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Leitsätze:
1) Der auf eine Versäumung der Sorgfaltspflicht hinweisende Sachverhalt des Beweises des ersten Anscheins für ein nautisches Verschulden ist als widerlegt anzusehen, wenn anzunehmen ist, daß die Anfahrung eines Brückenpfeilers die Folge einer überraschenden Strömungsänderung durch Baggerarbeiten gewesen ist.
2) Beruht der Unfall also auf einem atypischen Geschehensablauf, kann sich ein Geschädigter nicht auf die Beweiserleichterung in der Form eines Anscheinsbeweises berufen. Er trägt vielmehr die volle Beweislast für ein Verschulden der Schiffsbesatzung an der Anfahrung der Brücke.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 25. April 1997
355 Z - 4/97
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 29.11.1995 - 31 C 114/89 -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten um den Ersatz der Schäden, die der Klägerin am 23.10.1988 durch die Anfahrung der ihr gehörenden, inzwischen abgerissenen und durch einen Neubau ersetzten Eisenbahnbrücke Maxau bei Rheinstromkm 362,0 durch MS M entstanden sind.
Im Bereich von Stromkilometer 361,4 - 362,0 ließ zu jener Zeit die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Südwest wegen festgestellter Fehltiefen am rechten Fahrwasserrande auf eine Breite von 50 m Baggerarbeiten durchführen. Wegen dieser Arbeiten wurde die für die Talfahrt bestimmte mittlere Brückenöffnung (d.h. die vom geographisch linken Rheinufer aus gesehen dritte Öffnung von links) der Eisenbahnbrücke Maxau gesperrt. Mit schiffahrtspolizeilicher Anordnung vom 20.9.1988 war bestimmt worden, daß alle Talfahrer in Absprache mit der Bergfahrt die zweite Durchfahrtsöffnung von links zu benutzen hatten. Zur Sicherung der Talfahrt wurden von der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung oberhalb der Brücke zwei rote Radartonnen ausgelegt.
Am 23.10.1988 gegen 6.30 Uhr befuhr MS M (93 m lang; 11,30 m breit; 1.980 t groß, 2 x 675 PS stark; Bugstrahlruder 260 PS stark) beladen mit 1900 t Mais, bei einem Tiefgang von 2,78 m den Rheinstrom zu Tal. Am Ruder des Schiffes stand der Lotse C, der über Sprechfunkzeugnis, Radarschifferzeugnis und Rheinschifferpatent für die Strecke Basel - Meer und für dieselbe Strecke über ein Lotsenpatent verfügte. Der Schiffsführer von MS M, B, der für die zu durchfahrende Strecke kein Patent hatte, befand sich im Steuerstuhl und bediente die Maschine. Wegen der durch Nebelschwaden eingeschränkten Sicht und der herrschenden Dunkelheit fuhr C mit Hilfe von Radar. Beim Durchfahren der Brücke geriet MS M in den Bereich des für die Talfahrt gesperrten mittleren Brückenbogens, prallte mit dem Backbordmittelschiff gegen den Eisabweiser des Brückenpfeilers Nr. 2 und dann mit dem Vorschiff gegen den Brückenpfeiler Nr. 3. Anschließend fuhr MS M an den rechtsrheinischen Buhnen entlang und lief bei Stromkilometer 362,5 auf Grund.
Durch den Unfall wurde die Brückenpfeilerschutzeinrichtung sowie das Schiff nebst seiner Ladung beschädigt.
Die Klägerin hat ausgeführt, der Unfall beruhe auf nautischem Verschulden der Schiffsführung des MS M. Die Schiffsführung habe einen fehlerhaften Talfahrtkurs gewählt. Es sei wegen der Massenträgheit bei einer Wasserführung von 5,33 m am Pegel Maxau unmöglich, daß ein vollbeladenes Schiff wegen einer zunächst zum linken Ufer und dann in umgekehrter Richtung zum rechten Ufer verlaufenden Querströmung im Bereich von 120 m unmittelbar oberhalb der Eisenbahnbrücke einen « Hauer » mache und auf einer Strecke von 120 m bei gesteuertem Manöver und bei Änderung des Maschineneinsatzes in eine Querlage gerate und so mit den Pfeilern der Brücke kollidiere. Im Bereich der Brückenöffnung seien keine Querströmungen feststellbar gewesen. Es gebe keinen Erfahrungssatz, daß in dem durch die Radarleitlinien vorgegebenen Kurs durch die zweite Öffnung mit Querströmungen zu rechnen gewesen sei. Da die Querströmung, auf die die Schiffsführung offensichtlich vertraut habe, tatsächlich ausgeblieben sei, sei der von ihr eingehaltene Steuerbordkurs gegen die vermeintliche Backbordquerströmung nautisch verfehlt gewesen. Die an der Brücke entstandenen Schäden habe die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes durch die Schnurpfeil Tiefbau GmbH beheben lassen. Die Rechnung dieser Firma über 337.029,95 DM sei ihr, der Klägerin, in Rechnung gestellt und von ihr bezahlt worden.
Wegen ihrer Schadensersatzforderung hat die Klägerin die Beklagten, gestützt auf § 4 Abs. 1 Nr. 3 BinSchG, auf Duldung der Zwangsvollstreckung in Schiff und Fracht in Anspruch genommen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, wegen eines Betrages von DM 337.029,95 nebst 3 % Zinsen über dem Bundesbankdiskontsatz seit dem 24.10.1988 die Zwangsvollstreckung in MS M zu dulden.
hilfsweise:
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin DM 337.029,95 nebst 3% Zinsen über dem Bundesbankdiskontsatz zu bezahlen und wegen dieses Betrages die Zwangsvollstreckung in das MS M, eingetragen im Schiffsregister von Rotterdam, zu dulden.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte zu 1 hat ausgeführt, er sei nur Miteigentümer des MS M. Zur Zwangsvollstreckung in ein Schiff sei ein Titel gegen alle Miteigentümer erforderlich. Die Miteigentümer eines Schiffes seien notwendige Streitgenossen. Die zunächst nur gegen ihn erhobene Klage sei daher unzulässig.
Die Klage sei auch deshalb abzuweisen, weil sie nur auf Duldung der Zwangsvollstreckung, nicht aber auf Zahlung gerichtet sei. Zur Zwangsvollstreckung müßten Leistungs- und Duldungstitel vorliegen.
Ferner gebe der Klageantrag nicht den Rang des Rechtes an, aufgrund dessen Duldung der Zwangsvollstreckung verlangt werde. Die Klage ermangele deshalb der nötigen Bestimmtheit.
Nachdem die Klägerin die Klage auch gegen die Beklagte zu 2 erweitert hatte, hat diese Beklagte die Einrede der Verjährung des Klageanspruchs erhoben.
In sachlich-rechtlicher Hinsicht haben die Beklagten ausgeführt, die Klägerin könne die Unfallschäden an der Maxauer Brücke nicht liquidieren, weil die Brücke ein rechtswidriges, gefährliches Verkehrshindernis gewesen sei, das sie pflichtwidrig nicht beseitigt habe. Der Zustand der Brücke habe nicht dem Stand der Technik entsprochen. Fachleute hätten 30 Jahre lang um die Beseitigung der Brücke gekämpft. Die Zurechenbarkeit für den hier in Rede stehenden Unfall liege daher in ihrem eigenen Bereich. Der Unfall sei durch die Gefahrerhöhung programmiert gewesen.
Die Schiffsführung des MS M treffe auch kein nautisches Verschulden an dem Unfall. Ab Strom-km 358 habe sich MS M laufend über Funk gemeldet, Name und Standort angegeben und angekündigt, daß man sich als beladener Talfahrer der Brücke nähere und den mittleren Bogen benutzen werde. Auf die Frage nach Bergfahrt habe sich niemand gemeldet. MS M habe dann gestreckten Kurs auf die Mitte der mittleren Durchfahrt gehalten. Die zur Unfallzeit auf der rechten Seite des Fahrwassers ausgelegten Einweisungsbojen habe MS M in einem seitlichen Abstand von etwa 20 m liegenlassen. Um den Kurs zur Mitte der Durchfahrt zu halten und der dort vorhandenen Querströmung entgegenzusteuern, habe das Schiff nach Steuerbord vorhalten müssen. Plötzlich und ohne jedes Ruder- oder Maschinenmanöver habe MS M einen Hauer nach Steuerbord gemacht. Entweder sei die Gegenströmung am Vorschiff zusammengebrochen oder die Gegenströmung sei nun in umgekehrter Richtung verlaufen. MS M sei hierdurch die Durchfahrtmöglichkeit durch die mittlere Öffnung genommen worden. Das Schiff sei in Richtung auf den rechten Pfeiler der mittleren Durchfahrt geraten und habe weiterhin Drall nach Steuerbord gehabt. Es habe allein noch die Möglichkeit einer Durchfahrt durch den alten Talbogen bestanden. Ein Versuch, nach Backbord gegenzusteuern, hätte das Schiff quer vor den Brückenpfeiler getragen. Der Lotse C habe deshalb den alten Talbogen angesteuert und die Maschine auf voll voraus gesetzt, um die nötige Ruderwirkung zu erreichen. Es sei auch gelungen, das Vorschiff durch den Talbogen zu steuern. Etwa auf Höhe des Mittschiffs sei MS M dann aber mit seiner Backbordseite gegen die Brückenaufbauten gestoßen. Das Schiff sei nach Steuerbord abgewiesen worden und fast in Querlage geraten. Infolgedessen sei das Vorschiff gegen den rechten Pfeiler des alten Talbogens gestoßen und dort in Talrichtung, also nach Backbord, abgewiesen worden. Der Lotse habe dann das Schiff durch den alten Talbogen gesteuert. Anschließend sei das Schiff an den rechtsrheinischen Buhnen entlanggeschlendert. Schließlich habe das Schiff an einer Kribbe Grundberührung erlitten und sei am Kribbenkopf bei Strom-km 362,5 stehengeblieben, nachdem auch die Ruderanlage ausgefallen sei.
Im übrigen haben die Beklagten die Schadenshöhe bestritten und ausgeführt, sie hätten keine Gelegenheit gehabt, sich von der Schadenshöhe zu überzeugen. Die vorgelegte Rechnung der Firma S sei kein Beweismittel. Nach dem Unfall seien an der Brücke eine Baustelle eingerichtet und Arbeiten vorgenommen worden. Diese Aufwendungen hätten aber vor allem dem Bau der neuen Brücke und dessen Vorbereitung gedient und hätten mit dem Unfall nichts zu tun. Auch müsse ein adäquater Zusammenhang mit dem Unfall verneint werden, weil die Brückenschutzvorrichtungen kurz nach dem hier in Rede stehenden Unfall wieder angefahren und in Mitleidenschaft gezogen worden seien.
Schließlich haben die Beklagten den Zinsanspruch in Abrede gestellt.
Demgegenüber hat die Klägerin vorgetragen, eine Verjährung ihrer Ansprüche sei nicht eingetreten. Im Schiffsregister sei MS M eingetragen auf die « V.O.F.: M.A. Sibrijns », also eine offene Handelsgesellschaft niederländischen Rechts mit der Firma « M.A. Sibrijns «, deren Gesellschafter die Beklagten seien. Man habe es hier nicht mit notwendigen Streitgenossen zu tun.
Beide Parteien haben sich mit der Verwertung der Aussagen der Zeugen D und C in dem Verfahren C 1/89 BSch Schiffahrtsgericht Mannheim ausdrücklich einverstanden erklärt. Ihre Zustimmung zur Verwertung des dort eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dr.-Ing. Da vom 30.9.1993 hat die Klägerin auf Anfrage des Gerichts erteilt, die Beklagten haben ihre Zustimmung zunächst bis zur Kenntnis des Gutachtens vorbehalten, dann aber keine Einwendungen mehr erhoben.
Durch das am 29.11.1995 verkündete Urteil hat das Rheinschiffahrtsgericht unter Abweisung der Klage im übrigen den Beklagten zu 1 verurteilt, die Zwangsvollstreckung in das MS M, eingetragen im Schiffsregister von Rotterdam, aus dem zugunsten der Klägerin am 23.8.1988 wegen einer Forderung von DM 337.029,95 nebst 4% Zinsen seit dem 4.1.1990 entstandenen Schiffsgläubigerrecht im Rang des § 102 Nr. 5 BinSchG zu dulden.
Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschiffahrtsgericht ausgeführt, daß der Beklagte zu 1 nicht alleiniger Eigentümer des MS M sei, sei ohne Belang. Denn als Ausrüster hafte er für die auf ein Verschulden der Schiffsbesatzung gestützten Schadensersatzansprüche zwar nicht persönlich aber dinglich mit dem von ihm eingesetzten Schiff und der Fracht und sei zur Duldung der Zwangsvollstreckung aus dem zugunsten der Klägerin durch das Unfallereignis begründeten Schiffsgläubigerrecht verpflichtet, auch wenn das Schiff nicht in seinem alleinigen Eigentum stehe. Werde, wie hier, eine Brücke von einem Schiff angefahren, spreche für ein Verschulden der Schiffsbesatzung der Beweis des ersten Anscheins. Den ihm demgegenüber obliegenden Entlastungsbeweis habe der Beklagte zu 1 durch das Ergebnis der in dem Parallelrechtsstreit C 1/89 BSch Schiffahrtsgericht Mannheim durchgeführten Beweisaufnahme, mit deren Verwertung sich die Parteien einverstanden erklärt hätten, nicht geführt. Der von den Besatzungsmitgliedern beschriebene Hauer ihres Schiffes etwa 200-300 m oberhalb der Brücke als Folge einer plötzlich aufgetretenen Querströmung sei nicht nachgewiesen. Auch sonst seien keine Tatsachen ersichtlich, die den Schluß zuließen, daß seinerzeit bedingt durch Baggerarbeiten außergewöhnliche Querströmungen vorhanden gewesen seien, die es einem sorgfältigen und aufmerksam handelnden Schiffsführer unmöglich gemacht hätten, die Brücke zu durchfahren.
Tatsachen, die für ein Mitverschulden der Klägerin an dem Unfall streiten könnten, lägen nicht vor. Die Verkehrssicherungspflicht für die Wasserstraße obliege der Bundesrepublik Deutschland und nicht der Klägerin als Eigentümerin des Brückenbauwerks.
Die Schadensersatzforderung sei auch der Höhe nach begründet. Die Brückeneinrichtungen seien bei dem Unfall erheblich beschädigt worden. Die Reparaturkosten seien durch die vorgelegte Rechnung belegt. Substantiierte Einwendungen, die erfolgten Arbeiten hätten dem Bau der neuen Brücke und dessen Vorbereitung gedient, seien nicht verständlich, weil die entsprechenden Brückenpfeiler mit den daran befindlichen Leitwerken und Eisabweisern nach Errichtung der neuen Brücke beseitigt worden seien.
Die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage sei unbegründet. Die Beklagte zu 2 sei zwar Miteigentümerin des Schiffes, nicht aber Schiffseignerin im Sinne des Binnenschiffahrtsgesetzes.
Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zu 1 Berufung eingelegt.
Die Klägerin hält die von den Beklagten behauptete Querströmung nicht für bewiesen. Sie meint, wenn dem Lotsen beim Ansteuern der Brücke mit Hilfe von Radar die Fahrt zu gefährlich erschienen sei, hätte er auf die weitere Fahrt verzichten müssen. Für den Schaden der Klägerin hätten beide Beklagte einzustehen.
Ihre Hilfsanträge entsprächen den Rügen der Beklagten, daß ein Zahlungsantrag fehle. Der zweite Hilfsantrag werde für den Fall gestellt, daß die Beklagte zu 2 ihre Haftung nicht auf Schiff und Fracht begrenzen könne.
Die Klägerin beantragt,
1. unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung in das MS M, eingetragen im Schiffsregister von Rotterdam, aus dem zu Gunsten der Klägerin am 23.8.1988 wegen eines Betrages von DM 337.029,95 nebst 4% Zinsen seit dem 4.1.1990 entstandenen Schiffsgläubigerrecht des § 102 Nr. 5 BinSchG zu dulden.
hilfsweise:
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin DM 337.029,95 nebst 4% Zinsen hieraus seit dem 4.1.1990 zu bezahlen und wegen dieses Betrages die Zwangsvollstreckung in das MS M, eingetragen im Schiffsregister zu Rotterdam, aus dem zu Gunsten der Klägerin am 23.8.1988 entstandenen Schiffsgläubigerrecht im Range des § 102 Nr. 5 BinnSchG zu dulden,
weiter hilfsweise:
den Beklagten zu 1 zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung in das MS M, eingetragen im Schiffsregister von Rotterdam, aus dem zu Gunsten der Klägerin am 23.8.1988 wegen einer Forderung von DM 337.029,95 nebst 4% Zinsen hieraus seit dem 4.1.1990 entstandenen Schiffsgläubigerrecht im Rahmen des § 102 Nr. 5 BinnSchG zu dulden. Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, an die Klägerin DM 337.029,95 nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 4.1.1990 zu zahlen.
2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
3. die Kosten des Rechtsstreits den Beklagten als Gesamtschuldnern aufzuerlegen.
Der Beklagte zu 1 beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in vollem Umfange abzuweisen.
Die Beklagten sehen in den Anträgen der Klägerin eine Klageänderung, der sie nicht zustimmen. Sie beantragen,
die Klageänderung nicht zuzulassen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Der behauptete Zahlungsanspruch sei am 31.12.1989 verjährt. Vorsorglich werde die Einrede der Verjährung erhoben.
Weiter tragen die Beklagten vor, für ein Schiffsgläubigerrecht nach § 102 Ziff. 5 BinnSchG bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Die Schiffsgläubigerrechte aus § 102 Ziff. 3 BinnSchG überträfen schon den Schiffswert.
Ferner wendet sich der Beklagte gegen die Annahme, für ein Verschulden der Schiffsbesatzung spreche der Beweis des ersten Anscheins. Die Klägerin sei nach der Sachlage beweispflichtig und habe den für ein Verschulden der Schiffsbesatzung sprechenden Nachweis nicht geführt. Der Sachverhalt sei ungeklärt geblieben. Schließlich wiederholen die Beklagten ihre Ausführungen zur Höhe des Schadens.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zu 1 zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. In der Sache ist ihre Berufung jedoch unbegründet. Auf die Berufung des Beklagten zu 1 war ihre Klage vielmehr in vollem Umfange abzuweisen.
1. Die Berufung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist nicht für die Beklagte zu 2 eingelegt worden.
In der Berufungsschrift vom 14.12.1995 haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zwar « namens der Bekl. » Berufung eingelegt, insoweit handelt es sich aber ersichtlich um einen Schreibfehler. Durch das angefochtene Urteil war die Beklagte zu 2 nicht beschwert, da die gegen sie gerichtete Klage abgewiesen worden ist. Hiervon geht auch die Berufungsbegründung vom 29.12.1995 aus. Hierdurch ist klargestellt worden, daß Berufung nur für den Beklagten zu 1 eingelegt werden sollte und der Wortlaut der Berufungsschrift insoweit auf einem Versehen beruht. So hat ersichtlich auch die Klägerin die prozessualen Erklärungen der Beklagten verstanden. Aus diesem Versehen können der Beklagten zu 2 keine prozessualen Nachteile entstehen.
2. In der Sache konnten die Ansprüche der Klägerin keinen Erfolg haben.
Es kann auf sich beruhen, ob der Beklagte zu 1 als Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft niederländischen Rechts, der V.O.F. : M.A. Sibrijns, der Klägerin gegenüber für Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft auch persönlich einzustehen hat oder die Rechtsstellung eines Ausrüsters im Sinne des § 2 BinSchG hatte und deshalb an sich mit einem fremden Schiff für entstandene Schiffsgläubigerrechte einzustehen hat, weil er wegen der Verwendung des Schiffes als Schiffseigner im Sinne des Binnenschiffahrtsgesetzes angesehen wird (Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht 4. Aufl., § 2 Rdn. 8 und 9 ; § 102 Rdn. 11 ; Prüßmann/Rabe, Seehandelsrecht, 3. Aufl. § 510, Anm. F2 b ; Schaps/Abraham, Seerecht, 4. Aufl., § 510 Rdn. 11), jedenfalls würde eine dingliche Haftung des Beklagten zu 1 mit MS M und mit der Fracht der Unfallreise voraussetzen, daß die Klägerin aufgrund des Unfalls vom 23.10.1988 ein Schiffsgläubigerrecht an diesem Schiff im Sinne des § 102 Nr. 5 BinSchG erworben hätte. Ebenso verhält es sich mit der Beklagten zu 2, wenn man sie als Schiffseignerin ansehen würde. In beiden Fällen wäre zu Gunsten der Klägerin nur dann ein Schiffsgläubigerrecht entstanden, wenn der genannte Unfall auf einem Verschulden der Schiffsbesatzung oder eines an Bord tätigen Lotsen in Ausführung von Dienstverrichtungen beruhen würde, für den die Beklagten nach §§ 2 ff BinSchG einzustehen hätten. Entgegen der vom Rheinschiffahrtsgericht vertretenen Auffassung kann nach der Überzeugung der Berufungskammer ein solches Verschulden nicht festgestellt werden.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat angenommen, für ein Verschulden der Schiffsbesatzung des MS M, genauer : des Lotsen C, an der Anfahrung der Maxauer Brücke spreche der Beweis des ersten Anscheins. Dem vermochte sich die Berufungskammer unter den hier gegebenen Umständen nicht anzuschließen.
Anknüpfungspunkt des Beweises des ersten Anscheins ist ein Sachverhalt, der nach den Erfahrungen des täglichen Lebens auf eine bestimmte Ursache, insbesondere auf eine Versäumung der Sorgfaltspflicht hinweist. Ein solcher typischer Geschehensablauf ist grundsätzlich anzunehmen, wenn ein Schiff den Pfeiler einer Brücke anfährt. Insoweit ist nach den Erfahrungen des täglichen Lebens davon auszugehen, daß die Anfahrung eines Brückenpfeilers nur auf einem Verschulden der Schiffsbesatzung beruhen kann.
Diese Vermutung haben die Beklagten aber ausräumen können:
Hierfür genügt allerdings nicht der Hinweis, daß die Maxauer Brücke auf Grund ihrer Bauweise schwierig zu durchfahren war, insbesondere bei unsichtigem Wetter. Das war der Schiffahrt seit langem bekannt. Auch beherrschte sie, wie die langjährige Benutzung der einzelnen Durchfahrtsöffnungen deutlich macht, die damit verbundenen Schwierigkeiten (notfalls mit einer vorübergehenden Unterbrechung der Fahrt bei unsichtigem Wetter). Das trifft ebenfalls hinsichtlich der im Brückenbereich vorhandenen Querströmung zu, wie Schiffsführer B von MS M vor dem Schiffahrtsgericht Mannheim bekundet hat. Auch hat der Lotse C (MS M) vor dem genannten Gericht ausgesagt, daß er einige hundert Meter oberhalb der Brücke mit dem Ruder Steuerbord (also zur rechten Fahrwasserseite) angehalten habe, weil die (rechtsrheinisch befindlichen) Kribben ab Kilometer 361 nach backbord (also zur linken Fahrwasserseite) drücken.
Indessen steht nach den Ausführungen in dem Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. Da (Strömungverhältnisse im Bereich oberhalb der alten Eisenbahnbrücke Karlsruhe - Maxau am 23.10.1988 - am Unfalltag) zweifelsfrei fest, daß an diesem Tage kurz vor der Brücke erhebliche Querströmungen nach rechts vorhanden waren, was mit der damaligen Durchführung von Baggerarbeiten an der rechten Fahrwassergrenze oberhalb der Brückendurchfahrt zusammenhing, und von einem Talfahrer erforderte, nach Backbord, also nicht nach Steuerbord vorzuhalten, um auf dem gewünschten Kurs zur Durchfahrt des mittleren Brückenbogens zu bleiben. Dafür, daß das dem Lotsen C bekannt war oder bekannt sein mußte, besteht kein Anhalt, zumal die Stromsohle durch die Baggerarbeiten verändert wurde. Infolgedessen ist anzunehmen, daß der von dem Schiffsführer B und dem Lotsen C glaubhaft geschilderte Hauer des MS M nach Steuerbord die Folge einer überraschenden Strömungsänderung nach rechts gewesen sein und zu der Anfahrung der Brücke trotz der von dem Lotsen noch versuchten Kurskorrektur geführt haben konnte.
Danach ist davon auszugehen, daß die Beklagten bewiesen haben, daß der Unfall auf einem atypischen Geschehensablauf beruhen kann. Der Anscheinsbeweis für ein nautisches Verschulden des Lotsen C ist deshalb als widerlegt anzusehen. Die Klägerin trägt infolgedessen die volle Beweislast für ein Verschulden der Schiffsbesatzung an der Anfahrung der Brücke und kann sich nicht auf die Beweiserleichterung in der Form eines Anscheinsbeweises berufen. Danach könnte ein nautisches Verschulden der Schiffsführung des MS M nur dann angenommen werden, wenn sicher festgestellt werden könnte, daß die Schiffsbesatzung oder der Lotse C schuldhaft gehandelt haben. Diesen Beweis hat die Klägerin nicht geführt. Die Folgen dieser Beweislosigkeit gehen zu Lasten der Klägerin.
Da zu Lasten der Schiffsbesatzung des MS M kein schadensursächliches Verschulden festgestellt werden kann und schon deshalb Ansprüche der Klägerin jedweder Art ausgeschlossen sind, kann auf sich beruhen, ob die Klageänderung der Klägerin in der Berufungsinstanz zulässig war und ob inzwischen ihre Ansprüche verjährt sind.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 97 ZPO.
4. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 29.11.1995 wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung des Beklagten zu 1 wird das genannte Urteil teilweise wie folgt abgeändert:
Die Klage wird in vollem Umfange abgewiesen.
Die gesamten Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Artikel 39 der Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Mannheim.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.22 (Sammlung Seite 1663 ff.); ZfB 1997, 1663 ff.