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Leitsätze:
1) Verfolgungsverjährung bei Ordnungswidrigkeiten.
2) Anordnung des persönlichen Erscheinens in der Hauptverhandlung über Zuwiderhandlungen gegen die Entgeltsbestimmungen des Binnenschiffsverkehrsgesetzes.
Beschluss des Kammergerichts in Berlin
vom 16. September 1974
Zum Sachverhalt:
Dem betroffenen, in Hamburg wohnhaften Reeder E. war vom Senator für Wirtschaft in Berlin durch Bußgeldbescheid vom 29. 8. 1973 wegen einer in der Zeit zwischen dem 2. März und 23. Dezember 1970 begangenen, „zumindest grob fahrlässigen" Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften des Binnenschiffsverkehrsgesetzes eine Geldbuße von 500,- DM auferlegt worden. Das Berliner Amtsgericht hatte auf den rechtzeitigen Einspruch Termin zur Hauptverhandlung auf den 3. 1. 1974 bestimmt und das persönliche Erscheinen des Betroffenen angeordnet. Es hu t dessen Anträge auf Abgabe der Sache an das Amtsgericht Hamburg sowie auf Befreiung vom Erscheinen in der Hauptverhandlung und auf Vernehmung durch den ersuchten Richter in Hamburg abgelehnt. Da der Betroffene zum Termin am 3. 1.1974 nicht erschien, wurde sein Einspruch durch Urteil verworfen. Die Rechtsbeschwerde blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
Die dem Bußgeldbescheid vom 29. August 1973 zugrunde gelegte Wertung, der Betroffene habe die ihm zur Last gelegte Zuwiderhandlung „zumindest grob fahrlässig" begangen, ist nach dem Ermittlungsergebnis nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Betroffene alle Tatumstände kannte und bewusst gegen die Entgeltvorschriften verstoßen hat. Allenfalls kommt ein Verbotsirrtum in Betracht, der den Vorsatz nicht ausschließt. Die unzutreffende rechtliche Wertung der Ordnungswidrigkeit In dem Bußgeldbescheid bindet den Senat bei der nach der Aktenlage vorzunehmenden Prüfung der Verfolgungsverjährung nicht. Die, danach in Betracht kommende vorsätzliche Zuwiderhandlung kann mit einer Geldbuße bis zu 50000,- DM geahndet werden (§§ 36 BSchVG, 1 Nr. 8, 4 Abs. 3 WiStE). Die Verfolgung einer solchen . Ordnungswidrigkeit verjährt in drei Jahren (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Die Verjährung ist durch das Anhörungsschreiben der Verwaltungsbehörde an den Betroffenen vom 11. Juli 1973 unterbrochen worden (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 GWiG).
Dem Senat steht als Rechtsbeschwerdegericht eine eigene Würdigung der Entschuldigungstatsachen nicht zu (§§ 79 Abs.3 OWiG, 337 StPO), sondern nur die Prüfung, ob das Amtsgericht den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung richtig angewendet hat. Das ist der Fall. Die Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten hat grundsätzlich hinter der öffentlich-rechtlichen Pflicht, als Betroffener auf Ladung vor Gericht zu erscheinen, Zurückzustehen (vgl. OLG Hamm MDR 1962, 326).
Der Betroffene hat nicht dargetan, noch ist sonst ersichtlich, dass für ihn als Inhaber einer Reederei mit dem Gewerbezweig Binnen- und Küstenschiffsbefrachtung eine etwa halbtägige Unterbrechung seiner geschäftlichen Tätigkeit und die Kosten für eine Flugreise von Hamburg nach Berlin und zurück im Verhältnis zu der Bedeutung der Sache unzumutbare wirtschaftliche oder persönliche Nachteile mit sich bringen konnte.
Entgegen den Ausführungen der Rechtsbeschwerde ist in der Ablehnung des Antrags auf Vernehmung des Betroffenen durch einen ersuchten Richter und eine Terminsverlegung sowie in der Verwerfung des Einspruchs auch sonst kein gesetzwidriges Vorgehen des Amtsgerichts zu sehen. Solange der Betroffene sich i nicht vergewissert hatte, ob seinem Antrag vom 27. Dezember 1973 stattgegeben worden war, galt für ihn die durch richterliche Verfügungen vom 7. und 18. Dezember 1973 getroffene und nach I § 73 Abs. 2 OWiG zur Aufklärung des Sachverhalts zulässige s Anordnung seines persönlichen Erscheinens in der Hauptverhandlung. Blieb er dennoch aus, so durfte das Amtsgericht nach Ablehnung des Antrages vom 27. Dezember 1973 den Einspruch ohne Beweisaufnahme durch Urteil verwerfen (§ 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG). Wenn dem Betroffenen das Erscheinen in der Hauptverhandlung ohne unverhältnismäßige persönliche oder wirtschaftliche Nachteile zumutbar ist, hat er keinen Rechtsanspruch auf Vernehmung durch einen ersuchten Richter (§ 75 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Zwar wird entsprechenden Anträgen, wie der Rechtsbeschwerde einzuräumen ist, stattzugeben sein, wenn dem Betroffenen wegen des mit seinem persönlichen Erscheinen verbundenen Aufwandes an Zeit und Geld unter Berücksichtigung der Bedeutung der Sache das Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht zugemutet werden kann, weil er vom Gerichtsort weit entfernt wohnt (vgl. BayObLGSt 1973, 112 = VRS 45, 382; OLG Frankfurt DAR 1971, 219; Rotberg, OWiG 4. Aufl., § 73 Anm. 4). Darüber hat aber der Amtsrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Wenn er dabei - wie hier - die Erleichterungen durch zeitsparende Verkehrsmittel und die günstigen Einkommensverhältnisse des Betroffenen in Rechnung stellt und zu der nicht geringen Bedeutung der Sache in Beziehung setzt, ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dem Betroffenen ist dadurch auch nicht das rechtliche Gehör versagt worden. Die Begründung für die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Betroffenen und der Ablehnung seiner kommissarischen Vernehmung in dem Beschluss vom 3. Januar 1974 verpflichtete das Amtsgericht nicht, von der Wahlmöglichkeit nach § 74 Abs. 2 OWiG abzusehen und die persönliche Anhörung des Betroffenen zu erzwingen.