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Leitsatz:
Spricht der Anscheinsbeweis für ein nautisches Fehlverhalten, wird aber zur Entlastung Ausfall der Autopilotanlage behauptet, ist nachzuweisen, daß
- die Radaranlage zur Unfallzeit versagt hat,
- sie nach Konstruktion und Einbau tauglich war,
- sie sich vor der Kollision in ordnungsgemäßem Zustand befand,
- unmittelbar vor dem Unfall kein zum Ausfall der Autopilotanlage führender Bedienungsfehler begangen worden ist,
- nach dem Ausfall derAutopilotanlage so schnell wie möglich auf Handruder umgestellt wurde.
Bei der Steuerung mit einem Autopiloten muß die entsprechende Warnanlage eingeschaltet sein.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln
vom 7.8.1992
3 U 1/92
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des MGS S, das am 5.10.1989 rechtsrheinisch zu Tal fuhr und in Höhe des Bankecks bei St. Goar mit dem zu Berg fahrenden MS C des Beklagten zusammenstieß. Auf MS C war die Autopilotanlage eingeschaltet.
Da es ziemlich breit fuhr, reduzierte der Schiffsführer B. die Geschwindigkeit von MGS S und lenkte es noch weiter nach Steuerbord, obgleich er zuvor bereits einen klaren Kurs gesteuert hatte, der eine gefahrlose Begegnung entsprechend der dort gültigen geregelten Begegnung „backbord-backbord" ermöglicht hätte. Als beide Schiffe sich bis auf 100 bis 300 Meter genähert hatten, gab der Beklagte über Kanal 10 durch, sein Schiff habe einen Ruderausfall. Obwohl B. weiter nach rechts auswich und ein Rückwärtsmanöver einleitete, konnte er nicht verhindern, daß MS C mit dem Backbordvorderschiff etwa mittschiffs in die Backbordseite von MGS S fuhr.
Der Beklagte hat behauptet, der Zusammenstoß sei auf einen Ruderausfall zurückzuführen. Als sein Schiff mit dem Kopf in die nach rechtsrheinisch versetzende Strömung gelangt sei, habe er den Autopiloten nach Steuerbord gestellt, habe dann aber bemerkt, daß sein Schiff geradeaus gelaufen sei. MS S sei schon so nahe gewesen, daß es für eine Kurskorrektur mit dem Notruder zu spät gewesen sei. Er habe deshalb nur den Ruderausfall gemeldet, mit der Maschine zurückgemacht und das Bugstrahlruder gestartet, um den Kopf von MS S wegzubringen, was jedoch nicht mehr gelungen sei. Der Ruderausfall sei durch einen Drehbruch der Potentiometerwelle bewirkt worden. Die Autopilotanlage sei nach Konstruktion und Einbau tauglich gewesen und sei nach den Anforderungen der niederländischen Schiffsuntersuchungskommission allgemein zugelassen. Einer Eintragung in das Schiffsattest habe es nicht bedurft.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Schadensersatzklage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Das Rheinschiffahrtsgericht hat zu Recht die Verantwortlichkeit des Beklagten für die Kollision mit MS S bejaht. Unstreitig lief MS C aus dem Ruder und wurde von der am Bankeck nach rechtsrheinisch versetzenden Strömung erfaßt und gegen das rechtsrheinisch auf klarem Kurs zu Tal entgegenkommende MS S getrieben. Unter diesen Umständen spricht der Anscheinsbeweis für ein nautisches Fehlverhalten des Beklagten.
Dieser muß sich dahin entlasten, daß
- die Ruderanlage zur Unfallzeit versagt hat
- sie nach Konstruktion und Einbau tauglich war
- sie sich vor der Kollision in ordnungsgemäßem Zustand befand
- er unmittelbar vor dem Unfall keinen zum Ausfall führenden Bedienungsfehler begangen hat und
- er nach dem Ausfall der Anlage so schnell wie möglich auf Handruder umgestellt hat.
(vgl. Bemm/Kortendick, RhSchPVO, Einführung Randnummer 117 und § 1.08 Randnummer 12 ff.).
Der Beklagte hat bereits nicht nachgewiesen, daß überhaupt ein „Ruderversager" vorgelegen hat, so daß es keiner Aufklärung zu den weiteren Umständen bedarf, hinsichtlich deren sich der Beklagte entlasten muß.
Der sachverständige Zeuge L. hat seiner Aussage zufolge keine Ausfälle an der Ruderanlage selbst, sondern nur am Ruderlagenanzeiger der Kurshalteeinrichtung festgestellt. Der zu der normalen Ruderanlage gehörige Ruderlagenanzeiger war jedoch in Ordnung. Der Zeuge hat weiter die Anlage am Ruderquadranten überprüft und festgestellt, daß der vom Ruderquadranten zum Ruderlagenanzeiger führende Zahnriemen gespannt war und die beiden Scheiben, über die der Keilriemen lief, richtig saßen. Der Zeuge hat klargestellt, daß zum Zeitpunkt seiner Besichtigung mit Sicherheit noch kein Rädchen von der Achse abgebrochen war.
Demgegenüber hat der Sachverständige M. festgestellt, daß der Wellenantrieb des Potentiometers gebrochen war, und hat dies als Ursache für den Ruderschaden angesehen. Ausweislich des Maßnahmen- und Zeitplans der Wasserschutzpolizei vom 6.10.1989 hat der Zeuge L. seine Untersuchungen am Unfalltag zwischen 17.20 und 18.30 Uhr vorgenommen. Der Bruch der Zahnscheibe am Potentiometer wurde erst anläßlich der Versiegelung der Ruderanlage um 20.50 Uhr festgestellt. Im Hinblick auf die zweifelsfreien Feststellungen des Zeugen L. läßt dies nach Überzeugung des Senats nur den Schluß zu, daß zwischenzeitlich Manipulationen an der Anlage vorgenommen worden sind. Das Phänomen läßt sich nicht damit erklären, daß es - wie der Beklagte behauptet - zu einem Dauerdrehbruch der Potentiometerwelle gekommen wäre, der sodann zum Ausfall der Autopilotanlage geführt hätte. Denn erst das Abbrechen des Zahnrades selbst hätte einen Ruderausfall bewirken können, weil dann die Ruderstellung nicht mehr mittels des Zahnriemens auf das Potentiometer hätte übertragen werden können. Solange aber - wie dies der Zeuge L. bekundet hat - die beiden Scheiben fest saßen und der Keilriemen gespannt war, muß der Quittungsgeber funktionieren. Der Senat hat keinen Zweifel daran, daß die diesbezüglichen Feststellungen des Zeugen L. zutreffend sind. Der Zeuge ist als Beamter der Schiffsuntersuchungskommission Koblenz sachverständig. Er hat sich seinen Bekundungen zufolge die beiden Zahnscheiben und den darüber laufenden Keilriemen nicht nur angesehen, sondern auch mit der Hand auf ihre Festigkeit hin überprüft und dabei festgestellt, daß ihr Sitz in Ordnung war. Nach alledem kann die - auch von dem Zeugen L. festgestellte - fehlende Funktionsfähigkeit des Ruderlagenanzeigers nicht auf dem Bruch der Antriebswelle des Potentiometers beruhen, sondern muß eine andere Ursache gehabt haben. Hierzu lassen sich jetzt keine Feststellungen mehr treffen, da die Ruderanlage zwischenzeitlich verändert worden ist. Unter diesen Umständen bedarf es auch keiner ergänzenden Befragung des Sachverständigen M. dazu, ob die Funktionsuntüchtigkeit des Ruderlagenanzeigers auf einen Defekt der Autopilotanlage hindeutet. Denn der Sachverständige hat ausweislich seines Gutachtens nicht die gesamte Autopilotanlage untersucht, sondern sich auf Feststellungen zum Quittungsgeber beschränkt. Ohne genaue Kenntnis der technischen Details der Anlage lassen sich aber keine sicheren Feststellungen dazu treffen, was als Ursache für den Defekt des Ruderlagenanzeigers in Betracht kommt und inwiefern dies auch zu einem Versagen des Ruders geführt haben kann. Nach den nicht zu bezweifelnden Feststellungen des Sachverständigenzeugen L. funktionierte die Kurshalteeinrichtung jedenfalls, das Ruder ließ sich in der gewünschten Richtung betätigen.
Im übrigen spricht auch der Umstand, daß die Alarmanlage, mit der der Autopilot ausweislich der Bedienungsanleitung ausgestattet war, unbestritten nicht angesprungen ist, gegen den behaupteten Ruderausfall. Sollte die fehlende Auslösung des Alarms aber darauf beruhen, dass der Beklagte die Warnanlage ausgeschaltet hatte, so muß er sich dies als nautisches Fehlverhalten vorwerfen lassen; denn bei der Steuerung mit dem Autopiloten mußte auch die entsprechende Warnanlage eingeschaltet sein, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 28.9.1990 - 3 U 173/88 - (ZfB 1991, Heft Nr. 6, Sammlung Seite 1313 f.) ausgeführt hat. Nach alledem hat der Beklagte den ihm obliegenden Entlastungsbeweis nicht geführt. Er hat der Klägerin somit die entstandenen Schäden zu ersetzen.....“
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993- Nr.8 (Sammlung Seite 1418 f.); ZfB 1993, 1418 f.