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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 10. Februar 1995
321 Z - 19/94
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 31. August 1993 - 5 C 21/93 BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 16. 11. 1991 gegen 20.00 Uhr bei Dunkelheit und Nebel auf dem Rheinstrom im Revier bei Grieth ereignet hat.
Die Klägerin ist Eignerin des MS "M" eines Container-Schiffes ( 1.9 99 groß, 95 m lang, 11,40 m breit und 1280 PS stark ), dessen Schiffsführer zur Unfallzeit der Zeuge B. gewesen ist.
Der Beklagte ist Eigner, zumindest Ausrüster des MTS "RK" ( 1.141 t groß, 83,75 m lang, 8,20 m breit und 811 PS stark), das er zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse selbst verantwortlich geführt hat.
Am 16. 11. 1991 gegen 20.00 Uhr fuhr das mit 1035 t Steinkohlenteer beladene MTS "RK" in der Ortslage Grieth mit Hilfe von Radar zu Tal. Zur gleichen Zeit kam das mit 720 t Container beladene MS "M" mit Radarhilfe zu Berg. Am linksrheinischen Fahrwasserrande lagen 3 Stillieger. Zunächst folgte MS "M" dem linksrheinisch vorausfahrenden Schubverband "K" und dem MTS "S". Nach vorangegangenen Absprachen überholte "M" zunächst "K" und setzte dann zur Überholung von "S" an. Als sich "M" querab von "S" befand, kam es zur Kollision mit "RK", wobei beide Schiffe erheblich beschädigt wurden.
Der Beklagte hat MTS "RK" in Kenntnis der durch den Unfall möglicherweise begründeten Schiffsgläubigerrechte zu neuen Reisen ausgesandt.
Aus Anlaß des Unfalls ist gegen Schiffsführer B. ein Strafbefehl erlassen worden, der in Rechtskraft erwachsen ist. Das Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort hat aus gleichem Anlaß das Verklarungsverfahren 5 II 19/91 Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort durchgeführt.
Die Klägerin hat behauptet, Schiffsführer B. habe sein Überholmanöver mit den vorausfahrenden Schiffen abgesprochen. Der Schiffsführer des Schubbootes «K» habe erwidert, er werde langsamer machen und dann selbst MTS «S» überholen. Während des Überholmanövers sei auf dem Radarschirm des MS «M» ein Echo erschienen, das sich als MTS «RK» herausgestellt habe. Dieses Schiff habe sich ziemlich linksrheinisch gehalten. Schiffsführer B. sei davon ausgegangen, daß MTS «RK» rechtzeitig wieder zum rechten Ufer hinübergehen werde, wie es dem Verlauf des Fahrwassers entsprochen habe. Als das nicht geschehen sei, habe er zurückgeschlagen und nach Steuerbord auf MTS «S» zugehalten, in dessen Höhe er sich befunden habe. MTS «RK» habe dann zwar noch versucht, seinen Kurs wieder nach rechtsrheinisch zu verlegen, dies sei aber zu spät gewesen, so daß es zur Kollision der Backbordvorschiffe gekommen sei.
Die Klägerin hat der Schiffsführung des MTS «RK» weiter vorgeworfen, die Kursweisung des MS «M» mißachtet zu haben. Bei einer Strombreite von ca. 330 m habe sich «M» während des Überholmanövers im linksrheinischen Fahrwasser befunden und die Talfhart nicht behindert. Das Überholmanöver sei zulässig gewesen.
Die Klägerin hat ihren Schaden näher auf 158.352,35 DM beziffert und die Voraussetzungen des Zahlungsverzugs dargetan.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, und zwar im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes sowohl persönlich haftend als auch bei Vermeidung des Zwangsvollstreckung in MTS «RK», an die Klägerin 139.948.97 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 1.3.1992 und weitere 18.403,38 DM nebst 5 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat behauptet, MS "M" sei ausgesprochen " breit " gefahren. Es habe gerade MTS "S" mit einem Abstand von ca. 40 bis 50 m überholt. Dieses Schiff habe seinerseits zu den linksrheinisch befindlichen Stilliegern einen Abstand von ca. 50 m gehabt. MTS "RK" sei rechtsrheinisch am äußersten Rande der Fahrrinne zu Tal gefahren und hätte MS "M" mit einem Abstand von ca. 50 m passieren können, wenn nicht MS "M" in einem Längsabstand von ca. 100 m plötzlich stark nach Backbord gehalten und das gestreckt fahrende MTS "RK" bei Rhein-km 844,7 gerammt habe.
Weiter hat der Beklagte ausgeführt, MTS "M" sei nicht so weit wie möglich linksrheinisch gefahren und habe in einem gefahrenträchtigen Teil des Reviers fehlerhaft überholt. Die Klägerin sei deshalb für die Zulässigkeit des Überholmanövers beweispflichtig. Die Maschinen des MS "M" hätten beim Überholen eine erhebliche Sogwirkung ausüben können. Die typische Gefahr des Ansaugens mit der Folge eines Ausscherens nach Backbord habe sich hier verwirklicht. Daß "M" zweimal gegen "RK" angekommen sei, spreche dafür, daß sich "RK" in keiner Steuerbordschräglage und "M" sich nicht in gestreckter Lage befunden habe, weil sonst "M" mit seinem Vorschiff in "RK" steckengeblieben oder im günstigsten Falle an diesem Schiff entlanggeschrammt, nicht aber erneut mit diesem Schiff kollidiert wäre.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat nach Beiziehung der genannten Verklarungsakten durch das am 31. 8. 1993 verkündete Urteil die Klage abgewiesen. Die Interessenten beider beteiligten Schiffe müßten nach § 92 a BinnSchG die erlittenen Schäden selbst tragen, weil durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht geklärt sei, welches der beiden Schiffe die Kollision verursacht habe und Beweislastgrundsätze zu Lasten einer unfallbeteiligten Partei nicht eingriffen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.
Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und wendet sich, auch gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen K. vom 24. 1. 1994, gegen die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil. Sie meint, durch das Ergebnis der Beweisaufnahme sei ihr Vorbringen bewiesen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils der Klage gemäß ihren erstinstanzlichen Schlußanträgen stattzugeben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verneint ein unfallursächliches Verschulden und sieht, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. vom 12. 12. 1993, als erwiesen an, daß Schiffsführer B. von MTS "M" den Unfall schuldhaft herbeigeführt habe.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Die Berufung der Klägerin ist in formeller Hinsicht bedenkenfrei. In der Sache konnte ihre Berufung keinen Erfolg haben.
Nach § 92 a BinnSchG besteht im Falle eines Zusammenstoßes von Schiffen kein Anspruch auf Ersatz des Schadens, der den Schiffen oder den an Bord befindlichen Personen oder Sachen durch Zufall oder höhere Gewalt zugefügt worden ist oder dessen Ursachen ungewiß sind. Entsprechend dieser Vorschrift hat das Rheinschiffahrtsgericht mit Recht die Klage abgewiesen. Auch die Berufungskammer sieht die Ursachen des Unfalls vom 16. 11. 1991 bei erneuter Prüfung und Würdigung aller Umstände des Falles als ungeklärt an.
Ihre Auffassung stützt die Berufungskammer im einzelnen auf folgende Erwägungen:
1. Bei Abwägung aller Umstände des Falles muß das Überholmanöver des MS "M" als zulässig erachtet werden.
Im Revier bei Grieth besteht zwar ein Rechtsfahrgebot ( § 9.02 Ziff. 1 b RheinSchPV ), dieses Rechtsfahrgebot verbietet den Fahrzeugen aber nicht, unter Berücksichtigung der sonstigen allgemeinen Bestimmungen ( § 6.09 RheinSchPV ) andere Fahrzeuge zu überholen. Auch die örtlichen Verhältnisse, insbesondere die Krümmungen des Stromes und die Fahrwasserverhältnisse schließen Überholmanöver auch bei Dunkelheit und Nebel nicht aus. Von einem gefahrenträchtigen Revierabschnitt, wie es der Beklagte nennt, kann im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheiten im Revier bei Grieth nicht die Rede sein, mag es auch infolge der Verkehrsdichte auf diesem Teil des Reviers häufiger zu Unfällen kommen.
Nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten über die Lage der 3 Stillieger ( etwa 30 - 40 m aus dem linken Ufer ) , dem Seitenabstand der dem MS "M" vorausfahrenden Schiffe zu diesen Stilliegern von ca. 50 m und dem späteren Überholabstand des MS "M" zu MTS "S" von ca. 40 - 50 m , hätte MS "M" dem MTS "RK" mit einem Seitenabstand von ca. 40 m begegnen können. Schon diese Darstellung des Beklagten zeigt auf, daß gegen die Zulässigkeit des Überholmanövers des MS "M" keine Bedenken erhoben werden können, weil schon der von dem Beklagten genannte Begegnungsabstand eine gefahrlose Begegnung der Schiffe gestattete. Hinzu kommt, daß das rechtsrheinische Fahrwasser frei war und Schiffsführer B. davon ausgehen durfte, daß MTS "RK" dem an dieser Stelle des Reviers geltenden Rechtsfahrgebot folgen und bei der Annäherung an die spätere Unfallstelle nach rechtsrheinisch beigehen werde, wo ausreichend Platz zur Verfügung stand und woran es durch nichts gehindert war. Schließlich haben auch die Schiffsführer der von Schiffsführer B. überholten Schiffe, die Zeugen Duinmeyer und van der Pol, keine Bedenken gegen die Einleitung des Überholmanövers erhoben. Beide Zeugen haben auch zum Ausdruck gebracht, sie hätten erwartet, daß MTS "RK" rechtzeitig nach Steuerbord zum rechten Ufer beigehen werde.
2. Die Ursachen der Kollision der unfallbeteiligten Schiffe lassen sich nach dem Ergebnis des in dieser Sache durchgeführten Verklarungsverfahrens und der beiden von den Parteien vorgelegten Privatgutachten nicht hinreichend sicher feststellen.
Der Beklagte selbst und sein Vater, der Zeuge P., haben den Unfallhergang im wesentlichen so beschrieben, wie er das vorgetragen hat. Danach soll MS "M" auf ca. 100 m Abstand zu MTS "RK" plötzlich nach Backbord ausgeschert sein und so das Motortankschiff gerammt haben. Ihre Angaben werden durch die der unbeteiligten Zeugen N. und H. bestätigt, während die Zeugen F. und L., die ebenfalls an Bord des MTS "RK" gewesen sind, zum eigentlichen Unfallhergang keine Wahrnehmungen gemacht haben.
Demgegenüber hat Schiffsführer B. als Zeuge bekundet, MTS "RK" sei ca. 70 m aus dem linken Ufer gefahren und habe bei der Annäherung der Schiffe seinen Kurs beibehalten. Erst in der letzten Phase der Geschehnisse habe der Talfahrer stark nach Steuerbord gehalten, ohne den Unfall damit noch abwenden zu können. Ebenso haben die Zeugin B., die Ehefrau von Schiffsführer B. und die unbeteiligten Zeugen D. und P. den Kurs des MTS "RK" geschildert. Nach ihren Angaben kann von einem Ausscheren des MS "M" nach Backbord in den Kurs des Talfahrers keine Rede sein.
Hiernach kann es so gewesen sein, daß MTS "M" in kurzem Abstand auf MTS "RK" zugefahren ist. Möglich ist aber auch ein fehlerhafter Kurs des Talfahrers, der zu spät korrigiert wurde. Welche Darstellung richtig ist, läßt sich auch nicht aus sonstigen Anhaltspunkten oder Umständen entnehmen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat bereits mit überzeugender Begründung ausgeführt, daß weder aus den örtlichen Gegebenheiten und den Maschinenmanövern des MS "M" unmittelbar vor der Kollision sichere Schlußfolgerungen gezogen werden können und Hinweise auf Sogwirkungen nicht sicher festzustellen sind. Hierauf nimmt die Berufungskammer zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Es gibt keine sonstigen überzeugenden Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder anderen Darstellung, die in einem unvereinbaren Gegensatz gegenüberstehen. Soweit die von den Parteien zur Erstattung von Privatgutachten hinzugezogenen Sachverständigen Prof. Dr.Ing. H. und K. die Aussagen der Zeugen im Verklarungsverfahren auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft haben, um eine tatsächliche Grundlage für das jeweils erstattete Gutachten zu erlangen, wird verkannt, daß es allein Sache des Gerichts ist , die Aussagen von Zeugen zu würdigen und die für die Entscheidung eines Rechtsstreits rechtlich verbindliche Feststellungen zu treffen.
Soweit die Sachverständigen aufgrund der Schäden an den unfallbeteiligten Schiffen Ausführungen zu dem Anstoßwinkel der Kollisionsgegner gemacht haben, widersprechen sich ihre Darstellungen. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. über den Anstoßwinkel von 40 - 45 Grad begegnen nach der Überzeugung der Berufungskammer deshalb Bedenken, weil der Beklagte im Verklarungsverfahren ausgesagt hat, im Kollisionszeitpunkt hätten beide Schiffe nur eine leichte Schräglage gehabt; Diese Aussage ist mit den Ausführungen dieses Sachverständigen unvereinbar. Den tatsächlichen Wahrnehmungen eines unfallbeteiligten Schiffsführers, ist unter den gegebenen Umständen der Vorzug zu geben, zumal Besonderheiten des Unfallgeschehens das Schadensbild beeinflussen und zu fehlerhaften theoretischen Erkenntnissen führen können.
Im übrigen können auch die Erkenntnisse der Sachverständigen zu dem Anstoßwinkel der Kollisionsgegner keine sicheren Aufschlüsse über den Kurs des MS "M" und des MTS "RK" geben, weil der Anstoßwinkel durch Kursänderungen der beteiligten Schiffe in der letzten Phase vor der Kollision, die hier nicht nur von Schiffsführer B., sondern auch von den unbeteiligten Zeugen D. und P. bezeugt worden sind, entstanden sein kann. Der Anstoßwinkel als solcher kann deshalb die Richtigkeit der einen oder anderer Darstellung der Unfallursache nicht zur Überzeugung der Berufungskammer bestätigen.
Für die Beurteilung des Ergebnisses der Beweisaufnahme konnte es auch nicht auf die Feststellung der genauen Lage der Unfallstelle entscheidend ankommen, die der Zeuge N. mit Rheinstrom-km 844, 7 - 844,8 und die Zeugen H. und P. mit Rheinstrom-km 844 angegeben haben, weil aus der Lage der Unfallstelle nichts zu entnehmen ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, daß der Verlauf der amtlichen Fahrrinne in der Ortslage Grieth zum rechten Ufer hin einen entscheidenden Einfluß auf das Unfallgeschehen hatte, wenn der Beklagte, wie er selbst als Zeuge ausgesagt hat, hart rechtsrheinisch gefahren sein sollte. Ist er hingegen, wie die Interessenten des MS "M" behaupten, im linksrheinischen Stromdrittel gefahren, war ohnehin sein Kurs verfehlt, weil er sich nicht rechtsrheinisch gehalten hat.
Zusammenfassend ist die Berufungskammer der Überzeugung, daß die Ursachen des Unfalls ungewiß sind, weshalb nach § 92 a BinnSchG ein Schadensersatz ausgeschlossen ist. Die Berufung der Klägerin ist deshalb unbegründet.
Die Kosten der Berufungsinstanz trägt in entsprechender Anwendung des § 97 ZPO die Klägerin.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 31. 8. 1993 - 5 C 21/93 BSch - wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Klägerin.
3. Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Art. 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.