getäuscht hat. Außerdem wäre ein hieraus hergeleiteter Schadensersatzanspruch verjährt. Die Kläger haben bereits im Schreiben vom 26. November 1969 ihre Anfechtung darauf gestützt, daß das nach ihrer Behauptung im Jahr 1890 erbaute Schiff unter der Vorspiegelung eines sehr viel späteren Baujahrs (1915) verkauft worden sei; sie hatten also spätestens in diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem - unterstellten - Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen. Die Klage gegen den Beklagten zu 2 vom 22. November 1973, ihm zugestellt am 29. November 1973, konnte daher die Verjährung (§ 852 BGB) nicht mehr unterbrechen. Der Beklagte hat auch im Schriftsatz vom 25. Oktober 1974 die Einrede der Verjährung erhoben.
Der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Rechtsauffassung ist zu folgen, daß der Beklagte durch die Entziehung des Besitzes am Schiff in ein durch § 823 Abs. 1 BGB geschütztes absolutes Recht eingegriffen hat. Denn der unmittelbare Besitz der Kläger wäre jedenfalls im Hinblick auf das mit ihm durchsetzbare Zurückbehaltungsrecht als sonstiges Recht im Sinn von § 823 Abs. 1 BGB anzusehen. Der Beklagte könnte auch gegen ein Schutzgesetz verstoßen haben (§ 288 StGB) und deshalb gemäß § 823 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig sein. Der Schaden infolge der Besitzentziehung könnte allerdings nicht größer sein als eine durch das Zurückbehaltungsrecht bewehrte Forderung der Kläger gegen die Beklagte zu 1. Nach den Ausführungen oben steht jedoch eine solche Forderung der Kläger noch nicht einmal dem Grunde nach fest 

Mithin war das angefochtene Urteil auch insoweit aufzuheben, als es den Beklagten zu 2 betrifft.