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Leitsatz:
Anstoß eines Binnenschiffes gegen eine Brücke mit dem für die Durchfahrt völlig abgesenkten Steuerhauses.
Urteil des Amtsgerichts St. Goar
vom 28.06.2004
4 C 20/02.BSch
Im vorliegenden Fall geht es um die Leistungspflicht des Kaskoversicherers zum Ersatz eines der Höhe nach unstreitigen Schadens, der beim Durchfahren einer Brücke am Schiff des Versicherungsnehmers entstanden ist.
Tatbestand und Entscheidungsgründe:
Der Kläger - Eigentümer des TMS „St. Fl." - hat am 30. Januar 2002 beim Durchfahren der Auheimer Straßen- und Eisenbahnbrücke auf dem Main bei Main-km 59,56 zu Tal eine Havarie erlitten. Sein Schiff ist mit dem Steuerhaus gegen die Brücke gestoßen. Das Steuerhaus wurde völlig zerstört. Dazu ist es wie folgt gekommen: Nach dem Entladen des Schiffes am späten Abend des 29. Januar 2002 hat der Kläger leer die Talfahrt angetreten, um am 31. Januar 2002 in Wesseling wieder Ladung aufzunehmen. Es herrschte steigendes Wasser. Zum weiteren Hergang trägt der Kläger folgendes vor:
Aus langjähriger Erfahrung habe er gewusst, dass sein Schiff im leeren Zustand mit beladenen Bunkern Brücken mit einer Durchfahrtshöhe von 4,50 m gefahrlos durchfahren könne, ohne zusätzliches Ballastwasser aufzunehmen. Mit Blick auf das steigende Wasser habe er jedoch die Achterpiek mit Ballastwasser gefüllt, um sein Schiff so um ca. 10 cm abzusenken. Beim Durchfahren der Schleuse Krotzenburg habe er - wie üblich - die Durchfahrtshöhe der Straßenbrücke in Auheim erfragt. Sie sei ihm mit 4,50 m angegeben worden. Dies habe mit dem Pegelstand Frankfurt/Main übereingestimmt. Dieser sei mit 3,46 m um 24 cm unter HSW=3,70 angegeben worden. Da die Durchfahrtshöhe der Brücke in Auheim 4,39 m betrage, habe er mit einer Durchfahrtshöhe von 4,63 m rechnen können. Mit einem Tiefgang von 1,50 m hinten und 0,50 m bis 0,60 m am Bug habe das Schiff noch 5-10 cm tiefer gelegen als gewöhnlich, wenn er die Brücken des Rhein-Herne-Kanals mit einer Durchfahrtshöhe von 4,50 m problemlos durchfahren habe. Unerwartet habe er jedoch bei der Anfahrt zur Brücke gemerkt, dass das gänzlich abgesenkte Steuerhaus gegen die Brücke stoßen könne. Ein Abstoppen sei nicht mehr möglich gewesen. Daher habe er die Motorleistung erhöht, um das Heck seines Schiffes nochmals abzusenken. Er habe den Anstoß gegen die Brücke jedoch nicht abwenden können. Die Beklagte hält dem entgegen, dass das Schiff im Zeitpunkt des Unfalls fahruntüchtig gewesen sei. Der Kläger habe den Unfall außerdem grob fahrlässig herbeigeführt. Es müsse jedermann einleuchten, dass ein Schiff, das ebenso hoch sei wie eine Brückendurchfahrt, Gefahr laufe, gegen diese Brücke zu stoßen. Auf eine Absenkung infolge Beschleunigung könne sich ein Schiffsführer nicht verlassen. Der sich daraus ergebende Effekt könne durch verschiedene Umstände zunichte gemacht werden; dies wisse jeder Schiffsführer. Der Kläger habe es eilig gehabt, noch den Rhein zu erreichen und daher die Havarie sehenden Auges in Kauf genommen. Darüber hinaus habe die erforderliche Mannschaft an Bord gefehlt. Das Gericht hat - gestützt auf das Ergebnis der Beweiserhebung durch Vernehmung des Steuermanns von TMS „St. FI." und das Gutachten eines bei der VBD beschäftigten Sachverständigen - der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, den Schaden gemäß den Bedingungen für die Versicherung von Flusskasko-Risiken (AVB Flusskasko 2000) zu regulieren. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sieht das Gericht es nicht als erwiesen an, dass das TMS „St. Fl." für die Reise untauglich war und der Kläger die in Frage stehende Havarie grob fahrlässig herbeigeführt hat. Der Leistungspflicht der Beklagten stehen somit nach Auffassung des Gerichts keine Ausschließungsgründe entgegen.
1. Eine Unterbemannung schließt das Gericht - abgesehen davon, dass es diese Darstellung nicht als erwiesen ansieht - als Ursache für die Havarie aus, da nicht zu erkennen sei, welche Tätigkeit der Mannschaft den Unfall hätte verhindern können.
2. Weiter schließt das Gericht unter Berufung auf die Darlegung des Gutachters die Möglichkeit aus, dass das Schiff ungeeignet gewesen sei, die Gefahren der Reise zu bestehen. Die minimal anzunehmende Durchfahrtshöhe betrug nach den Feststellungen des Gutachters 4,59 m. Laut gutachterlicher Feststellung ragte das Hinterschiff des TMS „St. Fl." in Höhe des Steuerhauses bei einem Tiefgang von 1,48 m nur 4,53 m über die Wasserfläche hinaus. Der Kläger habe aber noch mit einem Absunk des Hinterschiffes um 0,1 m rechnen können. Folglich habe das TMS „St. Fl." bei dem vom Kläger festgestellten Tiefgang von sogar 1,50 m darauf vertrauen dürfen, normalerweise unter der Brücke ohne Anfahrung durchzukommen.
3. Bei der Beurteilung der Erwägungen des Sachverständigen, die Havarie lasse sich nur damit erklären, dass entweder das Steuerhaus nicht ausreichend abgesenkt worden sei oder die Fahrgeschwindigkeit nicht konstant gehalten wurde mit der Folge, dass schiffseigene Wellen das Schiff überholen konnten, gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass es an einem für den Unfall ursächlichen grob fahrlässigen Verhaltens des Klägers gefehlt hat. Es stützt sich dabei auf die Aussage des als Zeuge vernommenen Steuermanns, die Anweisung des Klägers zur Absenkung des Steuerhauses ausgeführt zu haben, sowie die Angabe des Klägers, dass das Absenken des Steuerhauses nur 30 Sekunden in Anspruch nehme.
Das Gericht sieht es schließlich nicht als erwiesen an, dass der Kläger durch ungleichmäßige Fahrweise die mit der Beschleunigung des Schiffes beabsichtigte Wirkung verfehlt habe.
Das Urteil wird für die Schifffahrtspraxis von großem Interesse sein. Die Schriftleitung begrüßt daher eine eingehende Auseinandersetzung mit dieser Thematik und dankt Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer, Frankfurt/M., für seine nachstehende Anmerkung: Das Urteil des Schifffahrtsgerichtes St. Goar ist interessant, weil es zu den Sorgfaltsanforderungen Stellung nimmt, die an einem Schiffsführer zu stellen sind, der eine niedrige Brücke unterfahren will. Die Be¬gründung des Urteils lässt erkennen, dass das Schifffahrtsgericht St. Goar einen rechnerisch, theoretisch ermittelten Sicherheitsabstand zwischen Schiff und Brücke von lediglich 6 cm für ausreichend hält, jedenfalls dann, wenn der fahrtbedingte Tiefgang um 10 cm tiefer liegt als der Tiefgang in stehendem Wasser. Das Schifffahrtsobergericht Hamm ist im Jahre 1996 von einer Sicherheitsmarge von 10 cm ausgegangen (VersR 1997, S. 572). Entgegen der Auffassung des Schifffahrtsgerichtes St. Goar dürfte ein Schiff, das zu hoch für eine Brückenpassage ist, nicht anfänglich fahruntauglich sein. In Betracht kommt allenfalls eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles. Der Tiefgang und damit die Höhe eines Schiffes sind nicht nur abhängig vom Beladezustand, sondern auch beeinflussbar durch die Aufnahme von Ballastwasser und Bunkerungen. Auch ein bei Fahrtantritt zu hohes Schiff ist in der Lage, die Gefahren der Reise zu bestehen, ist also fahrtauglich. Im Einzelfall kann es jedoch grob fahrlässig sein, wenn der Schiffsführer die möglichen und erforderlichen Maßnahmen zur Erhöhung des Tiefganges und damit zur Absenkung des Schiffes nicht ergreift.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2004 - Nr.9 (Sammlung Seite 1923); ZfB 2004, 1923