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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 19. Juni 2006
432 Z - 2/06
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 03.01.2005 - 5 C 6/04 BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Folgen einer Schiffskollision, die sich am 18.3.2003 gegen 6.50 Uhr in der Ortslage Düsseldorf bei Rheinkilometer 752 zwischen dem in der Radarfahrt zu Tal kommenden Schubverband MS „J”/SL und dem zu Berg kommenden MS „P” ereignet hat.
Die Klägerin ist Eignerin des MS „J” (1981 t; 1.213 kW; 95 m lang, 11,40 m breit) und des SL „138” (2277 t; 81,50 m lang und 11,40 m breit). Der unbeladene Schubverband (künftig nur: SV „J“) wurde von dem Schiffsführer S., der ein Radarpatent besitzt, verantwortlich geführt.
Der Beklagte zu 1 ist Eigner des MS „P“ (1.301 t, 589 kW, 85 m lang, 8,20 m breit). Das mit 1.095 t Flugasche beladene Schiff wurde von dem Beklagten zu 2, der zum Unfallszeitpunkt noch nicht im Besitz eines Radarpatents war, verantwortlich geführt.
Am 18.3.2003 gegen 6.50 näherte sich SV „J“ in der Talfahrt Rheinkilometer 752. Aus der Sicht des SV „J“ beschreibt der Rhein dort eine Rechtskrümmung. SV „J“ durchfuhr die Krümmung in Steuerbordschräglage. Entgegen kam auf dem dort üblichen Kurs rechtsrheinisch MS „P“.
Die Schiffsführer sprachen über Funk eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord ab. Gleichwohl kam es zu einer Kollision Kopf auf Kopf. Das Fahrwasser ist rechtsrheinisch durch eine rote Tonnenlinie begrenzt.
Die Klägerin hat vorgetragen: Nach der Funkabsprache über die vorgesehene Begegnung sei das Echo des MS „P” auf dem Radarbildschirm des SV „J“ im Radarschatten der unterhalb gelegenen Flughafenbrücke verschwunden. Im Fahrweg des SV „J“ sei MS „P” dann plötzlich wieder aufgetaucht.
Obwohl beide Schiffsführer im letzten Moment jeweils nach Backbord ausgewichen seien, habe sich der Anstoß Kopf auf Kopf nicht mehr vermeiden lassen. Der Beklagte zu 2 habe als Schiffsführer des MS „P” den Unfall verschuldet. Es habe dichter Nebel mit einer Sichtweite von 100 bis 200 m geherrscht, so dass MS „P” die Fahrt hätte einstellen müssen. Selbst bei zulässiger Radarfahrt hätte MS „P” warten müssen, weil sich wegen des in der Kurve entgegenkommenden Schubverbands erkennbar eine Gefahrenlage entwickelt habe. Zudem hätte MS „P” auch als Radarfahrer „Achtung-Signale“ und Warnungen per Funk geben müssen, was nicht geschehen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 16.040,80 € nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 20.1.1004 zu zahlen, und auszusprechen, dass beide Beklagte unbeschränkt persönlich, der Beklagte zu 1. zusätzlich dinglich mit einem am 18.3.2003 entstandenen Schiffsgläubigerrecht an „MS P“ haften.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben vorgetragen:
Zu der Kollision sei es nur deswegen gekommen, weil SV „J“ die Kurve in derart starker Steuerbordschräglage durchfahren habe, dass er MS „P” den Weg versperrt habe. MS „P” sei sogar noch über die rote Tonnenlinie zum rechtsrheinischen Ufer hin ausgewichen. Kollidiert seien die Schiffe jenseits der roten Tonnenlinie außerhalb des Fahrwassers. Aus dem Umstand, dass der Beklagte zu 2 kein Radarpatent besessen habe, könne die Klägerin nichts zu ihren Gunsten herleiten. Die Sicht sei gut gewesen und habe keine Radarfahrt erfordert. Oberhalb der Flughafenbrücke seien zwar Nebelschwaden aufgekommen, eine Orientierung nach Sicht sei jedoch jederzeit möglich gewesen. Überdies sei das fehlende Patent für den Unfall nicht ursächlich gewesen. Zusätzlich zu der Funkabsprache über die Begegnung habe MS „P” auch „Achtung-Signale“ gegeben.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat mit Grund- und Teilurteil die Klage dem Grunde nach zu einem Dritteln für gerechtfertigt erklärt und die weitergehende Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Den Beklagten zu 2 treffe als Schiffsführer des MS „P” ein Verschulden an dem Unfall, das der Beklagte zu 1 sich zurechnen lassen müsse. Da dem Beklagten zu 2 mangels Radarpatent die Radarfahrt nicht erlaubt gewesen sei, hätte er gemäß § 6.32 RheinSchPV die Fahrt einstellen müssen, sobald er mit Rücksicht auf die verminderte Sicht, den übrigen Verkehr und die örtlichen Umstände die Fahrt nicht ohne Gefahr habe fortsetzen können. Gegen diese Pflicht habe der Beklagte zu 2 dadurch verstoßen, dass er die Fahrt fortgesetzt habe, obwohl nach den Aussagen unbeteiligter Zeugen bereits in Höhe der Fähre Kaiserswerth dichter Nebel mit einer Sichtweite von allenfalls 120 m geherrscht und die Sicht sich bis zur Unfallstelle nicht mehr verbessert habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne auch nicht festgestellt werden, dass MS „P” sich bei der Annäherung an die Unfallstelle vollständig vorschriftsgemäß so verhalten habe, wie § 6.32 Nr. 4 RheinSchPV es von einem Radarbergfahrer verlange. Dazu hätte MS „P” rechtzeitig Warnsignale geben müssen, was nicht erwiesen sei, und außerdem SV „J“ über Funk auf die drohende Gefahrensituation hinweisen müssen, was jedenfalls nicht rechtzeitig geschehen sei. Ein Verstoß des Schiffsführers von MS „P” gegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV, wonach die Bergfahrt der Talfahrt einen geeigneten Weg weisen und freilassen müsse, sei dagegen nicht festzustellen. Die Begegnung sei über Funk abgesprochen worden und SV „J“ habe linksrheinisch genügend Fahrwasser für eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord zur Verfügung gestanden. MS „P” könne deshalb auch nicht angelastet werden, wegen des entgegenkommenden Schubverbands nicht unterhalb der Kurve angehalten zu haben.
Den Schiffsführer des SV „J” treffe ein Mitverschulden, das die Klägerin sich gemäß § 254 BGB zurechnen lassen müsse. Er habe die Kursweisung des MS „P” nicht hinreichend beachtet. Aufgrund der im Verklarungsverfahren erhobenen Beweise stehe fest, dass sich die Kollision zumindest am rechtsrheinischen Rand des Fahrwassers ereignet habe, so dass dem SV „J“ zur linksrheinischen Seite für eine Vorbeifahrt genügend Raum geblieben sei. SV „J“ sei zu lange und zu weit in Steuerbordschräglage mit dem Kopf in Richtung der Tonnenlinie gefahren, obwohl der Schiffsführer S. gewusst habe, dass MS „P” entgegengekommen sei, und eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord abgesprochen gewesen sei. Des weiteren sei dem Schiffsführer S. ein schuldhafter Verstoß gegen § 6.32 Nr. 3 RheinSchPV anzulasten, weil er trotz erkennbarer Gefahrenlage weder Schallzeichen gegeben noch seine Geschwindigkeit vermindert habe.
Bei Abwägung des beiderseitigen Verschuldens sei eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Klägerin angemessen. Denn gerade den Radartalfahrer treffe eine besondere Verantwortung, weil er mit erheblicher Geschwindigkeit zu Tal fahre und einen größeren Anhalteweg benötige als der Bergfahrer. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei SV „J“ wesentlich schneller als MS „P” und mit unverminderter Geschwindigkeit auf den späteren Kollisionspunkt zugefahren. Der Schiffsführer von SV „J“ habe nicht angegeben, vor der Kollision die Geschwindigkeit vermindert zu haben.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien form- und fristgerecht Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingelegt und ihre Rechtsmittel jeweils fristgerecht begründet.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass in dem angegriffenen Urteil ein Mitverschulden der Schiffsführung des SV „J“ festgestellt worden ist, und trägt dazu vor: Den Schiffsführer des MS „P” treffe nach dem Ergebnis der Verklarung das alleinige Verschulden an der Kollision. Er sei im dicken Nebel ohne Radarpatent gefahren und habe die Fahrt nicht eingestellt, obwohl dazu schon unterhalb der Flughafenbrücke Veranlassung und Gelegenheit bestanden habe. Damit spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass er den Unfall verschuldet habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs würde dies nur dann nicht gelten, wenn der Schiffsführer des MS „P” sich so verhalten hätte, wie sich ein die Fahrt erlaubterweise fortsetzender Talfahrer verhalten hätte. Das sei jedoch nicht der Fall. Der Beklagte zu 2 habe vielmehr gegen sämtliche Bestimmungen des § 6.30 RheinSchPV verstoßen, deren Einhaltung die Havarie verhindert hätte. Obwohl er den SV „J“ frühzeitig erkannt habe, sei er in einem Seitenabstand von 20 bis 30 m zu den roten Tonnen mit unverminderter Geschwindigkeit weitergefahren und habe dadurch eine Begegnung ausgerechnet an der engsten und nautisch anspruchsvollsten Stelle der Stromkrümmung herbeigeführt. Er habe außer einer panikartigen Funkdurchsage unmittelbar vor der Kollision keine Funksprüche abgesetzt und bei der Annäherung der Schiffe keines der vorgeschriebenen Schallsignale abgegeben. Die Kollision habe auch nicht außerhalb des Fahrwassers, sondern im Fahrwasser in einem Abstand von 30 m zur Tonnenlinie stattgefunden, an einer Stelle, die der SV „J“ in der engsten Krümmung aus nautischen Gründen habe anhalten müssen. Unter diesen Umständen sei für die Annahme eines Mitverschuldens der Schiffsführung des SV „J“ kein Raum.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 3.1.2005 dahin abzuändern, dass der Klage nach den in erster Instanz gestellten Schlussanträgen der Klägerin in vollem Umfang stattgegeben wird.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen, ferner, unter Abänderung des Urteils des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 3.1.2005 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Sie tragen vor: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Sicht für eine Weiterfahrt ohne Radar ausreichend gewesen. Nach den Aussagen der Zeugen B. und D. habe sie mindestens 300 bis 400 m, nach den Angaben des Zeugen Beutel sowie des Schiffsführers des SV „J“ 200 bis 250 m betragen. Dem gegenüber falle die Aussage des Zeugen G., auf die das Rheinschifffahrtsgericht sich allein stütze, aus dem Rahmen; er habe die Sichtweite mit ca. 100 bis 120 m ersichtlich zu gering eingeschätzt. Letztlich könne dahinstehen, wie weit die Sicht zum Unfallzeitpunkt möglich gewesen sei, weil der Schiffsführer des MS „P” sich in jeder Hinsicht nautisch richtig verhalten habe, so dass sich ein fehlendes Radarpatent in keiner Weise unfallursächlich ausgewirkt habe. Aufgrund der Aussage des Zeugen G. und des Fundorts des Backbord-Bugankers des MS „P”, der bei der Kollision ausgelaufen sei, stehe fest, dass die Kollision sich außerhalb des Fahrwassers – zwischen der roten Tonnenlinie und dem rechtsrheinischen Ufer – ereignet habe, wohin der Schiffsführer des MS „P” ausgewichen sei; anders hätte auch ein Radarbergfahrer in der gegebenen Situation nicht handeln können. Wie insbesondere die Zeugin B. bestätigt habe, habe der Beklagte zu 2 auch rechtzeitig Warnsignale gegeben. Für eine Warnung über Funk habe zunächst keine Veranlassung bestanden, weil er davon habe ausgehen dürfen, dass SV „J“ rechtzeitig vor der Begegnung aufstrecken und diese wie abgesprochen durchführen werde. Als sich dann kurz vor der Begegnung herausgestellt habe, dass der Schubverband nicht aufgestreckt habe, sei dem Beklagten zu 2 nur noch Zeit zur Abgabe des Achtungssignals geblieben. Die Tatsache, dass SV „J“ darauf nicht reagiert habe, mache deutlich, dass er auch auf eine weitere Kanal-10-Durchsage des Schiffsführer des MS „P” nicht reagiert hätte.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Sie tritt den Ausführungen der Beklagten entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht angebrachten und begründeten Berufungen der Parteien sind zulässig, bleiben in der Sache jedoch ohne Erfolg. Das Rheinschifffahrtsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass beide Schiffsführungen den Zusammenstoß schuldhaft verursacht haben und dass das Verschulden des Schiffsführers des SV „J“ dasjenige des Beklagten zu 2 dergestalt überwiegt, dass eine Haftungsverteilung im Verhältnis 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Klägerin angemessen erscheint.
I.
Den Beklagten zu 2 als Schiffsführer des MS „P” trifft, wie das Rheinschifffahrtsgericht richtig gesehen hat, ein Verschulden am Zustandekommen der Kollision.
1. Allerdings ist ihm nicht anzulasten, dass er bei der Annäherung an den SV „J“ zu weit in der Strommitte gefahren wäre und dem entgegenkommenden Schubverband dadurch für die abgesprochene Begegnung keinen geeigneten Weg freigelassen hätte.
Nach den Feststellungen der Wasserschutzpolizei im Ermittlungsverfahren beträgt der Abstand zwischen der am weitesten talwärts (bei Rheinkilometer 752,2) liegenden roten Tonne und der das Fahrwasser linksrheinisch begrenzenden grünen Radarbake 150 m. Dies entspricht nach Weska auch der Durchfahrtsbreite der etwa 300 m weiter stromabwärts gelegenen Flughafenbrücke. Selbst wenn man davon die 17,5 m abzieht, um die den Angaben des Zeugen Eckard im Verklarungsverfahren zufolge die amtliche Fahrrinne durch die bei Rheinkilometer 752,2 liegende Tonne zum Unfallszeitpunkt eingeschränkt war, verblieb eine Fahrwasserbreit von reichlich 130 m.
Nach dem Ergebnis der Verklarung ist ferner davon auszugehen, dass MS „P” sich hart am rechtsrheinischen Tonnenstrich auf den spätere Kollisionspunkt zubewegte, so dass dem Schiffsführer des SV „J“ für die Vorbeifahrt mehr als 100 m Fahrwasserbreite verblieben. Dass die Kollision sich zumindest hart am rechtsrheinischen Rand des Fahrwassers ereignete, ergibt sich nicht allein aus den Aussagen des Schiffsführers des MS „P” und der Zeugen D. und G. im Verklarungsverfahren, sondern insbesondere auch aus den Angaben der Zeugen Eckhard und Fangen, die MS „P” nach der Havarie eingemessen haben, sowie aus der Lage des Backbord-Bugankers, den MS „P” mitsamt der vollständig ausgelaufenen Ankerkette bei dem Anstoß verlor und der nach den Angaben der Zeugen Eckhard und Fangen fünf bis zehn Meter außerhalb des Fahrwassers auf Grund lag.
Steht demnach fest, dass MS „P” sich vor der Kollision am rechtsrheinischen Rand des Fahrwassers bewegte, muss sich der Kopf des SV „J“ ebenfalls nahe an dem Tonnenstrich befunden haben, der im Bereich der Unfallstelle das Fahrwasser rechtsrheinisch begrenzt. Dass dies, wie die Klägerin mit der Berufung vorträgt, aus nautischen Gründen erforderlich gewesen wäre, um die Rechtskrümmung des Stroms an dieser Stelle zu durchfahren, ist durch die Angaben widerlegt, die der Schiffsführer S. im Verklarungsverfahren zur Fahrweise des SV „J“ bei der Annäherung an die spätere Kollisionsstelle gemacht hat. Danach soll der Abstand zwischen der Steuerbordseite des Kopfs des Schubverbands und der roten Tonnenlinie etwa 50 m betragen haben. Auch wenn diese Angabe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als widerlegt anzusehen ist, macht sie doch deutlich, dass der Schiffsführer S. nicht geltend gemacht hat, er habe die Krümmung nur mit geringem Abstand zwischen dem Kopf des Schubverbands und dem rechtsrheinischen Rand des Fahrwassers durchfahren können.
2. Zu Recht hat das Rheinschifffahrtsgericht jedoch ein Mitverschulden des Beklagten zu 2 darin gesehen, dass er als Schiffsführer des MS „P” die Fahrt trotz unzureichender Sicht fortgesetzt hat, nachdem bereits unterhalb der Flughafenbrücke (Rheinkilometer 752,6) dichter Nebel aufgekommen war.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht kein Zweifel daran, dass die Sicht unterhalb der Unfallstelle stark eingeschränkt war. Nach der Aussage des Zeugen G., der das Rheinschifffahrtsgericht gefolgt ist, lag die Sichtweite für die Bergfahrt bereits oberhalb der Fähre Kaiserswerth (Rheinkilometer 755,1) bei nurmehr 100 bis 120 m. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Schätzung, wie die Klägerin geltend macht, aus dem Rahmen falle. Angaben anderer unbeteiligter Zeugen für die Sicht unterhalb der späteren Unfallstelle sind nicht vorhanden. Die Angabe des ohne Radar zu Tal fahrenden Zeugen Beutel, die Sicht habe 200 bis 250 m betragen, bezieht sich auf den Bereich der Kollisionsstelle. Dass der Zeuge G. die Sichtweite nicht zu gering geschätzt hat, ergibt sich aus seiner weiteren Angabe, er habe wegen dichten Nebels auf der Strecke oberhalb der Fähre Kaiserswerth zeitweise den Mast auf dem Vorschiff seines 940-t-Schiffs nicht sehen können.
Da sich an Bord des MS „P” keine Person befand, die das Radarpatent besaß, und MS „P” deswegen nicht unter Radar fahre durfte (§ 4.06 Nr. 1 b RheinSchPV), hätte der Beklagte zu 2 bei der geringen Sichtweite von allenfalls 120 m gemäß § 6.30 Nr. 5 RheinSchPV unverzüglich einen Liegeplatz aufsuchen müssen. Das wäre auch ohne weiteres möglich gewesen, weil sich unterhalb der Flughafenbrücke bei Rheinkilometer 754 rechtsrheinisch Liegeplätze befinden. Die Fortsetzung der Fahrt trotz der erheblich eingeschränkten Sichtverhältnisse stellt einen schwerwiegenden Verstoß des Beklagten zu 2 gegen die bei unsichtigem Wetter ohnehin gesteigerten Sorgfaltspflichten dar.
3. Vergeblich berufen sich die Beklagten dem gegenüber auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.9.1973 (II ZR 31/72, VersR 1974, 134), nach der eine Schadensersatzpflicht nicht besteht, wenn ein Fahrzeug, das nicht unter Radar fahren darf und deshalb wegen optisch ungenügender Sicht die Fahrt hätte einstellen müssen, mit einem Radartalfahrer kollidiert, obwohl es sich so verhalten hat, wie es sich diesem gegenüber bei einer zulässigen Fortsetzung der Fahrt hätte verhalten müssen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte zu 2 sich bei der Annäherung an die Unfallstelle so verhalten hat, wie er sich nach den Bestimmungen der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung bei zulässiger Radarfahrt hätte verhalten müssen.
Eine Verpflichtung zur Abgabe von Warnsignalen nach § 6.32 Nr. 4 RheinSchPV, von der das Rheinschifffahrtsgericht ausgegangen ist, traf den Schiffsführer des MS „P” allerdings nicht. Die vom Rheinschifffahrtsgericht angewendete Bestimmung ist mit Wirkung zum 1.4.2002 durch entsprechende Anordnungen vorübergehender Art (§ 1.22 RheinSchPV, Art. 2 Nr. 2 RheinSchPEV) inhaltlich geändert worden. Die Abgabe von Schallzeichen ist nunmehr gemäß § 6.32 Nr. 2 d RheinSchPV für Fahrzeuge in der Radarfahrt zu Berg und allgemein gemäß § 4.02 in Verbindung mit Anlage 6 RheinSchPV nur noch für den Fall vorgeschrieben, dass mit den entgegenkommenden Fahrzeugen kein Sprechfunkkontakt und damit keine Verständigung zustande kommt.
Bei zulässiger Radarfahrt hätte der Beklagte zu 2 aber, nachdem auf dem Radarschirm des MS „P” zu erkennen war, dass die zuvor über Funk abgesprochene Begegnung Steuerbord an Steuerbord wegen der Fahrweise des Schubverbands zu misslingen drohte, schon in Erfüllung der nach § 1.04 RheinSchPV bestehenden allgemeinen Sorgfaltspflicht sowie ferner im Rahmen der den Radarbergfahrer nach § 6.32 Nr. 2 a RheinSchPV treffenden Pflicht zur Absprache der Vorbeifahrt über Sprechfunk den SV „J“ rechtzeitig über Funk zum Abfallen nach Backbord auffordern müssen, um zu erreichen, dass die Begegnung gefahrlos und in ausreichendem Abstand vonstatten geht. Dazu war der erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß in erregter Form über Funk gegebene Hinweis nicht ausreichend und vor allem nicht rechtzeitig. Dass der Schiffsführer des MS „P” einen weiteren, ausreichenden und rechtzeitigen Hinweis über Funk gegeben hat, was die Klägerin bestreitet, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben.
II.
1. Zutreffend hat das Rheinschifffahrtsgericht eine schuldhafte Mitverursachung der Kollision auf seiten der Klägerin darin gesehen, dass der Schiffsführer des SV „J“ die für die Begegnung über Funk gegebene Kursweisung des MS „P” nicht hinreichend beachtet hat. Dazu wäre es erforderlich gewesen, rechtzeitig nach Backbord abzufallen, um den Kopf des Schubverbands aus der Kurslinie des am rechtsrheinischen Rand des Fahrwassers aufkommenden Bergfahrers herauszubringen. Wie bereits ausgeführt wurde, stand dem Schiffsführer des SV „J“ im linksrheinischen Teil des an der Unfallstelle ca. 130 m breiten Fahrwassers genügend Raum für eine gefahrlose Begegnung Steuerbord an Steuerbord zur Verfügung.
2. Nicht zu folgen ist dem Rheinschifffahrtsgericht hingegen, soweit es meint, dem Schiffsführer des SV „J“ sei des weiteren ein schuldhafter Verstoß gegen § 6.32 Nr. 3 RheinSchPV anzulasten, weil er trotz erkennbarer Gefahrenlage weder Schallzeichen gegeben noch seine Geschwindigkeit vermindert habe. Denn auch diese Bestimmung ist, wie oben bereits ausgeführt, ab 1.4.2002 entfallen. Seither schreibt § 6.32 Nr. 2 d RheinSchPV die Abgabe von Schallzeichen und eine Verminderung der Geschwindigkeit nur für Fahrzeuge in der Radarfahrt zu Berg und nur noch für den Fall vor, dass – anders als hier – mit den entgegenkommenden Fahrzeugen kein Sprechfunkkontakt zustande kommt.
III.
Da somit beide Schiffsführer den Unfall schuldhaft mitverursacht haben, sind die Verursachungsbeiträge gemäß §§ 92c Abs. 1, 92f Abs. 1 BSchG gegeneinander abzuwägen. Dabei überwiegt das Verschulden des Schiffsführers des SV „J“ dasjenige des Beklagten zu 2 deutlich. Der Schiffsführer des SV „J“ hat unter grober Missachtung der mit der Bergfahrt über die Begegnung getroffenen Absprache mit dem Kopf des SV „J“ auf das entgegenkommende MS „P” zugehalten und dadurch die Hauptursache für die Kollision gesetzt. Der darin liegende schuldhafte Verursachungsbeitrag wiegt nach Überzeugung der Kammer doppelt so schwer wie das den Beklagten zu 2 als Schiffsführer des MS „P” treffende, ebenfalls schwerwiegende Verschulden, so dass die Beklagten zu einem Drittel für die Folgen der Kollision einzustehen haben und die weitergehende Klage unbegründet ist.
IV.
Da sich das angefochtene Urteil damit im Ergebnis als zutreffend erweist, sind die Berufungen beider Parteien zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Aus den dargelegten Gründen wird deshalb für Recht erkannt:
Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 3.1.2005 – 5 C 6/04 – werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 2/3, die Beklagten als Gesamtschuldner 1/3 zu tragen.