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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 28. bzw. 29. September 1976 - C 15/75 RhSch -)
In Sachen
69 Z - 1/78
hat die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Strassburg nach öffentlicher Verhandlung in der Sitzung vom 8. Februar 1978, an welcher als Richter teilgenommen haben die Herren QUANJARD (Vorsitzender), BONET-MAURY, ROYER, SCHMITZ, STUCKELBERGER und in Anwesenheit des Gerichtskanzlers, Herrn DOERFLINGER, gestützt auf Artikel 37 und 45 bis der Revidierten Rheinschiffahrtsakte vom 17.10.1868, in der Fassung vom 20.11.1963, folgendes Urteil gefällt:
Es wird Bezug genommen auf:
1) das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes in Mannheim vom 28. bzw. 29.9.1976,
2) auf die Berufungsschrift der Klägerin vom 22.10.1976 und auf deren Berufungsbegründung vom 22.11.1976,
3) auf die Berufungserwiderung der Beklagten zu 1) und 2) vom 15.12.1976,
4) auf die Berufungserwiderung der Beklagten zu 3) und 4) vom 13.12.1976,
5) auf den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 17.12.1976,
6) auf die Akten C 15/75 RhSch des Rheinschiffahrtsgerichtes in Mannheim,
7) auf die Akten H 2/74 BSch II des Schiffahrtsgerichts in Mannheim,
8) auf die Strafakten Cs 1546/74 des Rheinschiffahrtsgerichtes in Mannheim.
Die unter den Ziffern 7) und 8) genannten Akten haben der Berufungskammer vorgelegen.
Tatbestand:
Das MS "TM" (87,5 m lang, 10,05 m breit, 1592 t gross und 1000 PS stark) der Beklagten zu 1), das der Beklagte zu 2) führte, hatte am 18.4.1974 bei Km 405 als Talfahrer auf dem Rhein Grundberührung und sass eine kurze Zeit lang fest. Währenddessen passierte das zu Berg fahrende MS "L" der Beklagten zu 3), das der Beklagte zu 4) führte. Dieses Schiff ist 85 m lang, 9,50 m breit, 1594 t gross und hat eine Maschine von 1200 PS. Kurz hinter dem MS "TM" fuhr das TMS "R" der Klägerin zu Tal. Es ist 80 lang, 8,23 m breit, 1146 t gross und 500 PS stark. Das Schiff fuhr auf das vorübergehend festsitzende MS "TM" auf und wurde dabei beschädigt. Die Klägerin hat behauptet, der entstandene Schaden betrage DM 69.919,30. Sie hat weiter vorgetragen, das MS "TM" habe sich festgefahren, weil es zu tief abgeladen gewesen sei. Das Ereignis sei aber auch dadurch beeinflusst worden, dass das MS "L" mit zu hoher Geschwindigkeit vorbeigefahren sei und "TM" das Wasser weggesaugt habe. Auf beiden Fehlern beruhe der Unfall ihres Schiffes, der von seiner Besatzung nicht habe verhindert werden können.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an nie DM 69.919,30 nebst 8 % Zinsen seit dem 1.8.1975 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) dinglich mit dem MS "TM", die Beklagte zu 3) dinglich mit dem MS "L", beide Beklagte aber auch persönlich im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes haften.
Die Beklagten haben den Antrag gestellt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben den Vortrag der Klägerin über die Unfallursache bestritten.
Der Unfall hat zu dem Verklarungsverfahren H 2/74 BSch II des Schiffahrtsgerichtes Mannheim und zu dem Strafverfahren Cs 1546/74 RhSch des Rheinschiffahrtsgerichtes Mannheim geführt. Letzteres richtete sich gegen den Beklagten zu 2) und endete mit dessen Freispruch. Das Rheinschiffahrtsgericht hat beide Akten beigezogen und sodann die Klage abgewiesen. Es hält weder für bewiesen, dass "TM" zu tief abgeladen, war, noch dass "L." in der kritischen Zeit zu schnell gefahren ist.
Die Klägerin hat Berufung eingelegt.
Vor der Berufungskaminer wiederholen die Parteien ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Darlegungen des Rheinschifffahrtsgerichtes Stellung.
Es beantragen:
Die Klägerin,
nach ihrem Antrag aus dem ersten Rechtszuge zu erkennen.
Die Beklagten zu 1) und 2),
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten zu 3) und 4),
die Berufung als unzulässig wegen nicht rechtzeitiger Begründung zu verwerfen, hilfsweise sie zurückzuweisen.
Die Klägerin hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung beantragt und diesen Antrag, begründet.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufungskammer hat in ihrem Zwischenurteil vom 12.10.19.77 die Berufung, als formell in Ordnung befunden.
II. In der Sache ist folgendes erwogen worden.
1) Die Klägerin, wirft den Beklagten zu 1) und 2) vor, dass ihr Schiff "TM" zu tief abgeladen gewesen sei. Diesen Vorwurf hält die Berufungskammer mit dem Rheinschiffahrtsgericht für unbegründet. Das Schiff hatte, als es sich festfuhr, einen gemittelten Tiefgang von 2, 10 m. Am tiefsten Punkt war es auf 2,17 m abgeladen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat, ohne Widerspruch zu finden, dargelegt, dass diese Beladung allen sogenannten Faustregeln Rechnung trägt, die am Oberrhein üblicherweise beachtet werden., Die Regel "Pegel Maxau - 1, 80 m" führte zu einer zulässigen Abladung auf 2,24 m, denn der entscheidende Pegel Maxau stand am Unfalltage bei 4,04 m (4,04 - 1,80 = 2,24). Die weiter beachtete Regel "Pegel Mannheim + 10 cm" machte eine Abladung auf 2,36 m zulässig, denn der Mannheimer Pegel stand am Unfalltag bei 2,26.m. Eine Abladung, die solchen Faustregeln entspricht, kann im Prinzip nicht beanstandet werden. Bei der Prüfung der Frage, wie tief ein beladenes Schiff liegen darf, sind die für die Fahrtstrecke gültigen Pegelstände die entscheidende Orientierung, denn sie zeigen die Wasserstände an einzelnen markanten Punkten an. Diese können jedoch angesichts der Beschaffenheit des Flussbettes im Bereich des massgeblichen Pegels nicht überall gegeben sein, so dass der Pegelstand allein die zulässige Abladetiefe nicht festlegen kann. Diese Lücke wird durch Erfahrungen der Schiffahrt darüber geschlossen, mit welcher Abladung bei bestimmten Pegelständen gefahrlos gefahren werden kann. Diese Erfahrungen sind die Grundlage der bereits erwähnten Faustregeln. Ihre allgemein übliche Befolgung ist deshalb nicht zu beanstanden. Sie schliesst es natürlich nicht aus, dass sich ein Schiff unter besonders ungünstigen Umständen festfährt, wie es im vorliegenden Falle geschehen ist. Hier musste das MS "TM" an einer seichten Flussstelle einem anderen Schiff begegnen, um unter der Einwirkung beider Faktoren vorübergehend festzusitzen. Solche Ausnahmesituationen dürfen aber bei der Bemessung der Abladetiefe ausser Betracht gelassen werden. Das ist schon deshalb geboten, weil ihre denkbaren Wirkungen im voraus nicht überschaubar sind. Würde man die Berücksichtigung von Ausnahmesituationen für notwendig halten, so müssten ihre denkbar extremsten, Wirkungen die Abladung eines Schiffes bestimmen. Diese müsste deshalb vielfach unwirtschaftlich niedrig sein. Das kann schon angesichts des geringen Ausmasses der mit der Nichtberücksichtigung von Ausnahmesituationen verbundenen Gefahr nicht verlangt werden. Hinzu kommt, dass Ausnahmesituationen auch auf andere. Weise begegnet werden kann, z.B. durch die Kurse der Schiffe oder ihre Geschwindigkeit, die beide der jeweiligen Lage angepasst werden können. Dass die Führung von "TM" in diesen Punkten etwas versäumt habe, kann die Klägerin nicht darlegen. Steht aber fest, dass die Beklagten zu 1) und 2) keine Schuld trifft, so können Beweise des ersten Anscheins oder Schuldvermutungen keine Rolle spielen, denn sie setzen tatsächlich Unklarheiten voraus, die im Vorliegenden Fall nicht bestehen. Die Argumentation der Klägerin mit solchen Denkmodellen geht also ins Leere. Das gleiche gilt von dem Argument der Klägerin, die Beklagten zu 1) und 2) könnten das Risiko einer zu tiefen Abladung ihres Schiffes nicht auf sie abwälzen. Zudem wird hier mit Grundsätzen argumentiert, die nur im Bereich einer Gefährdungshaftung Gültigkeit haben. Eine solche kennt das deutsche Binnenschiffahrtsrecht nicht. Abschliessend bemerkt die Berufungskammer, dass der Vorwurf der Klägerin über die zu tiefe Abladung des MS "TM" auch deshalb nicht überzeugt, weil ihr eigenes Schiff nicht unwesentlich tiefer abgeladen war. Es lag nämlich im Mittel 2,18 m tief gegenüber einer mittleren Tiefe von 2,10 m, auf die "TM" abgeladen war.
2) Den Beklagten zu 3) und 4) wirft die Klägerin vor, dass ihr MS "L" dem MS "TM" mit zu hoher Geschwindigkeit begegnet sei und deshalb eine unzulässig starke Sogwirkung ausgeübt habe. Das Rheinschiffahrtsgericht hat mit eingehender Begründung dargelegt, dass dieser Vorwurf durch die Zeugenaussagen nicht bewiesen worden sei. Gegen diese Ausführungen vermag die Berufungsbegründung nichts ins Gewicht fallendes vorzubringen. Die Berufungskammer verweist deshalb auf sie und übernimmt sie. Die Kritik der Klägerin an der erwähnten Feststellung des Rheinschifffahrtsgerichts beruht auf einer Argumentation mit der sog. Heckwalze des MS "L", d.h. mit der von seiner Schraube aufgewirbelten Wasserwelle. Die Frage, ob und in welchem Umfange hieraus Schlüsse auf die Geschwindigkeit des Schiffes, zu dem sie gehört, gezogen werden können, kann offen bleiben. Solche Schlüsse würden nämlich voraussetzen, dass im konkreten Falle die Höhe der sogenannten Heckwalze wenigstens annähernd festliegen würde. Daran fehlt es aber, wie schon das Rheinschiffahrtsgericht dargelegt hat. Mit Rücksicht auf diesen Mangel fehlt den Erörterungen in dem von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten die Überzeugungskraft. Der Mangel hindert die Berufungskammer daran, die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht zu ziehen. Beweiserleichterungen zugunsten der Klägerin greifen nicht ein.
3) Bei richtiger Sicht ist der vorliegende Unfall die Folge des zufälligen Zusammentreffens der folgenden Faktoren:
a) einer Untiefe im Rhein;
b) der nicht vorwerfbaren Abladung von "TM";
c) der Begegnung von "TM" und "L" in der Nähe der genannten Untiefe bzw. der mit ihr verbundenen Sogwirkung;
d) des kurzen Abstandes zwischen "T" und "R".
Gerade hierin sieht die Berufungskammer aus den folgenden Gründen die primäre Unfallursache. Die Führung von "R" kannte die vor ihrem Schiff vorliegende Untiefe. Aus den Bewegungen von "TM" und "L"' konnte sie ersehen, dass die Begegnung zwischen beiden Schiffen in der Nähe dieser Untiefe stattfinden werde. Trotzdem behielt sie einen Abstand zu "TM"" und einen Kurs bei, der eine Havariegefahr für den Fall heraufbeschwor, dass "TM"" auf der Untiefe festkommen würde. Es ist zu fragen, warum angesichts dieser Situation das Schiff der Klägerin nicht den Abstand zu "TM" vergrösserte und damit jede Gefahr einer eigenen Schädigung ausschloss. Jedenfalls liegt die Verantwortung für diese Unterlassung bei dem Schiff der Klägerin und nicht bei den Schiffen der Beklagten.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. bzw. 29.9.1976 verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim wird zurückgewiesen. Das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts wird bestätigt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung von Artikel.39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht in Mannheim.
Der Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:
(gez.)Doerflinger (gez.) Quanjard