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Leitsätze:
1) Ein Schiff, das zwar mit Radar ausgerüstet ist, dessen Schiffsführer aber kein Radarschifferzeugnis besitzt, muß sich wie ein Nichtradarfahrzeug verhalten und bei Nebel und sonst verminderter Sicht die Geschwindigkeit herabsetzen oder die Fahrt einstellen, wenn dies - je nach optischer Sicht - geboten ist.
2) Zu den Sorgfaltspflichten auf Sicht fahrender Schiffe, die sich bei Nebel und unsichtigem Wetter im Raum Leisten und Clemensgrund begegnen.
Urteil des Rheinschiffahrtsobergerichts Köln
vom 3. Juni 1983
3 U 262/82
bestätigt durch Nichtannahme der Revision gemäß Beschluß des BGH vom 26. März 1984 - II ZR 200/82 - (Rheinschifffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Als ein Schleppzug, bestehend aus dem der Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten Motorschlepper M als Vorspann sowie dem Anhang MS V, bei Nebel in Höhe von Assmannshausen zu Berg kam, fuhr das der Klägerin gehörende, zu Tal kommende MTS E bei der Begegnung mit dem Schleppzug nach Backbord über dessen Strang und geriet linksrheinisch bei km 532,17 auf die Kribben.
Die Klägerin behauptet, das mit Radar gefahrene Vorspannboot, dessen Schiffsführer, der Beklagte zu 2, unstreitig kein Radarschifferzeugnis besaß, sei in Höhe des Leistens rechtsrheinisch gefahren, während der Anhang linksrheinisch gewesen sei. Bei einer Sicht von nur 150 bis 200 m habe der Beklagte zu 2 offenbar die Orientierung verloren, nachdem das vorausfahrende MS MP die Fahrt eingestellt habe. Der Bergfahrer habe weder Signale noch Funkdurchsagen gegeben und keine Anstalten gemacht, nach linksrheinisch zu gehen. MTS E sei, nachdem dessen Schiffsführer den Bergfahrer ergebnislos über Funk aufgefordert habe, entsprechend dem Rechtsfahrgebot Platz zu machen, etwas nach Backbord gegangen. Erst kurz vor der Backbord-an-Backbord-Begegnung habe M den Kurs hart nach Steuerbord gerichtet. E sei aber infolge seines Backbordkurses über den jetzt erst erkennbar gewordenen Strang in die Kribben geraten. Die Klägerin, die einräumt, daß auch ihr Schiffsführer ohne Besitz des Radarpatents mit Radar gefahren ist, macht wegen mitwirkenden Verschuldens nur die Hälfte ihres Gesamtschadens geltend und verlangt Schadensersatz in Höhe von ca. 107600,- DM sowie die Feststellung, daß die Beklagten allen weiteren Schaden zur Hälfte zu ersetzen haben.
Die Beklagten haben jegliches Verschulden bestritten. Der Talfahrer sei in 250 m Entfernung vor dem Vorspannboot aus dem Nebel aufgetaucht und in starker Schräglage auf das linke Ufer und den Bergfahrer zugefahren. Dieser habe stark Steuerbordruder und zugleich den Strang laufen lassen. Wenn der Talfahrer stets die rechte Seite eingehalten hätte, würde die Begegnung gefahrlos Backbord an Backbord verlaufen sein.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat ihr dem Grunde nach zu einem Drittel stattgegeben. Der Bundesgerichtshof hat die von den Beklagten eingelegte Revision durch Beschluß vom 26. März 1984 - II ZR 200/83 - unter Hinweis auf das BGH-Urteil vom 20. September 1973 - II ZR 31/72 - (s. ZfB 1974, 15) nicht angenommen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Verschulden des Beklagten zu 2).
Der Beklagte zu 2) hat gegen § 6.30 Abs. 2 RhSchPVO verstoßen, weil er sein Schleppboot nicht angehalten hat, obwohl er die Fahrt mit Rücksicht auf die verminderte Sicht, den übrigen Verkehr im Unfallrevier und die örtlichen Verhältnisse nicht ohne Gefahr fortsetzen konnte. Zur Unfallzeit herrschte im Unfallrevier unsichtiges Wetter. Davon gehen beide Parteien aus. Die Sichtweiten waren sehr gering. Sie lagen nach den Angaben des Schiffsführers A der Klägerin E), zwischen 200-300 m. Der Beklagte zu 2) hat die Sichtweite mit 150, 200, 250 m angegeben, der Schiffsführer B. (vom Anhang „VTG GAS 80") mit ca. 150 m. Die Sicht ist vom Zeugen F. (SB M) auf 200-300 m, vom Zeugen H. (MS „MP) auf ca. 150 m, vom Zeugen S. (MTS E) auf 300-400 m und vom Zeugen M. (MS N) auf 300 m geschätzt worden. Diese Schätzungen sind aus der Natur der Sache mit Unsicherheiten belastet. Im vorliegenden Fall lassen sie sich aber zusätzlich konkretisieren, und zwar anhand objektivierbarer Einzelumstände. So hat der Schiffsführer B. von dem geschleppten V bei seiner Vernehmung erklärt, daß er das SB M, das seitlich versetzt zur Strommitte hin ca. 100 m vor ihm (Stranglänge) fuhr, jedoch noch sehen konnte. Wird berücksichtigt, daß die V selbst 106 m lang ist und daß sich das Steuerhaus bei Schiffen dieser Art im Heckteil befindet, so wird deutlich, daß die Sichtweite unter 200 m, nämlich bei etwa 180 m oder weniger gelegen haben muß, so daß die Sichtschätzung des Zeugen mit 150-200 m glaubhaft ist .
...
Da zur Unfallzeit im Unfallrevier reger Schiffsverkehr herrschte, wie allein schon der Umstand beweist, daß neben dem Unfallbeteiligten Schleppverband und dem MTS E, MS MP und MS N in der Nähe der Unfallstelle fuhren,
- die Fahrwasserverhältnisse linksrheinisch Kribben, rechtsrheinisch Leisten und Clemensgrund eingeengt waren und
- das Unfallrevier in einer in einem Bogen verlaufenden Gebirgsstrecke des Stromes liegt,
konnte die Bergfahrt nach Sicht durch das SB M nicht ohne Gefahr für das eigene Schiff und den Anhang sowie für andere Schiffe durchgeführt werden. Der Beklagte zu 2) hätte daher die Fahrt einstellen müssen, da er für eine Radarfahrt nicht das erforderliche Patent besaß. Hätte er die Reise vorübergehend eingestellt, so wie es auch MS MP getan hat, so wäre der Schiffsführer des Talfahrers E nicht irritiert und zu einem falschen Steuermanöver veranlaßt worden.
Soweit die Beklagten einwenden, der Beklagte zu 2) habe bei der Bergfahrt nicht gegen nautische Regeln oder Grundsätze verstoßen, weil er in seinem Fahrwasser geblieben sei, ist ihr Vorbringen unerheblich. Die Bergfahrt durfte, wie oben ausgeführt, vom SB M nur unter Zuhilfenahme von Radar fortgesetzt werden. Nach nautischen Regeln einwandfrei hätte sich der Beklagte zu 2) daher nur verhalten, wenn er alle die Pflichten erfüllt hätte, die einem Radarfahrer oblagen. Das ist aber nicht der Fall. Als Radarfahrer hätte der Beklagte zu 2) das zu Tal fahrende MTS E in einer Entfernung wahrnehmen können, die um ein Vielfaches seine natürliche Sichtweite übertraf. Entweder kurze Zeit bevor M zur Vorbeifahrt an MS MP ansetzte oder spätestens bei Beginn der Vorbeifahrt hätte der Beklagte zu 2) sich mit dem Schiffsführer von MTS E über Funk in Verbindung setzen und den Kurs absprechen müssen. Diese Verpflichtung ergab sich nicht nur aus den allgemeinen Grundsätzen der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung (§ 6.04), wonach der Bergfahrer dem Talfahrer den Weg zu weisen hat, sondern aus einer besonderen vom Bergfahrer hervorgerufenen Gefahrenlage. Diese bestand darin, daß Talfahrer, die Radar benutzten, das Ausscheren des SB M nach Backbord, um an MS MP vorbeizufahren, mißdeuten und als Kurswechsel zum linken Rheinufer auffassen konnten. Mit der Gegenwart von Radarfahrern im Revier mußte der Beklagte zu 2) aber rechnen (vgl. BGH VersR 74, 188).
Aber selbst wenn anzunehmen wäre, der Beklagte zu 2) habe noch vorsichtig und langsam nach Sicht, zu Berg schleppen dürfen, träfe ihn ein Verschulden, weil er den entgegenkommenden Talfahrer E irritiert und keine Kursweisung gegeben hat. Bei Einleitung der Vorbeifahrt des Schleppverbandes an MS MP mußte das SB M auf Backbordkurs gehen. Auch wenn das Vorspannboot dabei nicht das linksrheinische Fahrwasser verlassen haben sollte, so war doch für einen Talfahrer, der nach Radar fuhr, nicht erkennbar, ob und wie lange der Backbordkurs fortgesetzt wird. Der Talfahrer mußte daher, wie oben ausgeführt, ernsthaft in Betracht ziehen, das Vorspannboot wolle wenden oder sich rechtsrheinisch hinlegen. Der Beklagte zu 2) hätte daher vor der Vorbeifahrt an MP über Funk die Talfahrer ansprechen müssen. Hätte er dies getan, so wäre mit dem Talfahrer E eine Kursabsprache erfolgt und der Unfall nicht eingetreten.
Ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 2) läßt sich nicht daraus herleiten, daß er bei unsichtigem Wetter nicht die gemäß § 6.31 RhSchPVO vorgesehenen Schallzeichen gegeben hat, denn diese hätten bestenfalls dazu dienen können, auf seinen Standort und seine Bergfahrt aufmerksam zu machen. Beides hatte der Schiffsführer der Klägerin aber im Radarbild mindestens in einer Entfernung von 800 m vom Vorspannboot entfernt schon geortet, so daß das Unterlassen der Schallzeichen nicht unfallursächlich gewo den sein kann.
Ein Schüldvorwurf gegen den Beklagten zu 2) kann auch nicht damit begründet werden, daß er auf die Sprechfunkanfrage des Schiffsführers der Klägerin nicht geantwortet hat, denn es läßt sich nicht feststellen, daß der Unfall zu diesem Zeitpunkt noch hätte vermieden werden können. Die genauen Schiffspositionen und die Bewegungsabläufe und der Zeitpunkt der Sprechfunkkontaktaufnahme sind nicht feststellbar und können auch nicht exakt rekonstruiert werden.
Es kann auch nicht angenommen werden, daß der Beklagte zu 2) mit dem Schleppverband oder auch nur mit dem Vorspannboot „MARTINUS" in das rechtsrheinische Fahrwasser geraten ist. Eine dahingehende Vermutung besteht, entgegen der Auffassung der Klägerin, nicht. Insoweit kommt es darauf an, ob die Klägerin ihre Behauptung über die Fahrweise des Beklagten zu 2) bewiesen hat. Die Schiffsbesatzungen der unfallbeteiligten Schiffe haben einander widersprechende Angaben gemacht, ohne daß Veranlassung bestünde, der Richtigkeit einer der Aussagen vor der anderen den Vorzug zu geben.
...
Verschulden des Schiffsführers des MTS E
Aber auch den Schiffsführer des MTS E trifft, wie die Klägerin nicht verkennt, ein erhebliches Verschulden daran, daß ihr Schiff in die Kribben geriet und festfuhr. Wegen unsichtigen Wetters hätte auch E seine Fahrt unterbrechen müssen.
Im Unfallrevier herrschte unsichtiges Wetter, wobei aus den oben dargelegten Gründen von einer Sichtweite von unter 200 m auszugehen ist. Im Hinblick darauf, daß MTS E eine Länge von 80 m hatte und sich das Steuerhaus am Heck des Schiffes befindet, verblieb dem Schiffsführer eine Sicht vor Bug von unter 150 m. Diese Sicht reichte nicht aus, um das Schiff, das voll abgeladen war und mit der Strömung fuhr, vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis zum Stehen zu bringen oder dieses sicher zu umfahren. Da andere Schiffe im Revier waren und das Fahrwasser aus den dargelegten Gründen nicht ungefährlich war, hätte die Fahrt unterbrochen werden müssen, und zwar weit vor der späteren Unfallstelle. Hätte der Schiffsführer von E sich entsprechend diesem nautischen Gebot verhalten, hätte der Unfall sich nicht ereignet.
Die Klägerin kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, ihr Schiffsführer sei sorgfältig gefahren, denn die Fahrt durfte unter den gegebenen örtlichen und witterungsbedingten Verhältnissen nur mit Radar fortgesetzt werden. Die Sorgfaltspflichten eines Radarfahrers aber hat der Schiffsführer der E nicht eingehalten. Er hat, falls er nach Radar gefahren ist, wofür seine erste Aussage vor der Polizei spricht, gegen § 6.04 RhSchPVO sein Schiff nicht angehalten und nicht abgewartet, bis mit dem Beklagten zu 2) eine Kursabsprache getroffen war. Hierzu wäre er aber verpflichtet gewesen, nachdem er - wie er selbst einräumt - in einer Entfernung von 800 m von SB M dieses im Backbordkurs gesehen hat. Zu diesem Zeitpunkt war E noch mehr als 500 m von der späteren Unfallstelle entfernt. Eine Kollision wäre daher vermeidbar gewesen.
Bei der Abwägung der beiderseitigen Verschuldens- und Verursachungsbeiträge (§ 254 BGB) ist von einem überwiegenden Verschulden des Schiffsführers der Klägerin auszugehen. Er hat nicht nur die Fahrt nach Sicht fortgesetzt, obwohl er diese hätte einstellen müssen, sondern hat auch eine Kursweisung des Bergfahrers nicht abgewartet.
Er hat ein Ausweichmanöver vorgenommen, das E aus dem rechten Fahrwasser, das einzuhalten war, heraus auf die linksrheinischen Kribben brachte. Demgegenüber wiegt das Verschulden des Beklagten zu 2) geringer. Er ist mit seinem Schiff im linksrheinischen Fahrwasser geblieben. Er hat aber verbotswidrig die Fahrt bei unsichtigem Wetter fortgesetzt und hat im übrigen den Schiffsführer von E durch seine Fahrweise irritiert, ohne Kursweisungen zu geben, wobei diese Irritation und ihre Folgen wiederum auch dem Schiffsführer von E selbst zuzurechnen sind. Der Senat hält unter Berücksichtigung der vorerwähnten Gründe eine Quotierung zu Lasten der Beklagten in Höhe von einem Drittel für angemessen.
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