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Leitsatz:
Die Rheinbrücke im Zuge der Autobahn 42 (Emscherschnellweg) kann nunmehr gebaut werden. Mit Rücksicht auf die Sicherheit der Radarschifffahrt ist eine weitere Trassierung in südlicher Richtung bis in die Nähe der Baerler Brücke nicht vertretbar.
Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster
vom 13. Dezember 1985
Zum Tatbestand:
Die Kläger wenden sich gegen den Beschluss des Beklagten (Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen) vom 24.6.1980, mit dem dieser den Plan für den Neubau der Rheinbrücke im Zuge des sog. Horst-Emscher-Schnellweges (BAB 42) festgestellt hat. Dieser Streckenabschnitt fehlt noch, um mit den bereits rechtsrheinisch fertiggestellten und den linksrheinisch geplanten Streckenabschnitten eine durchgehende Verbindung zwischen der BAB 2/3 im Osten und der BAB 57 im Westen über den Rhein zu schaffen und auf diese Weise die beiden vorhandenen Rheinbrücken im Raum Duisburg wesentlich zu entlasten. Der Rhein, der am vorgesehenen Überbrückungspunkt eine Schleife beschreibt, soll im Scheitelpunkt des Bogens durch eine 42,70 m breite Brücke überspannt werden, die zur südlich gelegenen Haus-Knipp-(Eisenbahn)brücke einen Abstand von mindestens 200m (im Bereich des Fahrwassers) einhält und eine Parallellage zu dieser Brücke vermeidet. Die Kläger verlangen Aufhebung des Plans und führen zur Begründung insbesondere an, dass sie durch teilweise Inanspruchnahme einiger Quadratmeter eigener Grundstücke oder durch die Nähe der Trasse und den dadurch zu erwartenden Lärm in unzumutbarer Weise betroffen seien. Sie fordern eine weiter südlich gelegene Linienführung und eine bündige Anbindung an die Eisenbahnbrücke.
Der Beklagte lehnt das Vorbringen der Kläger und ihre Vorschläge ab. Besonders aus Gründen der Sicherheit der Radarschifffahrt scheide eine Verschiebung der Brücke in südlicher Richtung aus. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung wurde vom Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen, die Revision nicht zugelassen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Bei der materiellen Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses ist zu berücksichtigen, dass dieser als Akt planender Gestaltung nur einer beschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle daraufhin unterliegt, ob der Beklagte als Planfeststellungsbehörde die seiner Gestaltungsfreiheit gesetzten Grenzen überschritten hat. Planung ohne einen mehr oder weniger ausgedehnten Spielraum an Gestaltungsfreiheit wäre nämlich ein Widerspruch in sich. Die der Planung hiernach gesetzten Grenzen bestehen darin, dass 1. die straßenrechtliche Planung im Hinblick darauf, dass sie rechtsgestaltend in individuelle Rechtsdispositionen eingreift und ggf. Grundlage der zur Ausführung des Planes notwendig werdenden Enteignung ist, einer auch vor Artikel 14 des Grundgesetzes (GG) standhaltenden Rechtfertigung bedarf, 2. sich die Planung an den im Bundesfernstraßengesetz zum Ausdruck gekommenen straßenrechtlichen Planungsleitsätzen ausrichten muss und 3. all das, was die Planfeststellungsbehörde unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Voraussetzungen planerisch entscheidet, den Anforderungen des Abwägungsgebotes entsprechen muss. Die der Planung hiernach gesetzten Schranken hat der Beklagte im Verhältnis zu den Klägern eingehalten.
Im Sinne der ersten materiellen Planungsschranke ist ein (Straßenbau-)Vorhaben erforderlich, wenn es gemessen an den Zielen des jeweils zugrunde liegenden Fachplanungsgesetzes - hier des FStrG - „vernünftigerweise geboten" ist, d. h. wenn das konkrete Vorhaben den Zielsetzungen des Fachplanungsgesetzes mit hinreichender Plausibilität dient und die mit ihm legitimerweise verfolgten öffentlichen Interessen geeignet sind, etwa entgegenstehende Eigentumsrechte zu überwinden.
Vgl. BVerwGE 56,110 (119); Urteil vom 22. März 1985 - 4 C 15.83 - DVBI 1985, 900 (901).
Diese Voraussetzungen liegen vor. Der planfestgestellte Straßenausbau soll die Ost-West-Verkehrsverbindungen im Raum Duisburg verbessern und zusammen mit den bereits fertiggestellten rechtsrheinischen Streckenabschnitten und den geplanten linksrheinischen Streckenabschnitten eine durchgehende Verbindung zwischen der A 2/A 3 im Osten und der A 57 im Westen bilden. Dass für den Bau der zusätzlichen Ost-West-Verbindung ein Verkehrs-bedürfnis besteht, wird daran deutlich, dass die bestehenden Ost-West-Verbindungen im Raum Duisburg in Gestalt der beiden Rheinbrücken im Zuge der B 60 und der A 2, wie auch die Kläger nicht in Abrede stellen, stark belastet sind.
Für die planfestgestellte Lage der Rheinbrücke hat der Beklagte in erster Linie Belange der Rheinschifffahrt angeführt. Bei der Planung der neuen Kreuzung zwischen einer Bundesautobahn und der Bundeswasserstraße Rhein (siehe die Anlage zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 Bundeswasserstraßengesetz - WaStrG - vom 2. April 1968, BGBI II S. 173) hatte der Beklagte nicht nur die verkehrlichen Belange der Rheinschifffahrt zu berücksichtigen (vgl. § 18 b Abs. 1 FStrG, §§ 40 Abs. 1 Satz 2, 31 Abs. 1 Nr. 2 WaStrG, Artikel 30 der revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 - Mannheimer Akte - in der Neufassung des deutschen Wortlauts vom 11. März 1969, BGBI 1969 II S. 597), diese haben auch erhebliches Gewicht. Der Rhein gehört zu den wichtigsten internationalen (vgl. Artikel 1 Mannheimer Akte) Binnenwasserstraßen des Bundes. Der Rheinbogen bei Duisburg-Baerl ist - wie sich übereinstimmend aus den Stellungnahmen des Wasser- und Schifffahrtsamtes Wesel vom 1. April 1977, des Seezeichenversuchsfeldes Koblenz vom 17. Oktober 1977, des Bundesverbandes der deutschen Binnenschifffahrt vom 22. Dezember 1977, der Wasser- und Schifffahrtsdirektion West vom 29. Februar 1984 (GA BI 197) und dem Gutachten der Nautischtechnischen Kommission der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Rheinschifffahrt vom 12. Dezember 1984 (GA BI 244 ff) und 21. Juni 1985 (GA BI 286 ff) ergibt, eine für die Schifffahrt schwierige Passagestelle, weil der Rhein an dieser Stelle eine starke Krümmung aufweist (Radius von 1050 m auf einer Länge von ca. 2100 m), der Strompfeiler der vorhandenen Haus-Knipp-Eisenbahnbrücke im rechten Randbereich der 150 m breiten Fahrrinne liegt und die mittlere Strömungsgeschwindigkeit in der Fahrrinne bei Mittelwasser bei 5,4 km/h liegt. Auf der Prallhangseite (Bergfahrt) ist die Strömungsgeschwindigkeit entsprechend höher (bereits 7 km/h bei einem Pegelstand von 50 cm unter Mittelwasser). Die Lage der Eisenbahnbrücke in einer Flussschleife zwingt die Schiffe und Verbände in der Talfahrt wegen der auf dem Niederrhein praktizierten„ Geregelten Begegnung" (= Begegnung Backbord an Backbord), den Strompfeiler der Eisenbahnbrücke hart anzuhalten, um nicht nach Passieren dieses Zwangspunktes mit dem Heck den Fahrweg der bergwärts fahrenden Schiffe und Verbände anzuschneiden, die ihrerseits gegen die in den Hang drängende Strömung ihren Weg möglichst weg vom linksrheinischen Buhnenfeld suchen müssen. Als Folge dieser schwierigen Fahrwasserverhältnisse treten immer wieder Unfälle auf (siehe Schreiben der Wasserschutzpolizei vom 15. November 1984 Blatt 254). Deshalb ist - wie die Nautisch-technische Kommission in ihren Gutachten überzeugend ausgeführt hat - Voraussetzung für eine sichere Fahrt die klare Erkennbarkeit der jeweiligen Verkehrssituation. Bei unsichtigem Wetter bedient sich die Schifffahrt der Radarnavigation. Wie sich aus den’ überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen H. vom Seezeichenversuchsfeld (GA BI 215) ergibt, ruft die vorhandene 11 m breite Haus-Knipp-Brücke wegen ihrer beidseitigen Gitterkonstruktion auf dem Radarschirm ein Echobild von etwa 46 m (11 m + 35 m) hervor. Würde eine 2. Brücke (Breite der Autobahnbrücke 42,50 m) nördlich der vorhandenen Eisenbahnbrücke - parallel zu dieser und ohne seitlichen Zwischenabstand - errichtet (sog. Südvariante 1 = gelbe Linie), würde sich die Darstellungsbreite der Echobilder beider Brücken auf dem Radarschirm des Talfahrers auf ca. 60 m, auf dem des Bergfahrers auf ca. 95 m vergrößern. Da - wie sich aus den Gutachten der Nautischtechnischen Kommission ergibt - auf dem Rhein auch Güterschiffe von weniger als 40 m Länge verkehren und diese - wenn sie schwach motorisiert sind - gegen den Strom (Bergfahrt) teilweise nur Schrittgeschwindigkeit erzielen, sind sie für den Talfahrer, wenn sie sich im Bereich der Brückendurchfahrt befinden, entweder gar nicht auszumachen, soweit sie durch den Radarschatten der Brücke g a n z verdeckt werden, oder hinsichtlich ihrer Fahrbewegung (Kurs und Lage) nicht sicher auszumachen, soweit sie teilweise durch den Radarschatten der Brücken verdeckt werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Talfahrer den Bergfahrer wegen der Stromkrümmung ohnehin erst auf eine Entfernung von ca. 1300 bis 1400 m ausmachen kann, talfahrende Schubverbände durchaus eine Geschwindigkeit von 18 km/h entwickeln können und dann in beladenem Zustand einen Stoppweg von ca. 500 m benötigen. Bei einer Verbreiterung des durch die Brücken verursachten Echobildes auf dem Radarschirm des Talfahrers von 46 m auf 60 m (bzw. von 46 m auf 95 m beim Bergfahrer) vergrößert sich die Gefahr, dass kleine Schiffe, die im Brückenbereich havarieren und liegenbleiben, auf dem Radarschirm nicht mehr ausgemacht werden können, weil sie durch den Radarschatten der Brücke vollständig verdeckt werden, und verlängert sich der Zeitraum, in dem die Fahrbewegung kleinerer Schiffe nicht sicher auszumachen ist. Da die Passage der Haus-Knipp-Brücke für die Schifffahrt bereits jetzt schwierig und unfallträchtig ist, kann es nicht als Fehlgewichtigung angesehen werden, dass der Beklagte in Übereinstimmung mit den Stellungnahmen der Schifffahrtsverwaltung und des Bundesverbandes der deutschen Binnenschifffahrt die mit der Parallellage der beiden Brücken verbundene Gefahrerhöhung für die internationale Rheinschifffahrt als nicht hinnehmbar angesehen und unter Zurückstellung der Belange der Kläger eine Parallellage der Brücke ohne seitlichen Zwischenabstand abgelehnt hat.
Auch die Entscheidung des Beklagten, im Interesse der Sicherheit der Rheinschifffahrt jede Parallellage der beiden Brücken zu vermeiden und auch eine Verschwenkung der Brücke um 10 Grad zu den östlichen Pylon (sog. Südvariante 2 = orange Linie) abzulehnen, ist nicht zu beanstanden. Wie sich aus der Stellungnahme des Wasser- und Schifffahrtsamtes Wesel vom 1. April 1977 sowie den Stellungnahmen des Seezeichenversuchsfeldes vom 10. Februar 1977 und 17. Oktober 1977 und den Erläuterungen des Sachverständigen H. ergibt, ist bei Brücken, die eine Wasserstraße im Abstand von bis zu 400 m überqueren, das Erscheinen von sog. Geisterbrücken auf dem Radarschirm der Schiffe möglich, weil der Radarschall zwischen den Brücken mehrfach reflektiert werden kann. Die Gefahr der Mehrfachreflektion ist bei Parallellage der Brücken größer als bei Schräglage der Brückenachsen. Mit der Verringerung des Brückenabstandes nehmen die Radarstörungen überproportional zu, so dass die Gefahr besteht, dass auf dem Radarschirm mehrere Brückenschatten erscheinen und die Abstände zwischen diesen Schatten so gering werden, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht sicher und rechtzeitig entdeckt werden können. Nach der Sachverständigeneinschätzung des Seezeichenversuchsfeldes ist sowohl die Schräglage der Brückenachsen als auch die Einhaltung eines Mindestabstandes von 200 m zwischen den Brücken erforderlich, um sicher sein zu können, dass eventuell auftretende Radarstörungen, die letztlich erst nach Errichtung der Brücke festgestellt werden können, die Radarschifffahrt nicht ernsthaft behindern, weil sie entweder geringfügiger Natur sind oder die Abstände der Radarschatten auf den Radarbildern so weit sind, dass andere Verkehrsteilnehmer noch sicher und rechtzeitig entdeckt werden können. Es kann nicht als Fehlgewichtung angesehen werden, dass der Beklagte, um die von der neuen Brücke eventuell ausgehenden Radarstörungen zu minimalisieren und die Sicherheit der Radarschifffahrt auf diesem Streckenabschnitt des Rheins nicht zu beeinträchtigen, die radartechnische Sicherheitseinschätzung des Seezeichenversuchsfeh des übernommen und die von den Klägern vorgeschlagene Verschwenkung der Brücke um den rechtsrheinischen Pylon nach Süden (Südvariante 2 = orange Linie) abgelehnt hat, weil - wie sich aus den vorgelegten Plänen (Beiakten 9 und 10) ergibt - bei einer solchen Lage der Brücke der erforderliche Mindestabstand zwischen den Brücken von 200m im Bereich des Fahrwassers nicht eingehalten würden.
Ausgehend von der durch die Belange der Sicherheit der Rheinschifffahrt und des Anschlusses an das rechtsrheinische Streckennetz bedingten Lage der Rheinbrücke hat der Beklagte weitere südliche Trassenvarianten untersucht und dabei auch deren Auswirkungen auf den Anschlussplanfeststellungsabschnitt in seine Überlegungen einbezogen. Zutreffend hat der Beklagte insoweit darauf hingewiesen, dass bei den südlichen Trassenvarianten in stärkerer Weise als bei der planfestgestellten Linienführung in die vorhandene Bausubstanz (südliche Wohnbebauung von Lohmannsheide) eingegriffen werden müsste. Die südlichen Varianten würden zudem einen zusätzlichen Einschnitt in die freie Landschaft im Bereich des Baerler Busches hervorrufen, ein Baggersee müsste nämlich überquert und ein zusammenhängendes Waldgebiet durchschnitten werden.
Auch das Ergebnis der Gesamtabwägung - Festhalten am Ausbauplan - ist nicht zu beanstanden. Angesichts der Bedeutung, die das Projekt der A 42 nicht nur für den Regionalverkehr im Raum Duisburg, sondern auch für den überregionalen Verkehr (Verbindung von der A 2/A 3 zur A 57) hat, liegt keine Fehlgewichtung vor, wenn sich der Beklagte entschlossen hat, unter Inanspruchnahme privaten Grundbesitzes einschließlich des der Kläger des Ausbau der A 42 in dem planfestgestellten Streckenabschnitt zu betreiben. Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind."