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Leitsatz:
Zur Frage, wann der Weg für eine Begegnung Backbord an Backbord verbindlich gewiesen worden ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 12. Oktober 1972
II ZR 141/70
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Schiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte MS A stieß unterhalb der Neckarschleuse Harrbach auf einer im Anschluß an eine Rechtsbiegung gerade verlaufenden Strecke auf der Talfahrt rechtsmainisch mit dem Steven gegen die Steuerbordbugseite des der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten zu Berg fahrenden MS M, wobei beide Schiffe beschädigt wurden.
Die Klägerin verlangt Ersatz des erstatteten Schadens an MS A von ca. 67 000,- DM mit der Behauptung, daß M etwa 80 m vor Beginn der Vorbeifahrt plötzlich die blaue Seitenflagge gezeigt und den Kurs nach Backbord geändert habe. Dadurch sei es in den Kurs von A in der rechten Fahrwasserhälfte geraten.
Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden. M habe sich während der Annäherung schon rechtsmainisch gehalten und dem Talfahrer in einer Entfernung von etwa 500 m die blaue Seitenflagge gezeigt. Diese Weisung habe MS A jedoch nicht befolgt, anscheinend deshalb, weil es beim Durchfahren der Rechtsbiegung mit dem Heck stark in den Hang geraten und dadurch in das rechte Fahrwasser gekommen sei.
Beide Vorinstanzen haben den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich die Kollision zwischen TMS M und MS A auf folgende Weise ereignet:
Bei einer schiffbaren Breite des Mains im Unfallbereich von etwa 50 bis 55 m hielt sich M zunächst linksmainisch, während MS A vom Ausgang der Rechtsbiegung des Flusses rechtsmainisch fuhr. Als der Längsabstand zwischen den beiden Schiffen noch etwa 80 m betrug, setzte M die blaue Seitenflagge und änderte zugleich den Kurs nach Backbord, um MS A an seiner Steuerbordseite vorbeifahren zu lassen. Mit Rücksicht auf die kurze Entfernung der beiden Schiffe konnte MS A das aus dem Hang der Rechtsbiegung heraus in die rechte Fahrwasserhälfte gesteuert worden war und noch eine gewisse Schräglage zum rechten Ufer hin hatte, nicht mehr in die linke Fahrwasserhälfte gebracht werden,, so daß es rechtsmainisch zur Kollision kam.
Die Revision greift diese Feststellungen mit zahlreichen Verfahrensrügen an. Diese sind nicht begründet. (Wird ausgeführt.)
Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu der Frage, ob TMS M auf Grund seiner Schräglage bei der Kollision zwangsläufig auf Land hätte laufen müssen, zeigen deutlich, daß es genügende eigene Sachkunde besaß, diese Frage ohne
Zuziehung eines Sachverständigen zu entscheiden. Auch war es nicht, wie die Beklagten erstmals im Revisionsrechtszug meinen, verpflichtet, einen Sachverständigen zu der Frage zu hören, ob MS A der - lediglich auf etwa 80 m gegebenen - Weisung des Bergfahrers, an seiner Steuerbordseite vorbeizufahren, noch hätte folgen können. Begegnungskollisionen gehören in der Binnenschiffahrt zu den häufigsten Unfallarten. Mit ihnen wird, wie dem Senat bekannt ist, das hier zur Entscheidung berufene Schiffahrtsobergericht immer wieder befaßt. Mit deren Beurteilung ist es deshalb vertraut. Das gilt auch für die bei Begegnungskollisionen vielfach zu erörtende Frage, ob ein Talfahrer der Kursweisung eines Bergfahrers gefahrlos oder nur mit Risiken oder überhaupt nicht mehr folgen konnte. Daß hier ein Fall gegeben ist, zu dessen Beurteilung die Sachkunde des Schifffahrtsobergerichts nicht ausgereicht hätte, hat auch die Revision nicht darzutun vermocht.
Nach § 37 Nr. 3 BinnSchSO 1954 dürfen Fahrzeuge beim Begegnen ihren Kurs u. a. dann nicht ändern, nachdem dieser nach § 38 festgelegt ist. Die Festlegung geschieht dadurch, daß der Bergfahrer dem Talfahrer, wenn dieser an seiner Backbordseite vorbeifahren soll, kein Zeichen gibt (§ 38 Nr. 2), oder daß er rechtzeitig eine hellblaue Flagge nach Steuerbord oder ein weißes gewöhnliches Blinklicht an Steuerbord zeigt, wenn die Vorbeifahrt des Talfahrers an seiner Steuerbordseite erfolgen soll (§ 38 Nr. 3). Nun kann aber ein Talfahrer nicht stets, wenn sich ihm ein Bergfahrer nähert, ohne die blaue Seitenflagge oder das weiße Blinklicht zu zeigen, davon ausgehen, dieser gebe ihm keine Zeichen und weise ihm damit den Weg für eine Backbordbegegnung. Der Bergfahrer ist nämlich nicht gehalten, die blaue Seitenflagge oder das weiße Blinklicht jeweils sofort beim Auftauchen eines Talfahrers zu zeigen, sondern hat diese Zeichen, wenn er den Talfahrer an seiner Steuerbordseite vorbeifahren lassen will, „lediglich" rechtzeitig zu geben, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem der Talfahrer diese Kursweisung noch ohne Gefahr, insbesondere ohne unvermittelte Steuermanöver (vgl. Kählitz, Das Recht der Binnenschiffahrt, Bd. II Anm. 8 zu § 38 BinnSchSO) befolgen kann. Deshalb enthält das Nichtzeigen der blauen Seitenflagge oder des weißen Blinklichts grundsätzlich erst dann eine verbindliche Kursweisung für eine Backbordbegegnung (§ 38 Nr. 2), wenn eine rechtzeitige Kursweisung für eine Steuerbordbegegnung (§ 38 Nr. 3) nicht mehr gegeben werden kann. Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts TMS M die blaue Seitenflagge zu einem Zeitpunkt setzte, in welchem MS A die damit verbundene Kursweisung nicht mehr befolgen konnte, die Weisung mithin verspätet war, ist dieses zutreffend davon ausgegangen, daß der Bergfahrer bereits zuvor dem Talfahrer den Weg für eine Backbordbegegnung gewiesen hatte und deshalb mit seiner Kursänderung nach Backbord gegen die Vorschrift des § 37 Nr. 3 BinnSchSO 1954 verstieß. Daß darin zugleich auch ein Verstoß gegen § 37 Nr. 2 BinnSchSO 1954 („Beim Begegnen ... dürfen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, ihren Kurs nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte") lag, ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren Erörterung.
Das Berufungsgericht hat auf Grund des von ihm festgestellten Unfallgeschehens ein Mitverschulden der Führung des MS A an der Kollision verneint.
Wie dem angefochtenen Urteil zu entnehmen ist, bestand nach der Backbordkursänderung des Bergfahrers für diesen mit Rücksicht auf den geringen Längsabstand der beiden Schiffe keine Möglichkeit mehr, die Kollision zu vermeiden. Danach hätte aber die Abgabe eines Achtungszeichens oder eines anderen Schallzeichens seitens des MS A die Kollision nicht verhindern können. Aus diesem Grunde bedarf es auch keiner Prüfung der Rüge, das Berufungsgericht habe verfahrensrechtlich fehlerhaft festgestellt, MS A habe nach dem Zeigen der blauen Seitenflagge durch TMS M das Schallzeichen „1 x kurz" gegeben. Schließlich kann auch dahinstehen, ob, wie die Revision im Gegensatz zu den Ausführungen des Berufungsgerichts dargelegt hat, das Maschinenmanöver der Führung des MS A nach Erkennen der Kollisionsgefahr infolge der Backbordkursänderung des Bergfahrers falsch war. Denn hier hat es sich um eine Maßnahme des letzten Augenblicks in einer von dem Talfahrer unverschuldeten Lage gehandelt, die, wenn sie fehlerhaft gewesen sein sollte, Schiffsführer H. nicht als eine schuldhafte Handlung angerechnet werden könnte."