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66 Z - 3/77 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 02.03.1977
File Reference: 66 Z - 3/77
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Die Regelung des Wendemanövers in § 6.13 RhSchPolVO läßt Ausnahmen und Befreiungen nicht zu. Das darin enthaltene strikte Verbot des blinden Wendens hat Vorrang vor anderen Normen, wie etwa der Vorschrift des § 6.30 RhSchPoIVO.

2) Der Bergfahrer braucht selbst bei Nebel nicht damit zu rechnen, daß ein Talfahrer ohne Vorankündigung aufdrehen wird.

3) Bei Fortsetzung der Fahrt trotz Nebels muß der Bergfahrer dem Talfahrer seine Position, Kurs usw. durch akustische Signale angeben.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 2. März 1977

66 Z - 3/77

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

Bei Speyer fuhr das von einem Lotsen geführte, beladene MTS H der Klägerin mit eingeschaltetem Radargerät zu Berg. In einer Entfernung von etwa 1200 m erkannte man das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte, gleichfalls mit einem Lotsen besetzte MTS E, das zu Tal fahrend wegen einer oberhalb der Straßenbrücke von Speyer liegenden Nebelbank über Backbord ohne Vorankündigung (§ 6.13 RhSchPolVO) aufdrehte, aber während des Wendens an seinem Heck von MTS H angefahren wurde. Auf MTS H war 2mal versucht worden, mit MTS E über UKW-Kanal 10 in Verbindung zu treten, was nicht gelang, da MTS E zwar ein Radargerät an Bord hatte, dieses aber mangels Radarpatents eines der Besatzungsmitglieder nicht benutzt werden konnte. Die Klägerin verlangt Ersatz des Schiffsschadens von rd. 12800 fl., weil E in einer Entfernung von nur 200 bis 300 m das Wenden begonnen und obwohl MTS H wiederholt akustisches Steuerbordsignal gegeben habe und mit aufs äußerste verminderter Geschwindigkeit gefahren sei. Die Beklagten behaupten, zu dem Wendemanöver ohne Vorankündigung durch den plötzlichen Nebel gezwungen worden zu sein. Erst während des Wendens habe man - zu spät - Zeichen und Lichter von MTS H erkannt. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage zu 2/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat die Berufung der Beklagten sowie die Anschlußberufung der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

„...
Die formell nicht zu beanstandende Berufung ist erfolglos.
...
Nach § 6.13 RhSchPolVO „dürfen" Fahrzeuge „nur" wenden, nachdem sie sich vergewissert haben, daß der übrige Verkehr dies ohne Gefahr zuläßt und andere Fahrzeuge nicht gezwungen werden, unvermittelt ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit zu ändern. Wenn durch das beabsichtigte Wendemanöver Abweichungen anderer Fahrzeuge von ihrem Kurs oder Änderungen ihrer Geschwindigkeit notwendig werden, so „muß" es durch die im § 6.13 vorgeschriebenen akustischen Signale angekündigt werden. Diese Regelung ist zwingend, wie die Verwendung der „dürfen nur" und „muß" zeigt. Sie läßt Befreiungen nicht zu. Solche können insbesondere nicht, wie es die Berufung offenbar will, durch Hinweis auf die Regel des § 6.30 RhSchPolVO beansprucht werden. Sie bestimmt im Absatz 2, daß Fahrzeuge anhalten müssen, sobald sie mit Rücksicht auf die verminderte Sicht, den übrigen Verkehr und die örtlichen Umstände die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen können. Diese Norm sagt nicht, daß vor jeder Nebelbank unter allen Umständen angehalten werden muß. Sie erzwingt lediglich eine Prüfung, ob die Fortsetzung der Fahrt verantwortet werden kann. Das ist durchaus möglich, wenn Sicht, übriger Verkehr und örtliche Umstände es zulassen.
Der § 6.30 kann also nicht im Sinne einer Befreiung von der Befolgung des § 6.13 verstanden werden. Vielmehr hat das in der letzten Norm bei richtigem Verständnis ausgesprochene strikte Verbot jedes blinden Wendens Vorrang vor dem Gebot des § 6.30, weil seine Mißachtung die größeren Gefahren heraufbeschwören kann. Im vorliegenden Falle war das Wendemanöver von E für H gefährlich, wie die Havarie gezeigt hat. Sie ist nur- erklärbar, wenn man davon ausgeht, daß beide Schiffe bei Beginn des Manövers einander sehr nahe waren. Auf eine unter den obwaltenden Umständen kaum verläßliche Schätzung der Entfernung kann verzichtet werden. Denn es genügt, was die Havarie selbst zeigt, daß sie gefährlich gering war. Zwar wußte man dies auf E nicht, da man vor dem Beginn des Wendens H nicht sah und akustische Signale von ihm nicht gehört hatte. Auch das entschuldigt aber die Schiffsführung nicht, denn sie muß damit rechnen, daß sich im Nebel Schiffe befanden, für die das Wendemanöver gerade deshalb gefährlich wurde, weil es ohne Vorankündigung überraschend erfolgte. Das gilt auch für H als Radarfahrer. Zwar hatte man dort E erkannt. Man brauchte aber nicht damit zu rechnen, daß das Schiff ohne die vorgeschriebene Vorankündigung angesichts des Nebels aufdrehen werde und mußte sich deshalb nicht auf ein solches Manöver einstellen. Der Vorwurf, gegen § 6.13 RhSchPolVO verstoßen zu haben, bleibt also gegenüber E bestehen.
...
Die Anschlußberufung ist ebenfalls erfolglos. Der gegen die Führung von H zu erhebende Vorwurf hat die folgende Grundlage: Auf dem Radarschirm des Schiffes ist das zu Tal kommende Schiff E in einer Entfernung von 1200 m erkannt worden. Der wiederholte Versuch, mit ihm Sprechverbindung aufzunehmen, scheiterte. Hieraus mußte die Führung von H schließen, daß das ankommende Schiff möglicherweise kein Radargerät benutzte und deshalb die Position des Bergfahrers nicht erkennen konnte. Bei dieser Lage war bei einer Fortsetzung der Fahrt ohne besondere Vorkehrungen die Sicherheit beider Schiffe nicht mehr gewährleistet. Auf H mußte man damit rechnen, daß E angesichts des herrschenden Nebels die Fahrt einstellte und dabei zu Berg wendete. Es war zumindest nicht auszuschließen, daß dieses Manöver ohne Ankündigung durch ein Signal erfolgte, wie es ja auch geschehen ist. Bei einem solchen Manöver konnte der Talfahrer in den Kurs des Bergfahrers geraten und mit ihm zusammenstoßen. Diese Gefahr wurde umso größer, je näher beide Schiffe einander kamen. Das Ergebnis solcher Überlegungen hätte der Entschluß der Führung von H sein können, die Fahrt gemäß der Regel des § 6.33 Abs. 3 RhSchPolVO einzustellen, da bei ihrer Fortsetzung die Sicherheit anderer Fahrzeuge gefährdet würde. Dieser Entschluß ist nicht gefaßt worden.
Entschloß man sich aber wie geschehen zur Fortsetzung der Fahrt, so war Folgendes zu beachten: Nach § 6.35 Abs. 3 RhSchPolVO müssen Bergfahrer bei einer Fahrt im Nebel den entgegenkommenden Fahrzeugen über Sprechfunk ihren Standort, ihren Namen, die Art ihres Fahrzeuges und ihre Fahrtrichtung mitteilen sowie ansagen, ob sie die blaue Flagge oder das weiße Blinklichtzeigen. Diese Verbindung über Sprechfunk konnte im vorliegenden Falle nicht hergestellt werden. Damit entfiel aber nicht die Verpflichtung von H, seine Position und seinen Kurs dem ankommenden Talfahrer mitzuteilen, und zwar durch akustische Signale, die in etwa die gleiche Informationswirkung hätten wie die nicht mögliche Sprechfunkverbindung. Die Berufungskammer denkt an die Kombination eines Nebelzeichens gemäß § 6.31 RhSchPolVO (ein langer Ton) mit einem solchen gemäß § 6.04 Ahs, 4 RhSchPolVO (ein kurzer Ton), wenn die Vorbeifahrt an Backbord stattfinden soll. Diese Zeichenkombination sagt dem Talfahrer einmal, daß ein Bergfahrer im Revier ist. Die Entfernung von ihm wäre mit Hilfe der Lautstärke des Zeichens in etwa feststellbar gewesen. Vor allem hätten die Zeichen aber ausgewiesen, daß der Bergfahrer Steuerbordkurs fuhr und deshalb eine Begegnung Backbord an Backbord wünschte. Damit wäre der Führung von E klar geworden, daß ein Wendemanöver über Backbord, das sie bei einer Einstellung der Fahrt hätte ausführen müssen, eine Kollisionsgefahr heraufbeschworen hätte. Die genannte Signalkombination wäre so lange zu wiederholen gewesen, bis E zu erkennen gab, daß sie dort gehört und verstanden worden war.
...
Es ist unstreitig, daß man auf H die genannten Zeichen nicht gegeben hat. Seine Besatzung hat lediglich behauptet, wiederholt Steuerbordsignal gegeben zu haben. Nicht behauptet worden ist dagegen, daß man auch darauf geachtet habe, daß der Talfahrer es erwidert und damit erklärt habe, es beachten zu wollen. Dort hat man kein Zeichen gehört. Die gegebenen Zeichen waren mithin deshalb unzureichend, weil sie nicht intensiv genug gegeben wurden, d. h. so lange, bis klar war, daß sie verstanden worden waren. Die Fortsetzung der Fahrt von „Hendrik" angesichts der entgegenkommenden E verstieß also gegen die §§ 6.35 Abs. 3, 6.31 und 6.04 Abs. 4 RhSchPolVO.
Wägt man die festgestellten Verstöße beider Schiffe gegeneinander ab, so erscheint der auf E begangene erheblich schwerer. Das sogenannte blinde Wenden gehört zu den gefährlichsten Manövern, die denkbar sind. Möglicherweise ist es das gefährlichste überhaupt. Die damit verbundenen Gefahren sind sehr groß; jedenfalls sind sie weit größer als diejenige, welche die Führung von H durch die Fortsetzung der Fahrt im Nebel heraufbeschwor.
...“