Decision Database
Leitsätze:
1) Zu dem Wahlrecht bezüglich der Zuständigkeit von Rheinschiffahrtsgerichten im Falle, daß der Ort der Verursachung und der Ort des Schadenseintritts in verschiedenen Gerichtsbezirken liegen.
2) Die Zulässigkeit von Wendemanövern ist nicht von der Lage zur Zeit der Abgabe des Wendesignals, sondern nach derjenigen zur Zeit des Wendebeginns abhängig.
3) Die nach § 6.13 RhSchPVO vorgeschriebene Rücksichtnahme auf den übrigen Verkehr beim Wendemanöver entfällt nicht solchen Fahrzeugen gegenüber, die sich verbotswidrig, z. B. aus Gründen des § 11.10 RhSchPVO, dem wendenden Schiff nähern.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 14. Januar 1976
37 Z - 3/76
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte MS E befand sich bei Lobith auf Talfahrt; es folgte dem Verlangen des ganz linksrheinisch zu Berg kommenden Schubverbandes RIV, diesem backbords zu begegnen. Rechtsrheinisch lag MS V vor Anker. Das vorher an dessen Landseite ebenfalls festgemachte, beladene MTS E, das der Beklagten zu 1 gehört und vom Beklagten zu 2 geführt wurde, war ein Stück zu Berg gefahren und wollte oberhalb V über Steuerbord zu Tal wenden. Dabei stieß es mit dem zu Berg kommenden MTS A zusammen, schoß voraus und geriet - auf Höhe des Schubverbandes RII - in die Steuerbordseite von MS E hinein. Die Klägerin verlangt Ersatz des Schadens von ca. 14.000, hfl., weil MTS E trotz des rechtsrheinisch schon nahe an V herangekommenen MTS A schon kurz oberhalb V vorschriftswidrig mit der Wende zu Tal begonnen habe - und daher in Querlage von A angefahren sei, worauf die weitere Anfahrung von MS E durch MTS E beruhe. Die Eigentümerin von MTS A ist als Streithelferin der Klägerin beigetreten. Die Beklagten behaupten demgegenüber, daß MTS E rechtzeitig 2mal Signal zum Wenden über Steuerbord gegeben habe; beim 1. Mal habe sich A noch 600 m unterhalb und linksrheinisch befunden. Nach Freifahrung des MS V und dem 2. Wendesignal habe sich A weiter genähert und plötzlich Kurs nach rechtsrheinisch genommen. Auf E sei dieser Kurswechsel dahin verstanden worden, daß A zu einem Liegeplatz oder zu einer Lade- oder Löschstelle fahren wolle; deshalb sei das Wendemanöver fortgesetzt worden. A sei jedoch mit unverminderter Kraft im rechtsrheinischen Drittel bergwärts und sodann MTS E in die Steuerbordseite gefahren, so daß durch den starken Anprall E in die Strommitte geraten und mit MS E kollidiert sei. Letzteres Schiff sei keineswegs linksrheinisch zu Tal gefahren, sondern habe sich trotz Verbotes gemäß § 11.10 RhSchPV mehr rechtsrheinisch gehalten. Der Unfall habe nach der Anfahrung nicht mehr durch Ankermanöver auf MTS E verhindert werden können. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung ist von der Berufungskammer als unbegründet zurückgewiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Von Amts wegen stellt die Berufungskammer fest, daß das von E ausgeführte Wendemanöver, das nach Aussage der Klägerin den Zusammenstoß zwischen der MSL E und der MS E schuldhaft verursachte, zwar auf niederländischem Gebiet, also rechtsrheinisch, stattgefunden, daß aber der Zusammenstoß selbst linksrheinisch, d. h. auf deutschem Gebiet, sich ereignet hat. Das ist zureichend aus dem vorhandenen Beweismaterial ersichtlich und steht auch in der Berufungsinstanz nicht mehr in Frage. Nach Artikel 35 und 35bis der Revidierten Rheinschiffahrtsakte hat der Kläger in den Fällen, in denen der Ort der Verursachung und der Ort des Schadenseintritts in verschiedenen Gerichtsbezirken liegen, das in Artikel 35bis vorgesehene Wahlrecht (Urteil der Berufungskammer vom 14. 6. 1971 in Sachen Moermann/Nordstern). Deshalb war das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zuständig. MSL E überquerte nach einem Wendemanöver den Strom und kollidierte dabei mit der zu Tal fahrenden MS E. Ob die Besatzung der MSL E an diesem Zusammenstoß für schuldig befunden werden kann, hängt davon ab, ob dieses Wendemanöver unter den gegebenen Umständen, insbesondere unter Berücksichtigung des zu Berg fahrenden A, zulässig war. Anhand der zur Verfügung stehenden Zeugenaussagen stellt der Vorderrichter zu Recht fest, daß A zu der Zeit, als E mit dem Wenden begann, d. h. den Kopf nach Steuerbord herumnahm, bereits mit dem Vorderschiff auf Höhe des Achterschiffes von V gewesen ist. Die Berufungskläger haben gegen diese Feststellung keinen Einspruch erhoben. Die Berufungskammer ist aus den gleichen Gründen wie der Vorderrichter mit dieser Feststellung einverstanden. Die Berufungskläger meinen jedoch, daß das Rheinschiffahrtsgericht die Zeugenaussagen insofern nicht richtig bewertet habe, als es feststellte, daß zu Anfang des Wendemanövers der Abstand zwischen dem Achterschiff von E und dem Vorderschiff von A etwa 100 bis 120 m betragen mußte. Sie führen jedoch keine Gründe für diesen Einwand an. Vor allem haben sie nicht behauptet, daß E mehr als eine Schiffslänge (83 m) zu Berg gefahren ist, bevor das Schiff sich herumfallen ließ. Die Zeugenaussagen weisen vielmehr darauf hin, daß E das Wendemanöver in sehr geringem Abstand oberhalb von V durchgeführt hat (wird ausgeführt). Unter diesen Umständen urteilte das Rheinschiffahrtsgericht zu Recht, daß das von der E eingeleitete Wendemanöver angesichts des sich nähernden A nicht mehr gefahrlos ausgeführt werden konnte. Bei diesem Urteil berücksichtigte der Vorderrichter zu Recht, daß E unmittelbar nach Wendebeginn von der Strömung zu Tal gedrückt werden mußte. Dagegen führten die Berufungskläger an, daß eine derartige Vermutung in dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht die geringste Stütze finde, und auch nicht aus nautischer Hinsicht erkennbar sei, aus welchem Grunde E, das ja schon inwendig von V ein Stück zu Berg gefahren war und dann gedreht hatte, beim Wenden hätte zu Tal gedrückt werden müssen; E habe immerhin bei seiner Größe von 83 m eine Maschinenstärke von 640 PS. Diese Argumentation muß abgelehnt werden, die Zeugenaussagen enthalten zwar keine diesbezüglichen Angaben, aber die Berufungskammer betrachtet es als Erfahrungstatsachen, daß ein Motorschiff, das beim Wenden aus der Längsrichtung zunächst schräg, und schließlich quer im Strom zu liegen kommt, von der Strömung zu Tal gedrückt wird, wobei die Abdriftstärke durch die eingesetzte Maschinenkraft beeinflußt wird. Im übrigen ist zu bezweifeln, daß E bei der Durchführung ihres Wendemanövers bereits mit voller Kraft fuhr (wird ausgeführt).
Außerdem machen die Berufungskläger dem Rheinschiffahrtsgericht zum Vorwurf, nicht die Frage geprüft zu haben, ob von E ordnungsgemäß Wendesignale gegeben worden sind, und festgestellt zu haben daß die Zulässigkeit des Wendens sich nicht nach der Lage zur Zeit der Abgabe des Wendesignals richte, sondern nach derjenigen zur Zeit des Wendebeginns. Nach Ansicht der Berufungskläger muß man in der Abgabe der Wendesignale und dem Vorausfahren mit dem Zweck des anschließenden Drehens bereits den Beginn des Wendens sehen. Die Abgabe des Signals allein ergab aber noch nicht für E die Berechtigung, das Wendemanöver einzuleiten. Die Vorschrift des § 6.13, Absatz 1, beinhaltet, daß auch bei Abgabe eines Signals, das Wenden nicht erlaubt ist, wenn zum Zeitpunkt der Einleitung des Wendemanövers eine Gefahrenlage besteht oder andere Fahrzeuge zu unmittelbaren Kurs- oder Geschwindigkeitsänderungen gezwungen werden. Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Wendens kommt es deshalb auf die Verkehrslage bei Wendebeginn, nicht dagegen auf die Lage zur Zeit eines vorangegangenen Wendesignals an. Wenn jedoch nach Abgabe des Wendesignals das Wendemanöver nicht unverzüglich eingeleitet wird, muß unmittelbar vor dem endgültigen Wenden ein neues Signal gegeben werden. In Abweichung von den Ausführungen der Berufungskläger muß als Beginn eines Wendemanövers die Änderung der Lage eines Fahrzeugs im Strom nach einer zum Zwecke des Drehens erfolgten Ruderlegung betrachtet werden.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich auch, daß - im Gegensatz zu der Meinung der Berufungskläger - der Vorderrichter zu Recht in seinem Urteil bezüglich der Unzulässigkeit des von E ausgeführten Wendemanövers als bedeutenden Tatbestand geltend gemacht hat, daß die Besatzung dieses Schiffes zumindest zeitweilig „blind" wendete, d. h. ohne Beachtung des zu Berg kommenden A. Wenn es der Besatzung nicht möglich war, an der Stelle, an der sie das Wendemanöver einleitete, zu überblicken, ob genügend Platz dafür vorhanden war, hätte sie weit genug stromaufwärts fahren müssen, um sich den erforderlichen Überblick über das Revier zu verschaffen.
Die Berufungskläger halten dem entgegen, daß das Rheinschifffahrtsgericht dem § 11.10 der in diesem Fall anwendbaren „Vorschriften für die Reeden auf dem Rhein" nicht die richtige Bedeutung habe zukommen lassen. Diese Vorschrift verbiete, auf der Lobither Reede (km 857,73 bis km 866,50 am rechten Ufer) oberhalb km 863,38 zu Berg zu fahren, wenn dies nicht zur Fahrt nach oder von einem Liegeplatz, dem Wassersportzentrum „De Bijlandt", dem Schutzhafen und den Lade- und Löschstellen notwendig ist. Die Berufungskläger meinen, daß für die Beurteilung der Zulässigkeit des von E ausgeführten Wendemanö¬vers der § 11.10 im Verhältnis zu § 6.13 als lex specialis zu werten sei. Nach Meinung der Berufungskläger ist diese Bestimmung deshalb erlassen worden, um den auf der Lobither Reede liegenden Fahrzeugen bei der Weiterfahrt das Wendemanöver gefahrlos zu ermöglichen und bietet somit diesen Fahrzeugen eine bevorrechtigte Wendemöglichkeit. A habe demzufolge durch ihre in Verletzung des § 11.10 durchgeführte rechtsrheinische Bergfahrt die bevorrechtigt wendende E behindert.
Dieser Darstellung der Berufungskläger kann nicht zugestimmt werden. An sich ist es zwar richtig, daß an dieser Stelle grundsätzlich - abgesehen von Ausnahmefällen - das Verbot des § 11.10 gilt, auf der Lobither Reede stromaufwärts zu fahren. Das bedeutet jedoch keinesfalls, daß der § 6.13 durch diese Bestimmung hinfällig wird. Wenn auch da sin § 11.10 enthaltene Verbot u. a. bezweckt, zu verhindern, daß Fahrzeuge, die auf der Reede vor Anker gelegen haben, beim Wenden durch zu Berg kommende Schiffe behindert werden, so gibt dies den wendenden Schiffen immer noch nicht die Freiheit, dieses Manö¬ver ganz oder zum Teil blind auszuführen, d. h. ohne dabei auf etwaige zu Berg kommende Fahrzeuge zu achten. Sie haben sich vielmehr, bevor sie das Wendemanöver beginnen, davon zu überzeugen, daß es ohne Gefahr oder Behinderung für den übrigen Verkehr durchgeführt werden kann, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob Fahrzeuge vielleicht in Übertretung des § 11.10 zu Berg fahren. Wird diese notwendige Vorsichtsmaßregel beim Wenden außer Acht gelassen, dann ist dieses Manöver auch auf der Lobither Reede unzulässig. Ob die A durch ihre Fahrweise eine Mitschuld trifft, ist in dem anhängigen Verfahren, in dem es allein um die Frage geht, ob E für den durch den Zusammenstoß an MS E entstandenen Schaden verantwortlich ist, von keiner Bedeutung. Die Berufungskläger unternehmen den Versuch, der Führung von E eine Schuld an dem Unfall mit der Begründung anzulasten, dem zu Berg fahrenden A nicht nach linksrheinisch ausgewichen zu sein, obwohl man den Unfall zwischen E und A habe erkennen können und linksrheinisch auch Raum für ein Ausweichmanöver vorhanden gewesen sei. Mit diesem Versuch stehen die Berufungskläger im Widerspruch zu ihrer Klagebeantwortung im ersten Rechtszuge, wo sie selbst erklärt, daß die Schuld an dem Unfall ausschließlich den Schiffsführer von A treffe. Auch abgesehen davon muß der Einwand der Berufungskläger abgelehnt werden, da aus dem vorliegenden Beweismaterial genügend ersichtlich ist, daß E aufgrund des linksrheinisch zu Berge fahrenden Rheinstahl-Schubverbandes keinen Platz hatte, dem Zusammenstoß mit E nach Backbord auszuweichen (wird ausgeführt).
...“