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30 UR II 1/20 - Amtsgericht (-)
Decision Date: 21.02.2021
File Reference: 30 UR II 1/20
Decision Type: Beschluss
Language: German
Court: Amtsgericht Mannheim
Department: -

Leitsätze:

1) Der Verfahrenswert im Verklarungsverfahren wird im Rahmen des richterlichen Ermessens nach der Summe der vermögensrechtlichen Interessen der Beteiligten bestimmt, die Gegenstand der Prüfung im Verklarungsverfahren sind. Für Art und Umfang der Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren ist das Gesamtinteresse an einer möglichen Aufklärung des vollständigen Sachverhalts eines Schiffsunfalles als Voraussetzung für die spätere Regelung aller irgend möglichen Ansprüchen der Beteiligten maßgeblich.

2) Neben den durch die Beteiligten bezifferten Schäden sind dabei die Kosten für kontradiktorische Taxen sowie Kosten einer Auswertung des Navigationssystemes, deren Beschaffung das Gericht aufgegeben hatte, anzusetzen. Sonstige Rechtsverfolgungskosten, wie vorprozessuale Rechtsanwaltsgebühren oder Kosten für nautische Gutachten, bleiben bei der Bemessung des Geschäftswertes regelmäßig unberücksichtigt.

3) Sinn und Zweck des Verklarungsverfahrens ist es, Beweise zügig zu sichern, die ansonsten durch Zeitdauer unwiederbringlich verloren gingen. Dies umfasst regelmäßig die Vernehmung von Zeugen und die Sicherung von Schiffsaufzeichnungen, Ausführungen eines Privatsachverständigen wären gegebenenfalls erst als Parteivortrag in einem späteren Streitverfahren zu beachten.

Beschluss des Amtsgerichtes Mannheim

Az.: 30 UR II 1/20

vom 21. Februar 2021.

Beschluss

In Sachen ... wegen Verklarung (Schiffshavarie bei Rhkm 40205) hat das das Amtsgericht Mannheim durch die Präsidentin des Amtsgerichts am 21.02.2021 beschlossen:

Das Verklarungsverfahren wird geschlossen. Der Verfahrenswert wird auf 591.037,19 € festgesetzt.

Gründe:

Der Verklarungswert setzt sich aus folgenden Positionen zusammen:

FGKS »Thurgau Prestige«:

Kaskoschaden 350.282,98 Euro

Nutzungsverlust 117.339,04 Euro

Expertenkosten FGKS »Thurgau Prestige« 21.669,75 Euro

Expertenkosten TMS »Alukard« 2.731,25 Euro

= 492.023,02 Euro

TMS »Alukard« Kaskoschaden 30.111,32 EUR

Nutzungsverlust 50.499,00 EUR

Expertenkosten für kontraktorische Schadenstaxen 17.853,85 Euro

KostenTresco-Videos 550,00 Euro

= 99.014,17 Euro

Insgesamt: 591.037,19 Euro

Mit Verfügung vom 04.01.2021 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass das Gericht beabsichtigt, das Verklarungsverfahren zu schließen und den Verfahrenswert auf 572.633,02 Euro festzusetzen. Dabei wurden die Kosten auf Seiten des FGKS »Thurgau Prestige« wie oben aufgelistet, zusätzlich die bis dahin bekannten Kosten des TMS »Alukard« betreffend Kaskoschaden und Nutzungsverlust. Sowohl der Antragstellervertreter in seinem Schriftsatz vom 14.01.2021 als auch der Beteiligtenvertreter Ziffer 3 in seinem Schriftsatz vom 15.01.2021 regten an, das Verklarungsverfahren zu schließen.

Gleichzeitig listete der Beteiligtenvertreter Ziffer 3 weitere Kosten (Expertenkosten für kontradiktorische Schadenstaxen, Kosten Tresco-Videos, nautisches Gutachten und Geschäftsgebühr für Tätigkeit außerhalb der Verklarung) auf.

Das Verklarungsverfahren ist eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit und unterliegt demgemäß dem Untersuchungsgrundsatz nach § 26 FamFG. Für die Gestaltung des Verfahrens sowie Art und Umfang der Beweisaufnahme ist allein das Gesamtinteresse an einer möglichen Aufklärung des vollständigen Sachverhalts eines Schiffsunfalls als Voraussetzung für die spätere Regelung aller irgend möglichen Anspruche der Beteiligten daran maßgeblich (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 30.04.2014, 3 W 19/14 BSch, ZfB 2014, Sammlung Seite 2278 ff; Beschluss vom 15.10.1999, 3 W 31/99 BSch, ZfB 2000, Sammlung Seite 1785 f). Dies ist auch für die Bemessung des Gegenstandswertes von Bedeutung, bei der alle für den Wert irgendwie erheblichen Umstände einbezogen werden können. Nicht das Interesse einzelner Beteiligter bestimmt den Wert des Geschäftes, sondern dessen objektiver Wert (OLG Köln aaO). Demgemäß wird in bisheriger Übung der Schifffahrtsgerichte der Geschäftswert nach der Summe der vermögensrechtlichen Interessen bestimmt, die Gegenstand der Prüfung im Verklarungsverfahren sind (OLG Köln aaO; von Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Aufl., § 14 Rn. 1 BinSchG). Dies bedeutet aber nicht, dass zur Ermittlung des Geschäftswertes die vermögensrechtlichen Interessen der Beteiligten immer schematisch zu addieren sind. Hiermit ist lediglich zum Ausdruck gebracht, dass bei der Ausübung des Ermessens gemäß § 36 Abs. 1 GNotKG die betroffenen vermögensrechtlichen Interessen der Beteiligten für den objektiven Geschäftswert wesentliche Anhaltspunkte sind (OLG Köln aaO).

Unter Berücksichtigung dessen konnten die Kosten für kontradiktorische Schadenstaxen auf Seiten des TMS »Alukard« ebenso wie auf Seiten des FGKS »Thurgau Prestige« bei der Ermittlung des Geschäftswerts zusätzlich angesetzt werden. Das gleiche gilt für die Kosten derTresco-Videos, deren Beschaffung das Gericht dem Beteiligenvertreter mit Verfügung vom 26.02.2020 aufgegeben hatte. Hingegen können die Kosten für das nautische Gutachten (8.600,00 Euro) und die Geschäftsgebühr für Tätigkeit außerhalb der Verklarung (9.672,50 Euro) nicht berücksichtigt werden. Rechtsanwaltskosten würden auch im streitigen Verfahren nicht streitwerterhöhend berücksichtigt werden. Bei den Kosten für das nautische Gutachten vom 06.01.2021 handelt es sich um Kosten für einen vom Beteiligtenvertreter Ziffer 3 beauftragten Privatsachverständigen. Sinn und Zweck des Verklarungsverfahrens ist es, Beweise zügig zu sichern, die ansonsten durch Zeitdauer unwiederbringlich verlorengingen (von Waldstein/Holland aaO § 11 Rn. 5). Das Gericht hat vorliegend die schifffahrtsüblich gestellten Zeugen vernommen und die Schiffsaufzeichnungen gesichert. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage der Verabredung der Begegnung von Talfahrer und Bergfahrer steuerbord/steuerbord über Funk. Die Ausführungen des Privatsachverständigen wären gegebenenfalls als Parteivortrag in einem späteren streitigen Verfahren zu beachten, tragen aber nicht dazu bei, den Geschäftswert des Ver- klarungsverfahrens zu erhöhen. Der Hinweis des Beteiligtenvertreters Ziffer 3, dass ansonsten auch nicht die Expertenkosten für die kontradiktorischen Schadenstaxen berücksichtigt werden dürften, ist insoweit zutreffend, dass diesbezüglich das Argument der zeitlichen Dringlichkeit isoliert nicht tragfähig ist. Dennoch ist es gemäß schifffahrtsrechlicher Tradition ermessensfehlerfrei üblich, diese Expertenkosten geschäftswerterhöhend zu berücksichtigen. Der Grund liegt dann, dass es sich um Annexkosten zur Beweissicherung betreffend der eingetretenen Schäden handelt, um sicherzustellen, dass die unfallbetroffenen Schiffe zur Vermeidung unnötigen Nutzungsausfalls kurzfristig repariert und wieder zum Einsatz gebracht werden können (vgl. von Waldstein/Holland aaO § 11 Rn. 4). Letztere dürfen zweifelsohne geschäftswerterhöhend berücksichtigt werden.

Anmerkung der Redaktion:

Der Beschluss des Schiffahrtsgerichtes Mannheim steht in vollständiger Übereinstimmung mit der jahrzehntealten Praxis in Verklarungssachen.

Ist die Beweisaufnahme abgeschlossen, wird das Verklarungsverfahren nach Festsetzung des Verfahrenswertes geschlossen. Nach richtiger Terminologie handelt es sich nicht um einen »Streitwert«, sondern um einen Verfahrenswert, da das Verklarungsverfahren kein Streitverfahren nach der ZPO, sondern ein dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegendes Verfahren nach FamFG ist. Der Verfahrenswert ist Grundlage für die Berechnung der Gerichtskosten im Verklarungsverfahren und für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren der verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwälte der Beteiligten.

Das Verklarungsgericht setzt dabei den Verfahrenswert nach eigenem Ermessen fest. Dabei stützen sich die Schifffahrtsgerichte regelmäßig auf die Angaben und gegebenenfalls Schadensschätzungen der Beteiligten. Berücksichtigt werden die Sach- und gegebenenfalls Personenschäden, sowie Nutzungsverlust und Expertenkosten für die Taxierung der jeweiligen Schäden. Diese Schadensposition bestimmt das Interesse der Beteiligten an der Aufklärung der Havarie und sind Grundlage für möglicherweise folgende Streitprozesse. (Dazu Thor v.Waldstein, Das Verklarungsverfahren im Binnenschifffahrtsrecht, Duisburg 1992, Seite 101 ff.; v.Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Aufl., § 13 BinSchG Rn. 19, § 14 Rn. 1 ff.) Das Verklarungsverfahren dient der zeitnahen Sicherung von Beweisen, in der Regel durch Zeugeneinvernahme und möglicherweise Sicherung von Navigationsdaten. Nach dem Wortlaut des § 11 BinSchG ist es vom Verklarungszweck auch gedeckt, Schadengutachten einzuholen zur Beweisaufnahme über den Umfang des eingetretenen Schadens. Dies ist aber nur ganz ausnahmsweise der Fall, da in aller Regel die Beteiligten einer Schiffshavarie durch kontradiktorische Taxierung die Schäden für die an der Taxierung beteiligten Parteien verbindlich feststellen (dazu v.Waldstein/ Holland, a.a.O., § 92b BinSchG Rn. 21 ff). Diese Taxierung erfolgt unmittelbar nach dem Unfall und vor der Durchführung der Reparatur, so dass auch insoweit Eilbedürftigkeit besteht. Es ist deshalb völlig richtig, die Expertenkosten für kontradiktorische Schadenaufnahmen, die vom haftenden Havariebeteiligten im Ergebnis zu tragen sind, dem Verfahrenswert des Verklarungsverfahrens hinzuzuschlagen. Diese Kosten tragen übrigens auch zur Höhe des Streitwertes in einem folgenden Streitverfahren bei. Auch insoweit ist der vorstehenden Entscheidung zuzustimmen.

Neben den Verfahrensgebühren im Verklarungsverfahren, die unabhängig von dem folgenden Streitverfahren entstehen, können vorprozessuale Gebühren entstehen, die nach der richtigen Entscheidung des Schiffahrtsgerichtes Mannheim, bei der Ermittlung des Verfahrenswertes nicht zu berücksichtigen sind. Soweit die Beteiligten des Verklarungsverfahrens außerhalb der kontradiktorischen Taxierungen Gutachten zu nautischen Fragen oder technischen Fragen einholen und im Verklarungsverfahren vorlegen, so sind diese Kosten bei der Festsetzung des Verfahrenswertes nicht zu berücksichtigen. Das Verklarungsverfahren ist nach richtiger Auffassung auch nicht der Ort, um eine Interpretation der Beweisergebnisse im Verklarungsverfahren vorzunehmen oder Streitprozesse argumentativ vorzubereiten. Das Verklarungsverfahren dient nur der Sammlung und Sicherung der Beweise durch das Gericht und nicht der Diskussion des Beweisergebnisses. Dies bleibt den folgen- den Streitverfahren vorbehalten.

Das Verklarungsverfahren kennt keine Kostenentscheidung, die Beteiligten sind auf materiellrechtliche Kostenerstattungsansprüche angewiesen, sofern keine Streitverfahren folgen. Folgen ein oder mehrere Streitverfahren, dann sind die Kosten des Verklarungsverfahrens Teil der Verfahrenskosten des Streitverfahrens und werden nach richtiger Auffassung im Verhältnis der Streitwerte der Streitverfahren auf die Folgeprozesse verteilt (streitig, dazu Martin Fischer, in Festschrift für Festschrift für Resi Hacksteiner, Den Haag 2020, Prozessuale Besonderheiten schifffahrtsrechtlicher Verfahren in Deutschland, Seite 84).

Der zitierte Entscheidung ist daher uneingeschränkt zuzustimmen (allerdings ist anzumerken, dass auf dem Original der Entscheidung keinerlei Hinweis darauf enthalten ist, dass das Amtsgericht Mannheim als Schiffahrtsgericht entschieden hat. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 Binnenschifffahrtsverfahrensgesetz sind die Amtsgerichte verpflichtet, in Binnen- schifffahrtssachen die Bezeichnung »Schiffahrtsgericht« zu führen. Für Verklarungsverfahren ist das Schiffahrtsgericht zuständig, so dass auch das Verklarungsverfahren eine Binnenschifffahrtsache ist (dazu v.Waldstein/Holland, Binnenschiff- fahrtsrecht, 5. Aufl., § 11 BinSchG Rn. 8).

Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer, Frankfurt am Main

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2021 - Nr. 4 (Sammlung Seite 2698.); ZfB 2021, 2698 f.