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Leitsatz:
Zu den Regeln beim Wenden zu Tal auf freier Strecke und zur Verhaltensweise der zu Berg kommenden durchgehenden Schiffahrt.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 9. Juli 1973
II ZR 133/71
(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Im Dezember 1967 gegen 7.30 Uhr wendete der der Beklagten zu 1, vom Beklagten zu 2 geführte Schleppzug, bestehend aus MS H105 und den beiden aneinander gemeerten Kähnen H84 und „H92 - sämtlich unbeladen - linksrheinisch bei Rhein-km 459,5 über Backbord zu Tal. Während des Manövers geriet das bergwärts fahrende, beladene TMS I mit dem Kopf zwischen die beiden Anhänge. Ferner stieß MS H105, das an der Backbordseite von TMS I knapp vorbeigekommen war und danach erneut nach Backbord drehte, mit der Steuerbordseite gegen das gleichfalls zu Berg kommende, beladene TMS M. Alle kollidierenden Fahrzeuge wurden beschädigt.
Die Klägerin als Versicherin der beiden Tankmotorschiffe verlangt Ersatz des erstatteten, an diesen Fahrzeugen entstandenen Schadens von ca. 87 000 hfl. MS H105 sei plötzlich und ohne Abgabe von Signalen nach Backbord herumgefallen, als der Längsabstand zwischen TMS I und den Anhängen nur noch 50-75 m betragen habe, und sei nach Passieren von TMS I in nautisch falscher Weise weiter nach Backbord in den Raum zwischen diesem Schiff und TMS M gefahren.
Die Beklagten meinen, die beiden Tankmotorschiffe hätten pflichtwidrig das ordnungsmäßig angekündigte Wendemanöver nicht unterstützt und seien mit unverminderter Geschwindigkeit weiter zu Berg gefahren.
Der Klageanspruch wurde in allen 3 Instanzen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Findet, wie hier, das Wenden zu Tal weder auf einer Reede noch bei der Abfahrt von einem der üblichen Lade- oder Löschplätze statt, so ist dieses Manöver nur erlaubt, wenn es ausgeführt werden kann, ohne daß andere Fahrzeuge gezwungen sind, unvermittelt ihre Geschwindigkeit zu vermindern oder ihren Kurs zu ändern (§ 47 Nr. 1 S. 1 und Nr. 2 RheinSchPolVO 1954). Dabei kommt es, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, für die Zulässigkeit des - erforderlichenfalls durch Schallzeichen nach § 46 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954 anzukündigenden - Manövers auf die Verkehrslage bei Wendebeginn an und nicht, wie die Revision meint, auf die Lage, die zur Zeit eines zeitlich früher abgegebenen Wendesignals bestanden hat (BGH VersR 1967, 36, Urt. v. 17. Oktober 1966 - II ZR 162/64). Denn die Verkehrslage kann sich zwischen der Abgabe eines das Wenden ankündigenden Schallzeichens und dem tatsächlichen Wendebeginn, insbesondere wenn dazwischen ein nicht unbeträchtlicher Zeitraum liegt, nicht unwesentlich ändern, weshalb von dem Wendenden zu verlangen ist, daß er sich unmittelbar vor der Durchführung des Manövers nochmals sorgfältig überzeugt, daß der übrige Verkehr ein gefahrloses Wenden zuläßt (Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt, 4. Aufl. S. 218 und 222). Die Revision kann die von ihr vertretene Ansicht auch nicht auf das Urteil des Senats vom 12. März 1962 - II ZR 169/60 (LM Nr. 12 zu RheinSchPolVO v. 24. 12. 1954) stützen, da sich diese Entscheidung nicht mit der hier erörterten Frage befaßt.
Aus § 47 Nr. 1 S. 1 RheinSchPolVO 1954, wonach der Wendende von den anderen Fahrzeugen keine unvermittelte Geschwindigkeitsverminderung oder Kursänderung verlangen kann, folgt jedoch keine uneingeschränkte Bevorrechtigung des durchgehenden Verkehrs vor einem zu Tal wendenden Schiff oder Schleppzug. Vielmehr muß die durchgehende Schiffahrt geringfügige Fahrtbeeinträchtigungen durch das Wendemanöver hinnehmen (BGH a.a.O.) oder, anders ausgedrückt, das Manöver, sofern notwendig, durch geringfügige Geschwindigkeits- oder Kursänderungen unterstützen. Diese Pflicht ist bei der Prüfung der Zulässigkeit von Wende¬manövern zu Tal zu berücksichtigen, da grundsätzlich jeder Schiffer - jedenfalls bis zum Vorliegen gegenteiliger Anhaltspunkte - darauf vertrauen kann, daß die anderen Fahrzeuge sich ordnungsgemäß verhalten, vor allem die ihnen besonders auferlegten Pflichten beachten. Das hat das Berufungsgericht nicht übersehen.
Das Berufungsgericht hält das Wendemanöver des H-Schleppzuges für unzulässig, weil dieses selbst dann zu einer Kollision mit TMS I habe führen müssen, wenn der Bergfahrer sofort bei Wendebeginn zurückgeschlagen hätte; allenfalls hätte eine „extreme" Kursänderung des TMS I nach Steuerbord den Zusammenstoß mit den Anhängen des Schleppzuges verhindern können. Zu dieser Ansicht ist das - sachverständig beratene - Berufungsgericht auf Grund folgender Feststellungen gelangt:
Der Kurs des TMS I sei so angelegt gewesen, daß er ohne das Wendemanöver des Schleppzuges in einem Seitenabstand von etwa 50 m an den rund 30 m aus dem linken Ufer gelegenen und zusammen gegen 20 m breiten Kähnen vorbei¬geführt hätte. Diese hätten zusammen mit MS H105 zum Wenden höchstens 100 Sekunden benötigt. Da die beiden Anhänge bei der Kollision mit TMS I höchstens zu 2/3 bis 3/4, wenn nicht sogar erst zur Hälfte, herumgewesen seien, müsse der Zusammenstoß rund 80, höchstens 90 Sekunden nach Wendebeginn erfolgt sein. Während dieser Zeitspanne habe TMS I, das mit einer Geschwindigkeit von 3,4 m/sec (= 12,2 km/Std.) zu Berg gekommen sei, etwa 270 m bis höchstens 300 m zurücklegen können. Mit Rücksicht darauf, daß der Bergfahrer vor der Kollision zurückgeschlagen habe, sei sein Längsabstand zu den beiden Kähnen bei Wendebeginn des Schleppzuges allerdings „nicht unerheblich geringer als 270 bis 300 m gewesen". Diese Strecke hätte aber nicht einmal ausgereicht, um TMS I vor dem - gut 100 m aus dem linken Ufer gelegenen - Kollisionsort ständig zu machen. Denn der Bergfahrer habe zum Umsteuern der Maschine etwa 10 Sekunden (= 34 m Fahrstrecke) und danach nochmals 223 m bis zum Ständigwerden gebraucht; außerdem sei der Abstand zwischen ihm und den Anhängen auch dadurch verkürzt worden, daß diese auf ihn zugetrieben seien, weil sie wegen der beim Drehen eingenommenen Schräg- und Querlage nicht gegen die Strömung hätten gehalten werden können. Auch habe bei Wendebeginn des Schleppzuges nicht festgestanden, ob die beiden Kähne alsbald das Fahrwasser am linken Ufer freigeben würden. Selbst für den Augenblick der Kollision sei es fraglich, ob hinter den Kähnen ausreichend Raum für eine Passage des TMS I, das bei einer harten Kursänderung nach Steuerbord in eine Schräglage habe kommen müssen, vorhanden gewesen sei.
Diese Feststellungen, nach denen kein Zweifel bestehen kann, daß das Wendemanöver des „Harpen"-Schleppzuges vor dem herankommenden TMS I unzulässig war, halten allen verfahrensrechtlichen Angriffen der Revision stand.
Das Berufungsgericht hat jedes ursächliche Mitverschulden der Führung dieses Fahrzeugs (TMS I) an der Kollision verneint. Zwar habe sie ein Wendesignal des Schleppzuges nicht gehört. Das sei jedoch für die Kollision nicht ursächlich gewesen, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur davon ausgegangen werden könne, daß das Wendesignal praktisch mit dem Wendebeginn zusammengefallen sei, somit der Führung des TMS I ein früheres Einstellen auf das Wendemanöver nicht ermöglicht hätte. Auch könne nicht festgestellt werden, daß TMS I in den Drehkreis des Schleppzuges hineingefahren sei. Ferner sei der Vorwurf der Beklagten unberechtigt, TMS I habe statt zurückzuschlagen nach Steuerbord halten müssen. Denn es sei nicht falsch gewesen, wenn seine Führung auf das plötzliche in den Kurs ihres Fahrzeugs gerichtete Wendemanöver versucht habe, ständig zu werden, zumal es fraglich gewesen sei, ob sie mit einem harten Steuerbordmanöver die Anhänge des drehenden Schleppzuges hätte freifahren können. Schließlich stehe fest, daß sie auf das nautisch fehlerhafte Verhalten des Schleppzuges mit einem Achtungszeichen reagiert habe.
Auch gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Auch hat das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Führung dieses Fahrzeugs (TMS M) an der Kollision verneint. Daß TMS M dem vorausfahrenden TMS I mit einem Abstand von rund 100 bis 150 m gefolgt sei, könne seiner Führung nicht zum Nachteil gereichen, weil eine solche Fahrweise nicht gegen nautische Sorgfaltspflichten verstoße. Da der Abstand dieses Fahrzeugs zu den Anhängen des Schleppzuges mindestens rund 200 m größer als der des TMS I gewesen sei, sei es nicht zu beanstanden, wenn es erst etwas später als TMS I zurückgeschlagen haben sollte, zumal es ihm eher möglich gewesen sei, hinter den wendenden Anhängen vorbeizufahren. Jedoch sei ihm jede sachgerechte Kursänderung dadurch unmöglich geworden, daß MS H105 in den Raum zwischen den beiden Bergfahrern hineingefahren sei. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen.