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Leitsätze:
1) Wird in einem Hafen ein Verholmanöver über Steuer ohne ausreichende Sicht nach achtern ausgeführt, ist vorher ein Ausguck auf dem Achterschiff aufzustellen (§ 1.09 Nr. 4 RheinSchPVO) und der Funkverkehr einfahrender Schiffe zu überwachen. Ferner ist das Verholmanöver durch eine Meldung über Funk und ein Schallsignal anzuzeigen. Anderenfalls liegt ein Verstoß gegen § 1.04 RheinSchPVO i.V m. § 15 HafenVO Baden-Württemberg vor.
2) Auch der Führer eines in den Hafen einfahrenden Schiffs verstößt gegen § 1.04 RheinSchPVO i.V m. § 15 HafenVO Baden-Württemberg, wenn er die Geschwindigkeit nicht den Gegebenheiten der Hafenbelegung anpaßt und deshalb nicht in der Lage ist, jederzeit bei einer unvermittelt auftretenden Gefahr plötzlich abzustoppen. War ihm die Sicht über das Hafenwasser versperrt, muß er außerdem ein Schallsignal geben, um andere Verkehrsteilnehmer, die er noch nicht sehen konnte, zu warnen.
3) Nach einem erstinstanzlichen Antrag der Klägerin, eine Zeugenaussage durch Beiziehung der Ermittlungsakten der Wasserschutzpolizei im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten, ist ein späterer Widerspruch der Beklagten gegen die Verwertung der Zeugenaussage unerheblich. War die Vernehmung eines Zeugen durch die Polizei im Ermittlungsverfahren gesetzlich zulässig und sind keine Gründe ersichtlich, daß der Zeuge vor der Polizei die Unwahrheit gesagt haben könnte, besteht auch aus Gründen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Zivilprozeß kein Hinderungsgrund, die Angaben des Zeugen im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 15.04.1996
347 Z - 4/96
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Die Parteien streiten über den Hergang und die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 15.5.1993 gegen 16.30 Uhr im Ölhafen von Karlsruhe ereignet hat. Die Klägerin ist Eignerin des TMS E (105 m lang, 10,5 m breit; 2.198 t; 1.600 PS stark, ausgerüstet mit einer Bugstrahlruderanlage), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von Schiffsführer M verantwortlich geführt worden ist. Die Beklagte zu 1 ist Eignerin des TMS D (80 m lang; 9 urbreit; 1.489 t; 800 PS stark, dessen verantwortlicher Schiffsführer zur Unfallzeit der Beklagte zu 2 gewesen ist.
Zur angegebenen Zeit befand sich TMS E beladen mit 1.470 t Schweröl auf der Fahrt von Gelsenkirchen nach Karlsruhe. Gegen 16.30 Uhr lief TMS E in den Ölhafen von Karlsruhe ein. In dem Karlsruher Ölhafen hatte zu dieser Zeit zunächst das mit 1.046 t beladene TMS D neben anderen Schiffen am Steiger II in Warteposition gelegen. Nördlich davon am Steiger III lag ein Schiffspäckchen bestehend aus 7 nebeneinanderliegenden leeren Schiffen. Nachdem TMS D Weisung zum Verholen an den Löschsteiger V erhalten hatte, legte dieses Schiff ab und zog mit Maschinenkraft, ohne zuvor Schallsignale oder eine Funkmeldung über Kanal 10 zu geben, zurück. In der Nähe des Schiffspäckchens kam es zur Kollision mit dem in den Hafen einfahrenden TMS E, obwohl TMS E noch zurückgeschlagen und TMS D noch voraus gemacht hatte, als man sich gegenseitig sah. TMS E geriet mit dem Steven gegen die Steuerbordseite des TMS D in Höhe des Eingangs zum Pumpenraum und dann noch gegen die Bordwand in Höhe von Raum 5/6. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.
Die Klägerin hat behauptet, Schiffsführer M habe bei der Fahrt durch den Stichkanal des Ölhafens über Funk mit dem in dem Hafen manövrierenden TMS N Verbindung aufgenommen und von dessen Schiffsführer erfahren, daß man dieses Schiff zum Steiger II verholen wolle. Man habe vereinbart, daß TMS E anschließend bei TMS N längsseits gehen werde. Mit geringstmöglicher Maschinenleistung und mit einem auf "zurück" gestellten Bugstrahlruder sei man mit etwa Fußgängergeschwindigkeit (4-5 km/h) weitergefahren. Schon bei der Einfahrt in den Stichkanal seien der Steuermann und ein Matrose - ausgerüstet mit einem Sprechfunkgerät - auf das Vorschiff gegangen, um die Schiffsführung zu wahrschauen. Als TMS E sich dem am Steiger III liegenden Schiffspäckchen genähert und mit dem Vorschiff in Höhe des Achterschiffs des darin liegenden R befunden habe, habe der auf dem Vorschiff von E stehende Steuermann O über Funk gemeldet, daß ein anderes Fahrzeug zurückziehe und E mit der Maschine vollan zurückmachen solle. Obwohl man sofort zurückgeschlagen habe, habe man nicht verhindern können, daß E leicht gegen das Achterschiff des zu dieser Zeit immer noch über Steuer fahrenden D geraten sei. Durch das Rückwärtsmanöver und den Anstoß sei E mit dem Achterschiff etwas nach Steuerbord verfallen. Um nicht gegen andere Fahrzeuge anzukommen, habe Schiffsführer M sein Fahrzeug wieder aufgestreckt, sei dabei aber mit dem Buganker gegen die Steuerbordseite von TMS D geraten.
Die Beklagten haben vorgetragen, TMS D habe langsam zurückgemacht. Als man sich in Höhe des Schiffspäckchen befunden habe und habe vorausmachen wollen, sei TMS E, ohne vorherige Funkdurchsage und ohne Signale abzugeben, mit überhöhter Geschwindigkeit in den Hafenmund eingefahren. Obwohl TMS D die Maschine "auf volle Kraft voraus" gestellt und zusätzlich noch Steuerbordruder gegeben habe, sei die Havarie nicht mehr zu vermeiden gewesen. TMS E sei mit Vorausgang bei auf "zurück" stehender Maschine Gegen TMS D gestoßen. Zu dieser Zeit habe ihr Schiff bereits wieder Vorausgang gehabt. Im Verlauf der Havarie sei TMS E nach Backbord verfallen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach zu 3/5 für gerechtfertigt erklärt; im übrigen hat es ihn abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"1. Nach § 1.24 RheinSchPV gilt diese Verordnung auch für Wasserflächen, die Teile von Häfen, Lade- und Löschplätzen sind, unbeschadet der für diese erlassenen, durch die örtlichen Verhältnisse und den Umschlagbetrieb bedingten besonderen schiffahrtspolizeilichen Vorschriften. Da sich der hier in Rede stehende Unfall vom 15.5.1993 im Karlsruher Ölhafen ereignet hat, treten ergänzend die Vorschriften der Hafenverordnung des Landes Baden-Württemberg (Hafen VO) vom 10.1.1983 (Gbl. BW Nr. 3 vom 25.2.1983) nach deren § 2 Nr. 1 neben die der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung.
2. Der Beklagte zu 2 hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in dem Verklarungsverfahren und dem wegen dieses Unfalls gegen ihn eingeleiteten Bußgeldverfahren schuldhaft gegen § 1.04 RheinSchPV i.V.m. § 15 Hafen VO verstoßen, weil er sein Fahrzeug nicht so bewegte, daß andere Fahrzeuge nicht beschädigt oder gefährdet werden konnten. Obwohl er als Schiffsführer/Rudergänger keine genügende freie Sicht von seinem Steuerstuhl hatte, hat er keinen Ausguck vor der Fahrt über Steuer auf seinem Achterschiff aufgestellt. Er hat nicht auf die Meldung in den Hafen einfahrender Schiffe geachtet und sich auch selbst nicht mittels seiner Sprechfunkanlage vergewissert, daß sein Ablegen vom Liegeplatz und sein weiteres Verholmanöver im Hafen ohne Gefährdung des übrigen Verkehrs möglich war und keine anderen Fahrzeuge gezwungen wurden, unvermittelt ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit zu ändern. Ferner hat er kein Schallsignal gegeben, um in den Hafen einfahrende andere Schiffe auf sein Verholmanöver aufmerksam zu machen.
Der Beklagte zu 2 hat mit dem von ihm geführten TMS D über Steuer ein Verholmanöver ausgeführt, ohne ausreichend Sicht nach achtern und Richtung Hafeneinfahrt zu haben, weil ihm ein am Steiger III stilliegendes, aus 7 leeren Tankmotorschiffen bestehendes Schiffspäckchen nach achtern und seitlich die Sicht auf den Hafenkanal versperrte. Durch dieses Rückwärtsmanöver ist TMS D in den Kurs des einfahrenden TMS E geraten und mit diesem Tankmotorschiff zusammengestoßen. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob TMS D im Zeitpunkt der Kollision sich noch in einer Rückwärtsbewegung befand stillag oder bereits Vorausgang hatte; denn jedenfalls befand sich das Schiff noch deutlich im Kurs des TMS E wie die Fotos der Unfallschäden in den Ermittlungsakten zeigen. Die Anstoßstelle befand sich im Bereich der achteren Verschanzung auf der Steuerbordseite des TMS D.
Die Beklagten meinen, es sei nicht erforderlich gewesen, auf dem Achterschiff von TMS D einen Ausguck aufzustellen, weil der Beklagte zu 2 in seinem etwa 4-5 m über dem Achterdeck befindlichen Steuerhaus eine bessere Sicht nach achtern aber auch seitlich vom Achterschiff weggehabt hätte, als wenn er sein Rückwärtsmanöver von den Weisungen eines achtern befindlichen Matrosen abhängig gemacht hätte. Dieser Auffassung konnte sich die Berufungskammer nicht anschließen, weil der Beklagte zu 2 im Verklarungsverfahren selbst ausgesagt hat, er habe nicht auf die Hafeneinfahrt schauen können, weil ihm unbeladene Tankmotorschiffe, die hoch aus dem Wasser geragt hätten, die Sicht versperrt hätten. Er habe das Vorschiff von TMS E erstmals ausgemacht, als es noch etwa 12 m von seinem Fahrzeug entfernt gewesen sei.
Hatte aber der Beklagte zu 2 nach seiner eigenen Aussage keine ausreichende Sicht nach achtern bei seiner Fahrt über Steuer, wäre er nach § 1.09 RhSchPV verpflichtet gewesen, achtern einen Ausguck aufzustellen, der ihn über Sprechfunk hätte wahrschauen können, wenn durch die Fahrt über Steuer andere Schiffe hätten gezwungen werden können, ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit zu ändern.
Ohne Erfolg wenden sich die Beklagten gegen die Feststellung in dem angefochtenen Urteil, TMS E habe vor der Einfahrt in den Hafenkanal vom Rheinstrom her eine Funkmeldung abgegeben und außerdem stehe fest, daß TMS E mit dem Schiffsführer des TMS N ein Funkgespräch geführt habe. Nach seinen Bekundungen hat der Lotse H vor der Einfahrt in den Hafen sich über Kanal 10 gemeldet und auch nach Wiederholung der Durchsage keine Antwort erhalten. Nach seinen weiteren Angaben ist er daraufhin mit TMS E in den Stichkanal eingelaufen und hat dann das Ruder Schiffsführer M übergeben. Die Berufungskammer sieht keinen Grund, den Angaben dieses Zeugen zu mißtrauen: denn der Zeuge H ist am Ausgang dieses Rechtsstreits nicht interessiert. Es sind auch von keiner Seite gegen ihn Vorwürfe erhoben worden. Daß Schiffsführer M ein Gespräch über Funk mit Schiffsführer R von TMS N nach der Meldung seines Lotsen über Funk gehabt hat, ist seinen Bekundungen, denen des Lotsen H und den Aussagen des Schiffsführers R im Bußgeldverfahren zu entnehmen.
Daß die Beklagten der Verwertung der Aussage des Zeugen R im Wege des Urkundenbeweises widersprochen haben, ist unerheblich und hindert die Berufungskammer nicht, diese Aussage zu verwerten. Denn die Klägerin hat durch ihren erstinstanzlichen Antrag auf Beiziehung der Ermittlungsakten der Wasserschutzpolizei die Verwertung der Aussage des Zeugen R im Wege des Urkundenbeweises beantragt. Einer Zustimmung der Beklagten zur Erhebung dieses Beweises bedurfte es nicht (Zöller - Stephan, ZOP, § 373 Rdn. 9; BGH, Vers.R 1983, 667). Daß R. im Verklarungsverfahren nicht gehört worden ist, hindert die Berufungskammer auch aus Gründen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Zivilprozeß nicht, seine Angaben im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten (Zöller - Stephan, ZPO, § 355 Rdn. 4; § 373 Rdn. 9). Denn die Vernehmung des Zeugen R durch die Polizei im Ermittlungsverfahren ist gesetzlich zulässig gewesen. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, daß R vor der Polizei die Unwahrheit gesagt haben könnte.
Hat sich aber der Zeuge H vor der Einfahrt in den Hafenkanal ordnungsgemäß über Funk gemeldet und ist danach noch ein Gespräch zwischen Schiffsführer M mit dem Schiffsführer des TMS N geführt worden, hätte der Beklagte zu 2 Kenntnis von der Einfahrt des TMS E in den Karlsruher Ölhafen erlangen können, wenn er, wie es der nautischen Sorgfalt entspricht, vor seinem Ablege- und Verholmanöver seine Funkanlage auf Empfang geschaltet und den Funkverkehr sorgfältig mitgehört hätte. Da sein Verholmanöver geraume Zeit in Anspruch genommen hat, nimmt die Berufungskammer an, daß das Funkgespräch der Schiffsführer M und R nach Beginn des Verholmanövers gewesen ist. Daß der Beklagte zu 2 dieses Gespräch nicht wahrgenommen hat, weil ihn daran starke Nebengeräusche gehindert haben, nimmt die Berufungskammer nicht an. Im Ermittlungsverfahren hat der Beklagte zu 2 von solchen Nebengeräuschen nicht gesprochen. Auch hatte der Zeuge R keine Schwierigkeiten, sich mit Schiffsführer M über Funk zu verständigen, wie die Aussagen beider Schiffsführer ergeben.
Unstreitig hat der Beklagte zu 2 sein Verholmanöver über Steuer weder durch eine Meldung über Funk noch durch ein Schallsignal angezeigt, obwohl er durch das stilliegende Schiffspäckchen in seiner Sicht auf die Hafeneinfahrt gehindert war. Unter den gegebenen Umständen wären aber eine Meldung und Schallsignale erforderlich gewesen, um andere Fahrzeuge, die in den Hafen einfahren wollten, zu warnen und sich mit ihnen zu verständigen. Angesichts des nicht unbeträchtlichen Verkehrs im Karlsruher Ölhafen mußte der Beklagte zu 2 jederzeit mit einfahrenden Schiffen rechnen und durfte sich nicht darauf verlassen, ein Verholmanöver über Steuer parallel zu dem stilliegenden Schiffspäckchen könne gefahrlos durchgeführt werden. Vielmehr mußte er besorgen, daß einfahrende Schiffe hinter dem Schiffspäckchen auf kurze Entfernung auftauchen konnten, die er zuvor nicht gewahrschaut hatte, und denen er den Weg durch sein Manöver verlegte.
Die Berufungskammer ist nach alledem der Überzeugung, daß auf diesen schuldhaften Verstößen des Beklagten zu 2 in ihrem Zusammenwirken der Zusammenstoß der beiden Tankmotorschiffe beruht, für den beide Beklagten nach den §§ 3,4,114 BinSchG, 823, 249 BGB einzustehen haben.
3. Auch Schiffsführer M von TMS E hat gegen § 1.04 RheinSchPV in Verbindung mit § 15 Haven VO schuldhaft verstoßen, weil er sein Fahrzeug nicht so bewegt hat, daß andere Fahrzeuge nicht beschädigt oder gefährdet werden konnten. Ihm ist vorzuwerfen, nicht so langsam gefahren zu sein, daß er jederzeit bei einer unvermittelt auftretenden Gefahr sein Fahrzeug noch rechtzeitig zum Stillstand bringen konnte. Auch hätte er bei der Annäherung an das Schiffspäckchen, das am Steiger III lag und ihm die Sicht über das Hafenwasser versperrte, ein Schallsignal geben müssen, um andere Verkehrsteilnehmer, die er noch nicht sehen konnte, zu warnen.
Nach dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens muß als bewiesen erachtet werden, daß TMS E mit etwa 4-5 km/h in den Hafen eingefahren ist. Das entnimmt die Berufungskammer den Angaben aller Zeugen, die die Geschwindigkeit des TMS E beziffert geschätzt haben. Soweit einzelne Zeugen von einem "D-Zug-Tempo" (Zeuge Hei), von einem "ziemlichen Gang" (Zeuge R) oder von "relativ hoch" (Zeuge U) gesprochen haben, vermochte dem die Berufungskammer keinen entscheidenden Beweiswert beizumessen, zumal selbst der Beklagte zu 2 die Geschwindigkeit von TMS E beim Zusammenstoß mit 5 km/h beziffert hat. Wenn er im weiteren Verlauf seiner Vernehmung diese Geschwindigkeit höher und zwar mit 8 km/h angegeben hat, hielt das die Berufungskammer für nicht bewiesen.
Zu Unrecht meinen die Beklagten gegen die Angaben der Zeugen H, 0 und C einwenden zu können, daß diese Zeugen übereinstimmend von einer Geschwindigkeit des TMS E von 4-5 km/h gesprochen haben, was nur durch "eine Regieanweisung der Interessenten des TMS E erklärt werden könne." Das vermag die Aussagen dieser Zeugen nicht zu entkräften. Denn die Zeugen H und C haben auch von einer Fußgängergeschwindigkeit gesprochen.
Ist danach davon auszugehen, daß TMS E mit 4-5 km/h in den Hafen eingefahren ist, so wäre diese Geschwindigkeit sicherlich nicht zu beanstanden, wenn man das Hafenwasser hätte überblicken und das Schiff gefahrlos an einem Steiger hätte befestigen können. Wurde aber die Sicht über einen Teil des Hafenwassers durch ein an Steiger 3 liegendes Schiffspäckchen verdeckt, hätte Schiffsführer M seine Geschwindigkeit unverzüglich soweit verringern müssen, daß er sein Schiff sofort hätte abstoppen können, wenn er auf geringen Abstand ein anderes Fahrzeug, das ihm den Weg verlegt, wahrnahm oder durch einen Ausguck auf ein solches Fahrzeug hingewiesen wurde.
Denn in Häfen ist jederzeit mit Bewegungen anderer Fahrzeuge zum Zwecke des Verholens oder Ablegens von den Lade- und Löschstellen zu rechnen. Bei stärkerer Belegung eines Hafens können andere Fahrzeuge unvermittelt hinter Stilliegern hervorkommen, mit denen eine Kollision vermieden werden muß. Nicht eine zügige, sondern eine den örtlichen Sichtverhältnissen und der Belegung des Hafens angepaßte Fahrweise war deshalb angezeigt. Das hat Schiffsführer M mißachtet und konnte deshalb nicht mehr rechtzeitig abstoppen, als vor ihm auf kurze Distanz TMS D sichtbar wurde, das er zuvor auch nicht durch Schallsignale gewahrschaut hatte.
Hingegen kann Schiffsführer M nicht vorgeworfen werden, keinen Ausguck aufgestellt zu haben. Die Zeugen O und C haben die Angaben von Schiffsführer M bestätigt, daß sie mit einem Funksprechgerät ausgerüstet auf dem Vorschiff des TMS E gewesen sind. In Übereinstimmung mit ihren Aussagen hat auch der Lotse H angegeben, daß diese Zeugen auf das Vorschiff von E gegangen sind, so daß dies die Berufungskammer als bewiesen ansieht. O will auch seinen Schiffsführer gewahrschaut haben, wie dieser ebenfalls bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren bestätigt hat.
Soweit andere Zeugen entweder keinen Ausguck auf TMS E gesehen oder davon gesprochen haben, erst im weiteren Verlauf der Geschehnisse seien O und C nach vorne gelaufen, kann der Grund darin liegen, daß die beiden Besatzungsmitglieder des TMS E sich vor dem 1. Anstoß der Fahrzeuge in Sicherheit gebracht haben, so daß hierdurch der Eindruck entstanden sein kann, auf TMS E habe kein Ausguck gestanden.
Im übrigen spricht für eine Wahrschau des Schiffsführers M durch seinen Ausguck, daß der Zusammenstoß der Fahrzeuge nach den beiderseitigen Schäden beim 1. Anstoß nicht mit großer Wucht erfolgt ist, TMS E also schon einige Zeit zur Geschwindigkeitsverminderung zurückgeschlagen haben muß.
4. Bei der im Rahmen der §§ 92c BinSchG, 254 BGB gebotenen Abwägung der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens mußte die Berufungskammer davon ausgehen, daß der Beklagte zu 2, ohne vorherige Überwachung des Funkverkehrs, einer Meldung und Schallsignale und insbesondere ohne Sicht nach achtern und auf die Hafeneinfahrt ein Manöver über Steuer durchgeführt hat, durch das sein Schiff dem einfahrenden TMS E den Weg verlegte. Hierdurch hat der Beklagte zu 2 in besonders schwerwiegender Form die primären Ursachen des Unfalls herbeigeführt. Wer über Steuer ohne ausreichende Sicht fährt, und es dazu noch unterläßt, einen Ausguck aufzustellen, handelt in hohem Maße verantwortungslos. Demgegenüber kann Schiffsführer M nur vorgeworfen werden, ohne Schallsignale und mit einer den Gegebenheiten der Hafenbelegung nicht angepaßten Geschwindigkeit gefahren und deshalb nicht in der Lage gewesen zu sein, bei einem unvermutet auftretenden Hindernis plötzlich abstoppen zu können.
Diesem Ursachenbeitrag kommt gegenüber dem des Beklagten zu 2 nur untergeordnete Bedeutung zu.
Die Berufungskammer ist bei dieser Sachlage unter angemessener Würdigung aller Umstände des Falles der Überzeugung, daß eine Quotierung von 4/5 zu 1/5 zu Lasten der Beklagten dem Maße des beiderseitigen Verschuldens entspricht.....“
Der Klageanspruch wird dem Grunde nach zu 4/5 für gerechtfertigt erklärt. Im übrigen wird die Klage abgewiesen...... "
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1996 - Nr.7 (Sammlung Seite 1594 f.); ZfB 1996, 1594 f.