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Leitsatz:
Aus dem bei einer Havarie zwischen den Beteiligten vorprozessual bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung ergibt sich gemäß § 242 BGB eine Auskunftspflicht, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Zudem ist es allgemein schifffahrtsüblich, dass zwischen den Interessenten von Schiffen, die an einer Kollision beteiligt waren, die entsprechenden Auskünfte über den Ausrüster und die Beteiligten der Schiffsbesatzung ausgetauscht werden.
Urteil des Amtsgerichts (Rheinschifffahrtsgerichts) Mainz
vom 10.3.2000
- 76 C 6/98 B Sch -
(rechtskräftig)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des TMS „Vierwaldstättersee". Sie klagt aus abgetretenem Recht. Die Beklagte Ziff. 1) ist Ausrüsterin des TMS „Berta Beckmann".
Am 12.1.1998 gegen 7.30 Uhr fuhren beide Schiffe etwa bei Rheinkilometer 460 zu Berg. Er herrschte schlechte Sicht. Beide Fahrzeuge wurden unter Radar geführt. TMS „Berta Beckmann" führte einen Überholvorgang zum Überholen von TMS „Vierwaldstättersee" durch. Es kam dabei zu einer Annäherung beider Fahrzeuge, so dass TMS „Berta Beckmann" mit seinem Steuerbord-Achterschiff gegen die Backbordseite von TMS „Vierwaldstättersee" ankam. Die an TMS „Vierwaldstättersee" entstandenen Schäden sind Gegenstand der Klage.
Die Klägerin hat ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, wer am 12.1.1998 Schiffseigner im Sinne der §§ 1 und 2 Abs. 1 BinSchG und wer zu diesem Zeitpunkt verantwortlicher Schiffsführer des TMS „Berta Beckmann" war und wer heute Schiffseigner ist(Ziff. 1 a), erforderlichenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben an Eides Statt zu versichern (Ziff. 1 b). Zu den Anträgen Ziff. 1 a) und 1 b) sah sich die Klägerin deshalb veranlasst, weil die Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der vorprozesslichen Korrespondenz mitgeteilt hatten, dass eine Leasing-Gesellschaft Schiffseigner des TMS „Berta Beckmann" sei und dieser der Name und die Anschrift des Schiffsführers nicht bekannt seien. Nach Erhebung der Klage gegen die Beklagte Ziff. 1) erklärte diese mit Klageerwiderungsschriftsatz vom 27.1.1999, dass die Beklagte Ausrüster des TMS „Berta Beckmann" sei. Ferner wurde als Zeuge der Schiffsführer B als Führer des TMS „Berta Beckmann" benannt, der Beklagte Ziff. 2). Daraufhin erweiterte die Klägerin die Klage gegen den Beklagten Ziff. 2).
Die Klägerin trägt vor: Noch unterhalb der „12 Apostel" sei seitens TMS „Berta Beckmann" über Kanal 10 ein Überholmanöver angekündigt und von TMS „Vierwaldstättersee" bestätigt worden. Absprachegemäß habe TMS „Vierwaldstättersee" die Maschinenkraft gedrosselt und habe zu diesem Zeitpunkt auf der Höhe von Rheinkilometer 459,4 in Kiellinie der vorausliegenden grünen Boje gelegen. TMS „Berta Beckmann" habe backbordseitig in sehr geringem seitlichen Abstand überholt, sei dabei plötzlich verfallen und unerwartet mit dem Kopf nach Steuerbord geraten. Es habe daraufhin mit Backbordruder reagiert, wobei das Achterschiff des TMS „Berta Beckmann" steuerbordseitig auf der Höhe des Tank 3 mit der Backbordseite von TMS „Vierwaldstättersee" kollidiert sei.
Die Außenhaut des TMS „Vierwaldstättersee"„ sei im Bereich von Ladetank 3 auf Backbordseite großflächig eingebeult bzw. hochgedrückt worden. Die Decksunterzüge seien verbogen. Dadurch seien die eingeklagten Schäden entstanden. Die Beklagten seien verpflichtet, für die Schäden aufzukommen, da die Kollision auf ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten Ziff. 2) zurückzuführen sei.
Die Beklagten tragen vor: TMS „Berta Beckmann" sei infolge der durch zu hohe Abladung stark verlangsamten Fahrt des TMS „Vierwaldstättersee" noch etwa 4,5 km hinter diesem Schiff hergefahren, bis endlich der Überholvorgang begonnen werden konnte. Nach Durchfahren des Gernsheimer Grundes habe Schiffsführer B auf Höhe der ehemaligen Straßenbrücke Gernsheim angefragt, ob er jetzt überholen könne. Schiffsführer D habe geantwortet: „Du bist 400 m hintendran, komm ran."
Schiffsführer B habe sogleich mehr Fahrt aufgenommen, um das Backbord-Überholmanöver zügig durchführen zu können. Kaum sei indes das Überholmanöver von TMS „Berta Beckmann" eingeleitet worden, sei auch TMS „Vierwaldstättersee" wieder schneller geworden, so dass es 600 - 700 m dauerte, bis sich TMS „Berta Beckmann" bei einem ausreichenden Seitenabstand von 2 - 3 Schiffsbreiten auf gleicher Höhe mit TMS „Vierwaldstättersee" befand. Obwohl TMS „Vierwaldstättersee" das Überholmanöver des TMS „Berta Beckmann" nicht unterstützte, vergrößerte sich der Höhenabstand zwischen beiden Schiffen, als TMS „Vierwaldstättersee" etwa bei Rheinkilometer 459,5 (die „12 Apostel") abgestoppt wurde und unmittelbar danach hart backbord in Richtung des steuerbordseitigen Achterschiffes von TMS „Berta Beckmann" auslief. Trotz eines sofortigen Ausweichmanövers von TMS „Berta Beckmann" sei TMS „Vierwaldstättersee"„ mit seinem backbordseitigen Seitengang mit dem Steuerbord-Achterschiff von TMS „Berta Beckmann" kollidiert, wodurch bei TMS „Vierwaldstättersee"„ Schaden entstanden. TMS „Berta Beckmann" sei unbeschädigt geblieben.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Es ist bezüglich der ursprünglichen Klageanträge Ziff. 1 a) und 1 b) Erledigung eingetreten. Im übrigen ist die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt.
Zwischen der Klägerin und der Beklagten Ziff. 1) bestand vorprozessual ein gesetzliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung. Nach allgemeiner Ansicht besteht bei einem solchen Rechtsverhältnis gemäß § 242 BGB eine Auskunftspflicht, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Es ist zudem allgemein schifffahrtsüblich, dass zwischen den Interessenten von Schiffen, die an einer Kollision beteiligt waren, die entsprechenden Auskünfte über den Ausrüster und die Beteiligten der Schiffsbesatzung ausgetauscht werden.
Im vorliegenden Fall war TMS „Berta Beckmann", das bei der Kollision nicht beschädigt worden war, ohne anzuhalten weiter bergwärts gefahren. Über Funk war vereinbart worden, dass die entsprechenden Angelegenheiten später bei der Wasserschutzpolizei geklärt werden sollten. Die Klägerin war damit über die genaue Ausrüstereigenschaft und den Schiffsführer des TMS „Berta Beckmann" in entschuldbarer Weise im Unklaren und hatte den Anspruch gegen die Beklagte Ziff 1), diesbezüglich Auskunft zu verlangen. Durch die Erklärung der Beklagten, dass die Beklagte Ziff. 1) Ausrüsterin sei und die Benennung des Schiffsführers B als Zeugen und verantwortlichen Schiffsführers des TMS „Berta Beckmann" waren die Auskunftsbedürfnisse der Klägerin tatsächlich befriedigt worden. Es ist daher davon auszugehen, dass durch diese Erklärungen der Beklagten insoweit tatsächlich eine Erledigung der Hauptsache bezüglich der Klageanträge 1 a) und 1 b) stattgefunden hat. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass die Beklagten weiterhin standhaft behaupten, die Beklagte Ziff. 1) sei nicht Schiffseignerin. Sie ist Ausrüsterin des TMS „Berta Beckmann" und deshalb gemäß § 2 BinSchG Dritten gegenüber als Schiffseigner im Sinne des Gesetzes anzusehen. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt, da der Zusammenstoß zwischen den beiden Fahrzeugen schuldhaft durch den Beklagten zu 2) verursacht wurde.
Die Zeugen D und M haben glaubwürdig bekundet, dass sie mit ihrem Schiff TMS „Vierwaldstättersee" in Höhe der „12 Apostel" zu Berg fuhren, und zwar auf der linksrheinischen Seite des Fahrwassers. TMS „Berta Beckmann" sei zunächst in ausreichendem Abstand überholend an ihnen vorbeigefahren.... Als der Überholer schon zur Hälfte an ihrem Schiff vorbeigewesen sei, sahen die Zeugen plötzlich auf dem Radarbild, dass sich die Kurse beider Schiffe immer näher einander annäherten. TMS „Berta Beckmann" habe plötzlich eine Kursänderung nach Backbord gemacht und sei mit seinem Steuerbord-Achterschiff in Höhe des Raumes 3 gegen die Backbordseite des TMS „Vierwaldstättersee" gestoßen... Diese Aussagen der Zeugen erscheinen glaubwürdig und stimmen insoweit auch mit der kontradiktorischen Schadenstaxe überein, die von einem Schaden in der Außenhaut auf Backbordseite im Bereich von Ladetank 3 spricht. Demgegenüber sind die Angaben des Beklagten Ziff. 2) bezüglich des Unfallherganges nicht geeignet, ihn von seinem Verschulden zu entlasten. Der Beklagte Ziff. 2) hat in seiner Aussage zunächst in längeren Schilderungen versucht, das Verhalten des vorausfahrenden TMS „Vierwaldstättersee" vor Einleitung des eigentlichen Überholvorganges als in seinen Augen unverständlich und wohl auf eine zu hohe Abladetiefe zurückgehend, darzustellen. Seine Schilderung des eigentlichen Unfallhergangs lässt sich mit den übrigen Ergebnissen und den Erfahrungen jedes mit der Schifffahrt einigermaßen vertrauten nicht in Einklang bringen....
Der Unfall kann sich also auf die vom Beklagten Ziff. 2) berichtete Weise nicht zugetragen haben. Dieses Ergebnis ist so evident, dass es nicht der Hinzuziehung eines nautischen Sachverständigen bedurfte, das Gericht hat insoweit die eigene notwendige Sachkunde. Die Kollision wurde damit schuldhaft vom Beklagten Ziff. 2) verursacht, und die Beklagten haften deshalb gesamtschuldnerisch für die verursachten Schäden, wobei die Haftung der Beklagten Ziff. 1) lediglich dinglich mit TMS „Berta Beckmann" bzw. im Rahmen des § 114 BinSchG ist...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2001 - Nr.4 (Sammlung Seite 1824 f.); ZfB 2001, 1824 f.