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Leitsätze:
1) Rattenbefall ist ein Haftungsausschlussgrund nach § 427 I Ziffer 4 HGB - Rattenbleche sind in der Binnenschifffahrt unüblich.
2) Roggen ist typischerweise gefährdet durch Rattenbefall. Eine Haftung des Frachtführers nach § 425 HGB besteht auch dann nicht, wenn er den Roggen rattenfrei übernommen hat; dies gilt gleichermaßen für § 427 I Nr. 4 HGB wie für Artikel 17 IV lit. d CMR.
3) Der Frachtführer ist weder verpflichtet, den Laderaum hermetisch dicht abzuschließen, noch Rattenbleche zu benutzen.
Beschluss des Oberlandesgerichtes Oldenburg
vom 23 Juli 2008
9 U 36/08 (Landgericht Osnabrück, Aktenzeichen 14 0 267/07), rechtskräftig.
Aus dem Tatbestand (Urteil erster Instanz):
Die Parteien streiten um Schadensersatz nach Rattenbefall. Die Firma R beauftragte die Beklagte mit der Beförderung einer Ladung Roggen von Fürstenwalde nach Wanssum per Binnenschiff. Die Beklagte schaltete die M die Streithelferin ein, die sich ihrerseits der P bei der Durchführung des Auftrages bediente. Der Laderaum des Binnenschiffes MS »A« wurde vor Übernahme der Ladung untersucht und war rattenfrei. Der Transport wurde vom 22.03. bis 03.04.2006 durchgeführt. Bei der Ankunft in Wanssum (Niederlande) wurden Rattenspuren festgestellt. Der Empfänger verweigerte die Annahme des Roggens. Von den Sachverständigen B und T wurde daraufhin ein Bericht vom 01.06.2006 eingeholt... Die Klägerin macht als Transportversicherer der Firma R Schadensersatz geltend und verweist auf ihre Zahlungsanweisung vom 07.06.2006 in Höhe von 17.022,90 E, Die Klägerin behauptet, die Ratten seien nicht bei der Beladung des Schiffes an Bord gebracht worden, sondern während des Transports infolge von Mängeln des Schiffes an den Roggen gelangt. Eine Luke sei defekt und nicht vollständig zu schließen gewesen, wie die Sachverständigen erläutert und mit Fotos belegt hätten. Der Beklagten und ihren Subunternehmern sei qualifiziertes Verschulden anzulasten....Die Beklagte ist der Ansicht, lediglich einen Speditionsauftrag erhalten zu haben. Das Geschehen bestreitet sie in vollem Umfange. Falls tatsächlich Ratten an Bord gekommen seien, sei das bereits beim Laden geschehen. Ein Rattenbefall unterwegs sei äußerst unwahrscheinlich. Ein Stau auf dem Kanal, wie er im Gutachten erwähnt werde, sei unvorhersehbar. Im übrigen verweist sie darauf, dass Rattenbefall eine typische Gefahr für Transporte dieser Art darstelle, so dass keine Haftung eingreife. Die Streifhelferin behauptet, der Roggen selbst müsse bereits mit Ratten kontaminiert gewesen sein. Sie verweist darauf, dass lediglich Spuren der Tiere, aber keine Ratten selbst gefunden worden seien. Ein »Loch‹‹ an den Schiffsluken wird bestritten, zumindest sei es nicht ursächlich....
Entscheidungsgründe (Urteil erster Instanz):
Die Klage ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Dabei ist durchaus davon auszugehen, dass die Klägerin entsprechend dem von ihr vorgelegten Güterversicherungszertifikat Transportsversicherer der Firma R für den hier interessierenden Roggentransport war. Auch die Richtigkeit der von ihr behaupteten Zahlung in Höhe des Klagebetrages gem. Abrechnung vom 07.06.2006 dürfte nicht ernsthaft zu bezweifeln sein. Es fehlt jedoch an einer Schadensersatzverpflichtung der Beklagten. Der in einem Fahrtkonnossement vom 22.08.2006 erfasste Auftrag ist als Frachtvertrag zu werten. Die Beklagte haftet dann nach den §§ 425 ff HGB für Schäden, die
zwischen Übernahme und Ablieferung des Transportgutes eingetreten sind. Transportgut war eine Ladung Roggen. Bei Ankunft in den Niederlanden wurde die Annahme verweigert, weil Laufspuren und Kot von Ratten beobachtet wurden. Die Tatsache dieser Schädigung und das Ausmaß dieser Schädigung sind im Gutachtensbericht der Sachverständigen B. und T. erfasst worden. Wie und warum es zur Verursachung eines solchen Schadens kam, ließ sich nicht abschließend feststellen, bedarf aber auch keiner weiteren Aufklärung mehr. Eine Haftung der Beklagten kann nämlich in jedem Falle als ausgeschlossen angesehen werden. Das gilt schon dann, falls die Ratten bereits bei der Übernahme des Roggens mit an Bord gekommen sein sollten. Die allein unstreitige Tatsache, dass der Laderaum vor dem Beladen untersucht und als rattenfrei festgestellt wurde, widerlegt diese Möglichkeit nicht. Auch die zu unterstellende Tatsache, dass beim „Eingießen« des Roggens die Tiere nicht innerhalb dieser Masse »mitgeliefert« sein können, weil sie dabei sicherlich zu Tode gekommen wären, gibt keine abschließende Antwort. Da sich gerade in Häfen, in denen Roggen zur Verladung gelagert wird, Ratten in großer Anzahl aufhalten dürften, ist nicht auszuschließen, dass sie während des Verladevorgangs auf irgendeine Art und Weise an Bord gegangen sind. Ob dieses Geschehen dann dem Belader oder bereits dem Frachtführer anzulasten ist, mag dahingestellt bleiben. Die Beklagte haftet nämlich auch dann nicht, wenn von rattenfreier Übernahme und grundsätzlichem Haftungsbeginn ausgegangen werden müsste. Dann greift nämlich der besondere Haftungsausschluss des § 427 Abs. 1 Nr. 4 HGB ein. Danach ist die Haftung des Frachtführers ausgeschlossen, wenn die Beschädigung auf die Gefahr der natürlichen Beschaffenheit des Gutes zurückzuführen ist, die besonders leicht zu Schäden führt. Das Gesetz bezeichnet beispielhaft Bruch, Rost, inneren Verderb, Austrocknen, Auslaufen und normalen Schwund. Diese Aufzählung ist aber nicht abschließend. Das Einwirken von Ungeziefer oder Nagetieren ist den beispielhaft aufgezählten Fällen gleichzustellen (vgl. Baumbach/Hopt HGB, 33. Aufl., § 427 Rn. 2). So hat sich auch hier gerade die typische Beschaffenheit des zu befördernden Gutes ausgewirkt. Wo Roggen gelagert oder transportiert wird, befinden sich nahezu immer Ratten. Einer der Handelsrichter konnte das aus eigener Kenntnis bekräftigen. Seine Vorfahren waren in der Binnenschifffahrt Haren tätig und Verwandte haben noch immer enge Kontakte zur Binnenschifffahrt. Sie haben ihre Erfahrungen des sicheren Rattenvorkommens bei Lagerung und Transport von Roggen an den Handelsrichter weitergegeben. Das entspricht zugleich dem allgemeinen Kenntnis- und Erfahrungsstand. Gem. Absatz 2 der genannten Vorschrift gilt dann die Vermutung, dass der Schaden aus dieser Gefahr entstanden ist. Daran ändert sich im vorliegenden Fall nichts dadurch, dass im Bericht der Schadensaufnehmer die gewölbte Wellblech-Lukenabdeckung des Binnenschiffes teilweise nicht dicht schloss und einen Zugang für Ratten ermöglichte. Es erscheint unrealistisch, von derartigen großflächigen Wellblechabdeckungen einen so korrekten Verschluss zu erwarten, dass Ratten nicht durch verbleiverbleibende Ritzen und Löcher hindurchkommen könnten. Es ist nicht einmal bewiesen oder nur zu vermuten, dass die Ratten in diesem Falle tatsächlich durch diese nicht vollständig geschlossenen Abdeckungen gelangt sind. Der Innenraum eines Schiffes ist üblicherweise nicht hermetisch abgeschlossen. Nagetiere in der Größe von Ratten sind klein und äußerst geschickt und finden an ungeahnten Stellen Zugang. Schließlich vermag nicht einmal festgestellt zu werden, dass die Abdeckung geschlossen wurde und geschlossen werden musste, bevor Ratten in den Innenraum gelangen konnten. Dieses war schließlich schon im Ladehafen sowohl vor, bei, als auch nach der Verladung denkbar. Ob es dort oder ob es unterwegs bei einem evtl. Anlegen während eines Staus auf dem Kanal geschehen konnte, dass Ratten an Bord gelangten, kann dann weder geklärt werden, noch bedarf es einer Klärung. In jedem Falle hat sich die typische Gefahr ausgewirkt. Die Beklagte bzw. ihre Subunternehmer mussten gegen die typische Gefahr keine zusätzlichen Maßnahmen ergreifen. Zwar gibt es Rattenschutzbleche, die auf die Tampen gesetzt werden können, während das Schiff angelegt hat. Das Benutzen dieser Rattenbleche ist in der Binnenschifffahrt aber weder vorgeschrieben noch üblich. Es gilt nur für Hochseeschiffe, wie sowohl der informierte Handelsrichter bestätigt, als auch die auf Gutachten gestützte
Entscheidung des Schifffahrtsgerichts Duisburg vom 27.03.2006 in Binnenschifffahrt ZFB 2008, Seite 1996, ausgeführt hat. Tampen sind zudem nicht der einzige Weg und möglicherweise nicht der Hauptweg, auf dem Ratten in ein Schiff gelangen. Ein auch nur kurzfristiges Anlegen eines Steges beispielsweise ermöglicht ihnen einen ebenso guten oder leichteren Zugang. Eine ständige »Rattenwache« aber ist praktisch unmöglich. Die Haftung der Beklagten für die sich hier auswirkende spezielle Gefahr ist auch nicht ausnahmsweise deshalb begründet, weil Weisungen missachtet oder besondere Verpflichtungen im Frachtvertrag übernommen worden wären (Abs. 3 und Abs. 4 der genannten Vorschrift ). Derartiges nämlich ist weder vorgetragen worden, noch den Unterlagen zu entnehmen. Damit bleibt es dabei, dass eine Haftung für den speziellen Schaden dieses Falles nicht besteht....
Hinweisbeschluss zweiter Instanz:
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch nicht anfechtbaren einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen... II. Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten: Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Mit dem Landgericht hält der Senat den Haftungsausschluss des § 427 I Nr.4 HGB für einschlägig. § 427 I Nr.4 ist Art 18 IV lit d CMR (muss heißen: Art 17 IV lit.d - d. Red.) nachgebildet, der ausdrücklich den Befall mit Schädlingen als Haftungsausschlussgrund nennt. Der Gesetzgeber hat in § 427 I Nr.4 HGB zwar diesen Umstand nicht eigens benannt. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt (BT-Drucks. 13/ 8445 S.63 re Sp.), hat der Gesetzgeber indessen damit nicht etwa den Anwendungsbereich des § 427 HGB enger als Art 18 CMR fassen wollen, sondern lediglich eine eigenständige Nennung für verzichtbar gehalten, weil § 427 I Nr.4 als Regelbeispiel formuliert ist und durch die Generalklausel auch alle sonstigen Anwendungsfälle des Art 18 CMR erfasst. Infolgedessen ist in der deutschen Kommentarliteratur völlig unbestritten, dass der Befall mit Schädlingen oder Nagetieren unter § 427 I Nr.4 HGB fällt (Baumbach/ Hopt/Merkt, 33. Aufl., § 427 Rn. 2; Ebenroth/Boujong/Joost-Genn § 427 Rn.35 a.E.; Koller, Transportrecht, 6. Aufl., § 427 Rn.78). Soweit Ramming (TransportR 01, 53, 61) die Ansicht vertritt, es müsse danach differenziert werden, ob die Schädlinge bereits bei Transportbeginn im Transportgut waren oder erst während des Transportes auf das Gut eingewirkt haben, folgt der Senat dem nicht. Der gesetzgeberische Wille hat in der Regierungsbegründung eindeutig seinen Ausdruck gefunden. Es hat der Tatbestand des Art 18 CMR abgebildet werden sollen. Im Rahmen des Art 18 CMR ist eine solche Differenzierung bislang nicht diskutiert worden. Soweit die Klägerin meint, der Beklagten sei
es verwehrt, sich auf § 427 I Nr.4 HGB zu berufen, weil sie sich selbst nicht vertragsgerecht
verhalten habe, weil die Ladeluken teilweise nicht komplett geschlossen haben, folgt der Senat ebenfalls der Einschätzung des Landgerichts, dass nämlich dies nicht den Vorwurf der Treuwidrigkeit trägt. Eine solche Dichtigkeit, dass Ratten sich nicht durchzwängen könnten, kann - ohne zusätzliche Vereinbarung - grundsätzlich nicht erwartet werden (§§ 133, 157 BGB). (Mitgeteilt durch Rechtsanwalt Dr. Hubert Holland, Mannheim)
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2009 - Nr.8 (Sammlung Seite 2035 f.); ZfB 2009, 2035 f.