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Leitsatz:
„Wert des Schiffes" ist der Veräußerungs- und nicht der Wiederbeschaffungswert; er umfasst nicht die bei einem zwangsweisen oder freiwilligen Verkauf des Schiffes etwa anfallende Mehrwertsteuer."
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 30. Januar 1986
(Schifffahrtsgericht Würzburg; Schifffahrtsobergericht Nürnberg)
Zum Tatbestand:
Das MS „N" des Beklagten fuhr auf einer Frachtreise nach Nürnberg in der Haltung Kriegerbrunn die Ufermauer einer Kanalbrücke infolge eines nautischen Fehlers des Rudergängers an. Als Eigentümerin der Bundeswasserstraße verlangte die Klägerin Schadenersatz für die zerstörte Mauer. Der Versicherer der Beklagten hat auf den Schaden von ca. 632 000,- DM unter Berücksichtigung der begrenzten Haftung 290 000,- DM für den von einem Sachverständigen geschätzten Wert des Schiffes bei Antritt der erfolgten neuen Reise und 14 473,98 DM für die Fracht der Unfallreise, zusammen 304473,98 DM gezahlt. Die Klägerin verlangt weitere 37700,- DM, nämlich 13 MWSt von 290 000,- DM, da bei der Ermittlung von Schiffswerten dem geschätzten Nettowert noch die gesetzliche Mehrwertsteuer hinzuzufügen sei.
Der Beklagte meint, dass die Mehrwertsteuer außer Ansatz bleiben müsse.
Schifffahrts- und Schifffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Die zugelassene Revision an den Bundesgerichtshof blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Schiffseigner ist für den Schaden verantwortlich, den eine Person der Schiffsbesatzung in Ausführung ihrer Dienstverrichtungen einem Dritten schuldhaft zufügt (§ 3 Abs. 1 BinnSchG). Allerdings haftet er nicht persönlich, sondern nur mit Schiff und Fracht (§4 Abs. 1 Nr.3 BinnSchG), dem Schiffsvermögen. Die Forderung des Dritten sichert ein Schiffsgläubigerrecht (§ 102 Nr. 5 Abs. 2 BinnSchG). Dieses gewährt dem Dritten ein (gesetzliches) Pfandrecht an dem Schiffsvermögen (§ 103 Abs. 1, § 104 Abs. 1 BinnSchG). Seine Befriedigung aus dem Pfande erfolgt auf Grund eines vollstreckbaren Titels nach den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung (§ 103 Abs. 3 BinnSchG). Sendet der Schiffseigner das Schiff in Kenntnis der Forderung des Dritten zu einer neuen Reise aus, so tritt neben die dingliche Haftung mit dem Schiffsvermögen eine beschränkt persönliche Haftung, und zwar bis zur Höhe des Betrags, der sich für den Dritten ergeben hätte, „falls der Wert, den das Schiff bei Antritt der Reise hatte, unter die Schiffsgläubiger nach der gesetzlichen Rangordnung verteilt worden wäre" (§ 114 Abs. 1 BinnSchG). Damit soll ein Ausgleich für die Gefahr geschaffen werden, dass das Schiffsgläubiger-recht durch den Verlust oder die Beschädigung des Schiffes auf einer neuen Reise oder durch das Entstehen weiterer gemäß § 106 Abs. 1 BinnSchG vorrangiger Schiffsgläubigerrechte untergeht oder beeinträchtigt wird (vgl. auch Vortisch/Zschucke, Binnenschifffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. BSchG § 114 Anm. 1 a).
2. Nach Ansicht des Berufungsgerichts meint der Begriff „Wert des Schiffes" in § 114 Abs. 1 BinnSchG den Verkehrswert in der Form des Zeit- oder des Veräußerungswerts. Zu diesem Wert gehöre nicht die Mehrwertsteuer als wertbestimmender Teil. Abgesehen davon, dass sie nicht bei jedem Schiffsverkauf anfalle, sei sie von dem Verkäufer an das Finanzamt abzuführen. Damit stehe sie nicht zur Verteilung an die Schiffsgläubiger zur Verfügung. Deshalb könne sie auch nicht im Wert des Schiffes enthalten sein.
3. Die Revision wendet sich gegen diese Ausführungen ohne Erfolg. Ihre Ansicht, § 114 Abs. 1 BinnSchG verstehe unter dem „Wert des Schiffes" den (die Mehrwertsteuer umfassenden) Wiederbeschaffungswert, berücksichtigt nicht hinreichend den bereits dargelegten Zweck der Vorschrift. Diese hat nicht, wie die Revision meint, die „wertmäßige" Wiederbeschaffung des Haftungsobjekts im Auge. Sie lässt lediglich zu der dinglichen Haftung des Schiffseigners wegen der Gefährdung der Schiffsgläubigerrechte durch eine neue Reise des Schiffes dessen persönliche Haftung treten, begrenzt auf den Betrag, der sich bei einer Verwertung des Schiffes durch dessen zwangsweise oder freiwillige Veräußerung im Zeitpunkt des Antritts der neuen Reise als Verkaufspreis hätte erzielen lassen. Demgemäß ist der Senat schon in den Urteilen vom 24. Februar 1969 - II ZR 134/67 und 135/67 (VersR 1969, 511) davon ausgegangen, dass für den Wert des Schiffes im Sinne des § 114 Abs. 1 BinnSchG der Veräußerungswert maßgebend ist. In diese Richtung deutet auch die Regelung des § 113 BinnSchG, wonach der Schiffseigner, der bei der Zwangsversteigerung oder bei der sonstigen Veräußerung des Schiffes das Kaufgeld eingezogen hat, den Schiffsgläubigern, deren Pfandrechte durch oder im Zusammenhang mit der Veräußerung erloschen sind (§§91, 162 ZVG, § 110 BinnSchG), persönlich bis zu dessen Höhe haftet, damit er nicht auf ihre Kosten bereichert wird. Im Übrigen hat § 114 Abs. 1 BinnSchG keinen Schadensersatzanspruch der Schiffsgläubiger im Auge, für dessen Höhe der Wiederbeschaffungswert des Schiffes bedeutsam sein könnte. Für den Veräußerungswert des Schiffes spielt aber, was auch die Revision nicht bezweifeln kann, eine bei dem Verkauf etwa anfallende Mehrwertsteuer keine Rolle."