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Leitsatz:
Zum Umfang der Bindung des Obmanns in dem zur Feststellung der Schadenshöhe durchgeführten Sachverständigenverfahrenan die Schadenstaxen der von den einzelnen Parteien ernannten Sachverständigen.
Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 11. Januar 1988
II ZR 142/87
(LG Frankenthal; OLG Zweibrücken)
Zum Tatbestand:
Ein dem Kläger gehörendes, bei der Beklagten in Höhe von 600000,— DM kaskoversichertes Motorsportboot war nach einem Brand untergegangen. Im Streit über die Höhe des Deckungsanspruchs des Klägers haben die Parteien auf das in § 16 AVB Wassersportfahrzeuge 1973 vorgesehenen Sachverständigenverfahren zurückgegriffen; im übrigen lagen dem Vertrag die AVB 1976 zugrunde. Da die Taxen der beiderseitigen Sachverständigen unterschiedlich ausfielen, hat ein von ihnen gewählter Obmann die Zeitwerte für das Boot und das (Sonder-)Zubehör mit insgesamt 468 000 DM festgestellt, deren Zahlungsverpflichtung die Beklagte bestritten hat.
Der Kläger verlangt, ausgehend von dem vorgenannten Betrag zuzüglich einer Summe von 47 042,66 DM für den Verlust von Effekten und nach Abzug bereits gezahlter Beträge, die Zahlung eines Betrages von 215 042,66 DM.
Vom Landgericht wurde die Beklagte zur Zahlung von 181 409,87 DM, vom Oberlandesgericht von 167 541,07 DM verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten mit dem Antrag auf Abweisung der Klage, soweit sie auf Zahlung von mehr als 40158,— DM gerichtet ist, ist das Berufungsurteil insoweit aufgehoben worden, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 60 937,15 DM verurteilt worden war. Im Umfang der Aufhebung wurde die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Haben die Sachverständigen der Parteien voneinander abweichende Schadentaxen angefertigt, so entscheidet nach § 16 Nr. 2b AVB Wassersportfahrzeuge 1973 „der Obmann über die streitig gebliebenen Punkte innerhalb der Grenzen beider Schadentaxen". Die Regelung ist offensichtlich (wie Nr. 8.2.4 Satz 3 ADS Güterversicherung 1973 — vgl. Enge, Erläuterungen zu den ADS Güterversicherung 1973 und dazugehörigen DTV-Klauseln S. 78) § 15 Abs. 2b Allgemeine Feuerversicherungsbedingungen (AFB) nachgebildet (vgl. ferner die dieser Vorschrift entsprechenden Regelungen in zahlreichen weiteren Bedingungswerken der Sachschadenversicherung, abgedruckt bei Martin, Sachversicherungsrecht 2. Aufl. S. 13 ff.). Sie bestimmt, wie der Senat schon zu § 15 Abs. 2b AFB ausgeführt hat, die Zuständigkeit des Obmanns (Urt. v. 26. Oktober 1967 — II ZR 21/65, LM § 15 AVB f. Feuervers. Nr. 2 = VersR 1967, 1141). Seine Entscheidung über strittige Punkte ist danach für die Parteien nur verbindlich, wenn sie sich innerhalb der Grenzen der von den Sachverständigen der Parteien dazu getroffenen Feststellungen hält. Hieran ist der Obmann zwingend gebunden, weil die Parteien sich mit seiner endgültigen Entscheidung nur abfinden wollen, wenn diese durch die Feststellungen ihrer Sachverständigen begrenzt wird, denen sie die Wahrnehmung ihrer Interessen anvertraut haben. Überschreitet der Obmann diese Grenzen, so ist sein Spruch mangels der für seine Tätigkeit als Schiedsgutachter erforderlichen Rechtsgrundlage unwirksam, ohne daß es noch einer sachlichen Überprüfung auf eine offenbar erhebliche Abweichung von der wirklichen Sachlage (§ 16 Nr. 1 Wassersportfahrzeuge 1973) bedarf (vgl. BGH a.a.O.).
2. a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben der Sachverständige des Klägers den — nach Nr. 5.1 AVB Wassersportfahrzeuge 1976 für den Versicherungswert maßgeblichen — Zeitwert für das Zubehör auf 92 731,64 DM (Neuwert im Zeitpunkt des Verlusts: 125 313,02 DM abzüglich 26 % AfA), der Sachverständige der Beklagten auf 87 204,60 DM (124578 DM abzüglich 30 % AfA) und der Obmann auf 92 928,96 DM (129 068 DM abzüglich 28 % AfA) festgesetzt. Danach liegt die Feststellung des Obmanns zum Neu- und zum Zeitwert des Zubehörs außerhalb der Grenzen der Schadentaxen der Sachverständigen der Parteien. Zu Recht hat deshalb das Berufungsgericht zu diesem Punkte die Feststellung des Obmanns für unwirksam gehalten. Ohne Belang ist insoweit, daß die Zeitwertschätzung des Obmanns für Boot und Zubehör mit 468 000 DM innerhalb der Grenzen der nach den beiden Schadentaxen zu entschädigenden Gesamtsumme (499 917,37 DM beziehungsweise 437 205 DM) liegt. Die Grenzen innerhalb deren der Obmann zu entscheiden hat, werden von den Feststellungen der beiden Sachverständigen zu den einzelnen strittigen Punkten gezogen und nicht von den Gesamtsummen, zu denen sie gelangt sind (vgl. Prölss/Martin, VVG 23. Aufl. § 15 AFB Anm. 3, sowie 24. Aufl. § 64 Anm. 9A; Wussow, Komm. zu den AFB 2. Aufl. § 15 Anm. 11 und 13; Raiser, Komm. zu den AFB 2. Aufl. § 16 Arim. 31).
...
b) Das Berufungsgericht hat wegen der Unwirksamkeit der Feststellung des Obmanns zum Zeitwert des Zubehörs diesen — zulässigerweise (vgl. BGH a.a.O.) — selbst geschätzt. Auf Grund von Zeugenaussagen und einem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten hat es einen Zeitwert von 81 287,12 DM angenommen. Gegen dessen Schätzung als solche vermag die Revision nichts vorzubringen. Jedoch rügt sie, daß das Berufungsgericht gegen § 551 Nr. 7 ZPO verstoßen habe. Es habe nicht zu dem Einwand der Beklagten Stellung genommen, daß sie wegen Nichtvorlage von Belegen seitens des Klägers zum Wert des verloren gegangenen Zubehörs von der Verpflichtung zur Leistung gemäß §§9, 10 AVB Wassersportfahrzeuge 1976, Nr. 3 der „Anweisungen für den Schadenfall gemäß 9.2 AVB Wassersportfahrzeuge 1976" frei geworden sei. Insoweit ist richtig, daß das Berufungsgericht nichts dazu ausgeführt hat, weshalb dieser Einwand der Beklagten nicht begründet ist. Indes muß die Rüge ohne Erfolg bleiben, weil die genannten Bestimmungen nicht zu Gunsten der Beklagten eingreifen.
'aa) Nach Nr. 9.1 AVB Wassersportfahrzeuge 1976 hat der Versicherungsnehmer dem Versicherer jede Unterstützung über Ursache und Höhe des Schadens sowie über den Umfang seiner Entschädigungspflicht zu gestatten, jede hierzu dienliche Auskunft auf Verlangen schriftlich zu erteilen und Belege vorzulegen. Nach Nr. 9.2 AVB Wassersportfahrzeuge 1976 hat der Versicherer die „Anweisungen des Versicherers für den Schadenfall" zu befolgen und damit gemäß Nr. 3 der Anweisungen generell dem Versicherer zum Schadennachweis Wertnachweise, z. B. Originalrechnungen zu beschaffen. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheiten, so ist der Versicherer nach Nr. 10 AVB Wassersportfahrzeuge 1976 „nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen (z. B. 11 6, 62 und 67 VVG) von der Verpflichtung zur Leistung frei".
bb) Die Parteien haben das Sachverständigenverfahren durchgeführt, obwohl bis auf eine Ausnahme Rechnungen über das (Sonder-) Zubehör nicht vorgelegen haben (vgl. Taxe des Sachverständigen der Beklagten vom 18. Dezember 1979 S.1). Im erstinstanzlichen Verfahren haben sie übereinstimmend vorgetragen, daß über Art, Menge und Wert des Zubehörs zwischen den Sachverständigen kein strittiger Punkt besteht. Erstmals im Berufungsrechtszug hat die Beklagte, vier Jahre nach dem Unfall vorgebracht, sie berufe sich auf die gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG eingetretene Leistungsfreiheit, weil der Kläger trotz mehrfacher Anforderungen und Hinweise die einschlägigen Belege für den Zubehörschaden bis heute nicht vorgelegt habe. Allerdings ist den zugleich überreichten Unterlagen nicht zu entnehmen, daß es der Kläger unterlassen hat, etwaige in seinem Besitz befindliche Belege der Beklagten auszuhändigen. Vielmehr ergibt sich aus einem internen Bericht der Beklagten (ohne Datum), daß der Kläger „sich weitgehend in Beweisnot befinde" (GA. 1235). Hierfür hat der Kläger im Rechtsstreit als Grund angegeben, daß er die Zubehörteile als Privatmann angeschafft, zu einem erheblichen Teil bar bezahlt habe und deshalb Rechnungen hierfür nicht ausgestellt worden seien oder, sofern er Belege erhalten habe, diese, weil er sie steuerlich nicht habe absetzen können, weitgehend nicht aufgehoben habe. Sodann hat er vorgebracht, daß er sich inzwischen bei einer Vielzahl von damaligen Lieferanten bemüht habe, Kopien oder Abschriften von damaligen Rechnungen zu erhalten. Zugleich hat er sie vorgelegt. (vgl. GA. II 366-402; vgl. ferner GA. II 413-448).
cc) Diesen Gegebenheiten läßt sich nicht entnehmen, daß der Kläger in grober Weise (§6 Abs. 3 Satz 1 VVG) die Pflicht verletzt hat, den Anschaffungswert der in Verlust geratenen Zubehörteile zu belegen. Ohnehin konnte die Beklagte Belege vom Kläger nur dann fordern, als ihm deren Beschaffung billigerweise zugemutet werden konnte (§ 34 Abs. 2 VVG). Insoweit ist zu bedenken, daß der Kläger nach seinem unwiderlegten Vortrag die Rechnungsbelege weitgehend nicht aufgehoben hatte, die Beschaffung von Kopien oder Abschriften nach seinen nicht näher bestrittenen Angaben nur mit erheblicher Mühe möglich war, ferner den Sachverständigen eine vom Kläger erstellte Liste der nach seiner Ansicht zu ersetzenden Zubehörteile vorlag und diese zu den Grundlagen des Sachverständigenverfahrens gehörte.
...
Im übrigen entfiele bei einer grobfahrlässigen Handlungsweise die Leistungspflicht der Beklagten nicht, weil weder dargetän noch ersichtlich ist, daß die Nicht- (oder ungenügende) Vorlage von Belegen Einfluß auf die Feststellung oder den Umfang der der Beklagten obliegenden Leistung gehabt hat (§ 6 Abs. 3 Satz 2 VVG). Ferner käme selbst bei einer vorsätzlichen Handlungsweise des Klägers eine Leistungsfreiheit der Beklagten nicht in Betracht; es besteht kein Anhalt, daß sie den Kläger vorher ausdrücklich und unmißverständlich auf den drohenden Anspruchsverlust auch bei Folgenlosigkeit seines Verhaltens hingewiesen hatte (vgl. BGHZ 48, 7, 10/11; Prölss/Martin, VVG 24. Aufl. § 34 Anm. 3 C m.w.N.).
3. Nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts haben der Sachverständige des Klägers den Zeitwert des Bootes bei dessen Verlust mit 406 641,10 DM (549515 DM abzüglich 26 % AfA), der Sachverständige der Beklagten mit 350 000 DM (500 000 DM abzüglich 30 % AfA) und der Obmann mit 372 000 DM (517 000 DM abzüglich 28 % AfA) angenommen. Damit hat sich nach Ansicht des Berufungsgerichts der Obmann innerhalb der Grenzen der Sachverständigentaxen gehalten, so daß der von ihm für das Boot festgestellte Zeitwert bindend sei. Dagegen wendet sich die Revision schon aus folgendem Grunde mit Erfolg.
Nach den Ausführungen beider Vorinstanzen hat der Obmann den prozentualen Teuerungszuschlag auf den Anschaffungspreis des Bootes im Jahre 1976 (Zeitpunkt des Kaufs durch den Kläger) zur Ermittlung des Neuwerts im Jahre 1979 höher angesetzt als die — insoweit übereinstimmenden — Sachverständigen der Parteien. Im Gegensatz zum Landgericht hat das Berufungsgericht darin jedoch keine unzulässige Uberschreitung der Grenzen der Schadentaxen der Sachverständigen in diesem Punkte gesehen und es deshalb abgelehnt, die Feststellung des Obmanns zur Höhe des entschädigungspflichtigen Werts des Bootes für unwirksam zu betrachten. Das hat es damit begründet, daß in dem Teuerungszuschlag nur ein einzelner Bewertungsfaktor zu erblicken und deshalb der Obmann insoweit an die Schadentaxen nicht gebunden sei. Damit verkennt das Berufungsgericht aber die Bedeutung, die der Teuerungszuschlag vorliegend hat. Nach Nr. 5.1 AVB Wassersportfahrzeuge 1976 ist der dem Versicherungsnehmer zu ersetzende Zeitwert „der Betrag, der allgemein erforderlich ist, um neue Sachen gleicher Art anzuschaffen, abzüglich eines dem Zustand der versicherten Sache (Alter, Abnutzung, Gebrauch etc.) entsprechenden Betrages". Danach ist hier der Prozentsatz des Teuerungszuschlages ausschlaggebend für die von den Sachverständigen und dem Obmann gewählte Berechnung des Neuwerts und damit auch für den sich nach Berücksichtigung der AfA ergebenden Zeitwert. In einem solchen Falle muß sich der Obmann an die Grenzen halten, die sich für den Teuerungszuschlag als dem ausschlaggebenden Bewertungsfaktor aus den Taxen der beiden Sachverständigen ergibt. Das trifft um so mehr zu, wenn sich, wie hier, die Sachverständigen auf die prozentuale Höhe des Teuerungszuschlages geeinigt haben, so daß es insoweit mangels Vorliegen eines strittigen Punktes für den Obmann ohnehin nichts zu entscheiden gibt.
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4. ...
Danach geht sie (die Beklagte) von einem Zeitwert des Bootes von 266 240,16 DM aus (Neuwert im Zeitpunkt des Verlustes: 369 778 DM abzüglich 28 % AfA). Nimmt man hierzu die vom Berufungsgericht zutreffend für den Zeitwert des Zubehörs angesetzten 81 287,12 DM und die von ihm dem Kläger für den Verlust von persönlichen Effekten — rechtskräftig — zuerkannten 15 409,87 DM, so ergibt sich ein derzeitiger Mindestentschädigungsbetrag von 362 937,15 DM. Hiervon verbleiben nach Abzug der nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes von der Beklagten gezahlten 302 000 DM noch 60 937,15 DM. In Höhe dieDanach geht sie (die Beklagte) von einem Zeitwert des Bootes von 266 240,16 DM aus (Neuwert im Zeitpunkt des Verlustes: 369 778 DM abzüglich 28 % AfA). Nimmt man hierzu die vom Berufungsgericht zutreffend für den Zeitwert des Zubehörs angesetzten 81 287,12 DM und die von ihm dem Kläger für den Verlust von persönlichen Effekten — rechtskräftig — zuerkannten 15 409,87 DM, so ergibt sich ein derzeitiger Mindestentschädigungsbetrag von 362 937,15 DM. Hiervon verbleiben nach Abzug der nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes von der Beklagten gezahlten 302 000 DM noch 60 937,15 DM. In Höhe dieses Betrages — nebst der darauf zuerkannten Zinsen — ist damit die Verurteilung der Beklagten durch das Berufungsgericht haltbar, wogegen es hinsichltich der darüber hinaus vom Berufungsgericht zuerkannten 106 603,92 DM (167 541,07 DM ./. 60 937,15 DM) erneuter tatrichterlicher Prüfung bedarf."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1988 - Nr.4 (Sammlung Seite 1228 f.); ZfB 1988, 1228 f.