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Leitsatz:
Fährt ein Schiff bei unsichtigem Wetter mit Radar zu Tal, ohne gemäß § 4.06 Nr. 1 b) RheinSchPV mit einem Schallgerät zur Abgabe des Dreitonsignals ausgerüstet zu sein, so daß bei dieser unzulässigen Fortsetzung der Fahrt der Beweis des ersten Anscheins für ein unfallursächliches Verschulden an der Kollision mit einem zu Berg fahrenden Schiff spricht, wird der Anscheinsbeweis entkräftet, wenn nicht die mangelnde Ausrüstung, sondern andere Fehler der beteiligten Schiffsführer unfallursächlich gewesen sind, z. B. Verstöße gegen die Vorschriften des § 6.13 RheinSchPV.
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 24. Februar 2000
397 Z – 9/99
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 14. Dezember 1998 - 5 C 16/98 BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten über einen Schiffszusammenstoß, der sich am 18.01.1997 gegen 17 Uhr bei unsichtigem Wetter in der Ortslage Spijk bei Rhein-km 856,4 zwischen dem zu Tal fahrenden MS A (67,12 m lang; 8,20 m breit; 836,315 t; abgeladen auf 2,49 m mit Sand; 720 PS) und dem bergfahrenden MS T (110 m lang; 11,36 m breit; 2.800 t; Ladung 1.400 t Tonerde; Tiefgang vorn 2,18 m und hinten 2,16 m; 2.075 PS) ereignet hat. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.
Die Klägerin hat MS T gegen die Gefahren der Schiffahrt versichert. Der Beklagte ist Eigner des MS A, das er zum Unfallzeitpunkt auch verantwortlich geführt hat.
Die Klägerin behauptet, ihrem Versicherungsnehmer sei durch den Schiffszusammenstoß ein Schaden in Höhe von 67.846,50 DM entstanden. Diesen Betrag nebst Zinsen verlangt sie mit der Klage aus übergegangenem Recht von dem Beklagten und zwar im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes dinglich mit MS A sowie persönlich haftend. Den Schadensersatzanspruch begründet sie wie folgt:
MS A sei mit Radarhilfe rechtsrheinisch zu Tal gefahren. Auf dem Schiff habe sich kein Schallgerät zur Abgabe von Dreitonzeichen befunden. MS A sei zu tief abgeladen gewesen und unterhalb von Emmerich nach einer Grundberührung rund gefallen mit der Folge, daß es mit dem Kopf zu Berg gelegen habe. Seine Führung habe es über Steuerbord in einem weiten Bogen in Richtung des linksrheinischen Kribbenfeldes gewendet, wobei es die Kurslinie des linksrheinisch zu Berg fahrenden MS T geschnitten habe. In dem Kribbenbereich habe MS A aufgestreckt, sodann nach Steuerbord gehalten und vor den Kopf des MS T gefahren, so daß es wiederum die Kurslinie dieses Schiffes geschnitten habe. Trotz Maschinenmanöver habe MS T nicht mehr vermeiden können, mit seinem Backbordvorschiff gegen die Backbordseite des MS A in Höhe des Steuerbordhauses zu stoßen, wodurch selbiges Fahrzeug eine schwere Leckage erlitten habe und gesunken sei.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach seinem Vorbringen hat der Schiffsführer des MS T die Kollision verschuldet; hingegen treffe ihn kein Verschulden an dem Schiffszusammenstoß:
MS A habe den Wendevorgang „zügig“ vorgenommen, soweit es die damaligen Wasserverhältnisse erlaubt hätten. MS A sei nicht zu tief abgeladen gewesen, auch wenn das Schiff auf einer Untiefe festgekommen sei. Es sei ihm aus eigener Kraft gelungen, wieder freizukommen. Der Beklagte habe gewartet, bis er auf Grund der Lage im Revier habe wenden können. Das Wendemanöver habe er ordnungsgemäß über Funk angekündigt. Daß er zu weit nach linksrheinisch gekommen sei, habe er über Funk („wieder zu seinem guten Wall fahren zu wollen“) durchgegeben.
Auf Seiten des MS A habe es sich um einen einheitlichen Wendevorgang gehandelt, bei dem lediglich der Wendekreis wegen der Wasserverhältnisse größer als normal gewesen sei. MS T sei ohne Rücksicht auf das drehende MS A mit 13 bis 15 km/h in dessen Drehkreis „gestürmt“ sowie in rücksichtsloser Weise weitergefahren. Die Führung von MS T habe nichts getan, um die Havarie zu vermeiden. Dabei hätte die bloße Verringerung seiner Geschwindigkeit oder eine geringe Kursänderung des Schiffes nach Steuerbord die Kollision vermieden.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 1/3 für gerechtfertigt erklärt und im übrigen die Klage abgewiesen. Hierzu hat das Rheinschiffahrtsgericht ausgeführt:
Zwar sei das Wendemanöver des MS A zulässig gewesen, weil bei dessen Einleitung MS T unstreitig noch so weit entfernt gewesen sei, daß es von MS A gefahrlos eingeleitet und durchgeführt hätte werden können. Indessen sei aber dem Beklagten im Rahmen des Wendemanövers deshalb ein Verschulden anzulasten, weil er das grundsätzlich zulässige Manöver nicht ordnungsgemäß durchgeführt habe. Dem Beklagten sei anzulasten, daß er das Wendemanöver in einem weiten Bogen bis in die Nähe des linksrheinischen Ufers durchgeführt habe. Ferner sei dem Beklagten der Vorwurf zu machen, daß er linksrheinisch bei den dortigen Kribben angelangt, wieder versucht habe, nach rechtsrheinisch „auf seine Seite“ zu kommen, obwohl ihm bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennbar hätte sein müssen, daß dieses Manöver zu der Kollision mit dem herankommenden MS T führen konnte. In dieser Situation sei der Beklagte gehalten gewesen, möglichst nahe am linksrheinischen Ufer zu verbleiben, bis MS T vorbei war. Schließlich habe MS A nicht das für die Radarfahrt vorgeschriebene Dreitonsignalgerät an Bord gehabt (Verstoß gegen § 4.06 Nr. 1 b RheinSchPV). Jedoch müsse sich die Klägerin ein Mitverschulden zurechnen lassen, weil der Unfall auch durch ein Verschulden des Schiffsführers von MS T verursacht worden sei. Die durchgehende Schiffahrt habe das Aufdrehen eines Fahrzeugs durch entsprechende Manöver zu unterstützen. Gegen diese Pflicht habe der Schiffsführer von MS T verstoßen. Nach seiner Aussage im Verklarungsverfahren habe er das langsam aufdrehende MS A schon von weitem, etwa in einer Entfernung von 1.200 m auf dem Radarschirm beobachtet. Somit habe er ausreichend Zeit gehabt, sich auf die Lage einzustellen. Sein Verschulden entfalle nicht deshalb, weil MS A nicht „auf dem Teller“ gedreht habe, sondern in einem weiten Bogen bis an die Kribben auf der linksrheinischen Seite. Eine fehlerhafte Durchführung des Wendemanövers befreie den Schiffsführer des MS T nicht von seiner Sorgfaltspflicht. Das auf dem Radarschirm zu beobachtende Manöver des MS A habe zumindest eine unklare Situation geschaffen, die ein rechtzeitiges Aufstoppen von MS T erfordert hätte, um hinreichende Zeit für eine gefahrlose Beendigung des unklaren Manövers von MS A zu schaffen. Hinzu komme, daß der Schiffsführer von MS T auf Grund des unklaren Verhaltens von MS A ein nautisches Fehlverhalten dieses Schiffes in Rechnung stellen mußte. Statt seinen Kurs fortzusetzen, hätte er rechtzeitig aufstoppen müssen. Die Abwägung des Verschuldens der beiden Schiffsführer der zusammengestoßenen Fahrzeuge ergebe ein höheres Verschulden auf Seiten von MS T. Dieses Schiff sei mit unverminderter Geschwindigkeit in eine erkennbare unklare Situation hineingefahren und habe dadurch den Unfall verursacht, während es dem Schiffsführer des MS T bei gehöriger Aufmerksamkeit ein Leichtes gewesen wäre, den Unfall zu vermeiden. Dazu hätte es lediglich bedurft, die Geschwindigkeit zu reduzieren oder den Kurs nach Steuerbord auszurichten. Die Anfahrung gegen die Backbordseite in Höhe des Steuerhauses bei MS A zeige, daß dieses Schiff beinahe vorbei gewesen wäre. Als angemessen erschien deshalb die Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten von MS T und von 1/3 zu Lasten von MS A.
Mit ihrer Berufung beantragt die Klägerin:
„Unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in vollem Umfang dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären und dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.“
Der Beklagte hat beantragt:
„Die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und auf seine Anschlussberufung das am 14.12.1998 verkündete Urteil des Amtsgerichts – Rheinschiffahrtsgerichts – Duisburg-Ruhrort dahin abzuändern, daß die Klage insgesamt abgewiesen wird und der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen“.
Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbeantwortung beantragt:
„Die Berufung des Beklagten zurückzuweisen."
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerechte Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Die Anschlußberufung des Beklagten, gegen die keine rechtlichen Bedenken bestehen (vgl. Art. 30 Verf0-BK-ZKR, § 521 deutsche ZPO), hat keinen Erfolg.
Beide an dem Schiffsunfall vom 18.01.1997 beteiligten Fahrzeuge (MS A und MS T) haben diesen verschuldet, jedoch überwiegt das Verschulden der Beklagten das von Schiffsführer M von MS T erheblich, so daß eine Quote von ¾ zu ¼ angemessen ist.
I. Zum Verschulden des Beklagten (Schiffsführer des MS A):
1. Unstreitig hat der Beklagte MS A mit Radarhilfe zu Tal gesteuert, obwohl dieses Schiff nicht, wie in § 4.06 Nr. 1 b) RheinSchPV vorgeschrieben, mit einem Schallgerät zur Abgabe von Dreitonzeichen ausgerüstet ist.
Es mag sein, daß MS A die Talfahrt aus dem Baggerloch bei Wesel aufgenommen hat und die Sicht dort noch nicht durch dichten Nebel eingeschränkt gewesen sein soll. Indes besteht kein Zweifel, daß im Unfallbereich starker Nebel geherrscht hat. Dies steht fest nach der Anlage zur Owi-Anzeige der WSP-Wache Emmerich vom 07.09.1997 (Sichtweite unter 100 m) und deren Einsatzbericht vom 18.01.1997 (Sichtweite ca. 60 m) in der Strafsache 16 Js 62/97 der Staatsanwaltschaft Duisburg; hinzu kommt die Aussage des an der Kollision unbeteiligten Schiffsführers Schoenmakers (MS I) gegenüber der WSP-Wache Düsseldorf vom 11.02.1997, wonach die Sicht im Unfallbereich bei 50 bis 150 m gelegen habe. Bei derartigen Sichtweiten für einen Talfahrer hätte MS A die Fahrt bei optischer Sicht nicht fortsetzen dürfen, sondern diese ohne Radarhilfe wegen Fehlens eines Schallgeräts zur Abgabe von Dreitonzeichen einstellen und das Fahrwasser freimachen müssen. Da dies hier nicht geschehen, sondern eine unzulässige Fortsetzung der Fahrt bei unsichtigem Wetter erfolgt ist, spricht an sich der Beweis des ersten Anscheins für ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten (BK-ZKR, Urt. v. 03.10.1997 – 363 Z – 11/97; vgl. auch Bemm/von Waldstein, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 3. Aufl. § 6.32 Rdnr. 23).
Unter den hier gegebenen Umständen hat sich die mangelnde Ausrüstung des MS A für die Radarfahrt nicht unfallursächlich ausgewirkt. Unfallursächlich waren andere Fehler der beteiligten Schiffsführer, wie nachfolgend auszuführen sein wird. Hierdurch ist der aufgezeigte Anscheinsbeweis entkräftet.
2. Das Rheinschiffahrtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil nicht die Behauptung der Klägerin geprüft, daß der Beklagte MS A zu tief abgeladen habe und deshalb „Rundgefallen“ sei, so daß das Schiff wieder mit dem Kopf zu Berg gelegen habe. Dieser Behauptung hat durch das Verklarungsverfahren keine Bestätigung erfahren.
Nach der Aussage des Beklagten im Verklarungsverfahren ist MS A am Unfalltag oberhalb von Wesel mit Sand voll beladen worden, worauf das Schiff einen Tiefgang von 2,49 m gehabt habe; der Sand sei naß gewesen; während der Talfahrt habe die Besatzung durch Abpumpen das Wasser reduziert, so daß das Schiff vorn und hinten gleich abgeladen gewesen sei.
Das wird bestätigt durch den Einsatzbericht der Wasserschutzpolizei (Polizeikommissar Ivo) vom 18.01.1997 in den Bußgeldakten gegen den Beklagten, worin es heißt: „Der Tiefgang (von MS A) war den Gegebenheiten der Wasserstraße angepaßt“. Danach läßt sich nicht feststellen, daß der Beklagte MS A zu tief abgeladen hat. Hinzu kommt, daß die Wasserschutzpolizei in ihrem Abschlußbericht vom 07.09.1997 in den genannten Bußgeldakten ausgeführt hat, MS A sei offensichtlich zu weit zum rechtsrheinischen Ufer gefahren, weshalb es zu einer Grundberührung in Höhe des Unfallortes gekommen sei. Hingegen ist auch in diesem Bericht nicht die Rede, daß MS A zu tief abgeladen gewesen und deshalb festgekommen sei. Vielmehr ist von einer Grundberührung als Folge einer fehlerhaften Navigation des Beklagten (Kurs zu weit zum rechtsrheinischen Ufer) auszugehen.
3. Dem Rheinschiffahrtsgericht ist zuzustimmen, daß dem Beklagten im Rahmen des Wendemanövers des MS A ein ursächliches Verschulden vorzuwerfen ist, weil er das grundsätzlich zulässige Manöver fehlerhaft durchgeführt hat.
Nach § 6.13 Nr. 1 RheinSchPV dürfen Fahrzeuge nur wenden, nachdem sie sich vergewissert haben, daß der übrige Verkehr unter Berücksichtigung der nachstehenden Nummern 2 (Pflicht zur Abgabe von Schallsignalen) und 3 (notwendige und mögliche Änderung der Geschwindigkeit und des Kurses) dies ohne Gefahr zuläßt.
Ausgehend von dieser Vorschrift muß der Wendende grundsätzlich einen Drehkreis wählen, der nicht über das für die Durchführung seines Manövers notwendige Maß hinausgehen darf; danach ist grundsätzlich in engem Bogen zu wenden (vgl. Bemm/von Waldstein, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 3. Aufl. § 6.13 Rdnr. 18 m.w.N.). Dem ist der Beklagte bei dem Wendemanöver des MS A nicht nachgekommen. Das ergibt sich aus der Aussage des an dem Unfall unbeteiligten Schiffsführers S (MS I) im Verklarungsverfahren. Dieser ist im Steuerhaus seines Schiffes – wie übrigens auch seine Ehefrau – mit Radarhilfe zu Berg gefahren und hat den streitigen Schiffsunfall auf dem Radarschirm beobachtet. Dabei bemerkte er, daß MS A zeitweilig festgelegen hat, bis sich das Schiff („Stillieger“) über Steuerbord drehte und einen langen Bogen in Richtung der linksrheinischen Kribben gemacht hat. Nach seinen weiteren Bekundungen ist von dem „Liegeplatz“ des MS A bis zu den linksrheinischen Kribben so viel Platz gewesen, daß er zweimal hätte drehen können. Das Schiff sei diesen gesamten Bereich in einem weiten Bogen über Steuerbord gefahren. Es habe den Bogen bis zu den Kribben gemacht. Er selbst habe noch zu seiner Ehefrau gesagt : „Komm schnell her, das schafft er nicht mehr“. Er habe befürchtet, daß das Schiff in die Kribben fahre. Auf jeden Fall habe es sehr scharf gedreht und sei dann in Richtung Strommitte gefahren. Er habe dann gemeint, daß das wendende Schiff versuche, auf seine rechtsrheinische Seite zu kommen. Eine Begegnung finde in diesem Bereich üblicherweise Backbord an Backbord statt. Es sei dort Rechtsverkehr vorgeschrieben. Das Manöver des wendenden Schiffes sei unglücklich gewesen, denn das MS T, der Bergfahrer, habe das linksrheinische Ufer schon weit ausgefahren. MS A (das wendende Schiff) sei quer über den Strom gefahren, während MS T zügig zu Berg gekommen sei. Ähnlich hat die Ehefrau S sich bei ihrer Vernehmung im Verklarungsverfahren geäußert: „Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß mich das Wendemanöver des MS A sehr befremdet hatte. Es fuhr in einem recht weiten Bogen bis ganz zur linksrheinischen Seite hin, obwohl das Wendemanöver in einem viel engeren Rahmen möglich gewesen wäre. Das Schiff hätte einfach auf seiner Achse drehen können. Das hat es erst gemacht, als es schon fast gegen die Kribben gestoßen war. Da hat der Schiffsführer wohl bemerkt, wie nahe er schon an das linksrheinische Ufer herangekommen war.“
Daß MS A jeweils in einem breiten Bogen gedreht hat, ist auch den Angaben des an dem Unfall unbeteiligten Rheinlotsen Sch zu entnehmen, der das zu Tal fahrende KMS S gelotst hat und von der Wasserschutzpolizei sowie im Verklarungsverfahren eingehend vernommen worden ist. Danach hat der Abstand zwischen den rechtsrheinischen und den linksrheinischen Kribben ca. 200 bis 220 m betragen. Ferner hat der Zeuge näher bekundet, MS A sei bei dem (ersten) Drehen über Steuerbord von rechtsrheinisch nach linksrheinisch zu Tal über die gesamte Breite des Stromes bis an die Kribbenlinie des linksrheinischen Ufers bei Rhein-km 856,1 gefahren und beim (zweiten) Wenden zum Erreichen der rechten Fahrwasserseite in einem Winkel von ca. 40° in Richtung zum rechten Ufer zurückgekehrt.
II. Zum Verschulden des Schiffsführers Maes von MS T:
Wesentlich sind für Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art in diesem Zusammenhang die Aussagen des bereits genannten Rheinlotsen Sch, des Kapitäns D (beide von KMS S) und des schon erwähnten Schiffsführers S von MS I, die sämtlich an der Havarie unbeteiligt gewesen sind.
1. Schiffsführer S hat bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren auch die Fahrweise des MS T näher beschrieben und angegeben, dieses Schiff habe das linksrheinische Ufer weit angehalten gehabt. Er habe zur Unfallzeit zu seiner im Steuerstuhl des MS I befindlichen Ehefrau gesagt: „Das schafft er nicht mehr !“ Damit habe er das wendende Schiff gemeint. MS A sei quer über den Strom gefahren, während MS T zügig zu Berg gekommen sei.
2. Ähnlich hat sich der Zeuge Sch im Verklarungsverfahren über die Fahrweise der unfallbeteiligten Schiffe geäußert. MS A sei in Steuerbordschräglage in Richtung des rechtsrheinischen Ufers (also nach dem – zweiten – Drehen im Bereich der linksrheinischen Kribben) langsam gefahren, während MS T mit unverminderter Geschwindigkeit auf MS A zugefahren sei. Er hat die Geschwindigkeit des MS T auf 13 bis 15 km/h geschätzt.
3. Kapitän Dahl von KMS S hat bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren darauf hingewiesen, auf dem Seeradargerät seines Schiffes habe er erkennen können, daß der Bergfahrer bis zur Anfahrung des MS A und auch kurz danach seine Geschwindigkeit nicht verringert habe. Weiter hat Dahl ausgesagt, daß seines Erachtens der Bergfahrer die Kollision auch dadurch hätte vermeiden können, wenn er den Kurs geändert und mehr nach linksrheinisch gefahren wäre. Dann wäre er vor dem Bug des querfahrenden Schiffes vorbeigekommen. Außerdem erinnere er sich daran, daß das querfahrende Schiff schon weit zur Mitte hin gekommen sei, so daß linksrheinisch genügend Platz zum Passieren gewesen sei. Im Ergebnis sei das gesamte Verhalten des Bergfahrers sehr ungewöhnlich und nicht nachvollziehbar gewesen. Richtig sei jedenfalls, daß de Bergfahrer den Unfall hätte vermeiden können, wenn er langsamer gemacht hätte, und wenn er den Kurs mehr nach linksrheinisch ausgerichtet hätte, was ihm möglich gewesen wäre.
Dem vermag die Berufungskammer nicht in vollem Umfange zuzustimmen. Denn nach den Bekundungen des Zeugen S hatte MS T das linksrheinische Ufer schon weitgehend angehalten. Zudem hatte der Zeuge D als Kapitän eines Seeschiffes keine hinreichenden Erfahrungen, um die Möglichkeiten eines durch ein fehlerhaftes Wendemanöver auf dem Rheinstrom in Schwierigkeiten gebrachten Bergfahrers zuverlässig beurteilen zu können. Dahl hat nach seinen Angaben zwar wiederholt den Rhein befahren, verfügt aber nicht über ein Rheinpatent. Es kann daher nicht angenommen werden, daß er die Fahrwasserverhältnisse auf dem Rheinstrom kennt. Er konnte daher nicht zuverlässig beurteilen, wie nahe der Bergfahrer das linke Ufer anhalten konnte, ohne das Schiff angesichts der herrschenden Wasserverhältnisse zu gefährden. Zudem konnte sich Dahl seine Meinung zu den schnell ablaufenden Geschehnissen nur aufgrund des Radarbildes seines Seeradargeräts bilden. Unter diesen Umständen ist die Berufungskammer der Überzeugung, daß den Beurteilungen des Zeugen D mit Zurückhaltung begegnet werden muß.
4. Aus den aufgezeigten Aussagen entnimmt die Berufungskammer die Feststellung, daß MS T mit unverminderter Geschwindigkeit auf MS A zugefahren ist. Hätte der Schiffsführer M von MS T das ihm auf geraume Entfernung angekündigte Wendemanöver rechtzeitig durch eine Herabsetzung seiner Geschwindigkeit unterstützt, wäre es ihm als Bergfahrer auch möglich gewesen, die Fahrt vollständig aus seinem Schiff zu nehmen, wenn anderenfalls eine Kollision nicht zu verhindern gewesen wäre. Die Berufungskammer nimmt daher an, daß auch Schiffsführer Maes den Unfall mitverschuldet hat. Für weiter Vorwürfe bietet das Beweisergebnis keine sichere Grundlage.
III. Zur Schuldverteilung zwischen MS A und MS T:
Abweichend von der Entscheidung des Rheinschiffahrtsgerichts ist die Berufungskammer der Ansicht, daß die von den beiden Schiffseigner zu tragende Quote entsprechend der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens (§ 92 c Abs. 1 BinnenSchG) ¾ zu ¼ zu Lasten von MS A beträgt.
Zwar ist MS T mit unverminderter Geschwindigkeit auf MS A zugefahren, weil Schiffsführer M ersichtlich die Gefahrenlage falsch eingeschätzt hat, es kann ihm aber nicht vorgeworfen werden, eine Steuerbordkursänderung unterlassen zu haben. Denn es lässt sich zu seinen Lasten nicht sicher feststellen, daß er durch eine Kursänderung nach Steuerbord den Unfall hätte vermeiden können, wenn er rechtzeitig die Geschwindigkeit seines Schiffes herabgesetzt hätte. Zudem musste zu seinen Gunsten Berücksichtigung finden, daß er das linke Ufer bereits nahe anhielt und im Nebel mit seinem großen Schiff angesichts des geringen Wasserstandes einigen Abstand vom linken Ufer halten musste.
Demgegenüber wiegt das Verschulden von Schiffsführer W von MS A weitaus schwerwiegender:
Ihm ist vorzuwerfen, durch sein Wendemanöver im Nebel die ganze Breite des Stroms in Anspruch genommen, weiter mit seinem breiten Bogen den linksrheinischen Weg der Bergfahrt geschnitten und dadurch die Gefahrenlage geschaffen zu haben, in welcher es zu dem Zusammenstoß gekommen ist. In dieser fehlerhaften Fahrweise des MS A liegt die primäre und entscheidende Unfallursache für die hier zu beurteilende Nebelkollision.
Die Berufungskammer ist unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses und aller Umstände des Falles der Überzeugung, daß eine Schadensverteilung von ¾ zu ¼ zu Lasten von MS A dem Maß des beiderseitigen Verschuldens entspricht.
IV. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Anschlussberufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung dieser Berufung im übrigen das am 14.12.1998 verkündete Teil- und Grundurteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort – 5 C 16/98 BSch – teilweise wie folgt abgeändert :
Die Klage wird dem Grunde nach zu ¾ für gerechtfertigt erklärt. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Zur weiteren Verhandlung über die Höhe des Klageanspruchs wird der Rechtsstreit an das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückverwiesen.
Diesem wird auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens übertragen.