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Leitsatz:
Zur Frage der Haftung für Kollision infolge Kupplungsschadens. Besondere Sorgfaltspflicht bei Wendemanövern
Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar
vom 27. Juni 1984
4 C 2/83 BSchRh
Zum Tatbestand:
Zwischen dem bei der Klägerin versicherten, zu Berg fahrenden MS „N" und der zu Tal wendenden Flußfähre „F" der Beklagten kam es bei Rhein-km 601,0 (Kaltenengers) zur Kollision. An MS „N" entstanden Schäden und Folgeschäden in Höhe von über 35800,- DM, die von der Klägerin erstattet worden sind.
Die Klägerin verlangt Ersatzleistung durch die Beklagte mit der Begründung, daß die Flußfähre das MS „N" auf der Steuerbordseite überholt und sodann beim vorschriftswidrigen Wenden über Backbord zu Tal mit ihrer Landeklappe das Steuerbordachterschiff des MS „N" angefahren und beschädigt habe.
Die Beklagte behauptet, die Flußfähre sei vom MS „N" überholt worden. Wegen genügenden seitlichen Abstandes habe die Flußfähre das Wendemanöver über Backbord schon bei dem Überholungsvorgang eingeleitet. Der Versuch des Geräteführers P., die Backbordschraube der Flußfähre rückwärts laufen zu lassen, da die Fähre viel Fahrt voraus gehabt habe, sei gescheitert, weil sich das Kupplungsgestänge ausgehängt und die Maschine infolgedessen nicht mehr habe einkuppeln lassen. Bei der regelmäßigen technischen Überwachung sei der Fehler nicht festgestellt worden.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage unter Hinweis auf §§ 3 BSchG und 823 BGB in vollem Umfang stattgegeben.
Aus den Entscheidungsgründen:
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Es kann hier dahingestellt bleiben, ob nicht schon der Ausfall der Kupplung von der Beklagten zu vertreten ist, weil entweder der Wartungsplan eine Oberprüfung des Gestänges überhaupt nicht vorsah oder weil bei ordnungsgemäßer Wartung rechtzeitig hätte erkannt werden müssen und können, daß sich die Schraube löste, die das Gestänge an dem Kugelgelenk sicherte oder aber weil es sich um einen Konstruktionsfehler handelte, da eine Sicherungsschraube oder ein Sicherungssplint überhaupt nicht vorgesehen war. Selbst wenn diese Versäumnisse nicht vorgelegen haben, hätte es bei nautisch korrektem Verhalten (§ 1.04 Rheinschiffahrtpolizeiverordnung) der Führung des Fahrzeugs der Beklagten nicht zu dem Zusammenstoß kommen können.
Das Wendemanöver war falsch angelegt, weil es gegen den Grundsatz verstieß, nicht in den Kurs der vorbeifahrenden Schiffahrt hineinzudrehen. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß die Flußfähre, die zunächst hinter MS „N" herfuhr, diesem Fahrzeug bis etwa mittschiffs auf der Steuerbordseite auf lief, um dann nach Backbord zu wenden, und zwar zu einer Zeit, als der seitliche Abstand der Fahrzeuge etwa 30 oder 40 m betrug (Zeugen P. und W.). Es mag sein, daß die Wendigkeit der Fähre ein „Drehen auf dem Teller" ohne weiteres ermöglicht hätte, so daß von dieser Seite her keine Gefahr einer Kollision auch bei einem Wendemanöver über Backbord zu befürchten gewesen wäre. Andererseits weiß jeder Schiffer, daß aus vielerlei Gründen ein technisches Versagen nie auszuschließen ist, und er darf deshalb nie ohne zwingenden Grund eine Gefahrenlage schaffen, der er unter Umständen nicht mehr begegnen kann. In der Verkehrssituation zur Unfallzeit war das Revier frei, der Zeuge P. war durch nichts gehindert, über Steuerbord von MS „N" weg zu drehen, er hätte bei der Einleitung des Wendemanövers weiter abbleiben können und er hätte schließlich dem Motorschiff nicht auflaufen müssen, um dann auf der Höhe dieses Fahrzeugs zu Tal zu drehen. Gerade weil es sich hier um eine Übungsfahrt der Fähre handelte, wäre besondere Sorgfalt angebracht gewesen. Indem der Fährführer - Patentinhaber seit 2 Jahren und seit 7 Jahren mit der Schiffahrt befaßt - diese Sorgfalt außer acht ließ, brachte er sich in eine Lage, die es ihm unmöglich machte, bei dem dann eingetretenen Ausfall der Backbordmaschine noch rechtzeitig Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.
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