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305 Z - 5/94 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 15.06.1994
File Reference: 305 Z - 5/94
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Bei unsichtigem Wetter, das nur eine Fahrt mit Radar zuläßt, ist ein Überholen bei gleichzeitiger Begegnung gefährlich und daher nach den §§ 6.03 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 RheinSchPVO unzulässig.

2) Ein Überholer muss berücksichtigen, daß gegenüber normalen Sichtverhältnissen in der Radarfahrt größere Sicherheitsabstände sowohl bei der Begegnung und Überholung als auch vom Ufer erforderlich sind. Er muß ferner in Rechnung stellen, daß durch Brücken verursachte Fehlechos, welche die Bedingungen der Radarfahrt verschlechtern und die örtlichen Verhältnisse zu nicht überschaubaren Risiken führen können, wenn die Kurse des Überholers und des Überholten nur geringfügig von dem Kurs abweichen, der bei normalen Sichtverhältnissen eingehalten würde und daß sich derartige Kursabweichungen bei unsichtigem Wetter, insbesondere auch infolge von Fehlechos und örtlicher Verhältnisse, nicht vermeiden lassen. Ein Uberholer verstößt gegen seine nautischen Pflichten, wenn ihn diese Erwägungen hätten veranlassen müssen, nicht zu überholen. In einer solchen Verkehrslage läßt er auch entgegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPVO der Talfahrt keinen geeigneten Weg frei.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 15. Juni 1994

305 Z 5/94

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 23. Februar 1993 aC 107/92 RhSch)


Es wird Bezug genommen auf :

1. das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 23.2.1993, das der Klägerin am 1.3.1993, dem Beklagten am 25.2.1993 und dem Streithelfer des Beklagten am 26.2.1993 zugestellt worden ist;

2. die Berufungsschrift der Klägerin vom 24.3.1993, eingegangen bei Gericht am 24.3.1993;

 die Berufungsbegründung der Klägerin vom 22.4.1993, eingegangen bei Gericht am 23.4.1993;

den Schriftsatz der Klägerin vom 19.7.1993;

3. die Berufungserwiderung des Beklagten vom 17.5.1993, eingegangen am 19.5.1993;

4. den Schriftsatz des Streithelfers des Beklagten vom 1.6.1993;

5. die Akten C 107/92 RhSch des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim;

6. die Akten C 105/92 RhSch des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim;

7. die Verklarungsakten H 5/91 BSch Amtsgericht Mannheim, in denen sich ein Auszug aus den Akten der Wasserschutzpolizei, Station Speyer, Tgb.-Nr. 597/91 befindet.

Alle genannten Akten haben der Berufungskammer vorgelegen.


Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 23.11.1991 gegen 9.50 Uhr bei Nebel auf dem Rheinstrom bei km 383,5 - Ortslage Germersheim - ereignet hat.

Die Klägerin ist Eignerin, zumindest Ausrüsterin des MS W (71 m lang; 8,43 m breit; 995 t groß; 750 PS bei 750 UpM stark), dessen verantwortlicher Schiffsführer zum Havariezeitpunkt Schiffsführer Kerkojus gewesen ist.

Der Beklagte ist Eigner, zumindest Ausrüster des MS H (84 m lang; 8,43 m breit; 995 t groß; 750 PS bei 750 UpM stark), dessen Schiffsführer er zur Unfallzeit selbst gewesen ist.

Der Streithelfer des Beklagten ist Eigner, zumindest Ausrüster des MS M (80 m lang; 9,50 m breit; 1.238 t groß; 100 PS bei 380 UpM stark), das er zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse selbst verantwortlich geführt hat.
 

Am 23.11.1991 gegen 9.50 Uhr befuhr MS M den Rhein in der Ortslage Germersheim oberhalb der Eisenbahnbrücke zu Tal. Ihm entgegen kamen MS W und MS H zu Berg. H überholte W. Wegen Nebels fuhren alle Schiffe mit Hilfe von Radar. Das hart rechtsrheinisch fahrende MS H erteilte dem MS M Kursweisung zu einer Begegnung Steuerbord/Steuerbord. MS W erteilte dem Entgegenkommer Kursweisung zu einer Begegnung Backbord/Backbord. MS W und MS M kollidierten bei Rhein-km 383,5 wobei beide Fahrzeuge schwer beschädigt wurden.

Aus Anlass des Unfalls ist das Verklarungsverfahren Litmeyer - H 5/91 BSch - Amtsgericht Mannheim durchgeführt worden.

Der Beklagte hat in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen MS H zu neuen Reisen ausgesandt.

Die Klägerin hat behauptet, MS H habe MS W während der Durchfahrt durch die Germersheimer Eisenbahnbrücke (Rhein-km 383,9) überholt, ohne die Überholabsicht zuvor über Funk oder durch Schallsignale anzukündigen. Es sei grundsätzlich nicht möglich, im Bereich dieser Brücke zu Berg in starkem Nebel zu überholen, wenn Talfahrt komme oder nicht ausgeschlossen werden könne. Beide Bergfahrer hätten versucht, dem Talfahrer einen geeigneten Weg freizulassen. H sei nach Backbord abgegangen; W habe den Germersheimer Grund am linksrheinischen Fahrwasserrand angehalten. Da der Rheinstrom und die Fahrrinne nach rechtsrheinisch verliefen, habe MS W nur wenig nach Steuerbord ausweichen können. Im Unfallzeitpunkt sei MS H ca. 15 - 20 m oberhalb vom MS W gewesen.

Der Kläger ist der Ansicht, durch das Überholmanöver des Beklagten sei es zur Kollision von MS W mit MS M gekommen. Der Beklagte habe bei Einleitung seines Überholmanövers nicht wissen können, ob Talfahrt komme. Die Radarsicht sei ihm durch die Brücke versperrt worden. MS M habe sich nicht darauf einstellen können, aus dem Hang vor Einfahrt in die Brücke und im Nebel zwischen zwei Bergfahrern zu passieren.

Die Klägerin hat ihren Schaden näher beziffert und die Voraussetzungen des Zahlungsverzuges dargetan.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 101.217,23 DM nebst 4% Zinsen seit dem 21.2.1992 zu zahlen, und zwar sowohl dinglich haftend mit MS H als auch persönlich im Rahmen von § 114 BinnSchG,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 5.362,53 nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Der Beklagte und sein Streithelfer haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat bestritten, dass MS H MS W während der Durchfahrt durch die Eisenbahnbrücke überholt habe. Im Zeitpunkte der Kollision seien beide Schiffe auf gleicher Höhe gewesen. Zwar habe er seine Überholabsicht nicht angezeigt, das sei aber nicht notwendig gewesen, weil die Kurse allen Beteiligten klar, erkennbar und festgelegt gewesen seien.

MS M hätte hinreichender Raum für die Begegnung zur Verfügung gestanden, wenn nicht MS W unmittelbar vor der Begegnung seinen Kurs nach Backbord verlegt hätte. Auf dieser Kursänderung beruhe die Kollision.
 

Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Beiziehung der genannten Verklarungsakten und der Akten der Wasserschutzpolizei, Station Speyer, Tgb.-Nr. 597/91 durch das am 23.2.1993 verkündete Urteil die Klage abgewiesen.

Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschifffahrtsgericht ausgeführt, die Kollision von MS M und MS W beruhe auf einem Verschulden von Schiffsführer K von MS W. Dieser habe als Bergfahrer dem zu Tal fahrenden MS "Margret" keinen geeigneten Weg für eine Begegnung freigelassen, sondern seinen Kurs nach Backbord in den Kurs des MS M verlegt, wie die Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren ergeben habe. Für diesen Kurswechsel habe keine Veranlassung bestanden.

Bei korrektem Kurs des MS W hatte auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass MS M im Unfallbereich aus einer Kurve gekommen sei, ausreichend Raum für eine gefahrlose Begegnung selbst bei einer Überholung bestanden. Die Fahrrinnenbreite habe im Unfallbereich (Rhein-km 383, 5 bis 383,9) 92 m betragen. Infolge des Wasserstandes zur Unfallzeit sei die fahrbare Breite des Stromes noch größer gewesen. MS H sei hart rechtsrheinisch gefahren. Bei Berücksichtigung der Schiffsbreiten der beteiligten Schiffe, der erforderlichen Sicherheitsabstände und des Umstandes, dass der Talfahrer aus einer Stromkrümmung gekommen sei, habe ausreichend Raum für eine gefahrlose Begegnung bestanden, wenn MS W einen korrekten Kurs genommen hätte.

Zu dem unfallursächlichen Kurswechsel des MS W hätten die der Klägerin behaupteten Verstöße des Beklagten nicht beigetragen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.

Die Klägerin wendet sich gegen die rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil. Sie ist der Ansicht, dass Schiffsführer Kerkojus von MS W nicht für die Havarie mit MS M verantwortlich sei. MS M habe die ihm erteilte Kursweisung missachtet und nicht den ihm gewiesenen, wenn auch durch das Überholmanöver des MS H sehr engen Talweg genommen, obwohl dazu die Möglichkeit bestanden habe. MS W sei nicht plötzlich aus seinem Kurs ausgebrochen und habe nicht dem Talfahrer den Weg verlegt.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihren erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen.

Der Beklagte und sein Streithelfer beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie treten den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil bei und denen der Klägerin entgegen. Sie bestreiten einen Kausalzusammenhang zwischen dem Überholmanöver des MS H und der Havarie.


Entscheidungsgründe:

I.

Gegen die Beteiligung des Streithelfers des Beklagten am Rechtsstreit bestehen entgegen seiner in der Berufungsinstanz geäußerten Meinung keine Bedenken.
 

1. Der Streithelfer ist auf die Streitverkündung der Klägerin in der Klageschrift hin dem Beklagten beigetreten. Die Parteien haben keinen Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention nach § 71 ZPO gestellt, so dass das Rheinschifffahrtsgericht den Streithelfer im Verfahren zugelassen hat. Hierdurch ist der Streithelfer nicht beschwert, weil es ihm anheimstand, von einer Nebenintervention abzusehen. Es steht ihm auch durchaus frei, jederzeit seinen Beitritt zurückzunehmen.

2. Die Ausführungen des Streithelfers des Beklagten geben auch keine Veranlassung, in diesem Rechtsstreit nachzuprüfen, ob der Streitverkündung materiell-rechtliche Wirkungen beizumessen sind (vgl. dazu Zöller-Vollomern, ZPO 16. Aufl., § 72 Rd. 3-9 und § 74 Rd. 1). Eine Streitverkündung löst zwar nur dann materiell- und prozessrechtliche Wirkungen aus, wenn sie zulässig ist. Die Voraussetzung einer Interventionswirkung ist jedoch erst im Folgeprozess zu prüfen (BGHZ 65, 127 = NJW 1976; BGHZ 70, 187 = NJW 1978, 643; NJW 1981, 281).


II.


Die Berufung der Beklagten ist in rechter Form und Frist eingelegt und begründet worden. Auch in der Sache musste die Berufung einen Teilerfolg haben.

Die Klage ist dem Grunde nach zur Hälfte gerechtfertigt.

Der Beklagten schuldet der Klägerin nach den §§ 3, 4, 92, 114 BinnSchG; 6.03 Nr. 1, 6.04 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 RheinSchPV; 823 Abs. 1 und 2, 249 BGB Schadensersatz. Die Klägerin muss sich jedoch nach § 92 c BinnSchG, 254 BGB ein unfallursächliches Verschulden ihres Schiffsführers Kerkojus schadensmindernd anrechnen lassen, das die Berufungskammer gleich hoch bewertet wie das Verschulden des Beklagten.

1. Unstreitig hat MS "Heimatland" das MS W unmittelbar vor der Kollision des letztgenannten Schiffes mit dem entgegenkommenden MS M überholt. Infolge dieses Überholmanövers musste das zu Tal kommende MS M entsprechend der erteilten Kursweisung durch diese Bergfahrer bei der durchzuführenden Begegnung zwischen ihnen durchfahren. Für eine solche gleichzeitige Begegnung und Überholung stand nach der Überzeugung der Berufungskammer unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs entgegen § 6.03 Nr. 1, § 6.04 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 RheinSchPV kein hinreichender Raum für die Vorbeifahrt zur Verfügung.

Im Zeitpunkt der Kollision war das Überholmanöver noch nicht vollständig abgeschlossen wie die Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren ergeben hat.

Ein Überholmanöver ist erst abgeschlossen, wenn sich der Überholer vollständig vor den Überholten gesetzt und zu ihm einen ausreichenden Sicherheitsabstand gewonnen hat.

Als MS M mit MS W kollidierte, war MS H mit seinem Achterschiff erst etwa 15 bis 20 m seitlich vor MS W, hatte also noch keinen Sicherheitsabstand vor ihm gewonnen. Das folgt aus den eigenen Angaben des Beklagten im Verklarungsverfahren, wo er ausgesagt hat, als der Talfahrer über Funk erklärt habe, "dass das so nicht klarginge", habe er den Vorhang seines Steuerhauses zurückgezogen und MS W optisch mit einem solchen Abstand von seinem Achterschiff entfernt gesehen. Dann sei "es ganz schnell zwischen M und W Kopf auf Kopf gegangen".

Das zu Tal kommende MS M wurde durch MS H gehindert, weiter rechtsrheinisch fahren mit MS W zu begegnen.

 
Im Gegensatz zu dem Rheinschifffahrtsgericht nimmt die Berufungskammer an, dass die örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs bei der geschilderten Verkehrslage keinen hinreichenden Raum für eine Begegnung bei gleichzeitiger Überholung gewährten.

Zwar lässt ein Fahrwasser von 92 m Breite, wie es im Unfallbereich zur Verfügung stand, das dazu noch durch einen günstigen Wasserstand verbreitert war, bei Tageslicht und ausreichender optischen Sicht und günstigen Verkehrsverhältnissen ein Überholen und eine gleichzeitige Begegnung in dem Unfallrevier zu, wie auch die Berechnungen des Rheinschifffahrtsgerichts in dem angefochtenen Urteil aufzeigen.

Für die Fahrt bei unsichtigem Wetter kommt den Berechnungen des Rheinschifffahrtsgerichts über die Möglichkeit einer gleichzeitigen Begegnung und Überholung jedoch nur theoretische Bedeutung zu. Bei unsichtigem Wetter, das nur eine Fahrt mit Hilfe von Radar zulässt, sind Manöver, wie sie hier von den beteiligten Schiffen beabsichtigt waren, nach den Erfahrungen der Berufungskammer gefährlich und daher unzulässig. Denn bei der Radarfahrt sind erfahrungsgemäß größere Abstände zur Sicherheit sowohl bei der Begegnung und Überholung zwischen diesen Schiffen als auch vom Ufer erforderlich. Im Bereich der Germersheimer Brücken sind zudem die Bedingungen der Radarfahrt durch Fehlechos der beiden Brücken nachhaltig verschlechtert, wie der Berufungskammer bekannt ist und worauf sich auch die Klägerin berufen hat. Diese Fehlechos beeinträchtigen die Sicht auf die Talfahrt oberhalb der Brücken und lassen eine Beurteilung der Verkehrslage in diesem Bereich nicht zu. Hinzu kommt, dass ein linksrheinischer Bergfahrer bei seinen Kurserwägungen den oberhalb der Eisenbahnbrücke befindlichen Germersheimer Grund, der unmittelbar nach der Brücke von ihm zu umfahren ist, in Rechnung stellen muss. Diese örtlichen Verhältnisse können bei der Radarfahrt zu nicht überschaubaren Risiken für alle beteiligten Schiffe führen, wenn die Kurse eines Überholers und des Überholten nur geringfügig von dem, der bei normalen Sichtverhältnissen eingehalten würde, abweicht. Derartige Abweichungen lassen sich bei unsichtigem Wetter, insbesondere aber auch infolge des Fehlechos der Radargeräte infolge der Brücken und der Notwendigkeit, den Germersheimer Grund freizufahren, erfahrensgemäß nicht vermeiden. Es muss vielmehr aus den dargelegten Gründen damit gerechnet werden, dass ein Bergfahrer in der Radarfahrt in diesem Teil des Reviers eine Fahrwasserhälfte benötigt, um mit einem Talfahrer gefahrlos zu begegnen. Unter diesen Umständen hätte MS H von einer Überholung des vorausfahrenden MS W im Bereich der Germersheimer Brücken und unmittelbar oberhalb davon Abstand nehmen müssen, selbst wenn im Radarbild ausreichende Sicht nach Oberstrom hin bestanden hätte und Talfahrer rechtzeitig hätten wahrgenommen werden können.

Das Überholmanöver des Beklagten war deshalb nach §§ 6.03 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 RheinSchPV unzulässig und der Beklagte hat entgegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV dem Talfahrer keinen geeigneten Weg freigelassen.

2. Das unzulässige Überholmanöver des Beklagten war auch schadensursächlich.

Durch das Überholmanöver wurde der Talweg bei der Begegnung erheblich eingeschränkt. Hätte MS H nicht rechtsrheinisch fahrend überholt, sondern wäre dieses Schiff hinter MS W geblieben, hätte MS M gefahrlos mit MS W begegnen können, weil insgesamt ein Fahrwasser von mehr als 92 m zur Verfügung stand, wie oben ausgeführt ist.

3. Der Beklagte hat auch schuldhaft gegen seine nautischen Pflichten aus den §§ 6.03 Nr. 1, 6.04 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 RheinSchPV verstoßen.

Als Schiffsführer hätte er in Rechnung stellen müssen, dass der Schiffsführer des zu überholenden Schiffes im Nebel einen größeren Abstand zum linken Ufer einhalten musste als bei guter optischer Sicht und gehalten war, den linksrheinischen Pfeiler der Germersheimer Eisenbahnbrücke und den danach vorspringenden Germersheimer Grund gut freizufahren. Ferner hätte der Beklagte nicht außer acht lassen dürfen, dass im Brückenbereich erfahrungsgemäß das Radarbild durch Fehlechos gestört wird und auch hierdurch gewisse Kursbeeinträchtigungen eintreten können. Insbesondere aber hätte der Beklagte berücksichtigen müssen, dass durch zu geringe Abstände bei einer gleichzeitigen Begegnung und Überholung im Bereich eines so schwierigen Fahrwassers, wie es hier im Brückenbereich mit dem im Oberstrombereich vorspringenden Grund anzunehmen ist und in dem für einen Talfahrer zu durchfahrenden leichten Hang schon durch einen breiten Kurs des Überholten der Raum für eine Begegnung zu eng werden konnte. Diese Erwägungen hätten ihn bei Beachtung nautischer Sorgfalt veranlassen müssen, nicht zu überholen, um nicht den Talfahrer und den Überholten zu gefährden.

4. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann dem Beklagten kein weiterer schadensursächlicher Verstoß gegen seine nautischen Pflichten deshalb vorgeworfen werden, weil er sein Überholmanöver nicht über Funk oder durch die in § 6.10 Nr. 2 RheinSchPV vorgeschriebenen Schallsignale angekündigt hat.

Zwar hat zwischen MS WS und MS H keine Absprache über ein beabsichtigtes Überholungsmanöver stattgefunden und seitens des MS H sind auch keine entsprechenden Schallsignale gegeben worden. Wie die Angaben von Schiffsführer K im Verklarungsverfahren aber zeigen, war es ihm bekannt, dass MS H überholte. Dort hat er bekundet, er habe dem Talfahrer bei der Kursabsprache gesagt "Backbord über Backbord mitten durch". Gab er so eine Weisung für eine Zwischendurchfahrt, muss er MS H auf dem Radarschirm gesehen haben. Bei aufmerksamer Beobachtung und Auswertung des Radarbildes kann ihm auch die Einleitung des Überholvorgangs nicht verborgen geblieben sein. Unter diesen Umständen haben sich unterbliebene Absprachen oder Schallsignale nicht schadensursächlich ausgewirkt.

5. Auch Schiffsführer K von MS W hat gegen seine nautischen Pflichten schuldhaft verstoßen und hierdurch den Unfall mitverursacht.

Durch das Überholmanöver des MS H wurde MS W nicht von seiner sich aus § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV bestimmten Pflicht als Bergfahrer, dem zu Tal fahrenden MS M unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs einen geeigneten Weg beim Begegnen freizulassen, entbunden.

Näherte sich Schiffsführer Kerkojus einer Strecke, die er im Radarbild wegen Fehlechos der Brücken nicht überblicken konnte, und musste er wegen der örtlichen Verhältnisse und der Radarfahrt besorgen, der Talfahrt, macht sie schon auf dem Radarbild sichtbar sein oder nicht, keinen geeigneten Weg freilassen zu können, hätte er davon ausgehen müssen, dass ein gefahrloses Überholen nicht möglich war und hätte das nach § 6.10 Nr. 5 vorgeschriebene Sperrsignal geben müssen, um MS H von einer Überholung abzuhalten. Dass für den Überholer selbst durch das Manöver keine Gefahr heraufbeschworen wurde, ist unerheblich, da der Schutzbereich der Norm sich auch auf alle anderen Verkehrsteilnehmer im Revier bezieht.

Hätte der Beklagte zu 2 durch dieses Schallsignal darauf hingewiesen, dass ein gefahrloses Überholen unmöglich war, wäre das Überholmanöver unterblieben, mindestens rechtzeitig abgebrochen worden. Dem Talfahrer wäre dann ein geeigneter Weg freigeblieben.

Bei Beachtung nautischer Sorgfalt hätte Schiffsführer Kerkojus die Gefahren durch die Überholung richtig einschätzen können, um durch das für den Fall einer Gefahr vorgeschriebene Sperrsignal nach § 610 Nr. 5 RheinSchPV die Gefahr auszuschließen.

Das Unterlassen eines solchen Signals muss dem Beklagten zu 2 nach alledem als unfallursächliches Verschulden vorgeworfen werden.

6. Darüberhinaus kann ihm jedoch nicht auch noch vorgeworfen werden, das Überholmanöver des MS H nicht durch eine Fahrtverminderung unterstützt zu haben, wodurch sich der Überholweg verkürzt hätte, da der Vorwurf bereits dahin geht, das Überholmanöver nicht verhindert zu haben. Das schließt Vorwürfe im Zusammenhang mit der Durchführung des Überholmanövers aus.

7. Unter den gegebenen Umständen können dem Beklagten weitere Vorwürfe nicht deshalb gemacht werden, weil er nach eigenen Angaben im Verklarungsverfahren bei der Annäherung an die Germersheimer Eisenbahnbrücke den Steuerbordpfeiler der Brücke nicht im Radar hatte und bei der Durchfahrt durch die Brückenöffnung ein Schiff auf dem Radarschiff gesehen hatte, das er weder als Talfahrer noch als Bergfahrer identifizieren konnte, weil aus seiner Sicht nicht festzustellen war, ob sich das Echo bewegte. Alles das kann, muß aber nicht für eine fehlerhafte und wenig sachkundige Auswertung des Radarbildes sprechen; denn der Streubereich des Echos einer Rheinbrücke kann je nach der Lage eines Schiffes im Strom eine sichere Auswertung des Radarbildes behindern oder im Brückenbereich vollständig ausschließen. Diese Schwierigkeiten der Radarortung und die Behinderung eines Überblicks über den Verkehr oberhalb oder unterhalb einer Brücke muß ein Schiffsführer kennen. Kraft seiner Streckenkenntnis und durch Fragen über Kanal 10 muß ein erfahrener Schiffsführer diese Mängel der Radarortung ausgleichen, um sein Schiff gefahrlos durch eine Brückenöffnung zu steuern. Zwar hat der Beklagte zu 2 sich nicht über Kanal 10 über den Verkehr oberhalb der Eisenbahnbrücke orientiert und MS W ist auch wie das Rheinschifffahrtsgericht der Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren mit Recht entnommen hat und worauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, von linksrheinisch kommend bis etwa zur Fahrwassermitte geraten, diese Fahrweise hätte sich aber nicht unfallursächlich ausgewirkt, wenn MS H sich nicht linksrheinisch befunden hätte.

8. Schließlich kann auch dem Beklagten zu 2 nicht vorgeworfen werden, durch eine plötzliche Kursänderung dem Talfahrer den Weg verlegt und ihm so keinen geeigneten Weg freigelassen haben. Richtig ist, wie das Rheinschifffahrtsgericht ausgeführt hat, dass die Zeugen Litmeyer und Gräf auf dem Radarbild gesehen haben, dass MS W in einem Abstand von 40 - 50 m vom Vorschiff des MS M ausgeschert und in den Kurs dieses Schiffs gefahren ist. Denn auch Schiffsführer R hat bei seiner Vernehmung von einem harten Ausscheren des MS W gesprochen.

Die Schiffsführer der dem MS M zu Tal folgenden Schiffe die unbeteiligten Zeugen B und Verschüren haben allerdings nach ihren Angaben im Verklarungsverfahren auf dem Radarschirm ihrer Schiffe nicht bemerkt, dass MS W seinen Kurs stark geändert hätte. Letztlich kann offen bleiben, wie weit und in welcher Form MS W seinen Kurs zur Fahrwassermitte hin verlegt hat. Hätte sich MS H nicht linksrheinisch unmittelbar mit einem Abstand von 15 - 20 m seitlich vor MS W befunden, hätte möglicherweise MS M ausreichend Raum gehabt, gefahrlos zu begegnen.

9. Demgegenüber können der Schiffsführung des MS M keine Vorwürfe gemacht werden. Bei einer Begegnung, auch wenn diese in der Form einer Zwischendurchfahrt erfolgen soll, müssen die Bergfahrer dem Talfahrer unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse einen geeigneten Weg freilassen (§ 6.04 Nr. 1 RheinSchPV). Der oder die Bergfahrer tragen bei der Begegnung also die volle Kursverantwortung. Der Talfahrer darf darauf vertrauen, dass der ihm gewiesene Weg geeignet ist. Er hat deshalb auch die Kursweisung der Bergfahrt strikt zu befolgen. Wenn hier der Zeuge L als Schiffsführer des MS M versucht hat, zwischen H und W zu passieren, ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dass er nicht den ihm gewiesenen Weg genommen hätte, wie die Beklagten meinen, kann weder dem Akteninhalt noch dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens entnommen werden.
 

10. Bei Abwägung des Verschuldens der beteiligten Schiffsführer im Rahmen der §§ 92 c BinnSchG, 254 BGB ist die Berufungskammer zu der Überzeugung gelangt, dass das Verschulden des Beklagten und das von Schiffsführer K nach den gesamten Umständen des Falles gleich schwer wiegen.

Der Entschluss des Beklagten im Bereich des schwierig zu durchfahrenden Unfallreviers zu überholen, stellt sicher die Primärursache des Unfalls dar. Andererseits hat Schiffsführer K sich völlig passiv verhalten. Er hat weder das Überholmanöver durch eine Herabsetzung seiner Fahrt unterstützt, noch über Funk oder durch ein Sperrsignal auf Gefahren hingewiesen, die durch das Überholmanöver entstehen konnten, zumal er selbst nach seinen Angaben im Verklarungsverfahren zunächst jedenfalls keine Sicht nach Oberstrom hatte, weil sein Radarbild durch Fehlechos gestört war. Da bei einer gleichzeitigen Überholung und Begegnung beide Bergfahrer die Verantwortung dafür tragen, dass dem Talfahrer ein geeigneter Weg freigelassen wird, beide Bergfahrer sich leichtsinnig über ihre Pflichten hinweggesetzt haben, erscheint es angemessen, ihre Schuld gleichzustellen. Den vom Beklagten gegen Schiffsführer K immer wieder erhobenen Vorwurf, dieser habe plötzlich seinen Kurs geändert, vermag ihn selbst nicht zu entlasten. Der Beklagte hätte bedenken müssen, dass in der gegebenen Situation MS W mehr Raum für das Durchfahren der Brücke und das Umfahren des Germersheimer Grundes benötigte, als es aus seiner Sicht zunächst aussah und eine solche Fahrweise im Nebel, wie sie der Beklagte beanstandet, nicht ungewöhnlich und daher auch nicht schuldhaft sein konnte.

Nach alledem musste auf die die Berufung der Klägerin das angefochtene Urteil abgeändert werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf die §§ 92, 101 Abs. 1 ZPO.

Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt :

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 23.2.1993 - C 107/92 BSch - dahin abgeändert, dass die Klage dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt wird.

2. Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs wird die Sache an das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim zurückverwiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu ¼ und der Beklagte zu ¾.

Die außergerichtlichen der Kosten des Streithelfers des Beklagten trägt die Klägerin zu ¼. Im übrigen trägt der Streithelfer des Beklagten seine Kosten selbst.

4. Deren Festsetzung nach Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim.