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II ZR 100/70 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 19.04.1971
File Reference: II ZR 100/70
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Sind bei einem Gutachten unterschiedliche Deutungen möglich, so muß der Tatrichter zunächst versuchen, die Zweifel an dem Inhalt des Gutachtens dadurch zu klären, daß er den Gutachter hierzu hört. Es ist mit § 286 ZPO nicht vereinbar, wenn der Tatrichter bei Zweifeln an dem Inhalt des Gutachtens dieses selbst auslegt.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 19. April 1971

II ZR 100/70

(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Wegen des Tatbestandes wird auf das Urteil des BGH vom 14. 7. 1969 - II ZR 229/67 - (ZfB 1969 S. 501) verwiesen, mit welchem auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen wurde. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Berufung der Beklagten jedoch erneut zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagten haben dem Gutachten der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau e. V. Duisburg vom 11. Oktober 1966, insbesondere der Anlage 8 des Gutachtens, entnommen, daß bei der Begegnung zwischen MS V und SK P zunächst eine Kraft auftrat, die ein Anziehen des Kahnes nach Steuerbord bewirkte, und diese Kraft sodann durch das den Kahn überholende MS D verstärkt wurde. Sie verstehen deshalb den Satz des Gutachtens „es ist unwahrscheinlich, daß D das Ausscheren von P allein verursacht hat" dahin, daß die von MS D ausgehenden Kräfte „für sich gesehen" das Auslaufen P habe die Kräfte, die auf Grund der Begegnung mit MS V und des Überholmanövers von MS D auf den Kahn gewirkt hätten, mit dem Ruder nicht ausgleichen können.

Das Berufungsgericht weicht in der Auslegung des Gutachtens, und zwar in entscheidenden Punkten, von derjenigen der Beklagten ab. Das beruht darauf, daß einzelne Formulierungen des Gutachtens zu unterschiedlichen Deutungen führen können. In einem derartigen Falle muß der Tatrichter aber zunächst versuchen, die Zweifel an dem Inhalt des Gutachtens dadurch zu klären, daß er den Gutachter hierzu hört. Hingegen ist es mit § 286 ZPO nicht zu vereinbaren, wenn er, wie hier, Zweifel an dem Inhalt eines Gutachtens allein dadurch zu beseitigen sucht, daß er das Gut¬achten selbst auslegt.

Da der aufgezeigte Gesetzesverstoß bereits zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht nötigt, bedarf es keiner Prüfung der weiteren Rügen der Revision."