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Leitsatz:
Die Verordnung vom 9. 11. 1940, nach weicher Vereinbarungen über die Verlängerung der Lade- oder Löschzeit und über die Herabsetzung des Liegegeldes unzulässig und daher nichtig sind, ist noch heute geltendes Recht.
Urteil des Oberlandesgerichts - Schiffahrtsobergericht in Köln
vom 29. April 1977
3 U 205/76
(Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Der Kläger übernahm im Auftrage der Beklagten mit seinem 1509 t großen Motorschiff den Transport von 726 t Maisgrieß von Neuss nach Rotterdam. Die am 16. 2. 1976 beginnende 4tägige Ladezeit wurde um 2 Tage überschritten, da die Beladung erst am 21. 2. 1976 beendet war. Der Kläger verlangt daher 2 volle Liegegelder von zusammen 1594,- DM.
Die Beklagte behauptet, nach einer Vereinbarung mit dem Kläger habe die Überschreitung der Ladezeit und damit der Liegegeldanspruch durch den Frachtsatz abgegolten werden sollen. Die Dauer der Ladezeit unterliege nicht der zwingenden Festsetzung durch die Frachtenausschüsse, sei auch nicht durch eine Verordnung der höheren Verwaltungsbehörde gemäß § 29 Abs. 4 BSchG verbindlich festgesetzt worden. Für die Anwendung der Kriegsverordnung vom 9. 11. 1940 sei wegen veränderter Verhältnisse kein Raum mehr.
Die Ladezeit habe der Frachtführer ohne besondere Vergütung zu gewähren, weil die Ausnutzung des Schiffes während der Ladezeit bereits durch die Fracht abgegolten sei. Eine Einschränkung oder Ausdehnung dieser Zeit sei den Beteiligten daher freigestellt. Außerdem handle es sich um einen grenzüberschreitenden Transport, der nicht den Festfrachtbestimmungen unterliege.*)
Der Kläger bestreitet die von der Beklagten behauptete Vereinbarung und vertritt in allen Punkten eine abweichende Rechtsansicht.
Das Schiffahrtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der 2 Liegegelder verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde vom Schiffahrtsobergericht zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Nach § 30 BSchG steht dem Frachtführer für jeden Tag der Überschreitung der Ladezeit ein Liegegeld zu, wenn der Absender die Ladung nicht so rechtzeitig liefert, daß die Beladung des Schiffes innerhalb der Ladezeit vollendet werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beklagte war Absenderin der Ladung. In dieser Eigenschaft hatte sie das lose Gut in das Schiff zu liefern (§ 41 BSchG). Dabei hat sie die viertägige Ladezeit unstreitig um zwei Tage überschritten. Der Kläger kann deshalb für jeden Tag der Fristüberschreitung ein Liegegeld beanspruchen. Der Anspruch besteht selbst dann, wenn die Parteien die von der Beklagten behauptete Vereinbarung getroffen haben sollten, weil diese Absprache gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und deshalb nichtig ist (§ 134 BGB).
Die streitige Abrede beinhaltet eine einvernehmliche Verlängerung der Ladezeit und einen Verzicht des Klägers auf das ihm für die Überschreitung der Ladezeit gebührende Liegegeld, was wirtschaftlich betrachtet die denkbar weitestgehende Herabsetzung desselben bedeutet.
Nach der „Verordnung über die Ladezeit und die Löschzeit sowie das Liegegeld in der Binnenschiffahrt vom 9. November 1940" (RGBI. II, S. 257) können aber weder die Ladezeit verlängert, noch das Liegegeld herabgesetzt werden. Insoweit ist die allgemeine Vertragsfreiheit eingeschränkt und keine anderweitige Vereinbarung möglich. Absender und Frachtführer sind vielmehr an die durch Gesetz und Verordnung geschaffene Regelung gebunden, wie sich aus den §§ 1 und 2 der Verordnung vom 9. 11. 1940 ergibt.
...
Die Verordnung vom 9. 11. 1940 ist geltendes Recht. Sie ist in dem Fundstellennachweis A des Bundesrechts (Stand: 31. 12. 1975) unter der Gliederung Nr. 4103-2 aufgeführt. Beides hat der Bundesminister der Justiz auf Anfrage des Schiffahrtsgerichts mit Schreiben vom 18. 11. 1976 bestätigt.
Tatsächlich ist auch keine Grund ersichtlich, der die Fortgeltung der Verordnung in Frage stellen könnte. Insbesondere gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie nationalsozialistisches Gedankengut enthielte. Ihr Erlaß mag durch die damalige wirtschaftliche Situation bedingt gewesen sein. Das ändert jedoch nichts an ihrer weiteren Gültigkeit bis zu einer anderweitigen Regelung durch den Gesetzgeber. Es kommt deshalb für die hier zu treffende Entscheidung nicht darauf an, ob sie bei den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen noch zu rechtfertigen ist. Unbestreitbar ist jedenfalls, daß sie der Beschleunigung des Warenumlaufs und der Förderung des Wettbewerbs dient.
...“
ZfB 1978, S. 478
Die Verordnung vom 9. 11. 1940, nach weicher Vereinbarungen über die Verlängerung der Lade- oder Löschzeit und über die Herabsetzung des Liegegeldes unzulässig und daher nichtig sind, ist noch heute geltendes Recht.
Urteil des Oberlandesgerichts - Schiffahrtsobergericht - in Köln vom 29. April 1977 - 3 U 205/76 - (Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Anmerkung der Redaktion:
Zu dieser Frage nimmt das Schiffahrtsobergericht in den Entscheidungsgründen keine Stellung, hat diesen Einwand aber offensichtlich als unerheblich angesehen, zumal die Verordnung vom 9. 11. 1940 zweifellos keinen Unterschied zwischen innerdeutschem und grenzüberschreitendem Verkehr macht und schlechthin alle Fälle der Ladezeit- oder Löschzeitdauer und der Entstehung von Liegegeldansprüchen auf deutschen Wasserstraßen betrifft. Wie der Fall bei einer Verlängerung der Lade- oder Löschzeit oder bei Verzicht oder Herabsetzung des Liegegeldes am Platz Rotterdam zu entscheiden wäre, bleibt offen.