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68 Z - 6/77 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 02.03.1977
File Reference: 68 Z - 6/77
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Ein im Wendemanöver befindliches Schiff hat die Bewegungen anderer Schiffe zu beachten, und zwar auch derjenigen Fahrzeuge, die sich vorschriftswidrig verhalten. Ein „blindes" Wendemanöver in einem verkehrsreichen Fahrwasser verdient wegen der besonderen Gefährdung strenge Mißbilligung und Ahndung.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 2. März 1977

68 Z - 6/77

(Rheinschiffahrtsgericht Arnheim)

Zum Tatbestand:

Das der Klägerin gehörende MTS E (Schiffsführer T) lag bei Rhein-km 858 und 859 (Lobith) am rechten Ufer zwischen der Kribbenlinie und dem MS V vor Anker, beide Kopf zu Berg. Zur Fortsetzung der Reise zu Tal fuhr MTS E bei guter Sicht unter Ankündigung der Wendeabsicht durch das Signal 1 mal lang, 1 mal kurz ein Stück vorwärts zu Berg und begann sodann oberhalb des Bugs von MS V das Wendemanöver. Das in der linksrheinischen Stromhälfte auf Bergfahrt befindliche, hinter dem Schubverband R fahrende und der Beklagten gehörende MTS A, das sodann zur rechten Stromhälfte überwechselte und in 10 m Seitenentfernung von MS V aufgestreckt zu Berg fuhr, stieß mit dem Vordersteven in die Steuerbordachterseite des quer im Strom liegenden MTS E. Hierdurch wurde E zu Tal gedrückt und stieß in der linken Stromhälfte nacheinander mit dem talfahrenden MS El und dem achteren Leichter des zu Berg fahrenden Schubverbandes zusammen. E, A, El und der Schubleichter wurden bei den Kollisionen beschädigt.

Die Klägerin verlangt für den Schaden an ihrem Schiff fast 111.000,- hfl und aus abgetretenem Recht ca. 13.600,- DM für den Schaden am Schubleichter mit der Begründung, daß A unter Verstoß gegen § 11.10 der Reedevorschriften ohne Grund den Übergang vom linken zum rechten Rheinufer in eine wegen der dort liegenden Talfahrt verbotene Hälfte des Fahrwassers gemacht habe und nicht rechtzeitig der E ausgewichen sei, gestoppt und/oder zurückgeschlagen habe.

Die Beklagte hat jede Schuld bestritten und vorgetragen, daß das Schiff der Klägerin nicht aus verdeckter Lage kommend plötzlich in Querlage vor A habe wenden dürfen, so daß eine Kollision unvermeidlich geworden sei. Sie verlangt widerklagend ihrerseits ca. 21.700,-DM.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat dem Grunde nach festgestellt, daß sich das Verschulden von A und von E an den 3 Kollisionen wie 2:3 verhält. Die Berufungskammer hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Auf Grund der Aussagen der Zeugen J., H. und L. nimmt die Berufungskammer als feststehend an, daß, als E ihr Steuerbordmanöver anfing, A schon den Obergang vom linken zum rechten Ufer gemacht hatte und in aufgestrecktem Kurs in geringem Abstand von V etwa quer neben diesem Fahrzeuge fuhr.
Die Entfernung zwischen E und dem Kopf von V im Zeitpunkt, als erstgenanntes Fahrzeug sein Steuerbordmanöver eingeleitet hatte, und sich schräg im Strom befand, war gering. Der Zeuge T selber erwähnte eine Entfernung von 50 bis 60 m, Zeuge Ta. (Steuermann von A) sagte aus, daß die Entfernung so gering war, daß E die Ankerkette von V genau freifahren konnte, und Zeuge H. sprach sogar von einer Entfernung von 10 bis 15 m. In Anbetracht dieser geringen Entfernung, des Umstandes, daß E nach Beginn ihres Manövers vom Ström talabwärts gedrückt wurde, und der Tatsache, daß A im betreffenden Zeitpunkt schon etwa in der Höhe von V fuhr, ist die Berufungskammer der Ansicht, daß A durch das Steuerbordmanöver von E gezwungen worden ist, ihren Kurs und/oder ihre Geschwindigkeit plötzlich und in starkem Maße zu ändern. Wie sich aus der eigenen Aussage des Schiffsführers T ergibt, hatte dieser am Anfang des Manövers A noch nicht gesehen und war sich deswegen in dem Augenblick nicht dessen bewußt, daß sich dieses Fahrzeug alsdann in gestrecktem Kurs fahrend E schon dicht genähert hatte. Demnach ist Schiffsführer T zu Beginn des Manövers tatsächlich unachtsam zu Werke gegangen und hat somit die Vorschrift des § 6.13 Absatz 1 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnun9 übertreten.

Daran ändert die Tatsache nichts, daß von E bis zu zweimal das in § 6.13 Absatz 2 vorgesehene akustische Signal (einmal lang, einmal kurz) abgegeben worden ist. Erstens verschafft das rechtzeitige Geben solch eines Signals dem Schiffsführer keinen Freibrief, ungeachtet des übrigen Schiffahrtsverkehrs, zu wenden; die Vorschrift des § 6.13, Absatz 1 wird dadurch nicht aufgehoben. Überdies sind die beiden Signale nicht rechtzeitig gegeben worden.
Wie sich aus den Aussagen des Zeugen T und J. ergibt, ist das zweite Signal zu spät gegeben worden, nämlich nachdem E schon nach Steuerbord gedreht hatte; § 6.13 Absatz 2 schreibt vor, daß das Signal gegeben wird, ehe man wendet. Das erste Signal ist nach der in der Berufung nicht widersprochenen Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichts zu einem Zeitpunkt gegeben worden bei oder kurz nach der Abfahrt von E, als dieses Fahrzeug noch in gestrecktem Kurs fuhr. Auch wenn man annimmt, daß das von E vorgesehene Manöver in diesem Augenblick noch ausgeführt werden konnte, ohne A zu einer plötzlichen und starken Kurs- und/oder Geschwindigkeitsänderung zu zwingen, war dieses jedenfalls, wie zuvor angeführt ist, nicht mehr möglich im Augenblick, in welchem E tatsächlich ihr Manöver einleitete. Entscheidend für die Frage, ob solch ein Manöver gemäß § 6.13 Absatz 1 angefangen werden darf, ist nicht der Zeitpunkt, in welchem das Signal gegeben wird, sondern der Zeitpunkt, in welchem das Manöver tatsächlich eingeleitet wird.
Am zuvor beschriebenen Fehler von E ändert der Umstand nichts, daß A insoweit vorschriftswidrig gefahren ist, als dieses Schiff unter Verstoß gegen Artikel 11.10 der Vorschriften für die Reeden auf dem Rhein 1970; nachdem es anfangs die Steuerbordseite des Fahrwassers eingehalten hat, und alsdann zum rechten Ufer herübergekommen ist, unter diesem Ufer weiter hochgefahren ist, und als Schiffsführer T den Eindruck hatte, daß A, nachdem er herübergekommen war, seine Fahrt nicht fortsetzen würde. § 6.13 Absatz 1 verpflichtet Fahrzeuge, die wenden wollen, die Bewegungen von anderen Fahrzeugen zu berücksichtigen, ohne dabei eine Ausnahme für vorschriftwidrig fahrende andere Fahrzeuge zu machen. Die Erfahrung lehrt, daß auf dem Rhein nicht stets den Vorschriften entsprechend gefahren wird. Es würde völlig unannehmbar sein, zuzulassen, daß ein Schiff, das den Kopf vorzunehmen wünscht - ein Manöver, womit in einem lebhaft befahrbaren Stromteil nun einmal nicht zu vermeidende Risiken verbunden sind - beim Einleiten und Ausführen dieses Manövers die Bewegungen von anderen Schiffen nicht zu beobachten brauchte, insoweit diese Schiffe vorschriftswidrig fahren würden. Dazu kommt noch, daß der genannte Artikel 11.10 die Anwesenheit von vorschriftsmäßig hochfahrenden Fahrzeugen an diesem Ort nicht unbedingt ausschließt. Diese Bestimmung gewährt dann auch dem Schiffsführer unter keinen Umständen die Freiheit dort, blindlings den Kopf vorzunehmen.
Das Vorhergehende bringt übrigens nicht mit sich, daß - wie der Beklagte behauptet - zwischen dem vorschriftswidrigen Fahren von A und der Kollision kein Kausalzusammenhang bestanden hat. Diese Kollision hätte sich nicht nur nicht ereignet, wenn A gemäß der Bestimmung von Artikel 11.10 seine Steuerbordseite im Fahrwasser gehalten hätte, sondern überdies hat das Nichtbeobachten der genannten Bestimmung durch das Schiff die Gefahr, daß es dort zu einem Zusammenstoß kommen könnte, wesentlich gefördert; namentlich ist dadurch eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Mißverständnissen an Bord der sich unter dem rechten Ufer befindenden Fahrzeuge, darunter E, gegeben. Dabei ist es wichtig, daß - wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend erwogen hat - Artikel 11.10 unverkennbar beabsichtigt, sichere Fahrumstände für die Talfahrt zu schaffen, die im bewußten Teil der Reede ihren Liegeplatz hat. Der Umstand, daß sich in der kausalen Kette zwischen dem Nichtbeobachten der bewußten Bestimmung durch A und der Kollision der obengenannte Fehler von E befindet, ändert am Vorhergesagten nichts.
Fest steht, daß kurz vor dem Zusammenstoß der Zeuge T. sich als einziger im Steuerstuhl von A befand, während Schiffsführer Tr. sich ins längsseits liegende Speditionsboot begeben hatte; daß, als Ta E hinter dem Vorschiff der V hervorkommen sah, er die Maschine angehalten und den Schiffsführer gerufen hat; daß jener darauf in den Steuerstuhl hineingegangen ist und die Maschine auf rückwärts gestellt hat. Wieviel Zeit vergangen ist, zwischen dem Anhalten und dem Zurückschlagen, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem zur Verfügung stehenden Beweismaterial.

Im angefochtenen Urteil ist es in hohem Maße für wahrscheinlich gehalten worden, daß die Kollision vermieden worden wäre, wenn A sofort bei Erkennen der Kollisionsgefahr voll zurückgeschlagen hätte. Durch dieses Unterlassen hat Ta. gegen die in § 1.04 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung festgelegte Verpflichtung verstoßen, alle Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, die von der allgemeinen Pflicht zur Aufmerksamkeit und der seemännischen Tüchtigkeit verlangt werden.
Ebenso wie der Vorderrichter ist die Berufungskammer der Meinung, daß die Kollision zwischen E und A verursacht worden ist durch das Zusammenwirken einerseits der Übertretung des § 6.13 Absatz 1 durch E, und andererseits der Übertretungen der §§ 11.10 und 1.04 durch A. Bei Abwägung der Schwere dieser Fehler rechnet die Berufungskammer den Fehler von E als schwerwiegensten an, weil das zum Teil blinde Wenden in einem lebhaften Fahrwasser einen besonders gefährdenden Charakter hat und daher auch strenge Mißbilligung verdient; dieser Fehler wiegt deswegen schwerer als das vorschriftwidrige Fahren von A und die zu träge Reaktion des Rudergängers dieses Fahrzeuges.