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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 23. Juni 1970
AUF BERUFUNG gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar
vom 29 Mai 1968 (4 C 16/63)
Sachverhalt:
Die Klägerin ist Eignerin des Motorgüterschiffes "ML" (Länge: 67 m; Breite: 8,24 m; Tragfähigkeit: 952 tons; Maschinenstärke: 560 PS). Die Beklagte Ziffer 1 ist Eigentümerin des Motorgüterschiffes "RT" (Länge: 73,03 m ; Breite: 8,24 m. ; Tragfähigkeit: 1168 tons ; Maschinenstärke: 600 PS), das von dem Beklagten Ziffer 2 verantwortlich geführt wurde. Am 17. Mai 1963 fuhr "ML" mit einer Ladung von 924 tons bei einem Tiefgang von 2,45 m auf dem Rhein bei Rüdesheim in einem Abstand von etwa 50 m vom rechten Ufer zu Berg. "ML" folgte einem vorausfahrenden Schleppzug der aus einem Selbstfahrer mit einem Anhang bestand. Andere einzelfahrende Motorschiffe folgten "ML" nach. Etwa 300 bis 400 m unterhalb der späteren Unfallstelle (Rhein-Kilometer 526,600) setzte sich das ebenfalls zu Berg fahrende, mit 848 tons auf einen Tiefgang von 2,29 m abgeladene Motorgüterschiff "RT", das von der linken Rheinseite schräg herübergekommen war, so steuerbord versetzt neben "ML", dass sich sein Vorschiff im Bereich des Hinterschiffes von "ML" befand. Auf "RT" war zum Zeichen seiner Überholabsicht die blaue Überholflagge am Vormast gesetzt. Gleichzeitig zeigte "RT" für herankommende Talfahrt (Einzelfahrer) an Steuerbordseite die blaue Seitenflagge, um anzuzeigen, dass die Talfahrt an seiner Steuerbordseite vorbeifahren sollte. Während oder nach dem Passieren der Talfahrt begann "RT", das bis dahin mit seinem Vorschiff auf Höhe des Hinterschiffsbereichs von "ML" gefahren war, dieses auf Steuerbordseite in einem Seitenabstand von ca. 25 m zu überholen. Während dieser Überholung lief "ML" nach backbord aus und stiess gegen das am rechten Rheinufer an einem Anlegesteiger bei Rhein-Kilometer 526,600 liegende Fahrgastmotorschiff "F" der Köln-Düsseldorfer-Rheindampfschiffahrtsgesellschaft. Hierbei erlitten sowohl "ML" als auch besonders das Fahrgastmotorschiff "F" erhebliche Schäden. Während des Ausscherens der "ML", das etwa 100 m unterhalb des Fahrgastmotorschiffes begann, wurde das Ruder auf "ML" nach steuerbord ausgedreht. Die Maschinenleistung war zur Verstärkung der Ruderwirkung zunächst erhöht, dann aber die Maschine gestoppt und auf Rückwärtslauf gesetzt worden, wobei die Steuerbordruderlage bestehen blieb. Bei Beginn der Ausscherbewegung waren auf "ML" eine Reihe kurzer Typhontöne abgegeben worden. Das Fahrwasser hatte bei dem am Unfalltag bestehenden Wasserstand (2,60 m am Pegel Bingen) unterhalb der Unfallstelle eine Breite von 170 m. Es verengt sich stromauf etwas und wies an der engsten Stelle kurz oberhalb der Unfallstelle noch eine Breite von ca. 140 m auf. Die Klägerin und Eignerin der "ML" hat sich vor Klagerhebung gegenüber der Eigentümerin des stilliegenden Fahrgastmotorschiffes "F" verpflichtet, die an dem Fahrgastmotorschiff und die dem Restaurateur dieses Schiffes entstandenen Schäden zu ersetzen. Mit ihrer vor dem Rheinschiffahrtsgericht St. Goar erhobenen Klage hat die Klägerin und Eignerin der "ML" von den Beklagten Ersatz des durch den Unfall an ihrem eigenen Schiff enstandenen Schadens in Höhe von DM 3.252,75 begehrt und ausserdem Freistellung von allen Ansprüchen seitens der Eigentümerin und des Restaurateurs des Fahrgastmotorschiffes "F" aus dem Unfall vom 17. Mai 1963 verlangt. Sie hat die Ansicht vertreten, der beklagte Schiffsführer des "RT" habe den Unfall schuldhaft verursacht, da er das Überholmanöver an ungeeigneter Stelle in ungenügendem Seitenabstand und mit zu hoher Geschwindigkeit ausgeführt habe. Hierdurch sei auf "ML" eine übermässige Sogwirkung ausgeübt worden, der trotz nach steuerbord ausgedrehten Ruders nicht habe begegnet werden können. Die Beklagten, haben Klagabweisung beantragt und zur Begründung ihres Antrags vorgebracht, dass das Überholmanöver unter Zurücknahme der Maschinenkraft in ausreichendem Seitenabstand vorgenommen worden sei. Für die Durchführung der Überholung habe auch unzweifelhaft hinreichender Raum zur Verfügung gestanden. Nach Wahrnehmung der Achtungsignale der "ML" habe man auf "RT" sofort die Fahrtstufe verringert. Eine von "RT" ausgehende Sogwirkung habe nicht die Grenze einer bei jedem Überholmanöver feststellbaren Beeinflussung des überholten Schiffes überschritten und sei durch richtiges Ruderlegen jederzeit beherrschbar gewesen.Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar zunächst mit Teilurteil vom 30. Dezember 1964 nur über den die Eigenschäden der "ML" betreffenden Klagantrag (Zahlungsanspruch über DM 3.252,75 nebst Zinsen) entschieden und diesen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Entscheidung des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar beruht im wesentlichen auf der Feststellung, dass das Überholmanöver des "RT" zwar nicht unzulässig gewesen sei, da das Fahrwasser eine ausreichende Breite aufgewiesen habe, um eine ungehinderte Vorbeifahrt von drei Fahrzeugen, also auch des Talfahrers, zuzulassen ; jedoch sei der von "RT" eingehaltene seitliche Abstand von 20 bis 25 m nicht ausreichend gewesen, zumal in dem Unfallrevier das Wasser seicht sei und deshalb eine bedeutend grössere Sogwirkung auftrete als im tiefen Wasser. Nach den Auswirkungen, die sich nach der Überholung auf "ML" zeigten, müsse davon ausgegangen werden, dass die Rührung des "RT" entweder zu dicht oder zu schnell an "ML" vorbeigefahren sei. Gegen dieses Teilgrundurteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar über die Eigenschäden der "ML" haben die Beklagten Berufung zum Oberlandesgericht — Rheinschiffahrtsobergericht - Köln eingelegt mit dem Antrag, das Teilgrundurteil des Rheinschiffahrtsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat Zurückweisung der Berufung beantragt.
In der Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht Köln haben die Parteien im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Durch rechtskräftiges Urteil vom 22. Oktober 1965 (Aktenzeichen: 3 U 145/65) hat das Oberlandesgericht - Rheinschiffahrtsobergericht - Köln der Berufung der Beklagten stattgegeben und in Abänderung des Teilgrundurteils des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar den Klagantrag abgewiesen. Zur Begründung seines Urteils hat das Oberlandesgericht - Rheinschiffahrtsobergericht - Köln ausgeführt, dass die Klägerin nicht vermocht habe, den ihr obliegenden Beweis für ein Verschulden des Schiffsführers des "RT" an dem Zustandekommen des Unfalls zu erbringen. Da nach den zutreffenden Feststellungen des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar bei einer Fahrwasserbreite von mehr als 100 m ein unzweifelhaft hinreichender Raum für das Überholmanöver zur Verfügung gestanden habe, seien die Beklagten entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verpflichtet, sich zu entlasten; vielmehr obliege der Klägerin der Nachweis, dass der Schiffsführer des "RT" bei der Durchführung des Überholmanövers einen nautischen Fehler begangen habe. Nach dem Beweisergebnis stehe nicht fest, dass die von dem Überholer ausgegangene Sogwirkung das bei Überholungen allgemein übliche und in Kauf zu nehmende Ausmass überschritten habe und so stark gewesen sei, dass der Kurs des überholten Schiffes auch bei ordnungsgemässer Steuerung desselben beeinträchtigt wurde. Für die Feststellung eines zu dichten Überholabstandes oder einer für den gewählten Abstand zu hohen Geschwindigkeit fehle es nach dem Beweisergebnis an hinreichend sicheren Anhaltspunkten. Nach diesem rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts — Rheinschiffahrtsobergericht — Köln über den Zahlungsanspruch der Klägerin wegen der Eigenschäden der "ML" ist der Rechtsstreit vor dem Rheinschiffahrtsgericht St. Goar wegen der Schäden des Fahrgastmotorschiffes "F" fortgesetzt worden. Die Klägerin hat vor dem Rheinschiffahrtsgericht St. Goar ihr früheres Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen, dass die im Unfallrevier herrschenden örtlichen Gegebenheiten und Strömungsverhältnisse derart ungünstig gewesen seien, dass der gewählte Seitenabstand zur gefahrlosen Durchführung des Überholmanövers nicht ausgereicht habe. Die Beklagten haben ebenfalls ihr früheres Vorbringen wiederholt und auf die Begründung des Berufungsurteils des Oberlandesgerichts Köln verwiesen. Nachdem inzwischen seitens der Klägerin beziehungsweise der hinter ihr stehenden Versicherungsgesellschaft den Interessenten des Fahrgastmotorschiffes "F" Schadensersatz in Höhe von DM 91.559,90 geleistet worden war und die Interessenten des Fahrgastmotorschiffes "F" ihre Schadensersatzansprüche daraufhin an die Klägerin abgetreten haben, hat die Klägerin ihren bisher auf Freistellung von Schadensersatzansprüchen gerichteten Antrag in einen Zahlungsanspruch geändert und hat nunmehr vor dem Rheinschiffahrtsgericht St. Goar den Antrag gestellt, die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, und zwar die Beklagte zu 1) ausser dinglich haftend mit dem Motorgüterschiff "RT" im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend, an sie folgende Beträge zu zahlen:
1. 83.750,- DM nebst 4% Zinsen von
50.000,- DM seit dem 23. Oktober 1963
33.750,- DM seit dem 24. Dezember 1963
83.750,- DM
2. 4.500,- DM nebst 4 % Zinsen seit 31. Dezember 1964
3. 1.309,90 DM nebst 4 % Zinsen seit 7. Januar 1964
4. 2.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit 7. Januar 1964.
Die Beklagten haben weiterhin Klagabweisung beantragt.
Nach Einholung eines Gutachtens der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau e.V. in Duisburg über die Auswirkungen des Überholmanövers von "RT" auf die Fahrweise der "ML" hat das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar durch Urteil vom 29. Mai 1968 die Klage kostenfällig abgewiesen. In seinen Entscheidungsgründen hat das Rheinschiffahrtsgericht u.a. ausgeführt: Es könne auch weiterhin als bewiesen angesehen werden, dass die Schiffsführung des "RT" bei dem Überholmanöver nicht so gefahren sei, dass eine unzumutbare Beeinträchtigung der "ML" vermieden wurde. Die Tatsache des plötzlichen Ausscherens von "ML" deute darauf hin, dass die zum Überholen auf "RT" vorgenommene Fahrtverstärkung den Bereich der unschädlichen Grenzgeschwindigkeit überschritten habe. Bei dieser Situation liege ein fehlerhaftes Verhalten des beklagten Schiffsführers so nahe, dass es nicht Sache der Klägerin sein könne, den konkreten Nachweis für ein Verschulden des beklagten Schiffsführers zu erbringen. Trotzdem sei in dem vorliegenden Falle dem beklagten Schiffsführer ein Schuldvorwurf nicht zu machen. Nachdem zwei sachkundige Gerichte den Sachverhalt entgegengesetzt beurteilt hätten und lediglich aufgrund eines Gutachtens weitere Feststellungen dahingehend möglich gewesen seien, dass der beklagte Schiffsführer sich bei dem Überholmanöver in einem kritischen, für den Überholten gefährlichen Geschwindigkeitsbereich bewegte, könne ihm nicht vorgeworfen werden, dass er die Gefährdung des "ML" nicht vorausgesehen habe und dementsprechend vorsichtiger gefahren sei. Gegen dieses, am 22. Juli 1968 zugestellte Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar hat die Klägerin mit dem am 12. August 1968 beim erstinstanzlichen Gericht eingegangene Schriftsatz Berufung an die Berufungskammer der Zentralkommission eingelegt. Zur Begründung ihrer Berufung nimmt die Klägerin in vollem Umfange auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug und trägt ergänzend dazu vor:
Das Rheinschiffahrtsgericht habe den Schuldvorwurf gegen den beklagten Schiffsführer des "RT" nicht mit der Begründung verneinen dürfen, dass zwei Gerichte den Sachverhalt unterschiedlich beurteilt hätten; dies widerspreche der eigenen Beweiswürdigung, in der das Gericht zu einer Feststellung eines Verschuldens des Beklagten Ziffer 2 gelangt sei. Soweit das Oberlandesgericht Köln in dem vorliegenden Rechtsstreit den Klaganspruch abgewiesen habe, beruhe diese Entscheidung auf einer Verkennung der Beweislast. Nachdem sowohl das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar in seinem ersten Teilurteil vom 30 Dezember 1964 als auch das Oberlandesgericht feststellten, dass "ML" unter der Einwirkung der Vorbeifahrt des "RT" ausgelaufen sei, könne es — entsprechend der früheren langjährigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln wie auch der Rheinzentralkommission— nicht Aufgabe der Klägerin sein, den konkreten Nachweis für ein Verschulden des Schiffsführers des überholenden Schiffes zu erbringen, vielmehr müsse von den Beklagten verlangt werden, den Nachweis dafür zu führen, das man auf dem überholten Schiff nicht alle nötigen und möglichen Vorsichtsmassnahmen getroffen habe. Selbst wenn dieser Nachweis gelänge, könnte man höchstens von einem mitwirkenden Verschulden der Führung der überholten «Maria Luise» sprechen. Ausserdem sei dem Schiffsführer des "RT" der Vorwurf zu machen, dass er bei ausreichender Breite des Fahrwassers ohne ersichtlichen Grund der "ML" so dicht angehalten habe, dass eine Sogwirkung auftreten konnte. In diesem Verhalten liege ein Verstoss gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht gemäss § 4 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung. Im übrigen ergäbe das Gutachten eines Schiffahrtspraktikers, dessen Einholung fürsorglich beantragt werde, dass an dieser Stelle üblicherweise nicht überholt werde und "RT" mit einer für den gewählten Abstand zu grossen Geschwindigkeit überholt habe, so dass eine für den Beklagten Ziffer 2) voraussehbare Sogwirkung auftreten musste.
Die Klägerin stellt im Berufungsverfahren vor der Berufungskammer der Zentralkommission den Antrag,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären, soweit sie nicht durch Urteil des Oberlandesgerichts Köln -3 U 145/65- vom 22. Oktober 1965 in Höhe von DM 3.252,75 nebst 4% Zinsen seit dem 1. August 1963 abgewiesen worden ist und die Kosten des Prozesses den Beklagten als Gesamtschuldnern aufzuerlegen, soweit nicht die Klage bereits rechtskräftig abgewiesen wurde.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts -Rheinschiffahrtsgerichts- St. Goar vom 29. Mai 1968 unter Auferlegung der Kosten als unbegründet abzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrags nehmen die Beklagten in erster Linie auf die Begründung des klagabweisenden Urteils des Oberlandesgerichts Köln vom 22. Oktober 1965 sowie auf die Feststellungen und die Ergebnisse der Gutachten der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau Bezug. Ergänzend hierzu tragen die Beklagten vor: Bei Eintritt eines Unfalls während der Überholung obliege dem Überholer nur der Beweis dafür, dass für das Überholmanöver unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und des übrigen Verkehrs ein unzweifelhaft hinreichender Raum zur Verfügung stand. Stehe wie im vorliegenden Falle fest, dass hinreichender Raum für die Vorbeifahrt vorhanden war, so greife wieder die allgemeine Regel ein, dass der Geschädigte das ursächliche Verschulden des Schädigers zu beweisen habe. Jede andere Beweislast Verteilung, insbesondere die von der Klägerin vertretene Beweislastumkehr gegen den Überholer, widerspreche der Verkehrsentwicklung auf dem Rhein. Einen Beweis für ein Verschulden des Überholers habe aber in dem vorliegenden Falle die Beweisaufnahme nicht ergeben; vielmehr müsse nach dem Gutachten der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau davon ausgegangen werden, dass "RT" bei dem in ausreichendem Seitenabstand ausgeführten Überholmanöver die von dem Gutachter errechnete kritische Grenzgeschwindigkeit nicht erweisbar überschritten habe. Ein entsprechender nautischer Fehler sei dagegen von der Führung der "ML" selbst gemacht worden, als sie noch etwa 100 m unterhalb des Fahrtgastschiffes die Maschine abstoppte und auf Rückwärtslauf setzte, wobei das Ruder in Querlage nach steuerbord verblieben sei. Hierdurch habe sich die Ausscherbewegung nicht unerheblich verstärkt. Die Klägerin hat mit Zustimmung der Beklagten die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung vor der Berufungskammer beantragt, die am 23. Juni 1970 stattfand.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungskammer hat erwogen:
I.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Teilurteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 29. Mai 1968 ist form- und fristgerecht eingelegt.
2. Die Tatsache, dass das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar für den Schiffsunfall, der sich bei Rüdesheim und somit im Zuständigkeitsbereich des Rheinschiffahrtsgerichts Mainz ereignete, örtlich unzuständig war, ist nach der geänderten Zuständigkeitsbestimmung des Artikels 35ter der Revidierten Rheinschiffahrtsakte in der Fassung vom 20. November 1963 ohne Einfluss, da die Beklagten sich rügelos auf die vor dem Rheinschiffahrtsgericht St. Goar erhobene Klage eingelassen haben und deshalb unterstellt werden kann, dass sie stillschweigend eine Gerichtsstandsvereinbarung für das Gericht in St. Goar getroffen habe.
3. Obwohl in dem vorliegenden Rechsstreit bereits gegen ein früher ergangenes Teilurteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar seitens der Beklagten Berufung an das nationale Obergericht (Rheinschiffahrtsobergericht Köln) eingelegt worden war und dieses auch rechtskräftig über jene Berufung entschieden hat, ist die Zuständigkeit der Berufungskammer der Zentralkommission für die nunmehr anhängige Berufung der Klägerin gegen das später ergangene Teilurteil des Rheinschiffahrtsgerichts vom 29. Mai 1968 gegeben. Nach deutschem Recht, das auf den vorliegenden Fall Anwendung findet, stellen die in einem Rechtsstreit ergehenden Teilurteile jeweils selbständige, mit einem Rechtsmittel angreifbare Entscheidungen dar, für die der unterlegenen Partei nach der Auffassung der Berufungskammer ein eigenes Wahlrecht bezüglich der Berufungsinstanz gemäss Artikel 37 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte zumindest dann zugestanden werden muss, wenn in dem angefochtenen Teil- urteil-wie in dem vorliengenden Falle- über Ansprüche entschieden wurde, die nicht originär bei der Klägerin, sondern bei einem Drittgeschädigten entstanden und nur im Wege der Abtretung auf die Klägerin übergegangen sind. Eine einschränkende Auslegung des in Artikel 37 vorgesehenen Wahlrechts dahingehend, dass die für das erste Teilurteil getroffene Festlegung der Berufungsinstanz für den gesamten Rechtsstreit, also auch für später ergehende Teilurteile bindend sei, selbst wenn diese sich mit selbständigen Ansprüchen befassen, erschien der Berufungskammer nicht vertretbar, da hierdurch die freie Wahlmöglichkeit der Parteien bezüglich der Berufungsinstanz, die nach der Revidierten Rheinschiffahrtsakte ein Grundelement der Gerichtsbarkeit in Rheinschiffahrtssachen darstellt, in unbilliger Weise eingeschränkt werden würde. Auch aus Artikel 37bis Absatz 1 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte lässt sich eine solche Einschränkung des Wahlrechts der Parteien nicht rechtfertigen, da in dieser Vorschrift nach ihrer Entstehungsgeschichte und auch nach ihrem Wortlaut nur der Fall der Anrufung verschiedener Berufungsinstanzen gegen ein und dasselbe Urteil geregelt werden sollte.
II.
1. Für die materiell-rechtliche Entscheidung über die den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildenden Schadensersatzansprüche ist, nachdem sich der Schiffsunfall unstreitig in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang mit einem Überholmanöver ereignete, der Umfang der Beweispflichten der Parteien, insbesondere die Frage von ausschlaggebender Bedeutung, ob eine Beweislastumkehr gegen den Überholer, das heisst gegen die Beklagten, Platz greift, oder die Klägerin als Anspruch-stellerin vollen Beweis für ein ursächliches Verschulden des Überholers zu erbringen hat. Da jede in Frage kommende materiell-rechliche Haftungsgrundlage (§823 Bürgerliches Gesetzbuch, § 3 Binnenschiffahrtsgesetz, §§ 735 ff. Handelsgesetzbuch) ein ursächliches schuldhaftes Verhalten des beklagten Schiffsführers des "RT" voraussetzt und somit Kausalität und Verschulden zu den anspruchsbegründenden Tatsachen gehören, hätte an sich nach den allgemeinen, im Zivilrecht geltenden Beweisgrundsätzen die anspruchstellende Klägerin diese Tatsachen zu beweisen. In Abweichung von diesen allgemeinen Grundsätzen haben aber die deutschen Obergerichte und auch die Zentralkommission in früherer jahrzehntelanger Rechtsprechung bei Schiffsunfällen, die sich während eines Überholmanövers ereigneten, eine Beweislastumkehr gegen den Überholer angenommen. Sie vertraten dabei den Standpunkt, dass derjenige, der ein Überholmanöver unternimmt, die Gefahr dessen Misslingens zu tragen habe. Sobald demnach feststand, dass sich der Unfall in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem Überholmanöver ereignete, wurde ein Verschulden des Überholers vermutet und diesem in vollem Umfange der Entlastungsbeweis aufgebürdet. Konnte der Überholer diesen Beweis seiner Schuldlosigkeit oder des Fehlens der Kausalität nicht erbringen, so musste er für die Schadensfolgen aus der Überholung eintreten und wurde zur Schadensersatzleistung verurteilt. Für diese Beweislastumkehr war offensichtlich die Überlegung bestimmend, dass derjenige, der zu eigenem Vorteil, um seine grössere Geschwindigkeit auszunützen, das überholte Schiff in eine Lage brachte, die potentielle Gefahren eröffnete, auch dann haften sollte, wenn im Schadensfalle der Sachverhalt nicht völlig aufklärbar war. Ihre Erklärung findet diese negative Grundeinstellung zu Überholmanövern in der damaligen Struktur der Rheinschiffahrt, wo nur wenige« Selbstfahrer auf dem Rhein verkehrten und Überholungen in der Regel gegenüber Schleppkähnen vorgenommen wurden, die in ihrer Steuerfähigkeit wegen des Fehlens eigener Antriebskraft wesentlich labiler waren als Motorschiffe, die zur Unterstützung ihrer Steuerfähigkeit ihren Eigenantrieb einsetzen können. Angesichts dieser besonderen Gefährdung der von Überholmanövern betroffenen Schleppschiffe mag die von der früheren Rechtsprechung angenommene Beweislastumkehr ihre innere Berechtigung gehabt haben. Für den modernen Verkehr mit seinen in der überwiegenden Mehrzahl auftretenden Motorschiffen und der wachsenden Verkehrsdichte, die zwangsläufig in allen Flussabschnitten zu ständigen Überholmanövern führt, lässt sich eine solche Beweislastregelung aber nicht mehr aufrechterhalten. Sie würde nicht nur der Entfaltung und Nutzung des technischen Fortschrittes entgegenstehen, sondern auch in keiner Weise den Veränderungen der Binnenschiffahrtsstruktur und den derzeitigen Verkehrsverhältnissen gerecht werden.
2. Eine Beweislastumkehr zum Nachteil des Überholers stünde im übrigen in Widerspruch zu Artikel 2 des «Brüsseler Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoss von Schiffen vom 23.9.1910». Dieses auch von Deutschland ratifizierte Übereinkommen ist in die seerechtliche Bestimmung des § 734 Handelsgesetzbuch eingegangen, die nach § 92 Binnenschiffahrtsgesetz auch auf die Binnenschiffahrt anwendbar ist. In § 734 Handelsgesetzbuch wird entsprechend dem Brüsseler Übereinkommen ausdrücklich bestimmt, dass im Falle eines Zusammenstosses von Schiffen kein Anspruch auf Schadensersatz stattfindet, wenn der Zusammenstoss durch Zufall oder höhere Gewalt herbeigeführt ist oder Ungewissheit über seine Ursachen besteht, wobei unter Ursache im Sinne des Brüsseler Übereinkommens auch das Verschulden zu verstehen ist. Bei einer Beweislastumkehr wird aber dem Überholer die Unaufklärbarkeit des Tatbestands zur Last gelegt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass dem Geschädigten Schadensersatz aus einem Schiffsunfall zuerkannt wird, über dessen Ursache (einschliesslich Verschulden) Ungewissheit besteht, obwohl nach § 734 Handelsgesetzbuch und nach dem Brüsseler Übereinkommen in solchen Fällen kein Anspruch gegeben sein soll. Mit Recht ist deshalb der deutsche Bundesgerichtshof im Jahre 1957 ( Urteil II ZR 332/55 vom 14.2.1957) von dieser Beweislastumkehr bei Überholmanövern abgerückt und hat in einem späteren Urteil (II ZR. 208/58 vom 12.5.1960) ausgesprochen, dass in der Rheinschiffahrt kein Rechtssatz bestehe, wonach der Überholende die Gefahr des Überholmanövers in dem Sinne zu tragen habe, dass er sich im Falle des Zusammenstosses mit dem zu Überholenden stets entlasten rnüsste. Die Berufungskammer tritt dieser Rechtsauffassung bei. Der Wegfall einer Beweislastumkehr bedeutet aber nicht, dass der Geschädigte in vollem Umfange für jede Einzeltatsache voll beweispflichtig würde, während der Überholer keinerlei Beweis zu erbringen hätte. Eine Aufklärungs- und Beweispflicht des Überholers für gewisse Tatumstände der Überholung lässt sich aus dem Wortlaut der für das Überholen massgebenden Bestimmung des § 37 Rhein-schiffahrtspolizeiverordnung herleiten. In der aussergewöhnlich strengen Formulierung des § 37 Nr. 1 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung («unzweifelhaft hinreichender Raum») tritt ein so starker Schutzwille des Gesetzes zu Tage, dass es berechtigt erscheint, den Überholer mit dem Nachweis zu belasten, dass sein Überholmanöver im Sinne des § 37 Nr. 1 Rhein-schiffahrtspolizeiverordnung zulässig war. Dies bedeutet , dass der Überholer im Falle eines Schiffsunfalls, der sich in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang mit seiner Überholung ereignete, darzutun und zu beweisen hat, dass für das Überholmanöver unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und des übrigen Verkehrs ohne jeden Zweifel hinreichender Raum zur Verfügung stand. Eine solche Belastung des Überholers mit dem Nachweis des unzweifelhaft hinreichenden Raums für das Überholmanöver steht auch nicht in Widerspruch zu der Bestimmung des § 734 Handelsgesetzbuch und des zugrunde liegenden Brüsseler Übereinkommens, da nach dem Wortlaut des § 37 Nr. 1 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung («Das Überholen ist nur gestattet, wenn...») davon ausgegangen werden muss, dass das Überholen nur unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt erlaubt ist. Es handelt sich somit lediglich um die Aufklärung, ob kein objektiver Normenverstoss seitens des Überholers vorliegt und es erscheint deshalb gerechtfertigt, dass der Überholer den Äusnahmetatbestand, nämlich die Zulässigkeit seines Manövers, beweist. Kann der Überholer diesen Nachweis für einen ausreichenden Überholungsraum und damit für die Zulässigkeit des Überholmanövers führen, so tritt für alle weiteren anspruchsbegründenden Tatsachen wieder die normale Beweislage ein, das heisst, es obliegt dem anspruchstellenden Kläger zu beweisen, dass der Überholer das Überholmanöver fehlerhaft ausgeführt und dadurch den Schiffsunfall schuldhaft verursacht hat. Ergeben sich bei dieser Beweisführung des Anspruchstellers irgendwelche Zweifel, so gehen diese zu seinem Nachteil mit der Folge, dass seine Klage abgewiesen werden muss.
3. Dass in dem vorliegenden Falle für das Überholmanöver des "RT" unzweifelhaft hinreichender Raum zur Verfügung stand , lässt sich aus dem Sohlenplan des Unfallbereichs entnehmen und entspricht den Feststellungen, die die Versuchsanstalt für Binnenschiffbau anhand dieses Sohlenplanes getroffen hat. Demnach wies das Fahrwasser unterhalb der Unfallstelle eine Breite von 170 m und an der engsten Stelle, kurz oberhalb der Unfallstelle, eine Breite von ca. 140 m auf. Selbst wenn man von der geringsten Fahrwasserbreite von 140 m ausgeht, ist diese nach den allgemeinen Erfahrungen als ausreichend anzusehen, um die gefahrlose gleichzeitige Vorbeifahrt von drei Fahrzeugen auch unter Berücksichtigung des an dem Anlegesteiger liegenden Fahrgastschiffes zu gewährleisten. Auch die Tatsache, dass "RT" während der eigentlichen Überholung zu "ML" einen Seitenabstand von 25 m einhalten konnte, beweist, dass trotz der im Revier befindlichen Talfahrt genügend Raum zur Verfügung stand. In der Beweisaufnahme ist auch von keinem der vernommenen Zeugen bekundet worden, dass es wegen der Talfahrt zu irgendwelchen raumlichen Schwierigkeiten gekommen sei; vielmehr haben die unbeteiligten Zeugen W. von "E" und M. von "K" angegeben, dass für die Talfahrt reichlich Raum zur Verfügung gestanden habe. In Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht St. Goar ist somit davon auszugehen, dass das Überholmanöver zulässig im Sinne des § 37 Nr. 1 Rheinschiffahrtspolizei Verordnung war.
4. Demgegenüber vermochte die Klägerin nicht den nunmehr ihr obliegenden Beweis zu führen, dass durch Verschulden des beklagten Schiffsführers des "RT" bei der Ausführung des an sich zulässigen Überholmanövers eine schädliche Sogwirkung auf "ML" ausgeübt wurde. Zwar tritt bei jedem Überholmanöver eine gewisse Beeinflussung des überholten Schiffes durch den von dem Überholer ausgehenden Sog ein; jedoch sind diese Beeinflussungen durch geeignete Gegenruderlage des überholten Schiffes beherrschbar, wenn die Überholung in ausreichendem Seitenabstand und in entsprechender Geschwindigkeit ausgeführt wird, wobei die an der Überholstelle vorhandene Wassertiefe eine zu berücksichtigende Grösse darstellt. Nach dem Gutachten der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau kann der von "RT" bei der Überholung eingehaltene Seitenabstand auch unter Berücksichtigung der Sohlenverhältnisse (Wassertiefe) an der Überholstelle als angemessen und zur gefahrlosen Überholung ausreichend angesehen werden, solange von "RT" mit mässiger Geschwindigkeit gefahren wurde. Die Grenzgeschwindigkeit, die von "RT" während der Überholung nicht überschritten werden durfte, errechnete die Versuchsanstalt für Binnenschiffbau unter Zugrundelegung ihrer in vielen Modellversuchen gewonnenen Erfahrung und unter Berücksichtigung sowohl des Tiefgangs des "RT" als auch der im Bereich der Überholstrecke bei Rhein-km 526,7 bis 526,8 vorhandenen flacheren Stelle (Wassertiefe von nur 3,60 m) mit 13,6 km/h gegen Wasser. Nach den weiteren Feststellungen der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau brauchte das "RT" andererseits aber auch einen gewissen Geschwindigkeitsüberschuss gegenüber "ML", um während der Überholung die von dem überholten Schiff ausgehende hemmende Wirkung zu überwinden, also von "ML" in dem Zeitpunkt «loszukommen», als sich beide Schiffskörper etwa auf gleicher Höhe befanden und von "ML" die grösste Geschwindigkeitshemmung ausging. Dieser erforderliche Geschwindigkeitsüberschuss, der von dem Zwischenraum zwischen beiden Schiffen abhängig war, beträgt nach den Feststellungen der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau 1,5 bis 2 km/h gegenüber der von "ML" eingehaltenen Geschwindigkeit. Setzt man diesen für die Überholung erforderlichen Geschwindigkeitsüberschuss von 1,5 bis 2 km/h von der Grenzgeschwindigkeit des Überholers (rund 13,5 km/h) ab, so konnte das überholte "ML" während der Überholung mit einer Fahrtstufe von 11,5 bis 12 km/h gefahren sein, ohne dass "RT" die durch die vorhandene Fahrwassertiefe von 3,60 m bedingte Grenzgeschwindigkeit überschritten haben musste.
Bezüglich der von "RT" und "ML" während des Überholvorgangs eingehaltenen Geschwindigkeiten hat die Beweisaufnahme nur wenig präzise Ergebnisse gebracht : Der unbeteiligte Schiffsführer W., der mit dem von ihm geführten "E" in etwa einer Schiffslänge Abstand hinter "RT" einherfuhr, erklärte, dass "RT" nicht mit voller Kraft gefahren sei, was er an dem Schraubenschlag habe erkennen können. Die Maschine seines Fahrzeugs ("E") sei mit 1/2 bis 3/4 Kraft gelaufen. Auch der Schiffsführer Ko. des Bunkerbootes "EO" hat bekundet, dass "RT" nicht vollan gefahren sei. Bezüglich der eigenen Geschwindigkeit der "ML" gab deren Schiffsführer G. an, dass er dem vor ihm fahrenden Schleppzug mit etwa halber Maschinenkraft gefolgt sei. Aufgrund dieser Zeugenangaben ging die Versuchsanstalt für Binnenschiffbau in ihrem Gutachten davon aus, dass ML wie die anderen Bergfahrer-etwa mit halber Leistung gefahren sei. Unter den vorhandenen Fahrwasser¬bedingungen entspreche dies einer Geschwindigkeit von 12 km/h gegen Wasser (7,5 km/h gegen Land). Mit diesem rechnerischen Ergebnis des Gutachtens der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau steht auch die Aussage des Matrosen St. in Einklang, dass sein Fahrzeug mit etwa 6 bis 7 km/h gelaufen sei, wobei er offenbar die Geschwindigkeit gegen Land ausdrücken wollte. Der Matrose Sch. (Sohn des Beklagten Ziffer 2) bekundete als Zeuge, dass die Maschine des "RT" bei der Überholung bis zu ihrer Drosselung auf das akustische Signal der "ML" hin mit 250 Umdrehungen (Vollast-Drehzahl: 385) gelaufen sei, was nach den Feststellungen der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau einer Fahrtgeschwindigkeit von 12 km/h entspricht. Auch der beklagte Schiffsführer von "RT" bezifferte vorder Wasserschutzpolizei die Überholgeschwindigkeit seines Schiffes mit etwa 12 km/ h. Aufgrund dieser Geschwindigkeitsangaben ging die Versuchsanstalt für Binnenschiffbau in ihrem Gutachten unter Berücksichtigung des für die Überholung erforderlichen Geschwindigkeitsüberschusses des "RT" von 1 1/2 bis 2 km/h davon aus, dass dieses Fahrzeug zwar mit Sicherheit den Grenzgeschwindigkeitsbereich von 13,5 km/h erreicht gehabt habe, jedoch nicht festgestellt werden könne, dass diese Grenzgeschwindigkeit überschritten worden sei. Blieb aber der Überholer in diesem Grenzgeschwindigkeitsbereich, so ging von seinem Fahrzeug bei dem feststehenden Seitenabstand von 25 m nur eine solche Sogwirkung aus, die von der Führung des überholten Schiffes noch beherrschbar war. Es fehlt somit eine sichere und als Urteilsgrundlage ausreichende Feststellung, dass "RT" eine für den gewählten Seitenabstand zu hohe Geschwindigkeit eingehalten und dardurch auf das überholte Schiff eine nicht beherrschbare Sogwirkung ausgeübt hat. Bezüglich des im Berufungsverfahren gestellten fürsorglichen Antrags der Klägerin, über die Fahrweise des "RT" noch das Gutachten eines Schiffahrtspraktikers einzuholen, ist die Berufungskammer der Auffassung, dass eine solche gutachtliche Äusserung eines Schiffahrtspraktikers angesichts des Vorliegens des Gutachtens der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau nicht erforderlich ist. Die Versuchsanstalt für ßinnenschiffbau hat ihr Gutachten über das Überholmanöver des "RT" aufgrund von in vielen Versuchen erhärteten Ausgangswerten in exakter Berechnung erstellt, dem ein Schiffahrtspraktiker nur auf allgemeinen Erfahrungssätzen beruhende Annahmen entgegensetzen könnte, die nicht geeignet wären, die Ergebnisse der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau zu widerlegen.
5.
Die Klägerin kann sich bei der Führung des ihr obliegenden Beweises einer schadensursächlichen und schuldhaften Sogbeeinflussung durch "RT" auch nicht auf einen prima-facie-Beweis stützen. Zwar würde ein prima-facie-Beweis, da er die Beweislast nicht umkehrt, nicht im Widerspruch zu der Beweislastverteilung des § 734 Handelsgesetzbuch und dem zugrundeliegenden Brüsseler Übereinkommen stehen; jedoch setzt ein solcher prima-facie -Beweis voraus, dass der feststehende Sachverhalt nach der allgemeinen Lebenserfahrung zwingend den Schluss auf ein ursächliches Verschulden zulässt. Bei einem Überholmanöver könnte aufgrund nautischer Erfahrung nur dann auf ein ursächliches Verschulden des Überholers geschlossen werden, wenn die Überholung in einem aussergewöhnlich minimalen Seitenabstand ausgeführt wurde. Der von "RT" eingehaltene Seitenabstand von etwa 25 m, der auch von der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse als ausreichend bezeichnet wurde, reicht aber keinesfalls mehr für die dem prima-facie-Beweis zugrundeliegende richterliche Überzeugung aus, dass allein eine übermässige Sogbeeinflussung seitens des "RT" die Ursache für das Ausscheren der "ML" gewesen sein kann. Ebensowenig erscheint bei dem feststehenden Überholabstand von 25 m zur Begründung eines gegen den Überholer gerichteten prima-facie-Beweises der Alternativschluss vertretbar, dass der Überholer dann mit zu hoher Geschwindigkeit gefahren sein müsse und dabei die von der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau errechnete Grenzgeschwindigkeit überschritten habe. Eine solche ausdehnende Anwendung des prima-facie-Beweises würde diesen in eine bedenkliche Nähe zur Beweislastumkehr bringen, die dem Sinn des § 734 Handelsgesetzbuch und dem zugrundeliegenden Brüsseler Übereinkommen zuwiderliefe.
Im übrigen würde es für die Entkräftung eines prima-facie-Beweises schon genügen, dass derjenige, gegen den der prima-facie-Beweis spricht, Umstände dartut, die einen anderen, atypischen Ereignisablauf möglich erscheinen lassen und dadurch die dem prima-facie-Beweis zugrundeliegende richterliche Überzeugung erschüttern. Als solche Umstände kämen in dem vorliegenden Falle das auf "ML" nach Beginn der Ausscherbewegung vorgenommene Abstoppen der Maschine und das anschliessende Rückwärtsmanöver bei Steuerbordruderlage in Frage, da hierdurch die Ruderwirkung wegfiel, mit der dem bei jedem Überholmanöver zwangsläufig auftretenden Normalsogeinfluss begegnet werden sollte. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang auch die von der Versuchsanstalt für ßinnenschiffbau in ihrem Ergänzungsgutachten vom 27. Dezember 1967 aufgezeigte Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass auf "ML" nicht rechtzeitig auf den Beginn des eigentlichen Überholvorgangs des "RT" geachtet wurde, das vorher auf einer Strecke von etwa 300 m mit seinem Vorschiff im Hinterschiffsbereich des "ML" fuhr. Dadurch kann auf "ML" beim Übergang des "RT" von der abstossenden zur anziehenden Phase des Überholmanövers verspätet das Ruder zur entsprechenden Gegenwirkung nach steuerbord gelegt worden sein.
6. Die Beweisaufnahme hat auch keine Anhaltspunkte ergeben, dass der beklagte Schiffsführer des "RT" in sonstiger Weise bei der Durchführung des Überholmanövers gegen § 4 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung verstossen hat, indem er es unterliess, «Vorsichtsmassregeln zu treffen, weiche die allgemeine Sorgfaltspflicht und die berufliche Übung gebieten, um gegenseitige Beschädigungen der Fahrzeuge....zu vermeiden». Dass die vor der eigentlichen Überholung über eine Strecke von 300 bis 400 m erfolgte Nebeneinanderfahrt (Vorschiff des "RT" neben dem Hinterschiff der "ML") sich nicht wesentlich nachteilig auf die Steuerfähigkeit der "ML" ausgewirkt hat, wurde in dem Gutachten der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau vom 17. April 1967 ausdrücklich festgestellt. Bei dieser Nebeneinanderfahrt bestand sogar eine umgekehrte Beeinflussung der "ML", also mit der Tendenz eines Auslaufens nach steuerbord, da sich bei dieser relativen Schiffslage-Vorschiff des Überholers nahe dem Hinterschiffsbereich des Überholten-die Schiffe gegenseitig abstiessen und dadurch ein Druck auf das Hinterschiff der "ML" nach backbord ausgeübt wurde. Für das. Backbordausscheren der "ML" kann diese Nebeneinanderfahrt demnach nicht ursächlich gewesen sein. Das Ergebnis der Beweisaufnahme lässt auch nicht die Festeilung zu, dass der Schiffsführer des "RT" nicht sofort nach Erkennbarwerden der Schwierigkeiten der "ML" und deren Ausscherens nach backbord seine Geschwindigkeit reduzierte. Die Matrosen Sch. und R., beide von "RT", gaben als Zeugen übereinstimmend an, dass unmittelbar nach Ertönen der Signale der "ML" die Maschine auf "RT" auf die langsamste Tourenzahl gedrosselt wurde. Diese Aussagen der beiden Besatzungsmitglieder des "RT" werden indirekt bestätigt durch die Zeugenerklärung des Steuermannes L. des Fahrgastschiffes "F", dass die Maschine des "RT" in dem Zeitpunkt, als dieses an dem Fahrgastschiff "F" vorbeikam, auf langsamster Fahrtstufe lief. Auch der Schiffsführer W. des nachfolgenden "E" hat bemerkt, dass auf "RT" während der Überholung die Fahrt vermindert wurde. Soweit die Klägerin ein Verschulden des Schiffsführers des "RT" darin erblicken will, dass dieser, obwohl genügend Fahrwasserbreite zur Verfügung stand, bei der Überholung keinen grösseren Abstand zu "ML" als 25 m eingehalten habe, ist festzustellen, dass die Beweisaufnahme nicht mit Sicherheit ergeben hat, in welchem genauen Zeitpunkt die Talfahrt das "RT" passierte. Es bleibt also die Möglichkeit offen, dass die Talfahrt erst zu einem Zeitpunkt vorbeikam, in dem das "RT", das mit seinem Vorschiff bereits eine Weile auf Höhe des Hinterschiffsbereichs des "ML" fuhr, schon zum eigentlichen Überholvorgang angesetzt hatte. Da, der vorhandene Raum unabhängig von dem Talfahrer für eine Überholung ausreichend war, wie bereits oben dargelegt wurde und sich auch aus dem Gutachten der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau ergibt, brauchte der Schiffsführer des "RT" keine Bedenken zu haben, seinen Kurs, der ihn in ausreichendem und angemessenem Abstand an "ML" vorbeiführte, beizubehalten. Ein schuldhafter Verstoss des Schiffsführers des "RT" gegen seine Sorgfaltspflichten (§4 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung) kann in der Beibehaltung des Überholungskurses somit nicht erblickt werden.
7. Da die Klägerin die Beweislast dafür trägt, dass die Führung des "RT" bei dem an sich zulässigen Überholmanöver schuldhaft einen Fehler begangen und dadurch den Schiffsunfall der "ML" verursacht hat, ein solcher Beweis von ihr aber nicht erbracht worden ist, kann die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar keinen Erfolg haben.
Aus diesen Erwägungen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Klägerin wird als unbegründet zurückgewiesen und das Schlussurteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 29. Mai 1968 bestätigt.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens, die gemäss Artikel 39 der Revierten Rheinschiffahrtsakte vom Rheinschiffahrtsgericht St. Goar festzusetzen sind, zu tragen.