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II ZB 5/76 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Decision Date: 21.03.1977
File Reference: II ZB 5/76
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Prozessualrechtliche Auswirkungen der Einreichung einer Berufung und ihrer Rücknahme bei unzuständigen Gerichten im Binnenschiffahrtsprozeß.
2) Auch im Prozeßrecht kann der Grundsatz von Treu und Glauben zur Geltung kommen.

Beschluß des Bundesgerichtshofes

vom 21. März 1977

II ZB 5/76

(Schiffahrtsgericht Hamburg; Schifffahrtsobergericht Hamburg)

Zum Sachverhalt:

Die Beklagte hatte gegen das Urteil eines Schiffahrtsgerichts vom 26. 2. 1976, zugestellt am 23. 3., beim Landgericht am 23. 4. Berufung eingelegt, dieses Rechtsmittel aber mit einem am 4. 5. beim Landgericht und am 11. 5. beim OLG eingegangenen Schriftsatz zurückgenommen. Mit der Begründung, die 1. Berufung sei irrtümlich an das Landgericht gerichtet gewesen, hatte sie am 5. 5. beim OLG eine weitere Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Diesen die 2. Berufung betreffenden Antrag auf Wiedereinsetzung hat sie nach Kenntnisnahme der Zulässigkeit der Berufungseinlegung (§ 13 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen) in der Erwägung, daß die Rücknahmeerklärung nur „gegenüber" dem Landgericht abzugeben, deshalb wirkungslos und noch anhängig geblieben sei, zurückgenommen.
Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil das zuerst eingelegte Rechtsmittel wirksam zurückgenommen und das zweite Rechtsmittel verspätet eingelegt worden sei. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten war erfolgreich.

Aus den Gründen:
„...
Die Rücknahme einer in Binnenschiffahrtssachen beim Landgericht eingelegten Berufung wird erst mit dem Eingang der Rücknahmeerklärung beim Oberlandesgericht wirksam.

... war es nicht nötig, dem Rechtsmittelführer zu ermöglichen, eine beim Landgericht wirksam eingelegte Berufung auch bei diesem wieder zurückzunehmen.
Deshalb kann er entsprechend der weiteren Regelung des § 13 BinnSchVerfG, wonach das Landgericht die Sache von Amts wegen an das Oberlandesgericht abzugeben hat, die Rücknahme wirksam nur diesem gegenüber erklären. Demgemäß ist auch für ähnliche Fälle in anderen Gerichtsbarkeiten anerkannt, daß die Rücknahmeerklärung erst mit dem Eingang bei dem zur Entscheidung berufenen Gericht wirksam wird (vgl. für die Einreichung fristwahrender Klagen und deren Rücknahme in der Finanzgerichtsbarkeit § 47 Abs. 2 FGO und BFH BStBI. 1971 II, 204; für die Einlegung der Revision und deren Rücknahme in der Finanzgerichtsbarkeit § 120 FGO und Ziemer/Haarmann, Einspruch, Beschwerde und Klage in Steuersachen, 1971, Bd. II, TZ 4721 S. 536; für die Einlegung und Rücknahme von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit §§ 124 Abs. 2, 139 Abs. 1 VWGO und Eyermann/ Fröhler, VWGO, 6. Aufl., § 124 Anm. 23 und 33, § 126 Anm. 5, § 139 Anm. 2 und 25).
Der Annahme des Berufungsgerichts, die Rücknahmeerklärung sei auch im vorliegenden Falle mit dem Eingang bei ihm am 11. Mai 1976 wirksam geworden, steht allerdings nicht, wie die Beklagten meinen, entgegen, daß sie an das Landgericht adressiert gewesen war; denn die Beklagte wollte nach dem Inhalt ihrer Erklärung diese nicht gegenüber einem bestimmten Gericht, sondern in bezug auf ein bestimmtes Rechtsmittel abgeben, so daß die falsche Adressierung mit dem Eingang der Akten beim Oberlandesgericht unerheblich geworden sein würde. Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, sie sei mit der Rücknahme ihrer ersten Berufung nur einer Anregung des Vorsitzenden der Zivilkammer des Landgerichts gefolgt, weshalb ihr gestattet sein müsse, ihre Erklärung zu widerrufen; denn an dem Grundsatz der Unwiderruflichkeit einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung (vgl. Wieczorek, ZPO, 1957, § 515 Anm. B II und Baumbach/Lauterbach, ZPO 34. Aufl. § 515 Anm. 3A und Gr. vor § 128 Anm. 5E) ist festzuhalten.
Eine vollständige Beurteilung der Rücknahmeerklärung kann aber nicht daran vorbeigehen, daß zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Eingangs beim Oberlandesgericht die wiederholte Berufung und der Wiedereinsetzungsantrag dort bereits vorlagen. Aus der Tatsache der beiden Berufungen sowie aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages ergab sich mit aller Deutlichkeit, daß die Beklagte, ohne zwischenzeitlich ihren Willen geändert zu haben, das Urteil des Schiffahrtsgerichts auf jeden Fall anfechten wollte und ihr Prozeßbevollmächtigter lediglich aus Irrtum über die Wirksamkeit der ersten Berufung weitere Maßnahmen zu ihrer Durchführung ergriffen hat, die ganz unnötig waren und ins Gegenteil umschlugen. Bei einer solchen Sachlage ist zu berücksichtigen, daß auch im Prozeßrecht der Grundsatz von Treu und Glauben zur Geltung kommen kann (BGHZ 31, 77, 83); so wird beispielsweise die Berufung auf einen erkannt irrigen prozessualen Verzicht (§ 306 ZPO) oder ein erkannt irrtümlich erklärtes Anerkenntnis (§ 307 ZPO) der Gegenpartei als Verstoß gegen Treu und Glauben und deshalb als rechtsmißbräuchlich angesehen (Baumbach/ Lauterbach a.a.O., Einf. zu §§ 306 ff. Anm. 2 B). Der vorliegende Fall ist in gewisser Weise ähnlich. Auch hier erschiene es mit Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn sich die Klägerin auf die Rücknahmeerklärung berufen könnte, obgleich der Widerspruch dieser Erklärung zu dem wirklichen Willen der Beklagten und der Irrtum ihres Prozeßbevollmächtigten, auf dem diese Erklärung beruhte, für sie und das Oberlandesgericht ganz offensichtlich waren. Die Rücknahmeerklärung ist daher aus diesen besonderen Gründen des vorliegenden Einzelfalls als unwirksam zu behandeln, so daß die beim Landgericht eingelegte Berufung ihre Wirksamkeit behalten hat.
...“