Decision Database
Leitsatz:
Zur Begründung des Verschuldens eines Schiffsführers an einer Schiffskollision genügt nicht der Vortrag, bei einer Kollision, die darauf beruhe, daß ein Schiff aus dem Kurs gerate, spreche der zu widerlegende Anscheinsbeweis, für eine falsche Ruderbewegung oder ein sonstiges fehlerhaftes Verhalten, wenn die Ursache des Schiffszusammenstoßes in einer Verkettung widriger Umstände liegt, unter denen beide Schiffsführer die Entwicklung kaum abschätzen oder gar voraussehen konnten.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 23. Januar 1997
353 Z - 1/97
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 13. November 1995 - 5 C 51/93 Bsch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten über einen Schiffszusammenstoß, der sich am 21.09.1992 gegen 6 Uhr bei Rhein-km 773,9 zwischen MS R (82 m lang; 8,20 m breit; 1.040 t; Ladung ca. 850 t; Tiefgang ca. 2,10 m; 831 PS) und MS M (60,20 m lang; 5,77 m breit; 752 t; Ladung 624 t; Tiefgang ca. 2,60 m; 2 x 278 PS) ereignet hat. Beide Fahrzeuge fuhren linksrheinisch zu Berg. Kurz oberhalb der Eisenbahnbrücke Hochfeld (Rhein-km 774,38) hatte MS R begonnen, MS M an dessen Backbordseite zu überholen. Als die Schiffe etwa auf gleicher Höhe waren, kam MS M mit dem Kopf nach Backbord herüber, stieß mit dem Backbordanker gegen die Steuerbordseite von Raum 3 des MS R, der voll Wasser lief.
Die Klägerin ist Versicherer des MS R. Sie nimmt aus übergegangenem Recht den Beklagten als Eigner und Führer des MS M auf Ersatz der Unfallschäden der Interessenten des MS R in Anspruch. Sie wirft dem Beklagten vor, den Schiffsunfall verschuldet zu haben. Er sei mit MS M außerhalb des Fahrwassers gefahren, dabei festgekommen und mit dem Kopf des Fahrzeugs herumgeschlagen. Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 58.801,81 DM nebst Zinsen zu verurteilen, und zwar nicht nur persönlich, sondern auch im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes dinglich mit MS M haftend.
Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Er behauptet: MS R habe MS M mit einem sehr geringen Seitenabstand von etwa 15 m überholt, obwohl dies nach der Lage im Revier nicht erforderlich gewesen wäre; dadurch habe der Überholer dem MS M das Wasser weggezogen mit den schädlichen Folgen des Verfalls.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat nach Vernehmung von Zeugen und nach dem Einholen eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Es ist der Ansicht, daß nach dem Beweisergebnis nicht festgestellt werden könne, daß den Beklagten ein Verschulden an der Kollision trifft.
Die Klägerin verfolgt mit der Berufung den Klagantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung kann keinen Erfolg haben. Der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte habe mit seinem MS M die garantierte Fahrrinne verlassen, sei darauf mit der Folge festgekommen, daß das Schiff quer nach Backbord gefallen sei, ist nicht bewiesen.
Dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Heuser ist zu entnehmen, daß MS R und MS M vor dem Antritt der Unfallreise nebeneinander am rechten Ufer bei Rhein-km 774,8 übernachtet haben; MS M hat außen gelegen, also neben der Steuerbordseite des MS R. MS M hat als erstes Fahrzeug die Bergfahrt angetreten ; MS R ist ihm kurz danach gefolgt. Beide Fahrzeuge haben Kurs in die linke Hälfte der Fahrrinne genommen. Diese verläuft nach der Schiffahrtskarte rechtsrheinisch (vgl. Anlage 1 des Gutachtens). Sie ist 150 m breit (nach der Aufzeichnung der Querprofile des Stromes von km 774,0 - 773,8 durch den Experten Samie - Bl. 47 der Akten). Aus der Schiffskarte ergibt sich außerdem, daß der Strompfeiler der Eisenbahnbrücke Hochfeld am linken Rand der Fahrrinne befindet.
Nach den Angaben des Schiffsführers von MS M ist er nach dem Passieren der Brücke in gerader Linie mit dem Pfeiler gefahren, also etwa am linken Rand der Fahrrinne. Der Schiffsführer des MS R hat sich zu dem Kurs des vorauslaufenden MS M geäußert, daß es vor dem Unfall am äußeren linken Fahrrinnenrand gefahren, wenn es nicht schon jenseits der Fahrrinne gewesen sei. Damit hat er die Möglichkeit eingeräumt, daß MS M, wie der Schiffsführer dieses Fahrzeugs angegeben hat, sich nicht außerhalb der Fahrrinne befunden hat. Weitere Aussagen zum Kurs des MS M vor dem Unfall liegen nicht vor. Infolgedessen läßt sich nicht feststellen, daß der Kurs des MS M vor dem Unfall außerhalb der Fahrrinne verlaufen ist. Damit kann auch nicht angenommen werden, daß MS M außerhalb der Fahrrinne auf Grund geraten und dadurch quer gefallen ist.
Nun hat die Klägerin weiter vorgetragen, daß gegen ein Schiff, das aus dem Kurs gerät, bei einer darauf beruhenden Kollision der Anscheinsbeweis für eine falsche Ruderbewegung oder ein sonstiges fehlerhaftes Verhalten des Schiffes spricht; zwar könne in diesen Fällen der Schiffsführer, dessen Schiff den Kurs ändert, den gegen ihn sprechenden Beweis des ersten Anscheins erschüttern ; er müsse dann aber einen vom typischen Geschehensablauf abweichenden Tatbestand aufzeigen und beweisen; hierzu habe der Beklagte nichts vorgetragen. Dieser Vortrag genügt nicht, um ein Verschulden des Beklagten an der Kollision zwischen MS M und MS R zu begründen:
Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. H in seinem schriftlichen Gutachten und bei dessen mündlicher Erläuterung vor dem Rheinschiffahrtsgericht ist es zu dem Unfallhergang durch eine Verkettung widriger Umstände gekommen, wobei beide Schiffsführer die Entwicklung kaum abschätzen oder gar voraussehen konnten. MS M habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kurz oder während des Überholmanövers durch MS R keine Grundberührung gehabt. Von einer solchen hat der Beklagte bei seiner Anhörung durch das Rheinschiffahrtsgericht auch nicht mehr gesprochen. Unfallursache war nach den Darlegungen des Sachverständigen, daß in der entscheidenden Phase vor der Kollision die Wassertiefe sich in der Fahrspur von MS M verringerte (wobei die für die Fahrrinne garantierte Mindestwassertiefe von 2,50 m keinesfalls unterschritten wurde), was eine Verminderung der Kursstabilität des MS M zur Folge hatte. Diese ist nach den weiteren Angaben des Sachverständigen noch dadurch beeinträchtigt worden, daß der Beklagte, um die Steuerfähigkeit seines Schiffes zu erhöhen (was er während des Überholmanövers durch MS R dringend gebraucht habe), die Drehzahl seiner Hauptmaschine erhöht hat, aber auch zu einer zusätzlichen Verringerung des Wasserpolsters unter dem Boden seines Schiffes geführt habe; danach habe er sein Fahrzeug nicht mehr « stützen » können, als es unter den Einfluß des überholenden MS R aus seiner Strömungs-Längsrichtung nach Backbord abwich und alsdann durch die Strömung des Rheins querfiel.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 13. November 1995 wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Deren Festsetzung gemäß Artikel 39 der Mannheimer Akte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.10 (Sammlung Seite 1636 f.); ZfB 1997, 1636 f.