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330 Z - 25/94 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 10.02.1995
File Reference: 330 Z - 25/94
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Der Führer eines Schubverbandes verstößt gegen die Vorschrift des § 7.01 Nr. 1 RheinSchPVO, wenn er einen Schubleichter zwar nicht in der Fahrrinne, aber doch in dem in seiner vollen Breite für die durchgehende Schifffahrt bestimmten Fahrwasser ablegt, obwohl es die örtlichen Verhältnisse und der Tiefgang des Leichters gestatteten, ihn näher zum Ufer vor Anker zu legen. Er muß um so mehr mit einer Anfahrung durch die durchgehende Schiffahrt rechnen, wenn er von vornherein beabsichtigte, den Schubleichter mehrere Tage und Nächte hindurch an verbotener Stelle liegen zu lassen.

2) Wird ein Schubleichter über einige Tage im Fahrwasser vor Anker gelegt, ist nach § 7.08 Nr. 2 RheinSchPVO eine Aufsicht erforderlich, die im Bedarfsfall rasch eingreifen kann, insbesondere bei einem Vertreiben des Leichters oder bei einer wesentlichen Störung der Nachtbezeichnung (3.20 Nr. 1 RheinSchPVO) z.B. durch Verrußen einer Petroleumlampe.

3) Die durchgehende Schiffahrt braucht grundsätzlich nicht damit zu rechnen, daß ein Schiff das Fahrwasser verbotswidrig zum Stilliegen benutzt.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 10. Februar 1995

330 Z - 25/94

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mainz vom 14. Dezember 1993 - 34 C 6/93 Bsch -)

Zum Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Ersatz von Schäden, die MS «AF» am 31.10.1992 gegen 6 Uhr durch einen Zusammenstoß bei Rhein-km 493,1 mit dem Schubleichter «A» erlitten hat.
Die Klägerin ist Versicherer des MS « Anna Franziska ». Das Schiff (85 m lang ; 8,20 m breit; 1.423 t; 800 PS) hatte an dem genannten Tag gegen 5.30 Uhr unter der verantwortlichen Führung des Schiffers Heinz Fendel die Fahrt von Mainz nach Mannheim angetreten. Gegen 6 Uhr passierte es die Weisenauer Brücke (Rhein-km 493,65). Kurze Zeit später stieß das Schiff mit dem Kopf gegen die Hinterseite des SL «A» (76,46 m lang ; 11,43 m breit; 2.345 t). Der Schubleichter lag vor Anker. Er war an der Unfallstelle am 28.10.1992 in gelöschtem Zustand von dem SB «H» gegen 21 Uhr abgelegt worden. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte zu 2 verantwortlicher Führer des Schubverbandes, dessen Eigner, zumindest Ausrüster die Beklagte zu 1 ist.

Die Klägerin beziffert den Schaden der Interessenten des MS «AF» auf 90.242,15 DM. In Höhe dieses Betrages nimmt sie die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Sie hat beantragt :

1. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 90.242,15 DM nebst 4 % Zinsen seit 26.01.1993 zu zahlen, die Beklagte zu 1 sowohl dinglich mit SL « Alice » wie auch im Rahmen des § 114 BinSchG haftend, der Beklagte zu 2 unbeschränkt persönlich haftend.

2. Ferner die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung der Kosten des Rechtsstreits zu verurteilen einschließlich der Kosten des Verklarungsverfahrens vor dem Schiffahrtsgericht Mainz, Az. 34 II 94/92 Bsch.
 
Nach Ansicht der Klägerin hat der Beklagte zu 2 den Schiffsunfall verschuldet. Er habe SL «A» 80 m aus dem linken Ufer im normalen Fahrweg der Bergfahrt abgelegt. Außerdem sei der Schubleichter nicht oder nicht ausreichend beleuchtet gewesen, weil die als Stilliegerlicht gesetzte Petroleumlampe wegen totaler Verrußung des Glaszylinders für die durchgehende Schiffahrt nicht zu sehen gewesen sei.

Demgegenüber haben die Beklagten, die Klagabweisung beantragt haben, vorgetragen:

Der Beklagte zu 2 habe SL «A» in einem Seitenabstand von 30 bis 40 m zum linken Ufer ordnungsgemäß abgelegt. Dort habe er sich bis zur Anfahrung durch MS «AF» befunden. Ferner habe die als Stilliegerlicht verwendete Petroleumlampe den Vorschriften entsprochen. Daß ihr Glaszylinder nach der Anfahrung des Schubleichters verrußt gewesen sei, beruhe auf dem Anstoß des Bergfahrers, was zu einer Überfettung des Lampendochts mit der Folge geführt habe, daß die Lampe begonnen habe zu rußen. Schuld an dem Schiffsunfall habe allein die Führung des MS «AF». Sie hätte wegen des im Unfallbereich vorhandenen unsichtigen Wetters das Radargerät einschalten müssen. Das habe sie aber nicht getan, auch keinen Ausguck aufgestellt. Infolgedessen habe sie die Orientierung verloren, sei aus der Fahrrinne geraten und allein deshalb gegen den Schubleichter gekommen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Nach seinen Feststellungen hat der Schubleichter etwa 80 m aus dem linken Ufer am Rande der rechten Fahrwassergrenze gelegen; auch sei die Stillliegerlampe, weil verrußt, kaum sichtbar gewesen. Beides sei dem Beklagten zu 2 vorzuwerfen. Daß er den Schubleichter an der besagten Stelle abgelegt und mit einer Petroleumlampe von 60 Stunden Brenndauer abgesichert habe, wobei geplant gewesen sei, den Leichter erst nach drei Tagen wieder abzuholen, erscheine zumindest als grob leichtsinnig. Er hätte angesichts der herrschenden Witterungslage zumindest dafür sorgen müssen, daß das Licht regelmäßig durch fremde Personen überprüft werden würde. Nach dem Beweisergebnis könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß es zum Unfallzeitpunkt im Unfallbereich nebelig gewesen sei. Somit habe der Schiffsführer des MS «AF» sein Schiff zulässigerweise bei Dunkelheit und klarer Sicht ohne Radarhilfe geführt.
Die Beklagten verfolgen mit ihrer Berufung die Abweisung der Klage weiter.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung kann keinen Erfolg haben.

1. Nach der Überzeugung der Berufungskammer hat der Beklagte zu 2 den leeren Schubleichter «A» am 28.10.1992 gegen 21 Uhr etwa 80 m aus dem linken Ufer abgelegt und ihn dort am 31.10.1992 gegen 12 Uhr wieder abgeholt. Daß sich der Schubleichter beim Abholen noch an der Ablegestelle befunden hat, haben der Beklagte zu 2 und der Binnenschiffer Keller (ebenfalls vom SB «H») im Verklarungsverfahren bestätigt. Allerdings haben beide weiter ausgesagt, daß der Abstand des Schubleichters zum linken Ufer nur etwa 30 bis 50 m beziehungsweise ca. 30 m betragen habe. Ebenso haben der Schiffsjunge Sommerfeld (SB «H»), der Zeuge van Dordt (MS «L») und der Schiffsführer Remmen (MS « Mikojos ») die Entfernung des Schubleichters zum linken Ufer mit zwischen 30 bis 50 m angegeben. Indessen steht der Richtigkeit dieser Schätzungen entgegen, daß der Wasserschutzpolizeibeamte Reineck, der den streitigen Unfall aufgenommen hat, kurz nach der Anfahrung des Schubleichters dessen Entfernung von seiner Steuerbordaußenkante zum linken Ufer mit dem variablen Meßring des Radargeräts seines Polizeiboots gemessen und den Abstand mit etwa 80 m festgestellt hat. Anhaltspunkte, daß der erfahrene Polizeibeamte einen Fehler bei der Messung gemacht hat, bestehen nicht. Insbesondere muß der Einwand der Beklagten, der Polizeibeamte könne fälschlich die Entfernung zu einer « weit im Ufer stehenden Buschhecke » gemessen haben, daran scheitern, daß die « Radar-Uferlinie » des mit einer Böschung versehenen Ufers (vgl. den Tiefenlinienplan sowie die Querprofilpläne des Wasser- und Schiffahrtsamts Mannheim in den Verklarungsakten) für einen üblicherweise mit seinem Meßgerät und den örtlichen Gegebenheiten seines Reviers besonders vertrauten Wasserschutzpolizeibeamten ohne weiteres zu erkennen ist und hier nicht mit dem Radarecho einer hinter der «Radar-Uferlinie» liegenden Buschhecke zu verwechseln war.

2. Nach § 7.01 Nr. 1 RheinSchPV müssen Fahrzeuge ihren Liegeplatz so nahe am Ufer wählen, wie es ihr Tiefgang und die örtlichen Verhältnisse gestatten ; sie dürfen keineswegs die Schiffahrt behindern. Gegen diese Vorschrift hat der Beklagte zu 2 beim Ablegen des Schubleichters «A» schuldhaft verstoßen. Wie ein Blick auf den vorerwähnten Tiefenlinienplan zeigt, hat er den Liegeplatz des unbeladenen Leichters nicht so nahe am Ufer gewählt, wie es der geringe Tiefgang des Fahrzeugs und die örtlichen Verhältnisse gestattet haben. Vielmehr hat er den Leichter im Fahrwasser, wenn auch nicht in der weiter rechtsrheinisch verlaufenden Fahrrinne, vor Anker gelegt. Letzteres kann ihn aber nicht entlasten, weil das Fahrwasser ebenfalls in seiner vollen Breite für die durchgehende Schiffahrt bestimmt ist. Im übrigen hat er von vornherein beabsichtigt, den Schubleichter mehrere Tage und Nächte hindurch an verbotener Stelle liegen zu lassen und deshalb um so mehr mit dessen Anfahrung durch die durchgehende Schiffahrt rechnen müssen.

3. Nun hat der Beklagte zu 2 den Schubleichter «A» nicht nur über einen längeren Zeitraum im Rheinstrom an verbotener Stelle liegen lassen, sondern auch nicht für die in § 7.08 Nr. 2 RheinSchPV vorgeschriebene Aufsicht gesorgt. Nach dieser Vorschrift müssen Fahrzeuge beim Stilliegen von einer Person, die in der Lage ist, im Bedarfsfall rasch einzugreifen, beaufsichtigt werden, es sei denn, die Aufsicht ist wegen der örtlichen Verhältnisse nicht erforderlich oder die zuständige Behörde läßt eine Ausnahme zu. Beides war hier nicht der Fall. Der Beklagte zu 2, der den Schubleichter über einige Tage im Fahrwasser liegen lassen wollte, hätte deshalb für eine entsprechende Beaufsichtigung des Schiffes sorgen müssen, die insbesondere bei einem Vertreiben des Leichters oder einer wesentlichen Störung der vorgeschriebenen Nachtbezeichnung (vgl. 3.20 Nr. 1 RheinSchPV) rasch eingreifen konnte. Sein Unterlassen war ebenfalls ein schwerer Fehler, zumal die von ihm als Stilliegerlicht verwendete Petroleumlampe, die nach seinen Angaben im Verklarungsverfahren nur eine Brenndauer von ca. 60 Stunden hatte, vorzeitig vor seiner Rückkehr ausgehen oder deren Sichtbarkeit, beispielsweise durch Verrußen, mehr oder weniger stark beeinträchtigt werden konnte, wie es nach den fehlerfreien Feststellungen des Rheinschiffahrtsgerichts dann auch der Fall gewesen ist. Zu dessen Feststellungen sei noch ergänzend darauf hingewiesen, daß der Schiffsführer R., der sich kurz vor dem Unfall mit seinem Fahrzeug etwa 300 m oberhalb des Leichters linksrheinisch zur Nachtruhe hingelegt hat, trotz klarer optischer Sicht kein Stilliegerlicht auf SL «A» ausgemacht hat.
 
4. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist ein Mitverschulden der Führung des MS «AF» an dem Schiffsunfall nicht bewiesen. Sie brauchte sich nicht mit dem ebenfalls leeren Schiff innerhalb der Fahrrinne zu halten. Vielmehr durfte sie auch außerhalb derselben das Fahrwasser in seiner gesamten Breite nutzen, sofern das die örtlichen Gegebenheiten und die Verkehrslage erlaubten. Ferner brauchte sie grundsätzlich nicht damit zu rechnen, daß ein Schiff das Fahrwasser verbotswidrig zum Stilliegen benutzte und außerdem dessen Stilliegerlicht erst auf wenige Meter auszumachen war. Weiter ist nicht bewiesen, daß es zum Unfallzeitpunkt im Unfallbereich nebelig gewesen ist und MS «AF» deshalb nicht ohne Radarhilfe hätte fahren dürfen. Das Vorhandensein von Nebel läßt sich nach dem Beweisergebnis nicht feststellen. Der Führer des MS «AF» und seine Ehefrau haben im Verklarungsverfahren ausgesagt, es sei zwar dunkel, die Sicht aber klar gewesen ; man habe deshalb das Radargerät nur auf Bereitschaft geschaltet gehabt. Der Zeuge R. hat die Sicht zum Zeitpunkt des Vorankergehens seines Fahrzeugs ebenfalls als klar beschrieben ; man habe aber wegen der kalten Nacht « auf dem Wasser schon leicht etwas Wasserdampf sehen können ; Nebel habe jedoch nicht geherrscht ». Dem von den Beklagten vorgelegten Amtlichen Gutachten des Zentralamts des Deutschen Wetterdienstes vom 09.12.1992 läßt sich nicht mit Sicherheit entnehmen, daß zur Unfallzeit im Unfallbereich nebeliges Wetter gewesen ist. In dem Gutachten heißt es nur allgemein, daß sich am 31.10.1992 «in der Nacht in einzelnen Flußtälern Deutschlands, wie z. B. am mittleren Rhein, Nebel bzw. Hochnebel bildete » und daß ferner im Mainzer Raum «in Flußniederungen und Senken Nebel mit Sichtweiten unter 1000 m auftreten konnte, in ungünstigen Lagen auch bis zu ca. 500 m ».

5. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mainz vom 14. Dezember 1993 wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der Klageforderang an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen.

Die  Festsetzung   der  Kosten  des  Berufungsverfahrens  gemäß   Art.   39   der   Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Mainz.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1995 - Nr.9 (Sammlung Seite 1549 ff.); ZfB 1995, 1549 ff.