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4 C 58/64 BSch - Amtsgericht (Rheinschiffahrtsgericht)
Decision Date: 05.05.1965
File Reference: 4 C 58/64 BSch
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Amtsgericht St. Goar
Department: Rheinschiffahrtsgericht

Leitsatz:

Im Regelfall steht ein Lotse am Mittelrhein als freiberuflich Tätiger nicht in einem Arbeitsverhältnis zu den Schiffseignern der belotsten Schiffe, und zwar auch dann nicht, wenn er aufgrund einer besonderen Vereinbarung schon viele Jahre bevorzugt für die Schiffe bestimmter Reedereien als Vertragslotse tätig gewesen ist.

Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts in St. Goar

vom 5. Mai 1965

 4 C 58/64 BSch

Zum Tatbestand:

Der beklagte Lotse ging in Kaub an Bord eines bei der Klägerin versicherten, der Firma X gehörenden Motorschleppers, der auf der Talfahrt einen leeren Tankkahn im Anhang hatte. Zwischen Tauberwerth und Jungferngrund, als sich der Schleppzugführer in der Wohnung aufhielt und der Beklagte das Ruder allein führte, passierte der Motorschlepper ein zu Berg fahrendes, die blaue Seitenflagge führendes Motortankschiff auf der Backbordseite, während der Anhang dem Bergfahrer auf der Steuerbordseite begegnete. Die Klägerin hat den Interessenten die dabei an dem Anhang und dem Motortankschiff entstandenen Schäden ersetzt und verlangt vom Beklagten Schadensersatz mit der Behauptung, daß dieser die Seitenflagge zu spät erkannt und sodann falsche Manöver durchgeführt habe. Der Beklagte erhebt die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts, weil er als Lotse Arbeitnehmer sei und deshalb das Arbeitsgericht angerufen werden müsse.
Nach abgesonderter Verhandlung hat das Rheinschifffahrtsgericht die Einrede der Unzuständigkeit - rechtskräftig - verworfen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Forderungen sind nach dem Klagevorbringen Schadensersatzansprüche gemäß § 823 BGB der infolge des vom Beklagten verschuldeten Schiffsunfalls geschädigten
Interessenten der Bergfahrzeuge, gerichtet gegen den Beklagten, neben welchem die Eignerin des von der Klägerin versicherten Fahrzeugs nach §§ 3, 4, 114 BSchG haftbar wäre; denn der Schiffseigner ist nach § 3 BSchG für die von jedem Mitglied der Schiffsbesatzung in Ausführung der Dienstverrichtung verschuldeten Schäden verantwortlich. Dabei besteht kein Zweifel darüber, daß auch der das Ruder führende Vertragslotse, um den es sich bei dem Beklagten im vorliegenden Falle handelte, zu der Besatzung gehört, für die der Schiffseigner nach den erwähnten Bestimmungen einzustehen hat (vgl. Vortisch/Zschucke, 3. Aufl., Anm. 3 b zu § 3 BSchG). In demselben weiteren Sinne ist aber auch der Begriff „Schiffer" zu verstehen, welchen die revidierte Rheinschiffahrtsakte in Artikel 34 verwendet (vgl. Wassermeyer 3. Aufl. S. 29). Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung der Rheinschiffahrtsgerichte, nach der es außerdem keinen Einfluß auf die Zuständigkeit hat, ob diese Schadensersatzansprüche von dem ursprünglich Geschädigten oder nach ihrer Abtretung von dem neuen Gläubiger geltend gemacht werden.
Indem die Klägerin als Versicherer der - nach § 840 BGB neben dem Beklagten gesamtschuldnerisch haftenden - Schiffseignerin die Ansprüche der Geschädigten befriedigt hat, kann nach dem Klagevorbringen außerdem ein Ausgleichsanspruch der Eignerin des Schleppers entsprechend § 840 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB gegen den Beklagten entstanden und nach § 67 VVG auf die Klägerin übergegangen sein, und zwar in voller Höhe, sofern nicht eine weitere Person, etwa der Schleppzugführer wegen Verletzung seiner Pflicht den Lotsen zu überwachen, mitverantwortlich ist. Dieser Anspruch hat zwar seine unmittelbar rechtliche Grundlage in dem Gesamtschuldverhältnis zwischen dem Schiffseigner und dem Beklagten; er geht aber auf einen Schiffsunfall zurück, also einen von Artikel 34 Nr. II Buchst. c der revidierten Rheinschiffahrtsakte erfaßten Sachverhalt, so daß auch insofern, als es sich bei der Klage um eine Ausgleichsforderung handelt, die Zuständigkeit des Rheinschiffahrtsgerichts gegeben ist (Wassermeyer, 3. Aufl. S. 32 und die dort zit. Urteile).
Normalerweise steht der Vertragslotse am Mittelrhein als freiberuflich Tätiger nicht in einem Arbeitsverhältnis zu den Reedern der von ihm belotsten Schiffe. Die von ihm zu erbringenden Dienstleistungen, nämlich nautische Beratung des Schiffsführers bei der Durchfahrt bestimmter Stromstrecken, wobei die Beratung durchaus auch in der Weise erfolgen kann, daß der Lotse das Ruder selbst bedient, führt der Lotse unabhängig von seinem Vertragspartner (dem Schiffseigner) oder seinem Vertreter (dem Schiffsführer) aus.
Er ist grundsätzlich frei in seiner Entschließung, wann und wie lange er überhaupt seine Dienste jemanden anbieten will, und er trägt allein die Verantwortung für seine Beratertätigkeit, weshalb ihm sein Vertragspartner dabei keine Vorschriften machen kann. Er ist in dieser Beziehung nicht anders zu beurteilen als die anderen beratenden Berufe, wie Rechtsanwalt, Wirtschaftsberater, Steuerberater usw. Er unterliegt daher auch der Einkommensteuer nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 EStG; seine Einkünfte werden als solche aus selbständiger, freiberuflicher Tätigkeit angesehen, § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Er ist nicht sozialversicherungspflichtig. Die Entgelte der Lotsen sind zwar tarifmäßig festgelegt. Diese Entgeltvereinbarungen sind jedoch keine Tarifverträge im Sinne des Tarifvertragsgesetzes; die Lotsenvereinigungen, die an dem Abschlug der Vereinbarungen mitwirken, sind keine Gewerkschaften, d. h. Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern, sondern zumeist Genossenschaften oder Vereine, deren Mitglieder selbständige Lotsen sind, während angestellte Lotsen gerade nicht dazu gehören.
Der Umstand, daß der Beklagte schon fast 20 Jahre für die Firma X fährt", besagt lediglich, daß er bevorzugt Fahrzeuge dieser Reederei belotst, ohne daß damit ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis des Beklagten zu dieser Firma begründet wäre.
Schließlich folgt die alleinige Zuständigkeit des Rheinschiffahrtsgerichts auch aus Art. 34 Nr. II Buchst. a der Mannheimer Akte, wonach „Klagen wegen Zahlung der
Lotsengebühren" unter die schiffahrtsgerichtliche Zuständigkeit fallen. Derartige Ansprüche des Lotsen - gleichgültig ob Arbeitnehmer oder nicht - gegen den Reeder können nicht losgelöst von etwaigen Forderungen des Reeders gegen den Lotsen betrachtet werden, die in solchen Fehlern begründet wären, die der Lotse bei seiner Lotsentätigkeit begangen hätte. Würden Ansprüche des Reeders bei einer Klage des Lotsen einredeweise geltend gemacht, so müßte das Rheinschiffahrfsgericht auch über die Berechtigung der Ersatzansprüche des Reeders ohne Rücksicht auf ein etwa bestehendes Arbeitsverhältnis entscheiden. Eine dem Sinn der Mannheimer Akte gemäße Auslegung des Artikels 34 Nr. II Buchst. a und c muß daher zu dem Ergebnis führen, daß bei Klagen gegen den Lotsen wegen eines Schiffsunfalls auf dem Rhein, und zwar unmittelbar nach § 823 BGB wie auch im Wege der Ausgleichung, auch dann das Rheinschiffahrtsgericht zuständig ist, wenn zwischen dem Lotsen und dem Reeder ein Arbeitsvertrag besteht, zumal die internationale Regelung der revidierten Rheinschiffahrtsakfe nach Art. 25 GG gegenüber der innerstaatlichen Vorschrift des Arbeitsgerichtsgesetzes den Vorrang hat."