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Leitsatz:
Auch in Schiffahrtssachen ist der Sachverständige nur Gehilfe des Richters. Dem Sachverständigen obliegt es nicht, sich den Tatbestand an Hand eigener Auslegung des Akteninhalts zu rekonstruieren und Entscheidungsvorschläge zu machen. Die Feststellung des Tatbestandes und seine rechtliche Beurteilung sind ausschließlich Sache des Gerichts.
Urteil des Oberlandesgerichts
Schiffahrtsobergericht
vom 21. Dezember 1961
(Schiffahrtsgericht Emden)
6 U 172/61
Zum Tatbestand:
In einem Rechtsstreit vor dem Schiffahrtsgericht Emden war die Entscheidung auf ein Gutachten gestützt worden, in welchem der Sachverständige entgegen einem vorherigen Gutachter einen Unfallverlauf unterstellt hatte, der mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vereinbar war.
Das Schiffahrtsobergericht traf aus Anlaß dieses Falles einige grundsätzliche Feststellungen über die Stellung des Sachverständigen im Prozeß.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der vom Sachverständigen angenommene Unfallverlauf, aus dem er glaubt, ein Verschulden des Beklagten herleiten zu können, wird durch das Ergebnis der sonstigen Beweisaufnahme nicht in hinreichender Weise gedeckt. Seine Schlußfolgerungen beruhen auf einem zum Teil unbewiesenen Tatbestand. Das Schiffahrtsgericht hätte dem Sachverständigen bei der Erteilung des Auftrages, das Gutachten zu erstatten, eindeutig darlegen müssen, welche Behauptung der Klägerin es als unstreitig und als erwiesen ansah, anstatt es dem Sachverständigen zu überlassen, sich den Tatbestand an Hand seiner Auslegung der Schriftsätze der Parteien und der Zeugenaussagen selbst zu rekonstruieren. Die Feststellung des Tatbestandes ist allein Sache des Gerichts und kann nicht dem Sachverständigen übertragen werden. Der Sachverständige konnte allenfalls aufgefordert werden, darzulegen, ob die durch die bisherige Beweiserhebung offengebliebenen Lücken im Geschehensablauf mit Rücksicht auf schiffahrtstechnische oder nautische Gründe nach allgemeinen Erfahrungssätzen mit hinreichender Sicherheit ausgefüllt werden konnten und welche Folgerungen hieraus zu ziehen waren, wobei wiederum die rechtliche Beurteilung allein Sache des Gerichts war. Auch in Schiffahrtssachen ist es nicht Aufgabe des Sachverständigen, einen Entscheidungsvorschlag zu machen, wie dies sowohl X. als auch Y. getan haben. Ein Sachverständiger ist nur Gehilfe des Richters hinsichtlich der Übermittlung von Erfahrungssätzen aus seinem Sachgebiet, wobei er allerdings aus diesen Erfahrungssätzen Schlußfolgerungen ziehen kann, deren Nachprüfung und deren rechtliche Beurteilung jedoch allein dem Gericht obliegen. Dabei ist es insbesondere Aufgabe des Gerichts, bei sich widersprechenden Gutachten deren Beweiswert sorgfältig gegeneinander abzuwägen, insbesondere zu prüfen, ob die tatsächlichen Grundlagen der Gutachten dem Verhandlungsergebnis entsprechen. Eine solche Abwägung und Prüfung läßt das angefochtene Urteil völlig vermissen."