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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 15. Juni 1994
306 Z - 6/94
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 23. Februar 1993 C 105/92 RhSch)
Es wird Bezug genommen auf:
1. das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 23.2.1993, das den Beklagten und dem Streithelfer der Klägerin am 25.2.1992 und der Klägerin am 26.2.1993 zugestellt worden ist;
2. die Berufungsschrift der Beklagten vom 24.3.1993, eingegangen bei Gericht am 24.3.1993;
die Berufungsbegründung der Beklagten vom 22.4.1993, eingegangen bei Gericht am 23.4.1993;
den Schriftsatz der Beklagten vom 19.7.1993;
3. die Berufungserwiderung der Klägerin vom 1.6.1993, eingegangen am selben Tage;
4. den Schriftsatz des Streithelfers der Klägerin vom 9.6.1993;
5. die Akten C 105/92 RhSch des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim;
6. die Akten C 107/92 RhSch des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim;
7. die Verklarungsakten H 5/91 BSch Amtsgericht Mannheim, in denen sich ein Auszug aus den Akten der Wasserschutzpolizei, Station Speyer, Tgb.-Nr. 597/91 befindet.
Alle genannten Akten haben der Berufungskammer vorgelegen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 23.11.1991 gegen 9.50 Uhr bei Nebel auf dem Rheinstrom bei km 383,5 - Ortslage Germersheim - ereignet hat.
Die Klägerin ist der Versicherer des MS M (80 m lang; 9,50 m breit; 1.238 t groß;
100 PS bei 380 UpM stark), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von dem Schiffseigner/Schiffsführer L verantwortlich geführt worden ist. Sie klagt aus übergangenem und abgetretenem Recht.
Der Streithelfer der Klägerin ist Eigner, zumindest Ausrüster des MS H (84 m lang; 8,43 m breit; 995 t groß; 750 PS bei 750 UpM stark), dessen Schiffsführer er zur Unfallzeit selbst gewesen ist.
Die Beklagte zu 1 ist Eignerin, zumindest Ausrüsterin des MS W (71 m lang; 8,43 m breit; 995 t groß; 750 PS bei 750 UpM stark), dessen verantwortlicher Schiffsführer zum Havariezeitpunkt der Beklagte zu 2 gewesen ist.
Am 23.11.1991 gegen 9.50 Uhr befuhr MS M den Rhein in der Ortslage Germersheim oberhalb der Eisenbahnbrücke zu Tal. Ihm entgegen kamen MS W und MS H zu Berg. H überholte W. Wegen Nebels fuhren alle Schiffe mit Hilfe von Radar. Das hart rechtsrheinisch fahrende MS H erteilte dem MS M Kursweisung zu einer Begegnung Steuerbord/Steuerbord. MS W erteilte dem Entgegenkommer Kursweisung zu einer Begegnung Backbord/Backbord. MS W und MS M kollidierten bei Rhein-km 383,5 wobei beide Fahrzeuge schwer beschädigt wurden.
Aus Anlass des Unfalls ist das Verklarungsverfahren L - H 5/91 BSch - Amtsgericht Mannheim durchgeführt worden.
Die Beklagte zu 1 hat in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen MS W zu neuen Reisen ausgesandt.
Die Klägerin hat behauptet, MS W sei schon zur Zeit der Kursabsprache recht "breit" gefahren, habe jedoch zunächst noch den korrekten linksrheinischen Kurs für eine Begegnung mit dem am linken Rand des rechtsrheinischen Fahrwassers fahrenden MS M eingehalten. Die Lücke für die Talfahrt zwischen den beiden Bergfahrern habe zunächst 30 m betragen. Wenige Sekunden vor der beabsichtigten Begegnung und bei einem Abstand der Schiffe von 40 - 50 m sei MS W plötzlich nach Backbord in das rechtsrheinische Fahrwasser ausgebrochen und deshalb mit MS M kollidiert.
Die Klägerin hat den Unfallschaden näher beziffert und die Voraussetzungen des Zahlungsverzuges dargetan.
Die Klägerin und ihr Streithelfer haben beantragt :
1. die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 242.455,44 DM nebst 4% Zinsen aus 190.934,59 DM seit dem 1.3.1992 und 8% Zinsen aus 49.520.-- DM seit dem 1.3.1992 sowie 4% Zinsen aus 2.000,85 DM seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung zu zahlen, und zwar die Beklagte zu 1 sowohl persönlich im Rahmen von § 114 BinnSchG, als auch dinglich mit MS W und der Beklagte zu 2 unbeschränkt persönlich haftend,
2. die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die der Klägerin entstandenen Kosten des Verklarungsverfahrens H 5/91 BSch Amtsgericht Mannheim, die nicht als Kosten des vorliegenden Rechtsstreits festgesetzt werden.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben bestritten, dass MS W bereits zur Zeit der Kursabsprache recht "breit" gefahren und plötzlich nach Backbord in das rechtsrheinische Fahrwasser ausgebrochen sei. Der Unfall sei darauf zurückzuführen, dass MS H ohne Ankündigung über Funk oder durch Schallsignale zum Überholen des MS W angesetzt habe, obwohl ein Bergfahrer zwischen der Germersheimer Straßenbrücke und der Germersheimer Eisenbahnbrücke einen oberhalb der Eisenbahnbrücke befindlichen Talfahrer wegen diverser Fehlechos der Brücken auf dem Radarschirm nicht oder nur schlecht habe sehen können. Das Fahrwasser sei im Unfallbereich zu schmal, um dort im Nebel zu überholen. Durch das Überholmanöver sei MS M der erforderliche Sicherheitsabstand bei der Begegnung genommen worden. Den Beklagten zu 2 treffe kein Verschulden an dem Unfall. Er habe mit seinem auf 2,70 m abgeladenen Schiff im Nebel eine schwierige Brückendurchfahrt vornehmen und danach den rechtsrheinisch verlaufenden Germersheimer Grund umschiffen müssen. Dafür habe er aus Sicherheitsgründen Raum gebraucht.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Beiziehung der genannten Verklarungsakten und der Akten der Wasserschutzpolizei, Station Speyer, Tgb.-Nr. 597/91 durch das am 23.2.1993 verkündete Grundurteil die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten.
Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschifffahrtsgericht ausgeführt, die Kollision von MS M und MS W beruhe auf einem Verschulden des Beklagten zu 2. Dieser habe als Schiffsführer des zu Berg fahrenden MS W von dem ihm zu entgegenkommenden MS M eine Begegnung Backbord/Backbord verlangt, dem Talfahrer aber in der Radarfahrt keinen geeigneten Weg für eine Begegnung freigelassen, vielmehr kurz vor der Kollision seinen Kurs nach Backbord in den Kurs des MS M verlegt, wie die Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren ergeben habe. Für diesen Kurswechsel habe keine Veranlassung bestanden.
Dass dem Talfahrer kein geeigneter Weg freigelassen worden sei, beruhe hingegen nicht auf dem Kurs des MS H. Dieses Schiff sei hart rechtsrheinisch gefahren. Die Fahrrinnenbreite habe im Unfallbereich (Rhein-km 383,5 bis 383,9) 92 m betragen. Infolge des Wasserstandes zur Unfallzeit sei die Fahrbare Breite des Stromes noch größer gewesen. Bei Berücksichtigung der Schiffsbreiten und der erforderlichen Sicherheitsabstände und des Umstandes, dass der Talfahrer aus einer Stromkrümmung gekommen sei, habe ausreichend Raum für eine gefahrlose Begegnung bestanden, wenn MS W einen korrekten Kurs genommen hätte.
Ob zu dem Unfall ein Verschulden des Schiffsführers von MS H beigetragen habe, sei unerheblich. Selbst wenn das zutreffe, hafteten die Beklagten als Gesamtschuldner neben diesem der Klägerin in voller Höhe.
Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt.
Die Beklagten sind der Ansicht, dass die Schiffsführung des MS W nicht für die Havarie mit MS M verantwortlich sei. MS M habe die ihm erteilte Kursweisung missachtet und nicht den ihm gewiesenen, wenn auch durch das Überholmanöver des MS H sehr engen Talweg genommen, obwohl dazu die Möglichkeit bestanden habe. Von MS H habe MS M einen seitlichen Abstand von 15 m eingehalten, um auf der anderen Seite sogleich mit MS W zu kollidieren.
Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und ihr Streithelfer beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten die Berufung für nicht hinreichend begründet. Im Parallelprozess hätten die Beklagten mit Schriftsatz vom 22.4.1993 vorgetragen, dass die Schiffsführung des MS M die Havarie weder verursacht noch verschuldet habe. Durch die Bezugnahme auf diesen Schriftsatz im vorliegenden Rechtsstreit, setzten sich die Beklagten in einen Widerspruch zu ihrem Vorbringen, MS M habe den ihm gewiesenen Talweg nicht genommen, obwohl dies möglich gewesen sei. Dieser Widerspruch lasse nicht erkennen, was der Vorinstanz vorzuwerfen sei. Auch hätten sich die Beklagten mit den ihrer Ansicht nach unzutreffenden Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichts, MS W habe die Havarie verursacht und verschuldet, im einzelnen auseinandersetzen müssen. Das sei nicht einmal ansatzweise geschehen.
Es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen das angefochtene Urteil abgeändert werden müsse.
Im übrigen treten die Klägerin und ihr Streithelfer den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil bei und bestreiten vorsorglich den behaupteten unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen dem Überholmanöver des MS H und der Havarie.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist in rechter Form und Frist eingelegt und begründet worden.
Die Berufungskammer erachtet die Berufung der Beklagten als ausreichend begründet.
Nach Artikel 37 Absatz 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte hat der Appellant innerhalb von 30 Tagen nach erfolgter Anmeldung die schriftliche Rechtfertigung der Appellation dem Gericht zu übergeben. Nähere Vorschriften über die Rechtfertigung der Appellation (Berufung) enthält weder die Revidierten Rheinschifffahrtsakte noch die Verfahrensordnung der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt vom 23.10.1969. Es kommt daher darauf an, was unter dem Merkmal "schriftliche Rechtfertigung" zu verstehen ist. Nach der Überzeugung der Berufungskammer muß die schriftliche Rechtfertigung die Gründe der Appellation im einzelnen bezeichnen, sowie neue Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden anführen. Es ist zu erlangen, dass die Rechtfertigung auf den zur Entscheidung stehenden Streitfall zugeschnitten ist und erkennen lässt, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig sein soll.
Diesen Anforderungen an die schriftliche Rechtfertigung der Appellation entspricht die Berufungsbegründung der Beklagten vom 22.4.1993. Die Berufungsbegründung der Beklagten macht deutlich, dass sie sich gegen die Verantwortlichkeit des Beklagten zu 2 für die Kollision des von ihm geführten MS W mit MS M wendet und die Ursachen für die Kollision einerseits in dem Überholmanöver durch MS H und andererseits in einem fehlerhaften Kurs des zu Tal fahrenden MS M sieht. Auch meinen die Beklagten, dass MS M nicht den ihm gewiesenen geeigneten Weg genommen habe und für die mangelnde Eignung des Talweges beweispflichtig sei.
Ob die Ausführungen in einer Berufungsbegründung neben der Sache liegen, bracht die Berufungskammer im Rahmen der Zulässigkeit einer Berufung grundsätzlich nicht zu prüfen, da weder die Schlüssigkeit noch die Vertretbarkeit der Begründung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen gehören. Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, ob die Berufungsbegründung, wie die Klägerin und ihr Streithelfer meinen, in einem Widerspruch zu dem Vorbringen der Beklagten im Parallelprozess steht, auf das sich die Beklagten durch die Bezugnahme auf ihre dort vorgelegte Berufungsbegründung vom 22.4.1993 berufen haben. Angesichts der eindeutigen Schuldzuweisung der Beklagten in diesem Rechtsstreit, kommt es nicht darauf an, dass sie im Parallelprozess eine abweichende Rechtsansicht geäußert und sich im vorliegenden Rechtsstreit ergänzend darauf berufen haben.
Die Berufung der Beklagten ist in der Sache unbegründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das Rheinschifffahrtsgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; denn die Beklagten sind der Klägerin nach den §§ 3, 4, 92, 92b, 114 BinnSchG; 6.03 Nr. 1, 6.04 Nr. 2, 6.10 Nr. 5 RheinSchPV; 823 Absätze 1 und 2, 249 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Im Gegensatz zum Rheinschifffahrtsgericht vermochte die Berufungskammer jedoch keinen Verstoß des Beklagten zu 2 gegen das Kursänderungsverbot des § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV festzustellen.
Nach dem Vorbringen der Parteien und des Streithelfers hat MS H das MS W unmittelbar vor der Kollision des letztgenannten Schiffes mit dem entgegenkommenden MS M überholt. Infolge dieses Überholmanövers musste das zu Tal kommende MS M entsprechend der erteilten Kursweisung durch diese Bergfahrer bei der durchzuführenden Begegnung zwischen ihnen durchfahren. Für eine solche gleichzeitige Begegnung und Überholung stand aber nach der Überzeugung der Berufungskammer unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs entgegen § 6.03 Nr. 1 RheinSchPV kein hinreichender Raum für die Vorbeifahrt zur Verfügung. Zwar lässt ein Fahrwasser von 92 m Breite, das dazu noch durch einen günstigen Wasserstand verbreitert ist, bei Tageslicht und ausreichender optischer Sicht und günstigen Verkehrsverhältnissen ein Überholen und eine gleichzeitige Begegnung in dem Unfallrevier zu, wie auch die Berechnungen des Rheinschifffahrtsgerichts in dem angefochtenen Urteil aufzeigen. Für die Fahrt bei unsichtigem Wetter kommt den Berechnungen des Rheinschifffahrtsgerichts über die Möglichkeit einer gleichzeitigen Begegnung und Überholung jedoch nur theoretische Bedeutung zu. Bei unsichtigem Wetter, das nur eine Fahrt mit Hilfe von Radar zulässt, sind Manöver, wie sie hier von den beteiligten Schiffen beabsichtigt waren, nach den Erfahrungen der Berufungskammer gefährlich und daher unzulässig. Denn bei der Radarfahrt sind erfahrungsgemäß größere Abstände zur Sicherheit sowohl bei der Begegnung und Überholung zwischen diesen Schiffen als auch vom Ufer notwendig. Im Bereich der Germersheimer Brücken sind zudem die Bedingungen der Radarfahrt durch Fehlechos der beiden Brücken nachhaltig verschlechtert, wie der Berufungskammer bekannt ist und worauf sich auch der Beklagte zu 2 berufen hat. Diese Fehlechos beeinträchtigen die Sicht auf die Talfahrt oberhalb der Brücken und lassen eine Beurteilung der Verkehrslage in diesem Bereich nicht zu. Hinzu kommt, dass ein linksrheinischer Bergfahrer bei seinen Kurserwägungen den oberhalb der Eisenbahnbrücke befindlichen Germersheimer Grund, der unmittelbar nach der Brücke von ihm zu umfahren ist, in Rechnung stellen muß. Diese örtlichen Verhältnisse können bei der Radarfahrt zu nicht überschaubaren Risiken für alle beteiligten Schiffe führen, wenn die Kurse eines Überholers und des Überholten nur geringfügig von dem Kurs, der bei normalen Sichtverhältnissen eingehalten würde, abweichen. Derartige Abweichungen lassen sich bei unsichtigem Wette insbesondere aber auch infolge der Fehlechos der Radargeräte infolge der Brücken und der Notwendigkeit, den Germersheimer Grund freizufahren, erfahrensgemäß nicht vermeiden. Es muß vielmehr aus den dargelegten Gründen damit gerechnet werden, dass ein Bergfahrer in der Radarfahrt in diesem Teil des Reviers eine Fahrwasserhälfte benötigt, um mit einem Talfahrer gefahrlos zu begegnen. Unter diesen Umständen hätte MS H von einer Überholung des vorausfahrenden MS W im Bereich der Germersheimer Brücken und unmittelbar oberhalb davon, Abstand nehmen müssen.
Im Zeitpunkt der Kollision war das Überholmanöver auch noch nicht vollständig abgeschlossen wie die Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren ergeben hat. Zu dieser Zeit war MS H mit seinem Achterschiff erst etwa 15 bis 20 m seitlich vor MS W. Schiffsführer R von MS H hat im Verklarungsverfahren selbst ausgesagt, als der Talfahrer über Funk erklärt habe, "dass das so nicht klarginge", habe er den Vorhang seines Steuerhauses zurückgezogen und MS W optisch mit einem solchen Abstand von seinem Achterschiff entfernt gesehen. Dann sei "es ganz schnell zwischen" M und W "Kopf auf Kopf gegangen". Hieraus folgt, dass sich MS H noch nicht vollständig vor MS W gesetzt und einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem Überholten gewonnen hatte.
Durch das Überholmanöver des MS H wurde MS W nicht von seiner sich aus § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV bestimmten Pflicht als Bergfahrer, dem zu Tal fahrenden MS M unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs einen geeigneten Weg beim Begegnen freizulassen, entbunden. Zwar hat zwischen MS W und MS H keine Absprache über ein beabsichtigtes Überholmanöver stattgefunden und seitens des MS H sind auch keine entsprechenden Schallsignale gegeben worden. Wie die Angaben des Beklagten zu 2 im Verklarungsverfahren aber zeigen, war ihm bekannt, dass MS H überholte; denn dort hat er bekundet, er habe dem Talfahrer bei der Kursabsprache gesagt "Backbord über Backbord mitten durch". Gab er so eine Weisung für eine Zwischendurchfahrt, muß er MS H auf dem Radarschirm gesehen haben. Bei aufmerksamer Beobachtung und Auswertung des Radarbildes kann ihm auch die Einleitung des Überholvorgangs nicht verborgen geblieben sein. Näherte er sich aber einer Strecke, die er im Radarbild wegen Fehlechos der Brücken nicht überblicken konnte, und musste er wegen der örtlichen Verhältnisse und der Radarfahrt besorgen, der Talfahrt, mochte sie schon auf dem Radarbild sichtbar sein oder nicht, keinen geeigneten Raum freilassen zu können, hätte er in Betracht ziehen müssen, dass ein gefahrloses Überholen nicht möglich war und hätte das nach § 6.10 Nr. 5 vorgeschriebene Sperrsignal geben müssen, um MS H von einer Überholung abzuhalten.
Hätte der Beklagte zu 2 durch dieses Schallsignal darauf hingewiesen, dass ein gefahrloses Überholen unmöglich war, wäre das Überholmanöver unterblieben, mindestens rechtzeitig abgebrochen worden. Dem Talfahrer wäre dann ein geeigneter Weg freigeblieben.
Dass für den Überholer selbst durch das Manöver keine Gefahr heraufbeschworen wurde, ist unerheblich, da der Schutzbereich der Norm sich auch auf alle anderen Verkehrsteilnehmer im Revier bezieht.
Das Unterlassen eines solchen Signals muß dem Beklagten zu 2 nach alledem als unfallursächliches Verschulden vorgeworfen werden.
Darüberhinaus kann ihm jedoch nicht auch noch vorgeworfen werden, das Überholmanöver des MS H nicht durch eine Fahrtverminderung unterstützt zu haben, wodurch sich der Überholweg verkürzt hätte, da der Vorwurf bereits dahin geht, das Überholmanöver nicht verhindert zu haben. Das schließt Vorwürfe im Zusammenhang mit der Durchführung des Überholmanövers aus.
Unter den gegebenen Umständen können dem Beklagten weitere Vorwürfe nicht deshalb gemacht werden, weil er nach eigenen Angaben im Verklarungsverfahren bei der Annäherung an die Germersheimer Eisenbahnbrücke den Steuerbordpfeiler der Brücke nicht im Radar hatte und bei der Durchfahrt durch die Brückenöffnung ein Schiff auf dem Radarschiff gesehen hatte, das er weder als Talfahrer noch als Bergfahrer identifizieren konnte, weil aus seiner Sicht nicht festzustellen war, ob sich das Echo bewegte. Alles das kann, muß aber nicht für eine fehlerhafte und wenig sachkundige Auswertung des Radarbildes sprechen; denn der Streubereich des Echos einer Rheinbrücke kann je nach der Lage eines Schiffes im Strom eine sichere Auswertung des Radarbildes behindern oder im Brückenbereich vollständig ausschließen. Diese Schwierigkeiten der Radarortung und die Behinderung eines Überblicks über den Verkehr oberhalb oder unterhalb einer Brücke muß ein Schiffsführer kennen. Kraft seiner Streckenkenntnis und durch Fragen über Kanal 10 muß ein erfahrener Schiffsführer diese Mängel der Radarortung ausgleichen, um sein Schiff gefahrlos durch eine Brückenöffnung zu steuern. Zwar hat der Beklagte zu 2 sich nicht über Kanal 10 über den Verkehr oberhalb der Eisenbrücke orientiert und MS W ist auch wie das Rheinschifffahrtsgericht der Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren mit Recht entnommen hat und worauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, von linksrheinisch kommend bis etwa zur Fahrwassermitte geraten, diese Fahrweise hätte sich aber nicht unfallursächlich ausgewirkt, wenn MS H sich nicht linksrheinisch befunden hätte.
Schließlich kann auch dem Beklagten zu 2 nicht vorgeworfen werden, durch eine plötzliche Kursänderung dem Talfahrer den Weg verlegt und ihm so keinen geeigneten Weg freigelassen zu haben. Richtig ist, wie das Rheinschifffahrtsgericht ausgeführt hat, dass die Zeugen L und G auf dem Radarbild gesehen haben, dass MS W in einem Abstand von 40 - 50 m vom Vorschiff des MS M ausgeschert und in den Kurs dieses Schiffs gefahren ist. Denn auch Schiffsführer R hat bei seiner Vernehmung von einem harten Ausscheren des MS W gesprochen. Die Schiffsführer der dem MS M zu Tal folgenden Schiffe die unbeteiligten Zeugen B und Verschüren haben allerdings nach ihren Angaben im Verklarungsverfahren auf dem Radarschirm ihrer Schiffe nicht bemerkt, dass MS W seinen Kurs stark geändert hätte.
Letztlich kann offen bleiben, wie weit und in welcher Form MS W seinen Kurs zur Fahrwassermitte hin verlegt hat. Hätte sich MS H nicht linksrheinisch unmittelbar mit einem Abstand von 15 - 20 m seitlich vor MS W befunden, hätte möglicherweise MS M ausreichend Raum gehabt, gefahrlos zu begegnen.
Demgegenüber können der Schiffsführung des MS M keine Vorwürfe gemacht werden. Bei einer Begegnung, auch wenn diese in der Form einer Zwischendurchfahrt erfolgen soll, müssen die Bergfahrer dem Talfahrer unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse einen geeigneten Weg freilassen (§ 6.04 Nr. 1 RheinSchPV). Der oder die Bergfahrer tragen bei der Begegnung also die volle Kursverantwortung. Der Talfahrer darf darauf vertrauen, dass der ihm gewiesene Weg geeignet ist. Er hat deshalb auch die Kursweisung der Bergfahrt strikt zu befolgen. Wenn hier der Zeuge L als Schiffsführer des MS M versucht hat, zwischen H und W zu passieren, ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dass er nicht den ihm gewiesenen Weg genommen hätte, wie die Beklagten meinen, kann weder dem Akteninhalt noch dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens entnommen werden.
In welchem Umfang zu dem Unfall ein Verschulden des MS H beigetragen hat, bedurfte im Rahmen diese Rechtsstreits keiner Abwägung, da die Interessenten dieses Schiffes an diesem Rechtsstreit nicht beteiligt sind. Da im übrigen die Besatzung des MS M kein Verschulden trifft, ist nicht § 93 c BinnSchG, sondern ausschließlich § 92 b BinnenSchG anwendbar. Ob neben den aus den obengenannten Vorschriften haftenden Beklagten auch andere Personen als Gesamtschuldner haften, bedurfte daher im Rahmen dieses Rechtsstreits keiner weiteren Nachprüfung.
Nach alledem ist die Berufung der Beklagten unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Absatz 1, 100 Absatz 4, 101 Absatz 1 ZPO.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt :
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Grundurteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 23.2.1993 - C 105/92 BSch - wird zurückgewiesen.
2. Zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs wird die Sache an das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim zurückverwiesen.
3. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten des Streithelfers der Klägerin als Gesamtschuldner zu tragen.
4. Deren Festsetzung gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim.