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Leitsatz:
Zur Verkehrssicherungspflicht der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung auf dem Dortmund-Ems-Kanal.
Urteil des Amtsgerichts Emden
vom 12. Dezember 1972
Zum Tatbestand:
Der der Klägerin gehörende Schubverband, bestehend aus Schubboot „E" und Schubleichter „L" fuhr im März 1971 auf dem Dortmund-Ems-Kanal zu Berg. Unterhalb der Brücke Steinbild bei km 198.200 fuhr der Leichtere auf einen Steinbrocken, der aus der nach dem Krieg gesprengten Brücke Steinbild stammte und mit der Spitze nach oben in der linken Uferböschung 8 m vom Wasserrand entfernt lag. Die Wasserhöhe über dem Stein betrug zur Unfallzeit 2,50 bis 2,60 m.
Die Klägerin verlangt Ersatz eines Teiles von etwa 12 500,- DM von dem an der aufgerissenen Kimmplatte entstandenen Gesamtschaden von über 17 000,- DM, weil die beklagte Verwaltung den Stein nicht rechtzeitig entfernt und somit ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe.
Die Beklagte bestreitet ein Verschulden, da sie von der Existenz des Steines keine Kenntnis gehabt habe. Bei der Anlage der Böschung im Jahre 1954 sei der Stein völlig eingesandet gewesen und habe aus dem im Verhältnis 1:3 angelegten Böschungsprofil nicht herausgeragt. Der Stein sei von der Strömung, die das ganze Ufer ausgekolkt habe, freigespült worden. Das sei aber unbekannt geblieben, weil sie Peilungen nur innerhalb der Fahrrinne vorzunehmen und Böschungen nur auf ihren baulichen Zustand zu überwachen habe. Der Schiffsführer des Schubverbandes trage die Schuld an dem Unfall, da er zu dicht, nämlich bis auf 6 m an das Ufer herangefahren sei, anstatt einen Abstand von 10,50 m zu halten.
Das Amtsgericht E hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben (rechtskräftig).
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klägerin hat einen Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte aufgrund von § 823 BGB, weil die Beklagte den im Eigentum der Klägerin befindlichen Schubleichter „L" durch eine pflichtwidrige Unterlassung schuldhaft beschädigte, indem sie versäumte, den Quaderstein zu entfernen oder wenigstens zu kennzeichnen. Eine dieser beiden Maßnahmen hätte die Beklagte schon früher treffen müssen, weil sie das Eigentum und die Unterhaltungspflicht an dem Dortmund-Ems-Kanal hat und deshalb für seine Verkehrssicherheit Sorge tragen muss. Die Verkehrssicherheit war durch den Stein erheblich gefährdet. Dabei macht es keinen Unterschied, dass der Stein nicht im Flussbett, sondern in der Böschung lag; denn als Verkehrsweg dient der Kanal in seiner gesamten Breite bis zum Uferrand. Es ist auch unerheblich, ob und wieviel der Stein über das Böschungs-Sollprofil von 1:3 hinausragte. Seine Gefahr bestand darin, dass seine Spitze zuletzt - wie die von der Beklagten eingereichten Peilergebnisse zeigen 1,40 m über dem Istprofil stand und damit an dieser Stelle die Wassertiefe um 1,40 m verringerte. Zwar betrug über der Steinspitze die Wassertiefe immerhin noch 2,50 bis 2,60 m. Trotzdem bildete der Stein eine Verkehrsgefahr; denn es muss damit gerechnet werden, dass wie der beschädigte Schubleichter auch andere Schiffe mit einem Tiefgang von 2,50 m bis zur Höhe der Unfallstelle und auch noch mehr an die Böschung heranfahren. Das ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen S., der hierzu ausgeführt hat:
Es kommt öfters vor, besonders beim Passieren anderer Schiffe, dass ein Schiff näher ans Ufer kommt. Das ist ein alltäglicher Vorgang. Hierbei streifen die Kimmplatten die Uferböschungen und sind dadurch einem erhöhten Verschleiß ausgesetzt (wird weiter ausgeführt).
Es mag zutreffen, dass die Beklagte bis zum Unfall von der Gefährlichkeit des Steines nichts wusste. Das befreit sie aber nicht von dem Schuldvorwurf; denn ihre Unkenntnis kann nur auf Umständen beruhen, die sie selbst zu vertreten hat. Entweder liegt ihre Unkenntnis darin begründet, dass sie bei dem Ausbau der Böschungen die Unfallstelle nicht ausgebaut und nicht überprüft hat. Dafür spricht die Aussage des Zeugen G., der bei der Herstellung der Uferböschungen als Vorarbeiter eingesetzt war.
Oder aber die Unkenntnis der Beklagten von der Gefährlichkeit des Steines hat ihre Ursache in unterbliebenen Böschungskontrollen. Diese hätten von der Beklagten in gewissen Zeitabständen vorgenommen werden müssen, weil sie die drohende Gefahr hätte voraussehen können. Wenn nämlich die Behauptung der Beklagten zutrifft, dass die Böschung auch an der Unfallstelle im Verhältnis 1:3 ausgebaut wurde und der hier in Frage stehende Quaderstein nicht beseitigt wurde, weil die noch im Flussbett verbliebenen Trümmer so tief eingesackt seien, dass sie keine Gefahr für die Schifffahrt darstellten, dann hätte die Beklagte ihre regelmäßigen Peilungen nicht auf die Fahrrinne beschränken dürfen, sondern an der Unfallstelle auch auf die Böschung erstrecken müssen, weil für sie als Wasserbauwerker mit einer allmählichen Freispülung des Steins zu rechnen war.
Gegenüber dieser Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist ein Mitverschulden des Schiffsführers nicht festzustellen. Zwar hat er den gebotenen Sicherheitsabstand vom Uferrand nicht eingehalten, der für sein Schiff auch nach dem Gutachten des Sachverständigen S. 10,50 m betrug. Diese Unterschreitung des Sicherheits-abstandes wird man aber dem Schiffsführer nicht zum Vorwurf machen können. Abgesehen davon, dass nach den bereits oben zitierten Ausführungen des Sachverständigen bei evtl. Böschungsberührungen im allgemeinen nur mit geringfügigen Beschädigungen zu rechnen ist, durfte der Schiffsführer an der Unfallstelle und auch schon auf einer Strecke von rund 100 m vorher den Sicherheitsabstand deshalb unterschreiten, weil auf diesem Kanalstück die Böschung des Ufers so weit weggespült ist, dass ein Abstand von lediglich 6 m vom Uferrand auch für ein auf 2,50 m abgeladenes Schiff noch keine Grundberührungsgefahr birgt. Da ein erfahrener Schiffsführer aufgrund des sogenannten Ufersogs den jeweils notwendigen Sicherheitsabstand vom Ufer wird beurteilen können, erscheint es nicht fahrlässig, dass der Führer des Schubverbandes - um einem Entgegenkommer auszuweichen - an der Unfallstelle so weit an die Böschung heranging, wie es ihr tatsächliches Profil erlaubte.