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Leitsatz:
Übertretungen nach § 366 Nr. 10 StGB in Verbindung mit § 87 Nr. 1 a und 2 a der Binnenschiffuntersuchungsordnung (Führung eines nicht zum Verkehr zugelassenen oder unvorschriftsmäßig bemannten Fahrzeugs) können nur vorsätzlich, nicht dagegen fahrlässig begangen werden.
Beschluss des Landesgerichts Oldenburg
vom 20. Juli 1972
Zum Sachverhalt:
Den Erlass der von der Wasserschutzpolizei beantragten Strafverfügung gegen die Beschuldigten, Schiffsführer R. und Schiffsinspektor W., wegen Verstoßes gegen § 87 Ziffer 1 a und 2 a der Binnenschiffuntersuchungsordnung in Verbindung mit § 366 Ziffer 10 StGB hat das Amtsgericht abgelehnt. Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde auf Kosten der Staatskasse verworfen.
Aus den Gründen:
Die den Beschuldigten zur Last gelegten Taten, die nach dem Ergebnis der Ermittlungen allenfalls fahrlässig begangen sein könnten, sind nicht strafbar. Übertretungen nach § 366 Nr. 10 StGB i. V. m. § 87 Binnenschiffuntersuchungsordnung können nämlich nur vorsätzlich, nicht dagegen fahrlässig begangen werden. Die Vorschriften der §§ 366 Nr. 10 StGB und 87 Binnenschiffuntersuchungsordnung enthalten ausdrücklich keine Bestimmung darüber, ob und inwieweit der Tatbestand Vorsatz voraussetzt oder ob auch Fahrlässigkeit genügt. Infolgedessen kommt es entscheidend darauf an, ob der Gesetzgeber nur vorsätzliches oder auch fahrlässiges Zuwiderhandeln unter Strafe stellen wollte. Dabei darf allerdings nicht unberücksichtigt bleiben, dass in den Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit seines Willensausdrucks unter der Herrschaft des Grundgesetzes eine wesentliche Wandlung eingetreten ist. Aus rechtsstaatlichen Gründen ist der Gesetzgeber gehalten, bei Erlass oder Neufassung von Strafvorschriften die Strafbarkeitsvoraussetzungen möglichst genau festzulegen. Nach Artikel 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) muss die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt sein, damit jedermann vorhersehen kann, welches Handeln mit welcher Strafe bedroht ist, und sein Verhalten entsprechend einrichten kann. Zu dieser Gesetzesbestimmtheit gehört bei einer Strafvorschrift grundsätzlich die Schuldform. Daher enthält auch der neu gestaltete allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in dem ab 1. Oktober 1973 geltenden § 15 StGB die eindeutige Vorschrift, dass nur vorsätzliches Handeln strafbar ist, wenn nicht das Gesetz auch fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. Daher ist in dem seit dem 1. Oktober 1968 geltenden Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. 5. 1968 in § 5 festgelegt, dass als Ordnungswidrigkeit nur vorsätzliches Handeln geahndet werden kann, außer wenn das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Geldbuße bedroht. Nach Art. 1 des Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. 5. 1968 (Bundesgesetzblatt 1 S. 503), ist die Vorschrift des
§ 366 Nr. 10 StGB in der alten Form unverändert aufrecht erhalten geblieben. Nach Art. 164 dieses Gesetzes ist § 366 Nr. 10 StGB nur dann nicht mehr anzuwenden, wenn und soweit andere Vorschriften diese Tatbestände mit Geldbuße bedrohen. Das ist bisher, soweit ersichtlich, noch nicht geschehen, so dass er nach wie vor in unveränderter Fassung weiter gilt. Nach Art. 59 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 25. 6. 1960 (Bundesgesetzblatt 1 S. 645) ist § 366 Nr. 10 StGB in seiner alten Form aufrechterhalten worden. Fahrlässiges Handeln ist bisher aber noch nicht, wie es im Rahmen der Gesetzesbestimmtheit notwendig gewesen wäre, wenn es unter Strafe hätte gestellt werden sollen, ausdrücklich mit Strafe bedroht worden. Das kann nach Auffassung der Kammer nur dahin gedeutet werden, dass der Gesetzgeber lediglich vorsätzliches Handeln bestraft wissen wollte, nicht dagegen aber auch fahrlässiges Handeln. Das gilt umso mehr, als einerseits der geringe Unrechtsgehalt der unter Strafe gestellten Handlungsweise einer Ordnungswidrigkeit etwa gleichsteht und als andererseits Wortlaut, Inhalt und Zweck der Binnenschiffuntersuchungsordnung nicht zu einer anderen Auslegung nötigen (vgl. BGH St 23/167 ff).