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Leitsatz:
Zur anfänglichen Ladungsuntüchtigkeit eines Schiffes, das im Winter mit einer nässeempfindlichen Ladung über die Ooster-Schelde (Seeland) zu fahren beabsichtigt und dessen Laderäume lediglich mit einem Patent-Lukendach aus Leichtmetall (sog. Europa-Lukendach) abgedeckt sind.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 29. Oktober 1979
(Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Schifffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Auf der Fahrt des dem Beklagten gehörenden und von ihm geführten MS "A" im Winter von Antwerpen nach Stuttgart drang bei stürmischem Wetter und hohem Wellengang auf der Ooster-Schelde (Seeland) Seewasser in die durch ein Leichtmetalldach abgedeckten Laderäume ein, wodurch 82 bei der Klägerin versicherte Pakete nässeempfindlicher Feinbleche beschädigt wurden. Die Klägerin verlangt Ersatz des von ihr erstatteten Schadens in Höhe von über 93 000,- DM, weil der Beklagte die Reise mit einem fahr- und ladeuntüchtigen Schiff (Fehlen eines Kugelventils im Entlüftungsrohr des Gasöltanks; Nichtabdecken des Leichtmetalldachs mit Persenningen) angetreten habe und trotz Sturmwarnung über Seeland gefahren sei.
Der Beklagte hat ein Verschulden an dem Ladungsschaden bestritten. Die Witterungsverhältnisse hätten die Fahrt mit dem weder fahr- noch ladeuntüchtigen Binnenschiff erlaubt. Das Entlüftungsrohr sei vorschriftsmäßig und das erst 6 Monate vor der Reise eingebaute Patentlukendach spritzwasser- und wetterdicht gewesen. Die Abdeckung mit Persenningen sei daher nicht nötig und wegen der Dachform auch nicht möglich gewesen. Seewasser sei nur eingedrungen, weil das Schiff nach plötzlichem Versagen der Maschine quer gefallen und danach von schweren Brechern überflutet worden sei. Außerdem beruft sich der Beklagte auf die Freizeichnung in den Konnossementsbedingungen.
Das Schifffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Schifffahrtsobergericht hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision des Beklagten ist die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur anderweitigen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass MS "A" von Anfang an ladeuntüchtig gewesen ist.
a) Es mag sein, dass MS "A" die Klassifikation „R einschl. Seeland" hatte. Neu und damit im Revisionsrechtszug unbeachtlich (§ 561 Abs. 1 ZPO) ist insoweit jedoch die Behauptung der Revision, diese Klassifikation „beinhalte zugleich die Eignung und Zulassung des Schiffes auch zum Transport nässeempfindlicher Güter über Seeland." Überdies ist nicht dargetan, wann diese Klassifikation erteilt worden ist. Das ist schon deshalb bedeutsam, weil die Umrüstung des MS "A" auf ein Europa-Lukendach erst sechs Monate vor der Schadensreise erfolgt ist. Auch die von dem Beklagten im ersten Rechtszug vorgelegten Schiffszeugnisse geben nichts dafür her, dass MS „A" für die Beförderung der nässeempfindlichen Feinbleche über Seeland bei winterlichen Witterungsverhältnissen ladetüchtig gewesen sei. Schiffszeugnisse bestätigen lediglich, dass ein Schiff zum Untersuchungszeitpunkt den Anforderungen entsprochen hat, welche die Schiffsuntersuchungsordnungen für den vorgesehenen Fahrtbereich an den Bau, die Einrichtung und die Ausrüstung eines Schiffes aus Sicherheitsgründen stellen (vgl. § 1.08 BinSchStrO in Verbindung mit §§ 1.03, 1.04 Binnenschiffs-Untersuchungsordnung sowie § 1.08 RheinSchPolVO in Verbindung mit § 2.04 Rheinschiffs-Untersuchungsordnung). Sie besagen hingegen nichts darüber, ob ein Schiff die Ladungstüchtigkeit für eine bestimmte Reise mit bestimmten Gütern besitzt.
b) Ebenfalls neu - und damit gemäß § 561 Abs. 1 ZPO nicht zu beachten - ist die Behauptung der Revision, die Bleche seien „spritzwasserdicht" verpackt gewesen.
c) Es ist richtig, dass der Sachverständige S. das Lukendach des MS "A" als „spritzwasser-
und wetterdicht" bezeichnet und weiter ausgeführt hat, ein Schiff besitze diese Eigenschaften dann, „wenn unter allen - in dem gewünschten Fahrtbereich - vorkommenden Verhältnissen nur eine unbedeutende Menge Wasser einzudringen vermag", wobei unter „unbedeutend" diejenige Wassermenge zu verstehen sei, „die dem Schiff und der Ladung keinen Schaden mittelbar oder unmittelbar zufügt". Indes hat der Sachverständige, wie das Berufungsgericht zu Recht hervorgehoben hat, weiter darauf hingewiesen, dass das Luckendach des MS „A" die Laderäume nur gegen Spritzwasser von oben geschützt, hingehen nicht das Eindringen von Wasser bei Wellen auf dem Gangbord und Vertrieb durch böige Winde oder Sturm zwischen Süll-Oberkante und Lukendach verhindert habe. Mit solchen Wellen- und Windverhältnissen war aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei der Fahrt über Seeland während der Wintermonate zu rechnen. Ohne Bedeutung ist für die Frage der Ladungstüchtigkeit des MS „A" der Umstand, dass auch andere nur mit einem Europa-Lukendach ausgerüstete Fahrzeuge nässeempfindliche Güter im Winter über Seeland befördert haben sollen. Denn die Ladungsuntüchtigkeit eines Schiffes ist nicht deshalb zu verneinen, weil auch andere Fahrzeuge mit derselben - unter bestimmten Umständen mangelhaften - Lukenabdeckung versehen sind. Ob dieser Mangel durch das Anbringen von Persenningen zu beseitigen gewesen wäre, was das Berufungsgericht bejaht hat und von der Revision bezweifelt wird, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Die Möglichkeit, eine mangelhafte Lukenabdeckung zu beseitigen, hat in aller Regel mit der Frage der Ladungsuntüchtigkeit des Schiffes nichts zu tun.
2. Nicht zu folgen ist hingegen der Ansicht des Berufungsgerichts, den Beklagten treffe an der Ladungsuntüchtigkeit des MS "A" ein Verschulden. Insoweit hat es, wie die Revision mit Grund rügt, den Tatsachenstoff nicht erschöpft, außerdem die Anforderungen, die an die Sorgfalt eines ordentlichen Schiffs- und Frachtführers zu stellen sind (§§ 7, 8, 58 BinnSchG), überspannt. Sicher ist es richtig, dass der Schiffer wie auch der Frachtführer vor Beginn einer Reise mit einer nässeempfindlichen Ladung sorgfältig prüfen müssen, ob die Laderäume, insbesondere deren Öffnungen, so abgedichtet sind, dass unter den gewöhnlichen Gefahren der Reise kein Wasser eindringen kann. Grundsätzlich dürfen sie sich aber darauf verlassen, dass eine von einem sachkundigen und erfahrenen Unternehmen eingebaute Lukenabdeckung den ihr zugedachten Zweck erfüllt, sofern die Abdeckung ordnungsgemäß gepflegt und gehandhabt wird. Anderenfalls würde man ihre Untersuchungspflicht unangemessen überspannen. Hier lag es - nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Beklagten - nun so, dass ein mit der Lieferung von Patentlukendächern besonders vertrautes Antwerpener Unternehmen das - auch für den Fahrtbereich Seeland zugelassene - MS "A" mit einem Leichtmetalldach neuester Konstruktion ausgerüstet hatte, bei dem sich das zusätzliche Anbringen von Persenningen erübrigen sollte und weshalb das Schiff auch keine der hierfür notwendigen Vorrichtungen erhielt. Dann kann es dem Beklagten aber nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er die Schadensreise angetreten hat, ohne zuvor selbst geprüft zu haben, ob das Lukendach ohne zusätzlich angebrachte Persenninge so dicht war, dass er die nässeempfindliche Ladung unversehrt über Seeland zu ihrem Bestimmungsort verbringen konnte, zumal, wie es in dem Gutachten S. heißt, "durch die Einführung sog. Patentluken-Abdeckungen verschiedener Konstruktionen die Qualität auch zugunsten der Spritzwassersicherung gegenüber hölzernen Lukendächern erheblich verbessert worden ist" und „seit dieser Zeit Persenninge nicht mehr üblich sind".
Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Es war deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses nunmehr die weiteren Vorwürfe der Klägerin gegen den Beklagten prüft, nämlich: a) Er habe schuldhaft mit einem fahruntüchtigen Schiff die Reise angetreten (Fehlen eines Kugelventils im Entlüftungsrohr des Gasöltanks, weshalb während der Fahrt über Seeland Wasser in das Rohr gelangt sei und zu dem plötzlichen Ausfall der Maschine geführt habe) und b) er hätte aufgrund der Sturmwarnungen zunächst im Hafen von Wemeldinge verbleiben und die Ooster-Schelde erst zu einem späteren Zeitpunkt überqueren dürfen. ...“