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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 14. Januar 1976
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes Duisburg-Ruhrort vom 28.2.1975 -5C 98/74 BSch -)
Tatbestand:
Der Kläger ist der Eigner des MTS "H", das 77 m lang und 8,20 m breit ist, eine 500 PS starke Maschine hat und 991 to fasst. Die Beklagte ist die Eignerin des Baggers "G". Sie führte mit ihm im November 1972 im Auftrage des Wasser- und Schiffahrtsamtes Köln unterhalb der Strassenbrücke Bonn-Beuel in der rechtsrheinischen Stromhälfte Baggerarbeiten aus, die sich von Km 655 bis Km 655,6 erstreckten. Der Bagger war wie folgt verankert und gesichert. Ein 2000 kg schwerer Anker stand etwa 400 m voraus. Ein Klippanker von 800 kg stand zur linksrheinischen Seite hin etwa 40 m vom linken Ufer entfernt. Er war mit dem Bagger durch eine Kette verbunden, die mindestens 2 m unter der Wasseroberfläche lag. Der Seitenanker war notwendig, um den Bagger beim Einsatz hin und her bewegen zu können. Beide Anker waren durch gelbe Bojen (Döpper) gekennzeichnet, und zwar der Vorausanker durch eine, der Seitenanker durch 2, die unterschiedlich gross und mehrere Meter voneinander entfernt waren. Die zweite Boje war am Tage vor der noch zu schildernden Havarie auf Veranlassung des Strommeisters A. vom Wasser- und Schiffahrtsamt Köln ausgelegt worden. Zwischen dem Vorausanker und dem Bagger lag ein Wahrschaufloss, das zum rechtsrheinischen Uf hin rot, zum linksrheinischen hin rot-weiss ausgeflaggt war. Das Wasser-und Schiffahrtsamt Köln hatte der geschilderten Verankerung und Sicherung des Baggers zugestimmt. Das gilt insbesondere für die seitliche Verankerung. Am 21.11.1972 befand sich das MTS "H", auf 2,50 m Tiefe abgeladen, auf der Bergfahrt von Köln nach Offenbach. Gegen 15.00 Uhr erreichte es die Ortslage Bonn. Es herrschte klares Wetter. Der Rhein führte Hochwasser. Die Hochwassermarke I des Kölner Pegels war um 44 cm überschritten. Mit Rücksicht hierauf waren am 20.11.1972 die Baggerarbeiten eingestellt worden. "H" fuhr in die Nähe des linksrheinischen Ufers. Dabei geriet seine Schraube gegen ein Drahtseil, das zu dem linksrheinisch liegenden Baggeranker gehörte. Das Seil wickelte sich um Schraube und Schraubenwelle, so dass die Maschine ruckartig stillstand. Da die ausgeworfenen Anker nicht hielten, trieb das Schiff ab. Die Anker und Bagger verbindende Kette riss. "H" erlitt einen Schaden, dessen Höhe mit DM 136.355 angegeben wird. Der Anspruch auf Erstattung dieser Summe ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites. Der Bagger der Beklagten blieb unbeschädigte Es entstanden lediglich Schäden an einer Boje, ihrem Draht und der Ankerkette. Ausserdem entstanden Transportkosten und solche der Suche nach dem Anker. Sie sind im Parallelprozess 5 C 107/73 BSch des Rheinschiffahrtsgerichtes Duisburg-Ruhrort = 3 U 4-3/74 des Rheinschiffahrtsobergerichts Köln von dem Versicherer des Baggers, der sie dessen Eigentümerin erstattet hat, eingeklagt worden. Die Klage wurde in zwei Instanzen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Im Verfahren über die Höhe schlossen die Parteien einen Vergleich. Weiter entstand aus der geschilderten Havarie das Verklarungsverfahren 5 II 30/72 des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort. Sie führte schliesslich zu dem Strafverfahren 6 Cs 391/73 BSch des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort gegen den Schiffer Gr. vom MTS "H". Gegen ihn erging ein Strafbefehl über DM 40.-, weil er unter Verstoss gegen § 10,01 (i) Buchstabe a RSchPVO bei Hochwasser in einem Abstand von 40 m zum linken Rheinufer gefahren sei, statt wie vorgeschrieben das mittlere Stromdrittel zu benutzen. Der Schiffsführer hat Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden wurde, weil das Verfahren bis zur Entscheidung der schwebenden Zivilprozesse ausgesetzt wurde. Im vorliegenden Rechtstreit hat der Kläger behauptet, der Seitenanker des Baggers sei nicht ordnungsgemäss gekennzeichnet gewesen, denn eine etwaige Kennzeichnung durch gelbe Bojen sei für die durchgehende Schiffahrt nicht erkennbar gewesen. Ausserdem hätte er eingeholt werden müssen, da der Bagger der Beklagten am Unfalltage nicht im Einsatz gewesen sei. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Havarie seines Schiffes beruhe allein auf den genannten Faktoren. Ein Verschulden seiner Besatzung scheide als Unfallursache aus.
Der Kläger hat deshalb beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 136.553, nebst 4 % Zinsen seit dem 18.11.1974 zu bezahlen.
Die Beklagte hat den Antrag gestellt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die Kennzeichnung des Seitenankers sei deutlich sichtbar gewesen und auch von der sonstigen Schiffahrt, die am Unfalltage zahlreich gewesen sei, erkannt worden.
Das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort hat die ausserhalb des vorliegenden Rechtsstreits entstandenen Akten beigezogen und sodann die Klage abgewiesen. Es sieht als durch die Aussagen der Wasserschutzpolizeibeamten S. und R. bewiesen an, dass die Kennzeichnung des Seitenankers des Baggers der Beklagten gut sichtbar gewesen sei. Die Aussage des Schiffsführers D. von TMS " W", der im Zeitpunkt der Havarie dabei war, das TMS "H" zu überholen, und die Kennzeichnung des Ankers nicht gesehen haben will, hält es für durch einen Irrtum beeinflusst. Es meint weiter, die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Seitenanker einzuholen, als der Baggerbetrieb wegen Hochwassers vorübergehend eingestellt worden sei, denn die Auslegung eines solchen Ankers sei üblich und bei ausreichender Kennzeichnung erlaubt.
Der Kläger hat Berufung eingelegt und die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt verlangt.
Die Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge zu den Ausführungen des Rheinschiffahrtsgerichts und nehmen Stellung.
Es beantragen:
Der Kläger,
das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes und die Beklagte gemäss seinen im ersten abzuändern Rechtszuge gestellten Anträgen zu verurteilen.
Die Beklagte,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die formell nicht zu beanstandende Berufung ist erfolglos.
1) Auch die Berufungskammer ist der Ansicht, dass der Beklagten nicht vorgeworfen werden kann, den ausgelegten Seitenanker während einer vorübergehenden, durch Hochwasser bedingten Einstellung der Baggerarbeiten nicht eingeholt zu haben. Die Begründung dieser Ansicht durch das Rheinschiffahrtsgericht reicht allerdings nicht aus. Selbst wenn die Auslegung des Seitenankers erlaubt war, so war diese Erlaubnis auf den notwendigen Zeitraum eingeschränkt. Dieser Zeitraum wurde durch die Dauer der Baggerarbeiten bestimmt, denn der Seitenanker wurde nur hierbei benötigt, um notwendige Bewegungen des Baggers gefahrlos durchführen zu können. Arbeitete also der Bagger nicht, so konnte der Seitenanker eingeholt werden, ohne dass die Sicherheit des schwimmenden Gerätes, dass wie jedes stilliegende Schiff hinter seinem Buganker lag, beeinträchtigt wurde. Da der Anker und seine quer zum Strom liegende lange Kette auch bei ausreichender Kennzeichnung für die Schiffahrt nicht ungefährlich waren, gebot es die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht, ihn einzuholen, wenn er nicht mehr benötigt wurde. Dieser Grundsatz gilt allerdings nur innerhalb vernünftiger Grenzen. Kurze Unterbrechungen der Baggerarbeit machen die Einholung des Seitenankers nicht notwendig, denn sie und das Wiederauslegen des Ankers erfordern einen Kostenaufwand der nur in zumutbaren Grenzen erwartet werden kann. Zumutbar ist die Einholung des Ankers dann, wenn sicher feststeht, dass eine notwendig gewordene Unterbrechung der Baggerarbeit eine längere Zeit andauern wird. Es spricht nichts dafür, dass am Tage der Havarie sicher war, dass das eingetretene Hochwasser eine längere Zeit andauern werde. Im Vertrauen darauf, dass die ausreichende Kennzeichnung des Ankers und die herrschende gute Sicht dessen Gefahr für die durchgehende Schiffahrt auf ein Minimum reduzierte, wenn sie nicht sogar aufgehoben war, durfte die Beklagte abwarten. Das gilt umso mehr, als weder das Wasser- und Schiffahrtsamt Köln noch die Wasserschutzpolizei, Behörden, die für die Sicherheit des Verkehrs auf dem Rhein verantwortlich sind, die Einholung des Seitenankers verlangt hatten. Das Wasser- und Schifffahrtsamt hat lediglich gefordert, ihn durch eine zweite Boje noch besser zu kennzeichnen. Die Wasserschutzpolizei hielt diese Kennzeichnung für hinreichend. Die Beklagte durfte unter den dargelegten Umständen den Seitenanker, den sie erlaubterweise ausgelegt hatte, zumindest am Unfalltage liegen lassen. Wann er eventuel hätte eingeholt werden müssen, ist nicht zu erörtern, da es hierauf für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites nicht ankommt.
2) Mit dem Rheinschiffahrtsgericht stellt auch die Berufungskammer fest, dass der ausgelegte Seitenanker ausreichend gekennzeichnet war. Davon haben sich die Beamten der Wasserschutzpolizei S. und R. auf einer Dienstfahrt auf dem Rhein am Unfalltage kurze Zeit vor der Havarie überzeugt. Beide haben im Verklarungsverfahren 5 II 30/72 des AG Duisburg-Ruhrort ausgesagt, sie hätten bewusst auf die Ankerbojen geachtet, da ihnen bekannt gewesen sei, wo sie hätten liegen müssen. Sie hätten an der erwarteten Stelle zwei gelbe Bojen gesehen, die etwa 3 m hintereinander gelegen hätten. Der Zeuge R. hat besonders betont, dass beide Bojen nicht nur von der Seite, sondern auch bei einem Blick zu Berg hin gut sichtbar gewesen seien. Es besteht kein Anlass zu der Annahme, dass beide Zeugen die Unwahrheit gesagt haben. Der Versuch des Klägers, darzutun, ihre Aussagen könnten durch das Bestreben beeinflusst sein, ihr eigenes pflichtwidriges Verhalten zu verschleiern, ist zurückzuweisen da der Kläger nicht darlegen kann, worin denn das unterstellt pflichtwidrige Verhalten bestehen soll. Er unterstellt vielmehr einfach, es hätten keine Bojen gelegen, die Aussage der Zeugen sei deshalb bewusst falsch und das erkläre sich aus dem Schuldgefühl, auf die notwendige Auslegung der Bojen nicht gedrungen zu haben. Hier wird einfach unterstellt, was zu beweisen ist. Die Berufungskammer ist auch von der objektiven Richtigkeit der Zeugenaussagen überzeugt. Es ist nicht einzusehen, dass beide Zeugen, erfahrene Beamte der Wasserschutzpolizei, dem gleichen schweren Irrtum erlegen sein können, nämlich der Täuschung, nicht vorhandene Markierungsbojen gesehen zu haben.
Bei dieser Argumentation verkennt die Berufungskammer nicht, dass der ebenfalls im Verklarungsverfahren gehörte Zeuge D., der Führer des TMS "W", erklärt hat, er habe die Bojen nicht gesehen. Auch dieser Zeuge ist nicht in dem Verdacht, die Unwahrheit gesagt zu haben, da kein Motiv für ein solches Verhalten zu sehen ist. Die Ansicht der Beklagten, er habe dem Schiffsführer des TMS "H" durch eine falsche Aussage kollegiale Hilfe gewähren wollen, teilt die Berufungskammer nicht, da nichts dafür spricht. Für einen Irrtum des Zeugen sprechen aber die folgenden Umstände. Er war dabei, das TMS "H" zu überholen und musste über dieses hinwegsehen, um die Bojen zu erkennen. Bedenkt man aber, dass dieses Schiff die Bojen, eine von ihnen oder zumindest die Drähte, durch die sie mit dem Seitenanker des Baggers verbunden waren, berührt haben muss, weil nur so die Havarie erklärt werden kann, so durften sie für den Zeugen zumindest vorübergehend in einem toten Blickwinkel ge¬legen haben. Ausserdem kann er seine Aufmerksamkeit auf das Überholmanöver konzentriert und deshalb die Bojen übersehen haben. Die Zeugen S. und R. dagegen haben bewusst auf sie geachtet. Hinzu kommt die Erwägung, dass es weit häufiger vorkommt, dass vorhandene Dinge übersehen werden, als dass nicht vorhandene wahrgenommen werden, dazu noch von Personen, die bewusst und aufmerksam auf sie achten. Aus den genannten Gründen stellt auch die Berufungskammer fest, dass der ausgelegte Seiten¬anker auch zur Unfallzeit durch zwei gut sichtbare Bojen gekennzeichnet war und kein Anlass besteht anzunehmen, sie seien zwar ausgelegt worden, aber durch die Bewegungen des Hochwassers unter die Wasseroberfläche geraten bzw. aus anderen Gründen nicht sichtbar gewesen.
Es spricht auch nichts dafür, dass die Bojen vom Steuerhause eines normalen Frachtschiffes aus für einen Beobachter,der ihre Lage nicht kannte, nicht ausreichend erkennbar waren und nur von einem niedrigen Boot der Wasserschutzpolizei aus von Personen erkannt werden konnten, die wussten, wo sie lagen und nach ihnen besonders ausschauten. Dagegen spricht, dass es sich um normale Bojen handelt, deren Verwendung zur Markierung von Hindernissen der Schiffahrt üblich ist. Sie sind so gebaut, dass sie von allen Schiffen, nicht nur von besonders niedrigen aus erkannt werden können. Ihr gelber Anstrich macht sie besonders leicht erkennbar. Es wurde bereits dargelegt, warum sie trotzdem von dem Zeugen D. nicht gesehen worden sein können. Das hing mit seiner Beobachterposition, nicht aber mit der generellen Erkennbarkeit der Bojen zusammen. Der Schiffsführer des Klägers hat die Boje aus Unaufmerksamkeit übersehen. Sein Matrose Sch., der bei ihm im Ruderhaus auf der Bank sass, hat nicht auf sie geachtet. Die Aussagen dieser Personen sprechen also nicht dafür, dass die Bojen von normalen Frachtschiffen aus nicht erkennbar waren.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beklagte oder Mitglieder der Besatzung ihres Baggers den Unfall des Schiffes des Klägers schuldhaft nicht beeinflusst haben. Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch auf Ersatz der mit diesem Unfall verbundenen Schäden gegen die Beklagte.
Deshalb wird für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das am 28. Februar 1975 verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort wird als unbegründet abgewiesen.
Das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts wird bestätigt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Der Gerichtskanzler: Der Vorsitzende: (gez.) Doerflinger (gez.) S. Royer