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Leitsätze:
1) Kommt es bei einem Wendemanöver zu einer Havarie mit einem Bergfahrer hat der Wendende zu beweisen, dass das Wendemanöver ohne Gefahr für den übrigen Verkehr möglich und damit zulässig war. Das wendende Schiff trägt auch die Beweislast dafür, dass ein Bergfahrer im Revier seine Geschwindigkeit für eine gefahrlose Durchführung des Wendemanövers vermindern und/oder seinen Kurs hätte ändern können.
2) Ein Wendemanöver muss nur durch Schall bzw. Funk angekündigt werden, wenn das Manöver andere Fahrzeuge zwingt oder zwingen kann, von ihrem Kurs abzuweichen oder ihre Geschwindigkeit zu ändern. Ein Wendemanöver ist erst dann beendet, wenn das Fahrzeug wieder eine gestreckte Lage im Strom zu Tal eingenommen hat. Die Vorschriften über die Begegnung, § 6.03 ff RheinSchPV, gelten erst mit Beendigung des Wendemanövers.
3) Die Schiffsführung eines Bergfahrers kann ein Verschulden an dem Zusammenstoß mit einem wendenden Fahrzeug treffen, wenn der Zeitraum zwischen dem erkennbaren Wendebeginn und der in Folge Unachtsamkeit erst erkannten Querlage des wendenden Schiffes für eine mögliche, aber unterbliebene abwehrende Reaktion ausgereicht hätte.
Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes Duisburg-Ruhrort
14. September 2021
Az.: 5 C 7/21 BSchRh
rechtskräftig
Aus dem Tatbestand:
Die Klägerinnen verlangen aus übergegangenem Recht Schadensersatz aufgrund eines Schiffsunfalls, der sich am 23.08.2020 gegen 5:45 Uhr zwischen dem MTS »Synthese 16« und dem MS »Kraszna« auf dem Rhein bei Rhein-km 691, Ortslage Köln, ereignet hat. Es war dunkel bei klarer Sicht. Im Bereich der Unfallstelle ist die Begegnung Steuerbord an Steuerbord schifffahrtsüblich …
»Synthese 16« reduzierte seine Geschwindigkeit von etwa 11 km/h in der letzten Minute vor der Havarie auf etwa 4 km/h. Es kam zu einer Kollision zwischen beiden Schiffen. »Synthese 16« traf in der Mitte der Steuerbordseite auf »Kraszna«. Dieses lag zum Zeitpunkt der Kollision quer im Strom und mindestens 60 m mit dem Heck vom rechtsrheinischen Ufer entfernt. Schiffsführer E stellte zu keinem Zeitpunkt das AlS-Signal von »Ankerlieger« auf »in Fahrt befindliches Schiff« um …
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerinnen haben keine Ansprüche gegen die Beklagten gemäß § 823 BGB bzw. gemäß §§ 3, 92 ff BinSchG.
1. Aufgrund der Beweisaufnahme und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung, soweit es unstreitig ist, steht für das Gericht folgender Geschehensablauf fest: »Kraszna« hatte die Nacht etwa 30 m aus dem rechtsrheinischen Ufer vor Anker liegend mit dem Kopf zu Berg verbracht. Gegen 5:30 Uhr nahm SF E Fahrt auf. Dazu fuhr er mit leicht laufender Maschine bis auf Höhe des Ankers. Die Matrosen holten den Anker auf. Das Schiff lag zu diesem Zeitpunkt noch gestreckt im Strom.
In derselben Zeit fuhr MTS »Synthese 16« fuhr am 23.08.2020 gegen 5:30 Uhr bei Dunkelheit und klarer Sicht mit Funkel licht und blauer Tafel, beladen mit etwa 626 t Kalilauge in Köln Mülheim zu Berg. SF R hielt bei einer Geschwindigkeit von etwa 11 km/h einen Kurs leicht rechtsrheinisch aus der Mitte der Fahrrinne ein. Bei Rhein-km 691,6 fand eine Steuerbord/Steuerbord-Begegnung mit MS »Trifels« statt. Der Zeitpunkt ist auf dem System von »Synthese 16« mit 11:18:06 (Echtzeit am oberen Bildschirmrand: 5:38:13 Uhr) zu erkennen.
Ab dem in der ECDIS-Aufzeichnung von »Synthese 16« mit 11:22:22 Uhr vermerkten Zeitpunkt (Echtzeit am oberen Bildschirmrand: 5:39:35), etwa bei Rhein-km 691,4 (Transponderstandort) veränderte SF R den Kurs zunächst leicht nach Steuerbord, ab 11.24.01 Uhr (Echtzeit: 5:40:09), etwa bei Rhein-km 691,3 kurzzeitig leicht nach Backbord, um dann weiter nach Steuerbord zu drehen bei gleichzeitiger Reduzierung der Geschwindigkeit. Ab dem mit 11.24.21 Uhr (Echtzeit: 5:40:09) vermerkten Zeitpunkt, etwa bei Rhein-km 691,290 verringerte SF R die Geschwindigkeit kontinuierlich. Im Zeitpunkt der Kollision 11.27.18 (Echtzeit: 5:41:18) Uhr etwa bei Rhein-km 691,1 betrug sie 4,24 km/h. Das Signal von »Kraszna« war auf dem ECDIS-Bildschirm von »Synthese 16« sichtbar ab dem Zeitpunkt, als »Synthese 16« die Mülheimer Brücke unterquert. Die Entfernung betrug etwa 900 m. Angegeben war eine Geschwindigkeit des Schiffes von 0,37 km/h. Die auf dem Bildschirm erkennbare Position des Transponders etwa bei Rhein-km 691,0 und etwa 50 bis 70 m aus dem rechtsrheinischen Ufer in der Liegestelle Köln-Mülheim veränderte sich bis etwa 200 m vor der Kollision nicht. »Kraszna« ist nur als Stilllieger zu erkennen.
SF R nahm eine Bewegung von »Kraszna« etwa ab Rhein-km 691,6 wahr.
Nach dem Aufholen des Ankers begann SF E ab einer Entfernung der Schiffe von etwa 400 bis 500 m (Kopf »Synthese 16« zu Heck »Kraszna«) mit dem SteuerbordWendemanöver. Bis zum Kollisionszeitpunkt war »Kraszna« um etwa 100 Grad gedreht und lag quer im Strom. Das Heck befand sich knapp außerhalb des Bereichs der Liegestelle etwa 60 bis 90 m aus dem rechten Ufer. Im Zeitpunkt der Kollision fuhr »Synthese 16« in einem Abstand von etwa 100 bis 120 m aus dem rechten Ufer.
2. Die Klägerinnen haben keinen Beweis dafür erbracht, dass SF R gegen die Verhaltensvorschriften der §§ 6.03, 6.13 Ziffer 3, oder 1.04 RheinSch PVO verstoßen hat.
Die durchgehende Schifffahrt hat das Aufdrehen eines Fahrzeugs vom Zeitpunkt der Ankündigung an durch entsprechende Manöver zu unterstützen, damit das Aufdrehen ohne Gefahr erfolgen kann (BGH Urteil vom 09.07.1973 11 ZR 133/71, VersR 1974, 132; Bemm/v. Waldstein, a.a.O., § 6.13 Rn 27).
SF E hat jedoch bei dem Wendemanöver gegen § 6.13 RheinschPVO verstoßen und damit die wesentliche Ursache für die Havarie gesetzt. Er hat weder § 6.13 Ziffern 1 beachtet, noch gemäß § 6.13 Ziffer 2 RheinSchPVO das Wendemanöver rechtzeitig angekündigt.
Wenn sich – wie hier – eine Havarie unstreitig im Zusammenhang mit einem Wendemanöver ereignet hat, hat der Wendende die Zulässigkeit seines Manövers zu beweisen (Bemm/v. Waldstein, § 6.13 Rn. 32) …
Er ist insbesondere dafür beweispflichtig, dass der Abstand zu Entgegenkommern bei Wendebeginn für eine gefahrlose Durchführung des Wendemanövers ausreichend war, wenn der Gegenfahrer seiner Pflicht entsprechend seine Geschwindigkeit vermindert und/oder seinen Kurs ändert (BGH Urteil vom 17.10.1966 11 ZR 162/64 VersR 1967, 36; Urteil vom 09.07.1973 11 ZR 133/71, VersR 1974, 132; Bemm/v. Waldstein, a.a.O., § 613 Rn 32). Nicht jedes Wendemanöver muss durch Schallsignale, bzw. über Funk angekündigt werden. Dies ist nach § 6.13 Ziffer 2 RheinSchPVO nur dann der Fall, wenn das Manöver andere Fahrzeuge zwingt, oder zwingen kann, von ihrem Kurs abzuweichen oder ihre Geschwindigkeit zu ändern (Zentralkommission für die Rheinschiffahrt, Urteil vom 05.12.2017 512 Z – 4/17, ZfB 2018, Nr. 2, Sammlung Seite 2504; Bemm/v.Waldstein, a.a.O., § 6.13 Rn. 12).
Der Wendende ist für die rechtzeitige Abgabe seines Wendesignals beweispflichtig, falls ein solches erforderlich ist. (Bemm/v. Waldstein, a.a.O., § 613 Rn 32 mit Nachweisen). Er ist gehalten, das beabsichtigte Wendemanöver so rechtzeitig anzukündigen, dass sich die übrige Schifffahrt hierauf einstellen kann und nicht zu unvermittelten Reaktionen gezwungen wird. Dies geschieht heute üblicherweise über Funkkanal 10 (vgl. Bemm/v. Waldstein, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, 3. Aufl. § 6.13 Rn 12,13). Bei der hier zu beurteilenden Situation vor Beginn des Wendemanövers war die rechtzeitige Abgabe eines Schallsignals gemäß § 6.13 Ziffer 2 RheinSchPV zwingend erforderlich. Zu dem Zeitpunkt, als der Kopf von »Kraszna« sich nach Steuerbord zu drehen begann, betrug der Abstand der Schiffe nach Schätzung des SF E etwa 600 m. Der Zeuge B hat ihn auf etwa 450 m geschätzt …
Den Beweis der rechtzeitigen Ankündigung des Wendemanövers haben die Klägerinnen nicht erbracht … Hätte sich SF E nach dem Aufholen des Ankers tatsächlich über die Bergfahrt informiert, so hätte er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Wendemanöver nicht eingeleitet …
Aufgrund seiner jahrzehntelangen nautischen Erfahrung hätte sich ihm die Erkenntnis aufdrängen müssen, dass das Einleiten des Wendemanövers bei einer Entfernung der Schiffe von 450 m (Zeuge B) bis 600 m (SF R und seine eigene Angabe) höchst riskant und die Gefahr einer Kollision real war. Bei einer Geschwindigkeit von über 11 km/h legte »Synthese 16« diese Distanz in weniger als zweieinhalb (bei Distanz 450 m) bis dreieinhalb Minuten (bei Distanz 600 m) zurück. Der Kurs von »Synthese 16« leicht rechts von der Fahrrinnenmitte war auch nicht so angelegt, dass eine Passage hinter dem Heck des sich zunächst nahezu auf der Stelle drehenden »Kraszna« ohne eine abrupte Kursveränderung nach Backbord überhaupt möglich gewesen wäre …
Die Schiffsführung eines Bergfahrers trifft ein Verschulden an dem Zusammenstoß mit einem wendenden Fahrzeug nur dann, wenn der Zeitraum zwischen dem erkennbaren Wendebeginn und der infolge Unaufmerksamkeit erst erkannten Querlage des wendenden Schiffes für eine abwehrende Reaktion ausgereicht hätte (BGH, VersR 1968, 1085; Bemm/v. Waldstein, a.a.O., § 6.13 Rn 30) …
SF R hat auch nicht gegen § 6.03 RheinSchPVO verstoßen. »Kraszna« war für »Synthese 16« vor und bis zum Zeitpunkt der Havarie kein Talfahrer, dem eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord gewiesen worden war. Das Wendemanöver endet erst dann, wenn das Fahrzeug wieder eine gestreckte Lage im Strom eingenommen hat (Bemm/v. Waldstein, a.a.O., § 6.13 Rn 5). Dies war bei der Havarie unstreitig nicht der Fall.
Daran ändert sich auch durch die Entscheidung des Schiffahrtsobergerichtes Nürnberg AZ 9 U 1141/15 BSch (ZfB 2015 SaS 2399 f, Loch Ness Entscheidung) nichts. Die Entscheidung betraf die Frage, wann bei Begegnungen Talfahrt und Bergfahrt vorliegt. Es ging nicht darum festzustellen, wann ein Wendemanöver beendet ist …
Selbst wenn man von einer Entfernung Kopf »Synthese 16« zu Kopf »Kraszna« von 600 m ausgeht, legte »Synthese 16« bei der Geschwindigkeit von 11,1 km/h diese Strecke in rund 3,24 Minuten zurück (11,1 km/h = 3,08 m/sek). Dies entspricht auch in etwa den oben angegebenen Zeiten in Echtzeit (5:38:13 bis 5:41:18) SF E hätte keinesfalls davon ausgehen können, in dieser Zeitspanne das Wendemanöver soweit beendet zu haben, dass »Synthese 16« Kurs und Geschwindigkeit unverändert hätte beibehalten können. Seine Bekundung, es dauere 1 bis 2 Minuten von Beginn des Manövers des Drehens, bis eine Vorausfahrt eintrete, wird bereits dadurch widerlegt, dass »Synthese 16« die Geschwindigkeit von ursprünglich 11,1 km/h bis zur Kollision auf 4,24 km/h verringert hat und »Kraszna« im Zeitpunkt der Kollision gleichwohl noch lange nicht wieder inTalfahrt aufgestreckt gewesen ist. Es lag vielmehr erst quer zur Fahrrinne im Strom und bewegte sich nach linksrheinisch …
SF E hat erklärt, er habe, als er die Bergfahrt wahrgenommen habe, nicht gewusst, wie der Bergfahrer heiße. Damit hat SF E eingeräumt, dass er sich vor Beginn des Wendens nicht der technischen Hilfsmittel an Bord bedient hat. Entweder warTresco nicht in Betrieb oder SF E hatte den Bildschirm mit den AIS-Daten, bzw. den Radarbildschirm nicht im Blick. Andernfalls hätte er auf dem Radarbildschirm die Annäherung von »Synthese 16«, bzw. über AIS den Namen des bergfahrenden Schiffes, dessen Distanz und die Geschwindigkeit erkennen und sein Verhalten darauf einrichten können.
Überdies wäre nautisch nicht nachvollziehbar, wieso SF E der kursweisenden Bergfahrt mehrfach vorgegeben haben will, es solle eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord stattfinden. Wenn er das Funkellicht von »Synthese 16« tatsächlich wahrgenommen hätte, so hätte insoweit eine Bestätigung der erteilten Kursweisung durch das eigene Funkellicht genügt. Das Funkellicht von »Synthese 16« hat SF E bei seiner Vernehmung im Übrigen überhaupt nicht erwähnt.
Die Bekundungen des SF R und des Zeugen B stehen der Aussage E entgegen. Das Gericht hat bedacht, dass insbesondere der SF R, verantwortlicher Schiffsführer von »Synthese 16«, als an dem Unfallgeschehen Beteiligter hätte versucht sein können, eine etwaige eigene Unachtsamkeit hinsichtlich des Funkverkehrs zu vertuschen. Seine Aussage ist aber durch die Bekundungen des Zeugen Erben bestätigt worden. Dieser hat das Geschehen gut in Erinnerung gehabt und detailreich geschildert. Seine Aussage wirkte in keiner Weise mit derjenigen des SF R abgesprochen. Insbesondere die Schilderung seines Eindrucks, SF R sei mit der Situation »ein bisschen überfordert« gewesen, spricht für die Glaubhaftigkeit der Bekundungen dieses Zeugen. Hätte er als Kollege von SF R entgegen der Wahrheitspflicht zu dessen Gunsten aussagen wollen, wäre eine solche kritische Bemerkung äußerst unwahrscheinlich gewesen. Der die Havarie aufnehmende PKH S hat die Ankündigung des Wendemanövers von Seiten »Kraszna« ebenfalls nicht in Erinnerung gehabt. Auch die Bekundungen des Zeugen V führen nicht zu einer weiteren Klärung des Unfallgeschehens. Seine Bekundungen sind unergiebig.
Das Gericht ist der Überzeugung, dass er die von ihm gehörten Funkdurchsagen nicht einem der beteiligten Schiffe zuordnen konnte. Das Gericht ist davon überzeugt, dass SF E erst auf die Anfrage von Seiten SF R hin mit dem Funkspruch: »...Scheiße, ich habe euch nicht gesehen...« und damit viel zu spät gemeldet hat.
Es spricht alles dafür, dass SF E vor Einleitung des Wendemanövers dem Revier keine Beachtung gewidmet, insbesondere nicht auf mögliche Bergfahrt Rücksicht genommen hat. Er hat offenbar weder auf die Informationen auf dem Bildschirm geachtet, noch sich optisch, notfalls unter Einsatz des Fernglases über Positionslichter, bzw. Funkellichter eventueller Bergfahrer informiert …
Dem Schiffsführer eines in der Dunkelheit abfahrenden Schiffes obliegt eine besondere Sorgfaltspflicht (vgl. BGH Urteil vom 26.09.1968 II ZR 151/66 Rn 15,-juris).
SF E hätte dann eine grobe nautische Fehleinschätzung hinsichtlich des Fahrverhaltens seines eigenen Schiffes im Wendemanöver, bzw. des mit über 11 km/h zu Berg fahrenden »Synthese 16« begangen. SF E war im Zeitpunkt der Havarie ein überaus erfahrener Schiffsführer mit Rhein- und Donaupatent, der auch noch periodisch als verantwortlicher Schiffsführer im Einsatz war …
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2022 - Nr. 1 (Sammlung Seite 2734 f.); ZfB 2022, 2734 f.