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Leitsätze:
1) Die Bundesrepublik Deutschland haftet für Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich einer Schleusenanlage für das Verschulden des Schleusenpersonales nicht nach Amtshaftungsgrundsätzen, sondern nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Träger der Verkehrssicherungspflicht dieser im Rahmen der öffentlichen Verwaltung hoheitsrechtlich genügen will und dies durch einen ausdrücklichen Organisationsakt gegenüber der Allgemeinheit kundmacht. Die Freigabe der Einfahrt in eine Schleusenkammer durch Lichtzeichen grün gemäß § 628 a Nr. 3 b BinSchStrO ist keine hoheitliche Maßnahme.
2) Der Verkehrssicherungspflichtige haftet dafür, dass sich die Anlage in einem verkehrssicheren Zustand befindet, und er haftet für Schäden, die einem Benutzer der Anlage aus deren ordnungswidriger Beschaffenheit entstehen, wenn er es aus Mangel an der von ihm im Verkehr zu beachtenden Sorgfalt versäumt hat, die Gefahrenquelle zu beheben, für die Zeit bis zu ihrer Beseitigung den Verkehr warnend auf die Gefahrenquelle hinzuweisen und gegebenenfalls den Gefahrenbereich zu sperren.
3) Mindestens bei Unregelmäßigkeiten oder Auffälligkeiten während des Schleusenvorganges ist das Schleusenpersonal verpflichtet, den gesamten Schleusungsvorgang zu beobachten und erforderlichenfalls sofort pflichtgemäß den Notstoppschalter zu betätigen, falls Gefahr für ein zu schleusendes Schiff bemerkbar wird.
4) Schadenersatz für Nutzungsverlust wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung kann für das Schiff abstrakt in Höhe des nach dem amtlichen Lebenshaltungskostenindex indizierten gesetzlichen Liegegeldsatz gemäß § 32 BinSchG a.F. gefordert werden. Die Dauer der erforderlichen Reparaturzeit kann das Gericht im Rahmen des § 287 ZPO schätzen.
Beschluss des Schiffahrtsobergerichts Karlsruhe
Az.: 22 U 3/13 BSch
vom 31. Juli 2013
(Schiffahrtsgericht Mannheim, Az.: 30 C 21/12 BSch)
Beschluss
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Mannheim – Schifffahrtsgericht – vom 30.01.2013 – Aktenzeichen: 30 C 2/12 BSch – durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Gründe: Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung der Beklagten offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat sowie weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern noch eine mündliche Verhandlung geboten ist (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Berufung zeigt keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Zu Recht ist das Schifffahrtsgericht Mannheim auf der Grundlage der fehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagte zu 2 seine Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt hat und dies der Beklagten zu 1 zuzurechnen ist. Auch der Senat ist nach eigener Prüfung davon überzeugt, dass der Beklagte zu 2 aufgrund der Auffälligkeiten während des Schleusungsvorgangs verpflichtet gewesen wäre, die Ausschleusung des GMS »Wolfgang Krieger« bis zum vollständigen Verlassen des Schleusenbereichs zu beobachten, um auf weitere Auffälligkeiten sofort reagieren zu können. Die Beklagten haben nicht in Abrede gestellt, dass es unmittelbar im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Schleusungsvorgang und vor dem fraglichen Unfall bei der Schleusung des GMS »Wolfgang Krieger« zu drei Auffälligkeiten gekommen ist: Zunächst öffneten sich die vier Schütze des Unterhaupts nicht, so dass sich der Beklagte zu 2 veranlasst sah, das geschlossene Obertor manuell wieder zu öffnen und die automatische Schleusung erneut zu starten. Dann geschah der Pegelausgleich verzögert und zwar so auffallend, dass sich der Schiffsführer aufgrund der langen Wartezeit nach den Ursachen für die Verzögerung erkundigte. Zu dem öffnete sich nach dem erfolgten Pegelausgleich das Untertor nicht, weshalb der Beklagte zu 2 auch hier die manuelle Öffnung vornahm. Die Beklagten greifen das Urteil des Schifffahrtsgerichts mit dem Vortrag an, die aufgezeigten Auffälligkeiten hätten den Beklagten zu 2 nicht zu einer besonderen Achtsamkeit verpflichtet, weil ein Zusammenhang dieser Auffälligkeiten mit dem letztlich schadensursächlich gewordenen Steuerungsfehler des Untertors nicht bestanden habe und der Beklagte zu 2 die potentielle Gefahr deshalb nicht vorhersehen konnte. Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Unstreitig ist es den Beklagten bis heute nicht gelungen, die Ursache der streitgegenständlichen Fehlfunktion des Untertors zu ermitteln. Da die Beklagten zudem die relevanten technischen Aufzeichnungen des fraglichen Schleusungsvorgangs vernichtet haben, ist deshalb zwar nicht festzustellen, aber eben auch nicht auszuschließen, dass die vorgenannten Auffälligkeiten auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen waren. Dass dies nach Ansicht der Beklagten technisch nicht möglich ist, spielt insoweit keine Rolle, da sie auch die streitgegenständliche Fehlfunktion des Untertors technisch nicht erklären können und einer »Geisterhand« zugewiesen haben. Hinzu kommt, dass alle Auffälligkeiten tatsächlich im technischen Wirkbereich des Unterhaupts lagen, da sich die Schütze des Unterhaupts zunächst nicht öffneten und auch der Pegelausgleich zu Tal hin nur verlangsamt vonstattenging, was erneut auf einen technischen Defekt im Bereich der Wasserdurchflussregelung des Unterhaupts hinweisen konnte. Nachdem sich dann auch das Untertor nach dem Pegelausgleich zunächst nicht öffnete, durfte der Beklagte zu 2 nicht darauf vertrauen, dass das Unterhaupt und das darin befindliche Untertor keine weiteren Schwierigkeiten machen würden und hätte deshalb die Ausschleusung des GMS »Wolfgang Krieger« bis zum vollständigen Verlassen des Schleusenbereichs handlungsbereit beobachten müssen.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2014 - Nr.10 (Sammlung Seite 2317); ZfB 2014, 2317