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Leitsätze:
1) Die zweite Person, die sich außer dem Inhaber eines Radarschifferzeugnisses ständig im Steuerstand aufhalten muß, hat nur eine Hilfsfunktion und braucht daher von ihrem Standplatz aus das Radarbild nicht ständig mitzubeobachten.
2) Zur Abwägung des anteiligen Verschuldens bei einer Schiffskollision.
Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergericht in Köln
vom 15. Mai 1981
3 U 198/ 80
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
In dem Rechtsstreit geht es in erster Linie um die Höhe des jeweils anteiligen Verschuldens einer Kollision zwischen dem bei dem Kläger versicherten, zur Unfallzeit wegen Nebels in einem Ankermanöver befindlichen MS E und dem auf dem Rhein zu Berg fahrenden, dem Beklagten gehörenden und von ihm selbst geführten MS C. Das Rheinschiffahrtsgericht hatte dem Beklagten überwiegendes Verschulden beigemessen.
Das Rheinschiffahrtsobergericht hat unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils den Beklagten dem Grunde nach nur zum Ersatz der Hälfte des Schadens für verpflichtet erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
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Ein Verstoß der Besatzung von MS C gegen § 6.33 Ziffer 4 RhSchPVO läßt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Soweit die genannte Vorschrift bestimmt, daß sich während einer Radarfahrt außer dem Inhaber eines Radarschifferzeugnisses ständig eine zweite Person im Steuerstand aufhalten muß, war ihr genügt. Denn zur Unfallzeit befand sich außer dem Beklagten auch dessen Ehefrau - die Zeugin Gertruida Molegraaf - im Steuerstuhl, die selbst das Rheinschifferpatent für die Strecke von Mannheim bis zur Spyck'schen Fähre besitzt und auf der damaligen Reise die Aufgabe eines Matrosen wahrnahm. Ob die Zeugin dabei von ihrem Standplatz aus auch das Radarbild sehen konnte, ist unerheblich, weil die vorgeschriebene zweite Person nur eine Hilfsfunktion hat und deshalb das Radarbild nicht ständig mitzubeobachten braucht.
Ungeklärt geblieben ist lediglich, ob die Zeugin mit der Verwendung des Radargerätes hinreichend vertraut war, um dem Beklagten erforderlichenfalls behilflich sein zu können. Darauf kommt es aber für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an, weil sich eine etwaige Unkenntnis der Zeugin im Umgang mit dem Radargerät nicht unfallursächlich ausgewirkt hat.
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Verstoßen hat der Beklagte aber gegen die Vorschrift des § 6.35 Ziffer 3 RhSchPVO. Nachdem er nämlich bereits auf eine Entfernung von etwa 1400 m und auch bei der weiteren Annäherung an den Stillieger auf dem Radarschirm bemerkt hatte, daß MS E ständig hin und her schwoite, hätte er nicht nur weiter zur Strommitte halten, sondern auch das nach § 6.31 RhSchPVO vorgeschriebene Schallzeichen (ein langer Ton) in Abständen von längstens einer Minute geben müssen, weil die nicht auszuschließende Möglichkeit bestand, daß es infolge der starken Gierbewegungen des Stilliegers zu einer Gefahrenlage kommen konnte. Eine solche konnte sich insbesondere daraus ergeben, daß der Stillieger bei der weiteren Annäherung von MS C plötzlich in dessen Kurs hineinschwoite. Mit dieser Möglichkeit mußte der Beklagte rechnen, weil die Gierbewegungen von MS E sehr stark gewesen sein müssen. Sonst hätte sie nämlich der Beklagte nicht schon auf eine Entfernung von 1400 m auf dem Radarschirm wahrnehmen können.
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Allerdings hätten die Gierbewegungen des Stilliegers dem MS C nicht gefährlich werden können, wenn es dem Beklagten möglich gewesen wäre, mit seinem Fahrzeug beliebig weit nach Backbord auszuweichen. Das konnte er aber erwiesenermaßen nicht, weil ihm Talfahrt entgegenkam. Deswegen waren weitere Vorsichtsmaßnahmen unbedingt erforderlich. Dazu gehörte die Abgabe des Schallsignals nach § 6.31 RhSchPVO, um den Stillieger auf das sich nähernde MS C aufmerksam zu machen. Durch eine solche Signalgebung wäre die Kollision vermieden worden. Das Signal hätte nämlich zumindest Schiffsführer S. gehört, weil er sich zur Unfallzeit auf dem Vorschiff von MS E befand. Entsprechend gewarnt, hätte dann Schiffsführer S. mit Sicherheit keine weiteren Ankermanöver mehr mit MS E unternommen, sondern hätte damit gewartet, bis der Bergfahrer vorbeigefahren war.
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Dem Beklagten ist außerdem anzulasten, daß er sich dem Stillieger zunächst mit unverminderter Geschwindigkeit von 15 km/h genähert und erst auf eine Entfernung von 100 bis 150 m zurückgeschlagen hat.
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Durch eine rechtzeitige Geschwindigkeitsverminderung wäre die Kollision vermutlich vermieden worden, weil ein beladener und sehr langsam fahrender Bergfahrer nur einen kurzen Anhalteweg hat. Zumindest hätte sich aber die Geschwindigkeitsverminderung auf das Schadensausmaß ausgewirkt. Denn dann wäre die Wucht des Zusammenstoßes weniger heftig und dementsprechend auch der Schaden geringer gewesen.
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Entgegen der Meinung des Beklagten ist MS E als Stillieger zu behandeln. Denn es hatte zur Unfallzeit zumindest noch den Steuerbordanker gesetzt und beabsichtigte auch nicht, seine Reise fortzusetzen. Die von seiner Besatzung durchgeführten Maschinenmanöver hatten nur den Zweck, das Fahrzeug besser zu verankern. Dabei hat aber Schiffsführer S. gegen seine allgemeine Sorgfaltspflicht verstoßen (§ 1.04 RhSchPVO).
Da Schiffsführer S. zugegebenermaßen keine Sprechverbindung mit der durchgehenden Schiffahrt hatte und wegen des dichten Nebels nur etwa 50 bis 60 m weit sehen konnte, durfte er mit seinem Fahrzeug nur äußerst vorsichtig manövrieren und mußte dabei alles unterlassen, was zu einer Gefährdung der durchfahrenden Schiffahrt führen konnte. Danach war es schon recht leichtfertig, dem seinerzeit allenfalls 17 Jahre alten Matrosen P. die Steuerung von MS E zu überlassen, zummal dieser damals erst drei Wochen in der Schiffahrt tätig war. Für eine solche Aufgabe war der Matrose P. absolut ungeeignet. Dazu fehlte ihm die notwendige Erfahrung.
Nachdem aber schon Schiffsführer S. den Fehler gemacht hatte, dem unerfahrenen Matrosen das Ruder zu überlassen, hätte er es keinesfalls zulassen dürfen, daß dieser mit MS E Manöver vollführte, die die durchgehende Schiffahrt gefährden konnten. Nach der polizeilichen Aussage von Schiffsführer S. ist das jedoch geschehen. Denn danach hat sein Matrose MS E soweit zur Strommitte hin abgedreht, daß es in den Kurs von MS C geraten ist.
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Letztlich hat das beiderseitige Fehlverhalten gleichermaßen zu dem Unfall beigetragen. Dabei ist zu Gunsten der Besatzung von MS E zu berücksichtigen, daß sie sich in einer weit schwierigeren Situation als die Besatzung von MS C befand. Während nämlich MS E mehr oder weniger hilflos in dem dichten Nebel lag, konnte die Besatzung des Bergfahrers die Situation mit Hilfe des Radargerätes schon aus größerer Entfernung übersehen und hätte deshalb bei mehr Sorgfalt die Kollision vermeiden können. Andererseits brauchte sie aber auch nicht mit dem plötzlichen Drehmanöver von MS E zur Strommitte hin zu rechnen, worin die hauptsächliche Unfallursache gesehen werden muß. Da jedoch einen Radarbergfahrer eine gesteigerte Sorgfaltspflicht trifft, erscheint es gerechtfertigt, den Unfallschaden hälftig zu teilen.
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